DIE FURCHE · 7 14 Diskurs 15. Februar 2024 ERKLÄR MIR DEINE WELT Bei Hate Speech stehen Frauen alleine da Den gesamten Briefwechsel zwischen Johanna Hirzberger und Hubert Gaisbauer können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Johanna Hirzberger ist Redakteurin von „Radio Radieschen“ und freie Mitarbeiterin von Ö1. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast „ Wieviele Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, müssen noch leiden, bevor sich etwas ändert? Es scheint eine neue Zerstörungsstrategie zu sein, Hexenjagd 2.0. “ In Ihrem letzten Brief hatte ich das Gefühl, dass Sie wirklich auf mich zugegangen sind. Das freut mich. Und, ich sehe es genauso (jetzt habe ich einen Ohrwurm von Sportfreunde Stiller mit „Siehst du das genauso“ hach…): Man(n) sollte mich nicht ändern können. Aber ich will mich schon ändern können. Eine fantastische Überleitung zu meiner dieswöchigen Anekdote zum Thema: Warum fällt es mir manchmal so schwer, mich so zu akzeptieren, wie ich bin? Letztens saß ich mit einer Gruppe von Freunden zusammen. Wir spielten „Siedler von Cartan“. Als wäre diese Art, einen Freitagabend zu verbringen, nicht schon spießig genug, bemerkte ich nach einiger Zeit, dass wir alle über unseren Körper klagten: der Rücken, die Schultern, Nackenverspannungen, Verdauungsprobleme – wir scheinen wohl von unserem Arbeitsalltag vor dem Computer, stundenlang am Schreibtisch sitzend, gezeichnet zu sein. „Nicht mit mir!“, dachte ich und nahm mir vor, ab jetzt Radfahrerin zu werden. Achtung, Spoiler: Dieser Impuls kommt mindestens ein Mal pro Jahr. Schon am nächsten Tag nahm ich meine Fahrradpumpe, schwang meinen Rucksack über meine Schultern und stülpte mir meinen Helm über den Kopf. (Wäre es ein Radiobeitrag, würde ich an dieser Stelle Straßen-Geräusche einbauen und sie mit dem unüberhörbaren Störgeräusch meiner Fahrradbremse unterbrechen.) Im Ernst: Es macht echt gar nichts, dass meine Klingel nicht funktioniert, weil man mich schon aus kilometerweiter Entfernung bremsen hört. Ich fahre quietschend auf die Straßenkreuzung zu, während mir die entsetzten Blicke von sich sonnenden Café-Besucherinnen folgen. Als wäre das nicht schon unangenehm genug, durfte ich mich an diesem Tag von meinem nicht existenten Orientierungssinn überzeugen. Kurzum: Ich kam zum Treffen mit einer Freundin zehn Minuten zu spät. Sie hat es mir verziehen und meinte: „Ach, ich kenne das, ich muss mich auch jedes Jahr aufs Neue selbst davon überzeugen, dass ich keine Fahrradperson bin.“ Diese Reaktion hat mich beruhigt, ich bin also nicht allein. „Allein“ ist eigentlich auch ein gutes Stichwort für das, was mich diese Woche besonders beschäftigt hat. Die Meldung über eine vermisste Journalistin. Ich frage mich, wieviele Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, noch leiden müssen, bevor sich etwas ändert. Seit Jahren wird über Hate-Speech berichtet, es werden Morddrohungen und Vergewaltigungsfantasien gepostet, aber schlussendlich stehen die Betroffenen oft allein und exponiert da. Es scheint eine neue Zerstörungsstrategie zu sein, eine Hexenjagd 2.0 – so lange psychischen Druck auszuüben, bis die Opfer nur noch einen Ausweg sehen: zu flüchten. Ich kann mir vorstellen, dass sich die eine oder andere gut überlegt, mit welchen Themen sie in der (Online-)Öffentlichkeit stehen will. Eigentlich auch eine Art der Zensur, finden Sie nicht? Petra Stuiber weist in einem Standard- Kommentar Politik und Medienhäuser darauf hin: „Die Absicht hinter den Anschüttungen, Diffamierungen und Drohungen ist eine klar politische: Hier soll der liberale unabhängige kritische Journalismus verleumdet werden.“ Lassen Sie mich Ihre Meinung dazu wissen. Ich freue mich auf Ihren nächsten Brief. Von Severin Renoldner Durch den bewussten Verzicht auf Essen, Konsum In FURCHE Nr. 10 oder Energie gewinnt nicht nur der Einzelne. Über die 3800 4. März 2004 soziale Dimension des Fastens. Der Theologe, ehemalige Politiker und Leiter des Sozialreferats der Diözese Linz hat sich 2004 in der FURCHE über eine moderne Art des Fastens Gedanken gemacht. Denn Fasten bedeutet nicht nur der Verzicht auf bestimmte Speisen. Man kann auch vom Egoismus fasten. Abstand nehmen vom Egoismus AUSGABEN DIGITALISIERT Fasten bedeutet immer schon Gesellschaftskritik, weil es eine Form ist, auf Distanz zu gehen zum Üblichen, zu den Konventionen und Verpflichtungen. Neben Essen und Trinken gibt es Konsumobjekte, die Menschen ebenfalls in den christlichen Fastenzeiten meiden: Fernsehen, gestresste Tätigkeiten, Vergnügungen, Rauchen etc. Traditionell kann der Fastende nicht nur Essen, sondern auch bestimmte Tätigkeiten weglassen - etwa schwere Arbeiten, die nicht unbedingt nötig sind. Er hat gleichermaßen ein Recht auf etwas mehr Ruhe, Körperpflege und Wohlbefinden. Fasten ist nicht nur Leiden, sondern auch ein Gewinn. Fasten ist auch das Aufhören, mehrere Dinge zugleich oder Dinge unkonzentriert zu tun (etwa Zeitung lesen, fernsehen und essen). Fasten soll dazu führen, dass wir „gesammelt“ werden. [...] Als 2001 der Advent – ursprünglich die zweite christliche Fastenzeit – mit dem Ramadan zusammenfiel, rief Papst Johannes Paul den Abschlussfeiertag des Ramadan zu einem weltweiten Fastentag für alle Religionen aus [...]. Zweck dieses Fastens war die Besinnung auf den Krieg, der in Antwort auf die Terroranschläge in Nordamerika ausgebrochen war. [...] Die westliche Gesellschaft hat auch dringend ein Fasten nötig im Hinblick auf ihren Energieverbrauch. Die Vereinbarungen der Weltklimakonferenz von Toronto 1988 sahen vor, bis 2003 15 Prozent der Treibhausgase zu reduzieren. Sie sind aber um 20 Prozent gestiegen! Die Konferenz von Kyoto hat dieses Ziel stark nach oben korrigiert: Man wollte viel weniger verzichten, weil einige Staaten nicht bereit waren. Inzwischen ist deutlich geworden: Weder die USA noch die EU sind bereit, auch nur die völlig unzureichenden Verpflichtungen von Kyoto zu erfüllen. Energiefasten bedeutet freilich nicht Reduktion auf ein Armutsniveau. Es bedeutet zurückgehen auf einen vernünftigen Umgang mit Energie; Verantwortung zu übernehmen, dass unser Konsum die Erde nicht zerstört. Fasten in Europa bedeutet auch, über die EU und ihre Erweiterung nachzudenken. Es geht nicht an, die Europareife nur an den Stabilitätskriterien der Währung zu messen, während der Sozialstaat abgebaut und arme Menschen „ausgesteuert“ werden. Im Gegenteil müssen wir lernen, das sozialpolitische Teilen auf Osteuropa und auf andere ärmere Gegenden der Welt auszuweiten. Fasten kann nützlich sein, um zu erkennen, dass wir unterschiedliche Menschen einander Foto: Markus Spiske / temporausch.com / Pexels letztlich doch brauchen. Das bedeutet ein Fasten vom Egoismus der Reichen, von der Vorstellung, dass der Markt alleine alle sozialen Probleme lösen kann und dass es die rechtlichen Regulierungen nicht braucht. Dieses Fasten befreit von der Illusion, dass eine Generation sich von der anderen oder ein Erdteil sich von den anderen Erdteilen abkoppeln kann. Wir sind ein Teil des Ganzen. VON 1945 BIS HEUTE ÜBER 175.000 ARTIKEL SEMANTISCH VERLINKT DEN VOLLSTÄNDIGEN TEXT LESEN SIE AUF furche.at Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Philipp Axmann, Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.), Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Magdalena Schwarz MA MSc, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Aboservice: +43 1 512 52 61-52 aboservice@furche.at Jahresabo (inkl. Digital): € 298,– Digitalabo: € 180,–; Uniabo (inkl. Digital): € 120,– Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. 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DIE FURCHE · 7 15. Februar 2024 Diskurs 15 Der „Kampf um Erinnerung“ bei traumatisierten Opfern stand am 23. Jänner im Fokus der FURCHE. Axel Seegers vom Fachbereich Weltanschauungsfragen der Erzdiözese München äußert Kritik. Im Zeichen eines fragwürdigen Narrativs Der Artikel „Kampf um die Erinnerung“ und das anschließende Interview mit dem Psychiater Jan Gysi (FURCHE, 23.1.2024) provozieren Rückfragen und deutliche Kritik. Gysi wirft zusammen mit anderen Befürwortern des Narrativs der „rituellen Gewalt“ den Kritikern eine massive Hetzjagd vor. Kritiker brächten bewusst mit ihrer Kritik die Traumatherapie insgesamt in Misskredit und würden der Leugnung von Missbrauch und Gewalt in unserer Gesellschaft Vorschub leisten. Wie derartige sinnentstellende und pauschale Vorwürfe mit seinem Wunsch nach einer sachlichen und respektvollen thematischen Auseinandersetzung zusammengehen soll, bleibt ein Rätsel. Dass die Fronten verhärtet sind und ein Fortschritt in der Debatte kaum möglich scheint, hat vielerlei Gründe. Zum einen liegt das sicherlich daran, dass das Thema „rituelle Gewalt“ sehr komplex ist und eine Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen berührt, ein interdisziplinärer Austausch allerdings schwierig scheint. Zum anderen führen Vertreter des Narrativs seit Jahren selbst einen ideologischen Kampf mit z.T. unredlichen Mitteln: Gibt es eigenständige „Innenpersonen“? Erstens gibt es bis heute keine einheitliche Definition, was unter „ritueller Gewalt“ zu verstehen ist. Noch in den 1990er Jahren wurde sie immer im Zusammenhang von „satanischen und dämonischen Logen“ gedacht. Die damaligen Hinweise, dass es „den“ Satanismus nicht gäbe und man differenzieren müsse, wurden ignoriert. Stattdessen weitet man heute die Definition aus und nennt als Kriterium „Ideologie als Begründung oder Rechtfertigung von Gewalt“. Oder man steigert gleich in verschwörungstheoretische Abgründe, wenn ein Expertenkreis beim deutschen Bundesfamilienministerium wissen lässt: „Die satanistischen Sekten sind gewalttätig, staatsgefährdend und verfassungsfeindlich. Sie streben eine neue Weltordnung an und haben bereits Teile unserer Gesellschaft unterwandert.“ Es geht bei „ritueller Gewalt“ also offensichtlich nicht nur um traumatherapeutische Fragen. Die Beweise für dieses weitreichende Menetekel bleiben die Verfechter bis heute schuldig. Weder Polizei und Foto: Erzbischöfliches Ordinariat München DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Axel Seegers „ Wie ist angesichts solcher Unterstellungen ein sachlicher, wissenschaftlich fundierter Diskurs denkbar? “ Staatsschutz noch ernst zu nehmende investigative Medien können nicht einmal Indizien finden. Staatliche Untersuchungen in den Niederlanden und der Schweiz kommen zu gegenteilige Erkenntnissen, werden von den Befürwortern aber nicht einmal erwähnt. Zweitens verschweigen Befürworter häufig wesentliche Aspekte des Narrativs. In der einschlägigen Literatur wie bei Vorträgen erfährt man, dass Menschen derart konditioniert beziehungsweise programmiert (sic!) würden, dass Täter deren Persönlichkeit wie auf Knopfdruck wechseln ließen und die Opfer wie ferngelenkt und ohne Bewusstsein Denk- und Verhaltensweisen durchführten. Die Täter spielten Gott, löschten Gedächtnisinhalte wie eine Festplatte und beschrieben sie neu, indem sie eine Vielzahl von Programmen kreierten (z.B. Anti- Polizei-Programm, Suizidprogramm) und bis zu 50 sogenannte „Innenpersonen“ erschafften. Diese „Innis“ hätten nicht nur sehr unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale, sondern seien auch unterschiedlich alt oder krank (Ein „Inni“ habe Krebs, die anderen „Innis“ nicht. Krebsmedikamente seien nur der krebskranken Innenperson zu verabreichen). Auch physisch unterscheiden sich nach dieser The- orie die Innenpersonen; einige besäßen blaue, andere grüne Augen, einige seien männlich, andere weiblich. Zurecht wird von Fachleuten kritisiert, dass es keine Belege für eine so perfekte Manipulation gibt. Auch das Konzept der vielen eigenständigen Innenpersonen, die meist nichts voneinander wüssten und erst in der Therapie miteinander bekannt und in Austausch gebracht werden müssten, bleibt fragwürdig. Überdies widerlegt die internationale Forschungslage der Psychologie sowie der Psychotraumatologie die Annahme, dass traumatisierte Menschen über Jahre und Jahrzehnte keinerlei Ahnung oder gar Erinnerung an schreckliche Erlebnisse hätten, um erst durch eine Therapie eine Wiedererinnerung monströsen Leids zu erleben. Verharmlosung von Missbrauch und Gewalt? Drittens ist seit Jahren in der Szene eine Immunisierung gegen Kritik feststellbar. Wer Zweifel formuliert oder wissenschaftlich fundierte Kritik anbringt, sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, Missbrauch und Gewalt zu verharmlosen und Organisierte Kriminalität zu leugnen. Schlimmer noch: Durch die Kritik stünde man nicht „an der Seite Betroffener von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend – auch im organisierten und/oder rituellen Tatkontext“ (BKSF 11.4.23) und Kerstin Claus (UBSKM) „befürchtet, dass bewusst ein Klima geschaffen wird, in dem grundlegend Betroffenen von sexueller Gewalt seltener geglaubt wird“ (WDR 21.5.23). Wie aber ist bei diesen fragwürdigen Unterstellungen ein sachlicher, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhender Diskurs denkbar? Die meisten Kritiker des Narrativs sind selbst beraterisch-therapeutisch tätig und dem Wohl ihrer Patienten und Patientinnen verpflichtet. Gerade weil deren Wohl Maßstab des Handelns sein muss, ist eine (selbst)kritische Prüfung und eine unvoreingenommene Herangehensweise nach anerkannten wissenschaftlichen Standards unabdingbar. Strategische Winkelzüge und pauschale Unterstellungen bleiben verwerflich. Der Autor ist Theologe und seit über 20 Jahren in Beratung und Auseinandersetzung mit dem Narrativ „rituelle Gewalt“ tätig. QUINT- ESSENZ Von Brigitte Quint Celanscher Ochsenweg Ich soll eine Kolumne über Trockenshampoo schreiben. Die Auftraggeberin heißt Manu Tomic. Meine Kollegin, die sich in ihrer Freizeit mit Lyrik, Vintage-Design – und Trockenshampoo beschäftigt. An letzterem bin ich schuld. Wobei „Schuld“ das falsche Wort ist. Kollegin Tomic bedankt sich gebetsmühlenartig für meinen Rat, sagt, Trockenshampoo hätte ihr Leben verändert. Geographisch nähert man sich dem Trockenshampoo via Rendsburg. Die Stadt liegt am historischen Ochsenweg. Früher wurde in dieser Gegend Fernhandel mit Ochsen betrieben. Heute befindet sich dort der Museumsverband „Schleswig-Holstein und Hamburg“, dessen Leitmotiv lautet: „Sammlungen vernetzen – Kultur sichern“. In den entsprechenden Objektkatalog hat es auch eine Dose Trockenshampoo geschafft: „Die gepflegte Frisur gehörte zum Erscheinungsbild der Frau zur Zeit des Wirtschaftswunders. Da sie nur sporadisch zum Friseur ging, half sie sich mit Trockenshampoo“. Trockenshampoo ist eine Paradoxie. Es hatte bereits am Tag seiner Erfindung ein verstaubtes Image. Heute, wo es in Museumskatalogen aufgeführt ist, betonen Stars wie Ruth Crilly (Model), Meghan (Harrys Frau), Lily Collins (“Emily in Paris”), dass ihr frischer Look am Trockenshampoo liegt. Manu Tomic, Meghan, die Gattin des Rendsburger Museumsdirektors, die Wirtschaftswunder-Ladys, ich – wir alle sind Schwestern im Geiste. Keine von uns hat die Kraft jeden Morgen das Waschen-Legen-Programm abzuziehen. Dennoch wollen wir alle großartig aussehen. Das tun wir. Dank Trockenshampoo. Na gut, von der Museumsdirektorsgattin weiß ich es nicht wirklich. Paul Celan. Das Haarmotiv hat in seinen Werken eine enorm hohe Erscheinungsrate – Literaturwissenschafter wissen noch nicht, warum. Sie wissen nur eines: In der celanschen Dichtung steht jedes Wort „in einem direkten Wirklichkeitsbezug“. Würde Celan das Streben, sich mit Trockenshampoo Zeit zu verschaffen, als trivial abkanzeln? Ist Trockenshampoo ein Symbol für die Sehnsucht nach Vintage? Ist das eine wie das andere ein gesellschaftlicher Zwang? Befinde ich mich auf dem Ochsenweg? Es ist surreal und sowas von real. So wie Manu Tomic, deren Auftrag hiermit erledigt ist. NACHRUF Ein musikalischer Weltbürger Zu einem Interpretationsstil befragt, antwortete der in der 1935 in der Mandschurei geborene, in Tokio aufgewachsene Seiji Ozawa: „Stil ist eine Äußerlichkeit.“ Ein bezeichnender Satz für diesen großen Interpreten, dem jede Oberflächlichkeit und Star-Allüren fremd waren. Eine bei einem Rugby-Unfall erlittene Verletzung hatte ihn gezwungen, die angestrebte Pianistenlaufbahn gegen eine Dirigentenkarriere zu tauschen. Ein Glück für die Musikwelt, wie man weiß. Dem Sport blieb Ozawa treu. In seinem Zimmer als Musikdirektor der Wiener Staatsoper – eine Position, die er von 2002 bis 2010 ausübte, ehe ihn eine Krebserkrankung zum Rückzug zwang – hatte er Schi stehen. Sobald es seine Zeit zuließ, fuhr er auf den Semmering. Überhaupt genoss er die Zeit in Wien, ging mit Vorliebe auf den Naschmarkt einkaufen. Und kaum je hat man ihn aufgeregter gesehen, als seine Tochter auf einem Philharmoniker-Ball eintanzte. 1960 dirigierte er erstmals die Wiener Philharmoniker und blieb dem Orchester, das ihn zu einem seiner wenigen Ehrenmitglieder ernannte, über fünf Jahrzehnte treu. An der Staatsoper, wo er 1988 mit Tschaikowskys „Eugen Onegin“ debütierte, dirigierte er nicht weniger als 14 Opern aus drei Jahrzehnten. Gemeinsam mit dem damaligen Direktor Ioan Holender initiierte er die bis heute bejubelte „Zauberflöte für Kinder“ am Tag nach dem Opernball. Ozawa durfte sowohl Karajan als auch Bernstein assistieren, die ihn zeitlebens förderten. Seine Dirigentenkarriere begann mit dem Sieg beim Dirigentenwettbewerb in Besançon 1959 und dem Koussevitzky-Wettbewerb 1960. Er leitete von 1965 bis 1969 das Toronto Symphony Orchestra, danach das San Francisco Symphony Orchestra, ab 1973 bis 2002 – als erster Nichteuropäer – das Boston Symphony Orchestra. Er dirigierte stets ohne Stab und verfügte über eine herausragende Dirigiertechnik und ein von der Klassik bis in die Gegenwart reichendes Repertoire, machte sich als Interpret französischer Musik oder seines Landsmanns Takemitsu einen besonderen Namen. Mit dem nach seinem Lehrer Hideo Saito benannten Saito Kinen- Orchester und -Festival setzte der Maestro, der Stammgast bei allen bedeutenden Orchestern und in den großen Opernhäusern war, einen besonderen Akzent in seiner japanischen Heimat. Am 6. Februar ist Seiji Ozawa 88-jährig in Tokio verstorben. (W. Dobner) Foto: APA / Hans Klaus Techt Er dirigierte stets ohne Stab: Seiji Ozawa, von 2002 bis 2010 Musikdirektor der Wiener Staatsoper, starb am 6. Februar in Tokio.
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