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DIE FURCHE 15.02.2024

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DIE FURCHE · 7 6 Chancen 15. Februar 2024 Zeichen setzen Zehntausende Menschen sind vor drei Wochen in Wien und anderen Städten auf die Straße gegangen und haben gegen Rechtsextremismus demonstriert. Aber reicht das? Politikpsychologe Kliche sagt: „Nein“. Foto: IMAGO / Andreas Stroh Das Gespräch führte Manuela Tomic Rechte Parteien – bis hin zum rechtsextremen Rand – sind wieder im Aufwind. Sie spielen mit nostalgischen Gefühlen, liefern aber nie realitätsfähige Lösungen. Der Politikpsychologe Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal erklärt, warum sich etablierte Parteien viel stärker reflektieren sollten und wie man Bürgerinnen und Bürger begeistern kann, politisch aktiv zu werden. Der Politikpsychologe Thomas Kliche über die „Demos gegen rechts“, das Problem etablierter Parteien und die Frage, wie man Menschen wieder für die Demokratie begeistern kann. „Nur gegen rechts sein reicht nicht“ DIE FURCHE: Herr Kliche, Woche für Woche demonstrieren zehntausende Menschen in Deutschland gegen die AfD, nun gab es auch in Österreich Demonstrationen „gegen rechts“. Wie bewerten Sie das als Politikpsychologe: Sehen Sie, dass sich hier etwas verändert in der Gesellschaft? Sogar eine Art Turning Point? Thomas Kliche: Es ist ein möglicher Turning Point, ja. Hier findet ein vielfältiges Spektrum zusammen, um den eigenen Standpunkt zu klären und zu stärken. Das bringt mehrere Einsichten, die kaum zu übergehen sind. Erstens: Rechtsextreme sind nicht das Volk und sprechen nicht für das Volk. Zweitens: Der Populismus gebiert Streit und Konflikte statt Einigkeit. Drittens: Es geht für die Rechtsextremen nicht immer nur bequem wie im Fahrstuhl aufwärts, weil die Medien sie hofieren und sie nie realitätsfähige Lösungen vorschlagen müssen. Die große offene Frage ist nun allerdings, wen die Demos wohin orientieren. Gegen rechts zu sein und für Demokratie, ist sympathisch, aber inhaltsschwach. Das genügt nicht, Lesen Sie dazu auch den Artikel „Was ist Österreichisch“ vom Philosophen Peter Strasser vom 15. Februar 2023 auf furche.at. um die Mangelleistungen verworrener, zerstrittener Regierungen auszugleichen. Nur langfristige Problemlösungen nehmen dem Rechtsextremismus den Wind aus den Segeln, und die müssen nun angepackt werden. DIE FURCHE: Rechte Parteien schaffen es dennoch europaweit, Wählerinnen und Wähler anzuziehen. Ob in Italien, in den Niederlanden oder in Ungarn: Was machen diese Parteien in der Kommunikation mit den Wählenden anders? Kliche: Die geballte Internet- Präsenz, einfach bestimmte Botschaften einhämmern und durch emotionale Aufladung für den Algorithmus attraktiv machen, sodass sich wie von selbst Blasen bilden und Deutungen massenhaft verbreiten, nutzen diesen Parteien – derzeit etwa, die „Botschaft“, die Demos seien von der Regierung bestellt. Die Kommunikation ist außerdem, wie die ganze Politik, von Selbstaufwertung und Gefühlsaufladung geprägt. Das verschafft ihr nicht nur die selbstverstärkende Präsenz in den sozialen Netzen. Sondern deshalb messen ihre Anhänger rechte Parteien mit anderen Maßstäben. Keine Partei hatte in Deutschland so viele Skandale wie die AfD, einschließlich zahlreicher gespaltener Fraktionen, finanzieller Fehltritte oder Hochstapelei von Kandidaten. Aber Populisten, etwa Trump- Fans, stört das nicht, sie sind völlig resistent gegen Sachargumente und langfristige Vernunft. Sie stecken in einem Verfolgungs-Verschwörungs-Wahn. Und der ist „ Ein Viertel der Bevölkerung, nämlich die unteren Teile der sozialen Schichtung, werden von niemandem vertreten. “ emotional so attraktiv, dass sie ihn durch ihr Kommunikationsverhalten abdichten: Sie informieren sich überwiegend aus gleichgefärbten Kanälen im Internet. Attraktiv machen den Populismus dabei sein genussvoller Größenwahn und seine Hasslizenz: Die eigene Gruppe wird als hochwertig und machtvoll erlebt, deshalb werde sie ja angegriffen, von Fremden und Eliten, und sie muss sich daher verteidigen. Der Populist darf also ganz gerechtfertigt Aggressionen ausleben. Obendrein bekommt er eine griffige, einfache Erklärung für die Gefährdungen durch den zerstörerischen kapitalistischen Wandel. Diese tiefe Emotionalität der Ausgrenzung ermöglicht rechten Parteien völlig andere psychologische Kontrakte mit ihren Anhängern. DIE FURCHE: Längst hat sich das Narrativ herausgebildet, dass die etablierten Parteien zu elitär seien und sich nicht mehr um die Probleme der Menschen kümmern. Doch Rechtspopulisten kümmern sich auch nicht, sie spielen ja nur mit Ängsten. Wie kann man als Politiker oder Politikerin tatsächlich wieder eine echte Verbindung zu jenen aufbauen, die den Glauben an etablierte Parteien oder gar an die Demokratie verloren haben? Kliche: Oje, das wird bitter. Erstens erfordert das Ehrlichkeit, also auch gegenüber eigener Erbärmlichkeit und Kurzsichtigkeit, auch gegenüber dem drohenden Scheitern von ganzen Feldern wie Bildung oder Gesundheit oder dem offenkundigen Scheitern gut gemeinter Projekte wie Integration oder Inklusion unter obwaltenden Bedingungen. Zweitens braucht es einschneidende Maßnahmen für bessere Politik, sonst ist die Reue unglaubwürdig. Drittens ist Radikalität und Weitsicht bei der Formulierung von Lösungen nötig, also das Zeigen, wem wird was warum wehtun – und warum ist das dennoch unabdingbar. Viertens braucht es eine ergebnisorientierte Zuverlässigkeit. Parteien müssen also klar

DIE FURCHE · 7 15. Februar 2024 Chancen 7 „ Nostalgie ist ein anderer Ausdruck für Denkfaulheit und Gefühlsträgheit, nämlich die klammheimliche Hoffnung, den schmerzhaften Aufbruch doch noch zu vermeiden. “ sagen, wo die Mindestforderungen für echte Problemlösung liegen, also für wirkungsvolle Transformation, und dann nicht ständig jeden Schritt vier Jahre lang nachfeilschen. Die meisten Berufspolitiker sind für diesen Trust Repair erkennbar ungeeignet. Sie sind das Produkt von drei Jahrzehnten Karriereorientierung: Mehrheiten und politische Funktionäre haben sich gegenseitig erzogen, den Kopf selbst vor dringendem Veränderungsbedarf in den Sand zu stecken und Ärger möglichst zu meiden – also prinzipienlos die eigene Bequemlichkeit zu suchen. DIE FURCHE: Die Zahl der Nichtwähler und Nichtwählerinnen ist sowohl bei den Europawahlen als auch bei den deutschen Bundestagswahlen in den letzten Jahren angestiegen. Was sind die Gründe dafür? Kliche: Der Ekel an den stromlinienförmigen Pappnasen auf den Listen wächst, auch das Misstrauen in die Parteien als Karriereapparate. Aber dann wächst auch ein diffuses Gefühl der Unbrauchbarkeit dieser ganzen Stapel kompromiss- und phrasenangereicherter Parteiprogramme vor den tiefen anstehenden Veränderungen. Immer mehr Menschen finden kein passendes Angebot unter den bestehenden Parteien. Und schließlich nimmt der Anteil anomischer, tief entfremdeter Menschen zu, denen der soziale Wandel die Einsicht eingeprügelt hat, dass weder Gesellschaft noch Politik sich ernsthaft um sie kümmern. Regional ist das massenhaft in Ostdeutschland passiert, wirtschaftlich passiert es derzeit im ganzen Niedriglohn-Bereich. DIE FURCHE: Von den Panama Papers bis hin zu den Pandora Papers und Co.: Viele investigative Netzwerke haben aufgedeckt, dass „die Reichen und Mächtigen“ keine Steuern zahlen und auch Politiker in korrupte Machenschaften miteinbezogen sind. Lässt sich das Vertrauen in die Politik so überhaupt wiederherstellen? Kliche: Nein. Aber es geht auch längst nicht mehr um Kleinkorruption. Die schmerzhafte, mit tiefen Konflikten verbundene Weiche ist: entweder auf den Markt hoffen, ja ihn noch radikalisieren, also etwa mit den Big Tech, der Energiewirtschaft oder der Nahrungsindustrie zusammenarbeiten, oder die Reichen und die Konzerne einhegen, steuern und an die Leine nehmen, um überall Rechtsstaatlichkeit und soziale Verantwortung zu erzwingen. DIE FURCHE: Nun gehen viele wieder auf die Straße: Von den Bauernprotesten bis hin zu den „Demos gegen rechts“: Aber welche Möglichkeiten gibt es noch, sich politisch zu engagieren? Kliche: Die entscheidende Frage ist: Zeige ich Flagge, dann reicht ja eine Demo, oder engagiere ich mich ernsthaft? Und dann muss ich mit stetiger Anstrengung für eine Sache eintreten – und nicht gegen ein diffuses „rechts“. Man kann sich immer leicht einigen, was man nicht will, aber was will man denn? Ausschlaggebend für den Erfolg einer neuen sozialen Bewegung wird also sein, ob sie imstande ist, sich selbst dauerhafte Strukturen und damit Einfluss zu verschaffen, und ob sie einen Anstoß gibt, die Zivilgesellschaft durch verstetigte Anstrengungen zu stärken und zu ideologisieren, also zu politischen Positionen zu bringen. Also ob viele nicht nur zur Demo finden, sondern auch in Verbände, Vereine, sogar Parteien. Vielleicht neue Verbände und Parteien, aber eben überdauernde, handlungsfähige Strukturen, die die politische Willensbildung beeinflussen. DIE FURCHE: Welche Rolle spielt Bildung? Müssen wir Demokratie immer wieder „lernen“? Kliche: Im Prinzip ja. Mit drei schrecklichen Einschränkungen: Die Effekte von höherer Bildung sind zwar über die Jahrzehnte konsistent und klar. Aber die Effektgrößen sind eher schwach, wir können also im Mittel nicht viel damit erreichen. Außerdem werden diese Effekte schwächer, wenn Bildung durch Bologna- Denken verdrängt wird, also ein Sammelbildchen-Verständnis von Bildung statt Orientierungsfähigkeit. Extreme und wachsende gesundheitliche Ungleichheit und Bildungsungleichheit sind zu guter Letzt die immer weiter zunehmenden Auswirkungen von Einkommens- und Vermögensungleichheit. Wer also aus bildungs- und einkommensschwachen Familien kommt, hat es um ein Vielfaches schwerer, überhaupt an höhere Bildung zu kommen. „ Die Gesellschaft muss sich durchgehend zur Vernunft, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit verändern. “ DIE FURCHE: Sollte der Politik- Apparat durchlässiger werden? Kliche: Ja, etwa ein Viertel der Bevölkerung, nämlich die unteren Teile der sozialen Schichtung, werden von praktisch niemandem mehr aus ihrer Mitte in der Politik vertreten. Andererseits müssen Politiker vor allem zum Milieu der Berufspolitik passen, egal, was ihre Eltern beruflich gemacht haben. Ein Opportunist aus einer Arbeiterfamilie bleibt dadurch ein Opportunist, siehe Kanzler Schröder, kein sozialer „Zuchtstammbaum“ schützt vor Kurzsichtigkeit und Karrierismus und schafft bessere Repräsentation ausgeblendeter Lebenswirklichkeiten. Wichtig ist deshalb vielmehr die Bereitschaft, gegen bittere mediale Widerstände die Erfahrungen der Stummgemachten auszusprechen und ihre Sicht zu vertreten. Das wiederum geht nur mit dem richtigen Programm, nicht mit irgendeinem sogenannten Hintergrund. Soziale Merkmale sind zu einer Art Propagandatrick geworden: Schau auf meinen Habitus und meine Herkunft, ich bin Dir ähnlich, Du kannst mir vertrauen. Was beweist: Ein Austausch des Personals ersetzt kein Programm, warum Menschen in der Politik ausgeblendet werden. DIE FURCHE: Krieg, Inflation und Co.: Wie sollten Parteien angesichts multipler Krisen mit den potenziellen Wählern und Wählerinnen kommunizieren? Kliche: Vielleicht ja genau darüber: Wirtschaftliche, ökologische und militärische Krisen werden zunehmen, die Zukunft haben wir fast verspielt, wir haben zwanzig Jahre den Kopf in den Sand gesteckt. Wir haben nicht mehr viele Optionen, und die, die wir haben, müssen wir mit aller Entschlossenheit anpacken. Dazu gibt es technologische Grundlösungen und dafür erforderliche gesellschaftliche Reformen. Die müssen wir gestalten, und dafür lassen sich die Kosten absehen, die werden hoch. Wir müssen sie umverteilen, dazu brauchen wir eine scharfe Vermögens- und Steuerpolitik, und wir müssen uns alle auf Einschnitte einstellen, egal, wer anfängt. Bislang haben die Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsberufe sowie die Dienstleister in Polizei, Verkehr und Logistik Verzicht erbracht, jetzt wären andere dran, etwa in Form einer Bürgerversicherung. Und bei solchen langfristigen Projekten muss man dann auch bleiben und nicht bei jedem Gegenwind weinerlich in die Knie gehen und in inneren Streitereien versinken. DIE FURCHE: Wie kommt man als Partei, die realistische aber nicht perfekte Wege zeigt, gegen jene KLARTEXT Parteien an, die mit vermeintlich einfachen Lösungen, wie sie sagen, alles wieder zum „Alten“ führen werden? Kliche: Das erreicht man nur durch langfristige Stetigkeit. Diese Partei fängt als kleine radikale Minderheit an, und die Mehrheiten müssen durch Rückschläge und Katastrophen mühselig begreifen, dass die alten Wege im Sumpf verlaufen. DIE FURCHE: Welche Rolle spielt Nostalgie als Gefühl, das für den Wahlkampf – vielleicht auch im positiven Sinne – verwendet werden kann? Kliche: Die positive Nostalgie ist tot. Es gibt kein Zurück. Die Arbeiterbewegung wurde von ihren Parteien und der Arbeiterschaft gemeinsam lustvoll verraten und kaltherzig beerdigt. Und sonst war nicht viel positiv an der Zeit, in der Kinder und Frauen zu Europadämmerung Europa wird in nächster Zeit öfter zum Thema werden. Es steht aber zu erwarten, dass man das Thema verfehlt – nämlich zu manchen Details diskutiert, während Idee und Gebilde selbst in den Abgrund fahren. Erstens müsste sich Europa in einer (wieder) kriegerischen Welt zurechtfinden. Das ist ungewohnt, nach einem Dreivierteljahrhundert Beinahe-Frieden. Bis zur Verteidigungsfähigkeit oder Kriegstüchtigkeit scheint es ein weiter Weg zu werden – wenn Europa sich nicht gleich „unterwerfen“ will. Zweitens sind es nicht nur Angriffe von außen, sondern auch von innen. Es verstärken sich, quer durch die Länder, autoritäre Personen, Bewegungen und Parteien; hochgezüchtet von ignoranten „Leftisten“, die beharrlich das Thema Einwanderungsbeschränkung denen überlassen haben, die den „Volkswillen“ zu respektieren vorgeben. Drittens werden die Populationen heterogener, der Anteil der „Nichteuropäer“ (im geistigen Sinne) nimmt zu. Das bewirkt Geschichtsverlust und Herkunftsignoranz. Foto: Privat Thomas Kliche ist ein deutscher Bildungsforscher, Politologe und Psychologe. Er ist Professor für Bildungsmanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Sein Schwerpunkt ist die Politische Psychologie. Hause geschlagen wurden, in der der „blaue Himmel über der Ruhr“ ein Wahlkampfthema war, weil man nur Qualm sehen konnte, in der die alten Nazis in praktisch jeder Ecke eine Generation lang heimlich weitergewerkelt haben. Nostalgie ist ein anderer Ausdruck für Denkfaulheit und Gefühlsträgheit, nämlich die klammheimliche Hoffnung, den schmerzhaften Aufbruch doch noch zu vermeiden. Deshalb ist Nostalgie ein Evidenzprinzip des Populismus: Zurück in eine vermeintlich gute alte Zeit, das beweist ja schon alles – es geht doch, wir haben die Lösung, früher lief es ja schon so! Nein, die Gesellschaft muss sich durchgehend zu Vernunft, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit verändern, sonst geht die Zivilisation in der uns bekannten Form unter: „Sozialismus oder Barbarei“ hat Marx diese Weiche genannt. Mit Überraschung und Bestürzung nimmt man plötzlich nicht nur islamischen, sondern auch hausgemachten Antisemitismus wahr. Viertens hat Europa geistig abgedankt. Es hat kein Bild mehr von sich selbst. Wirklichkeitsverlust, Faktenignoranz, geistig verwahrloste Aggressivität – auch und gerade in akademischen, künstlerischen, medialen Kreisen. Fünftens schließlich wird Europa in diesem Zustand vom Rest der Welt, insbesondere den Ländern des Globalen Südens, offen verachtet. Der Westen ist kein Vorbild mehr, keine Zukunft. Europa ist schwach, Amerika im Abstieg. Die Länder orientieren sich um: China finden die Diktatoren der Dritten Welt ohnehin viel sympathischer als den lästigen Westen, dessen Bevormundung in Sachen Demokratie und Menschenrechte sie immer als nervig empfunden haben. Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz. Von Manfred Prisching

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