DIE FURCHE · 7 4 Das Thema der Woche Jugend der Extreme 15. Februar 2024 Lesen Sie hierzu auch den Text „Fernsehen am Wendepunkt“ über eine technologische Veränderung der Vergangenheit von Maurice Wiggin London (8.8.1963) auf furche.at. Von Magdalena Schwarz das heftig“, sagt Rezo. Unter seiner Baseball-Cap lugen blitzblaue Haare hervor, er spricht hastig, aber klar, beinahe übertönt von der hektischen Hinter- „Ist grundmusik. „Die Zerstörung der CDU“ heißt das 55-minütige YouTube-Video, das der populäre Webvideoproduzent pünktlich zu den Europawahlen 2019 veröffentlichte. Zwischen Ironie und Empörung pendelnd, beschuldigt er darin die Christlich Demokratische Union (CDU), damals Regierungspartei unter Kanzlerin Angela Merkel, die Reichen immer reicher zu machen und den Klimawandel voranzutreiben. Seine Quellen liefert er in einem 13-seitigen Dokument. Während Kommentatoren und Forschende debattieren, ob seine Videoanalyse die Wahlentscheidungen seiner jungen Follower und Followerinnen beeinflusst oder journalistische Standards erfüllt, sammelt der heute 31-jährige fleißig Klicks. 20 Millionen zählt sein Video mittlerweile. Ist das Journalismus oder kann das weg? Rezo ist nur ein Vertreter des Biotops an journalistischen Formaten, die sich auf den Sozialen Medien entwickelt haben. Neben Inhaltsproduzenten oder „Influencern“, die auf Instagram & Co ihre klugen bis banalen Analysen teilen, sind dort auch viele traditionelle Medien erfolgreich. Die britische Zeitung The Guardian, eine digitale Pionierin, twittert seit 2007, und die Instagram-Videos aus der ORF-News-Redaktion erreichen auf Instagram regelmäßig eine halbe Million Aufrufe. Man dürfe die „Wutmaschine Internet“ nicht den Rowdys und Bots überlassen, warnte der Journalist Armin Wolf im September 2022 in einem Profil-Essay. Stattdessen sollten Medienmacher „Social Media mit gutem Journalismus fluten.“ Das ist gerade ZAHLEN News nach Maß Der Algorithmus entscheidet mit, welche Nachrichten Nutzer von Social Media zu sehen bekommen. Was bedeutet das für die politische Meinungsbildung der Generation Z? Wie viele der 18- bis 24-jährigen nutzen Social-Media-Kanäle für Nachrichten? Instagram 35,4 % YouTube 23,7 % TikTok 13 % Facebook 10,3 % Snapchat 10,3 % X (Twitter) 6,5 % Quelle: Digital News Report 2023 Über ein Drittel der Generation Z konsumiert Nachrichten auf Social Media. Für wen sie bei Europa- und Nationalratswahlen abstimmt, entscheidet also auch der Algorithmus. Ich sehe was, was du nicht siehst angesichts der kommenden Europa- und Nationalratswahlen wichtig. Neben Zeitvertreib und sozialem Austausch erfüllen Soziale Medien für die Gen Z zunehmend Informationszwecke, erklärt die Kommunikationswissenschaftlerin Anna Sophie Kümpel von der Technischen Universität Dresden. Sie erforscht, wie Nutzer auf Online-Plattformen Nachrichten und politische Inhalte teilen und wahrnehmen. Laut Digital News Report 2023 beziehen in Österreich rund 38 Prozent der 18- bis 24-Jährigen ihre Nachrichten hauptsächlich von Social Media, deutlich häufiger als der Durchschnitt mit knapp 14 Prozent. „ Auch Nadja Bernhard ist ein vertrauter Gast im Wohnzimmer. Aber die Beziehungen zwischen Social-Media-Influencern und ihren Followern sind intensiver. “ Im Gegensatz zu ihren Eltern, die Social-Media-Nachrichten vielfach von Facebook oder LinkedIn beziehen, informieren sich junge Menschen eher auf den bild- und videolastigen Plattformen Instagram, YouTube und TikTok. Dort bekämen sie alle Informationen auf einen Blick, aber auch Langvideoformate inklusive persönlich eingefärbter Einordnungen, wie jene von Rezo, sagt Kümpel. „Gerade junge Menschen suchen Personen oder Gruppen, mit denen sie ein gemeinsames Ziel verfolgen können.“ Online seien solche Blasen Gleichgesinnter leicht zu finden. Neben der Aktualität würden viele auch die scheinbar ganz nebenbei konsumierte Informationsvielfalt schätzen – laut der Forscherin ein Trugschluss. Die Besonderheit sozialer Medien sei schließlich die Personalisierung, die genau diese Multiperspektivität häufig einschränke. „Algorithmische Kuratierung“ nennt Kümpel die Auswahl der Inhalte durch einen Algorithmus. „Die Plattformen personalisieren explizit und implizit: Abonniere ich DIE FURCHE auf Instagram, dann serviert das System mir diese und ähnliche Inhalte. Zusätzlich beobachtet der Algorithmus mein unbewusstes Verhalten: Bleibe ich besonders lange bei Hundevideos hängen, dann spült er diese häufiger in meinen Feed.“ Aufgrund dieser Personalisierung sei es nicht für jeden User gleich wahrscheinlich, auf sozialen Medien mit tagesaktuellen Themen konfrontiert zu werden. Nicht zu vergessen, dass weder Mark Zuckerberg noch Elon Musk darauf abzielen, Nutzer möglichst umfangreich zu informieren. Für die Konzerninhaber zählt, ganz den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie folgend, allein die Verweildauer der Nutzenden auf der App: Je länger ihre Pupillen am Bildschirm haften, desto mehr Werbung kann ausgespielt werden. Emotion, aber bitte ohne Cringe Auch klassische Medien finanzieren sich durch Werbung und möchten Zuschauer und Abonnenten an sich binden. Dennoch gibt es Unterschiede zu den Sozialen Medien. Obwohl auch Nadja Bernhard ein vertrauter Gast im Wohnzimmer ist, sind die Beziehungen zwischen Social-Media-Influencern und ihren Followern intensiver, sagt Kümpel. „Wenn ich einem YouTuber wie Rezo folge, dann schaue ich auch seine Instagram-Storys. Ich habe viel mehr Gelegenheiten, ihn vermeintlich oder tatsächlich kennenzulernen.“ Ist diese parasoziale Beziehung, also eine einseitige Verbindung Foto: Foto: iStock / Alona Horkova zu einem eigentlich fremden Menschen, positiv gefärbt, dann ist der Einfluss vermutlich stärker, als der einer Moderatorin, die abends über den Fernseher flimmert, erklärt die Expertin. Im Jahr 2017 untersuchten Kümpel und Kollegen, wie politische Parteien auf Instagram Wahlkampf für die Bundestagswahlen in Deutschland betrieben. Seither hätten sich Soziale Medien zwar stark verändert, aber es sei dennoch bemerkenswert, wie Parteien versuchten, sich an Plattformen anzupassen. Besonders auf visuell-dominierten Kanälen setzen sie auf Bilder und Menschen anstelle langer Texte und abstrakter Sachthemen. Der kurze Clip von der Podiumsdiskussion funktioniere besser als die Abhandlung zur Haushaltsstrategie, so die Forscherin. Anpassung ohne Authentizität birgt allerdings die Gefahr von peinlichen „Cringe-Videos“. In Deutschland beobachtet Kümpel den Erfolg von Randparteien, wie der rechten Alternative für Deutschland (AfD) auf der Videoplattform TikTok. Der Algorithmus sei anfällig für einfache, emotionale und somit auch für radikale Positionen. Doch die Forscherin betont, dass die Programme nicht losgelöst von menschlichen Entscheidungen seien: „Das ist immer ein Wechselspiel. Trotzdem wissen wir auch aus unserer eigenen Erfahrung, dass wir innerhalb von Sekunden entscheiden, ob wir ein Video anschauen oder weiterswipen. Einfache Sprache, knackige Botschaften, Gefühle, das alles bündelt Aufmerksamkeit.“ Gegen das Auseinanderdriften Zudem zeigt sich laut einer Analyse der amerikanischen Financial Times ein ideologischer Spalt in der Gen Z: Junge Männer werden zunehmend konservativer, junge Frauen progressiver. Auslöser sei die #Me- Too-Bewegung gewesen, die feministische Werte unter jungen Frauen stärkte. Bei älteren Generationen ist dieser Genderunterschied milder. Soziale Medien verstärken den Effekt, da die Geschlechter in ihnen verschiedene virtuelle Räume einnehmen und unterschiedliche Kulturen erleben. Um wieder eine gemeinsame Gesprächsbasis zu schaffen, wünscht sich Kümpel, dass Plattformen Personalisierung sichtbarer machen. Sie vermutet, dass Nutzer und Nutzerinnen dann reflektierter mit Inhalten umgehen würden. Neben den vielfach geforderten Maßnahmen gegen Fehlinformationen und Hassrede schlägt sie auch eine Curation for the common good vor, also einen offiziellen, kuratierten Newsflash, den alle User sehen. „Eine funktionierende Demokratie setzt voraus, dass wir übereinstimmen, welche Themen gerade wichtig sind“, erklärt Kümpel. Dafür müssten Nutzende aber zuerst aus ihren Newsblasen zurück in einen geteilten Diskursraum geholt werden. Ob das gelingt? Foto: Lea Rudrof Anna Sophie Kümpel forscht zu Nachrichtennutzung in digitalen und sozialen Medien an der Technischen Universität Dresden.
DIE FURCHE · 7 15. Februar 2024 Das Thema der Woche Jugend der Extreme 5 Aufgrund seiner Menschenrechtsverstöße gilt Prabowo Subianto im Westen als Persona non grata. Doch nach der Wahl vom 14. Februar könnte der Militär Indonesiens neuer Präsident werden. Seine Popularität verdankt er einem TikTok-Wahlvideo, das ihn als tanzenden Opa zeigt. Terrorgeneral mit Kuschelimage Von Barbara Barkhausen Ein Großteil von Indonesiens Wahlkampf fand in sozialen Medien statt, insbesondere auf TikTok. Kein Wunder vielleicht, denn in dem Land mit über 270 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern machen Millennials und die Generation Z mehr als die Hälfte der Wählerschaft aus. Tik- Tok hat in dem südostasiatischen Inselstaat monatlich über 125 Millionen aktive Nutzer. Damit ist Indonesien nach den USA der zweitgrößte Markt für die chinesische Kurzfilmplattform. Vor allem dem 72-jährigen Prabowo Subianto ist dank Tik- Tok ein fast unglaublicher Imagewandel gelungen: Vom terrorisierenden General zum niedlichen tanzenden Opa – zum gemoy, wie die Indonesier es nennen – ein Spitzname für alles, was kuschelig und liebenswert ist. Dabei war Prabowo vor 25 Jahren einst einer der am meisten gefürchteten Männer des Landes. Der einstige General und Schwiegersohn des verstorbenen Diktators Suharto soll im heutigen Timor-Leste ein Terrorregime geführt und Demokratieaktivisten entführt, gefoltert und getötet haben. Doch dank seines „Imagewandels“ ist Prabowo derzeit der Kandidat, der in der Wählergunst in Führung liegt, nachdem der im Land sehr beliebte, amtierende Präsident Joko Widodo nach zwei Amtszeiten bei der jüngsten Wahl am 14. Februar nicht mehr antreten durfte. Ob die jungen Wählerinnen und Wähler seine Vergangenheit zugunsten seines „lustigen“ Tanzstils vergessen haben oder nicht einmal darüber Bescheid wissen, bleibt dabei offen. K-Pop-Fans und Pinguine Konkurriert hatte Prabowo, der aktuell noch Verteidigungsminister ist, immerhin noch mit zwei anderen Anwärtern auf den Präsidentenjob: Einerseits mit Anies Baswedan, einem Akademiker, einst Kultur- und Bildungsminister sowie Gouverneur von Jakarta. Auch er bemühte sich auf TikTok um K-Pop-Fans. Weiters brachte sich der ehemalige Gouverneur von Zentral-Java, Ganjar Pranowo, in Stellung. Seine Posts handelten von Pinguinen, für die er sich einsetzt. Tatsächlich ähneln sich die Programme der drei Kandidaten inhaltlich: Alle versprechen einen besseren Lebensstandard, ein schnelleres Wirtschaftswachstum und Infrastrukturentwicklung. Laut Angguntari Ceria Sari, Politikwissenschafterin an der Uni „Unpar“ (katholische Privatuniversität in der Stadt Bandung), proklamieren alle drei Politiker, die Ressourcen Indonesiens vor ausländischer Ausbeutung schützen zu wollen. Ökologische Nachhaltigkeit und der Schutz von Menschenrechten und Demokratie sind ebenfalls in allen drei Wahlprogrammen enthalten. Zudem würden alle versprechen, gegen Korruption vorzugehen, wie die Foto: APA / AFP / AFP Photo / Juni Kriswanto Politologin in einer Wahlanalyse schrieb. Auch das größte Projekt des Landes, der Bau einer neuen Hauptstadt, der unter Widodo begonnen hat, würde wohl von jedem der Kandidaten fortgesetzt werden, obwohl zumindest Baswedan das Projekt kritisch sieht. Die Wahl in dem südostasiatischen Inselstaat gilt als die weltgrößte: Rund 204 Millionen der über 270 Millionen Einwohner Indonesiens sind wahlberechtigt. Während sie am vergangenen Mittwoch über den nächsten Präsidenten und Vizepräsidenten abstimmten, mussten sie auch noch fast 20.000 Vertreterinnen und Vertreter für National-, Provinzund Bezirksparlamente wählen. Insgesamt standen eine Viertelmillion Kandidaten zur Auswahl. Bald viertgrößte Volkswirtschaft Nicht nur wegen dieser demokratischen Superlative sind die Wahlen in Indonesien einen Blick wert. Der Archipel mit seinen rund 17.000 Inseln ist schon heute die stärkste Wirtschaftsmacht Südostasiens. Bis 2050 könnte Indonesien sogar zur viertgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen sein, schätzt die Deutsch- Indonesische Industrie- und Handelskammer. „China, die USA, aber auch zahlreiche asiatische Staaten wie Singapur, Japan, Südkorea oder andere ASEAN-Mitglieder stärken derzeit ihre politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Indonesien“, kommentierte Denis Suarsana, Leiter des Auslandsbüros „Indonesien/Timor-Leste“ bei der Konrad- Adenauer-Stiftung. Auch geopolitisch wird Indonesien immer bedeutender. 2022 war das asiatische Land Gastgeber des G20-Gipfels und arrangierte dabei das erste Treffen zwischen US-Präsident Joe Biden und seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping. Im vergangenen Jahr hielt Indonesien dann den ASEAN-Vorsitz und steuerte den Block dabei durch drei Konflikte: den Russland-Ukraine-Krieg, den Israel-Hamas-Konflikt und den Bürgerkrieg in Myanmar. Doch obwohl die Wahlen seit dem demokratischen Übergang Indonesiens im Jahr 1998 „zu einem hochgefeierten Akt des bürgerlichen Lebens“ geworden sind, wie Sana Jaffrey, eine Forscherin am „Carnegie Endowment for International Peace“, den komplexen Wahlvorgang beschreibt, wird die indonesische Demokratie immer noch von politischen, geschäftlichen und militärischen Führern dominiert, die ihr Vermögen während der 32-jährigen Griff nach der Macht waren wahlberechtigt. “ autoritären Herrschaft Suhartos aufgebaut haben. Tatsächlich hat die Macht in den letzten zwei Jahrzehnten größtenteils zwischen diesen Eliten gewechselt. Deren politische Parteien entscheiden darüber, wer auf dem Stimmzettel erscheint und wie das Land zwischen den Wahlen regiert wird. Der amtierende Präsident Joko Widodo, der sich vom Möbelhändler und Bürgermeister zum Gouverneur von Jakarta und später zum Präsidenten hochgearbeitet hat, war der erste Außenseiter, der aus dieser „ Im weltweiten Superwahljahr 2024 galt die Wahl in dem südostasiatischen Inselstaat als die größte: 204 Millionen Menschen Nächste Woche im Fokus: Präsidentschaftskandidat Prabowo Subianto während einer Wahlkampfkundgebung im Gelora-Sidoarjo-Stadion in Sidoarjo, Ost-Java. Er bildete im Wahlkampf ein „Team“ mit dem Sohn des amtierenden Präsidenten, der dadurch seinen Einfluss festigen will. Clique ausbrach. Doch auch er lernte schnell, dass er sich an deren Regeln zu halten hatte, wenn er an der Macht bleiben wollte. Bereits vor der letzten Wahl spannte er Polizei, Armee, Governeure, Distriktoberhäupter und andere Staatsträger in einer Weise für seine Kampagne ein, wie das keiner seiner Vorgänger seit 1998 mehr getan hatte. Nepotismus allgegenwärtig Vor der jüngsten Wahl versuchte er dann, den Weg für eine dritte Amtszeit außerhalb der Verfassung für sich selbst freizumachen. Doch nachdem er damit scheiterte, gelang es ihm immerhin, seinen ältesten Sohn Gibran Rakabuming Raka zu platzieren. Dieser bildet ein Team mit Spitzenreiter Prabowo – etwas, das in Indonesien als Wahlempfehlung interpretiert wurde. Eigentlich ist Widodos Sohn für die Position des Vizepräsidenten mit 36 Jahren auch noch zu jung. Das Mindestalter für indonesische Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidaten beträgt 40 Jahre. Doch ein Verfassungsgericht, dessen Oberster Richter der Schwager Widodos war, entschied, dass diese Altersgrenze nicht für gewählte Regionalführer gelten solle. Dies öffnet Widodos Sohn, der bereits Bürgermeister der Stadt Surakarta ist, die Tür zur nationalen Politik. Sollte Prabowo nun tatsächlich Indonesiens neuer Präsident werden, so würde sich Widodo dank seines Sohnes wohl ein Maß an Einfluss sichern und zumindest den Grundstein für eine neue Dynastie legen. Diagnose, Therapie, Heilung – und was dann? Die Zeit mit und nach einer Krebserkrankung bringt neue Ängste, Routinen und einen ver änderten Blick auf das Leben. Über das Potenzial der Prävention, Genesungsgeschichten und Menschen, deren Glauben auf die Probe gestellt wird.
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