DIE FURCHE · 5020 Ausstellung14. Dezember 2023Neben zahlreichen Gemälden aus ihrem Frühwerk zeigt das Belvedere,woraus Louise Bourgeois Inspiration für ihre Skulpturen bezog.Bunter MixWie ein roter Faden ziehen sich Themenwie Liebe, Verlustangst, Geburt, Sex undTod in einem vielfältigen Stilmix durch dasWerk von Louise Bourgeois (1911‒2010),darunter: Cell (Choisy), 1990‒1993 .Decodieren fürFortgeschritteneFEDERSPIELZeitgeist und AuraVon Daniela StriglIch weiß nicht, liegt es am Wiener Hang zur Mieselsucht– aber so manche einheimische Pressestimmeklang sehr verhalten, als das Wien Museum nach fastfünf Jahren und 108 verbauten Millionen in neuer Prachtseine Pforten öffnete. Ich finde das Ergebnis großartig,die Architektur einladend, die Dauerausstellung klugund originell komponiert und keineswegs überfüllt: Manmuss ja nicht gleich alles anschauen.Diesen Beifall für das große Ganze vorausgesetzt,darf man aber auch ein paar Dinge kritisieren. Zum Beispiel,dass die Wiener Literatur zu kurz kommt im Panoramader Kulturgeschichte. Und dass einer forciert zeitgeistigenInterpretation da und dort Plausibilität undInformationswert geopfert werden. So wurde das berühmtehistorische Grillparzer-Zimmer aus der Wohnungder Schwestern Fröhlich amputiert: Das Kabinettmit der Bibliothek fehlt, dafür sollen 1,4 m² Schlafraumdes (ihres?) Dienstmädchens Klassenunterschiede vermitteln.Von der umstürzlerischen Idee, das Interieur aufden Kopf zu stellen, hat man sich immerhin verabschiedet,die unmodern gewordene Aurades Originals bleibt wirksam. Dochdas Zimmer steht, losgelöst von seinemHerrn, vor allem für Biedermeierwohnlichkeit.Von Grillparzer,der einem jungen Publikum heute erklärt werdenmüsste, erfährt man nichts, außer dass er in der NS-Zeitals „großdeutscher Dichter“ gefeiert worden sei; dabeihatten die Nazis mit dem kritischen Österreich-Patriotenihre liebe Not.Nestroy ist angemessen auch mit Zitaten vertreten,von Peter Altenberg bleibt seine Neigung zu Minderjährigen.Dass weibliche Denkmäler nur für Vertreterinnender darstellenden Kunst errichtet wurden, wirdin der (so hoffentlich nicht ewig dauernden) Dauerausstellungkritisch vermerkt und – reproduziert: Marie vonEbner-Eschenbach findet man hier nicht einmal miteinem ihrer zukunftsweisenden Aphorismen gewürdigt.Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.Ron Amstutz, © The Easton Foundation / Bildrecht, Wien 2023 ; Collection Crystal Bridges Museum of American Art, Bentonville, ArkansasVon Theresa SteiningerSie gilt als eine der bedeutendstenKünstlerinnendes 20. und 21.Jahrhunderts: Die franko-amerikanischeBildhauerinLouise Bourgeois, dieman vor allem für ihre raumgreifendenZellen und monumentalenSpinnen kennt. Nun zeigt dasUntere Belvedere in einer umfassendenSolopräsentation, der erstendieser Größe in Europa, ihrekaum bekannten Gemälde. Dabeiwird rasch klar, dass Bourgeoisbereits früh den Grundsteinfür ihr Schaffen legte undMotive, die man noch heute vonihr kennt, schon in ihren erstenJahren als Künstlerin zu wichtigenSujets erkor. „Was man heutevon ihr an Skulpturen kennt,hat den Ursprung in den Gemälden“,sagt Direktorin Stella Rollig.Man wolle anhand der 60 Exponateaufzeigen, „wie Themenund Formensprache bereits in derMalerei angelegt wurden“, selbstwenn die 2010 verstorbene Künstlerindie Malerei bereits in den1940er Jahren aufgab, nachdemsie von Frankreich nach New Yorkging. „Es ist ungewöhnlich, dasssie nach dem Zeitpunkt nie wiederzu dieser zurückkehrte“, sagtauch Kuratorin Sabine Fellner.„Aber ihre visuelle Formensprache,die sie damals anlegte, bliebbis zu ihrem Lebensende.“So zieht sich beispielsweisedie Beschäftigung mit ihrem Elternhausund dem Abschied ausdiesem durch das Œuvre: ImBelvedere hängt einerseits dasGemälde, das sie beim Weggehenvon einem Haus zeigt, über demeine Gewitterwolke hängt. Das„Runaway Girl“ muss sich wiederumüber einen gefährlichen Pfadüber gezackte Felsen mit dem Kofferin der Hand seinen Weg bahnen.Und einer Skulptur, die ineinandergreifendeHände zeigt,von denen eine ein Haus hält,steht eine andere gegenüber, inder Bourgeois ein Fallbeil gleicheiner Guillotine das traute Heimbedrohen lässt.„ In Bourgeoisʼ Werkpräsent ist das Verlangennach Unabhängigkeit,eine gewisse Entschlossenheitist all ihrenFiguren eingeschrieben. “Es waren existenzielle Themenwie Liebe, Verlustangst, Geburt,Sex und Tod, die Bourgeois von Anfangdes künstlerischen Wirkensan beschäftigten. Mit ihrem Abschiedaus ihrer Heimat, aber auchmit dem von ihr früh eingeführtenVerschmelzen von Mensch undNatur haben auch ihre totemartigenStelen zu tun: „Diese stehenfür die Menschen, die sie in Frankreichzurückgelassen hat“, sagtKuratorin Sabine Fellner. Sie seienauch Sinnbild für ein Schuldgefühl,einerseits ihnen gegenüber,andererseits auch in Bezug auf dieökologische Krise.Bei all dem Wiederkehren vonkünstlerischem Vokabular müsseman aber sagen: „Bei ihr gibtes kein einfaches Decodieren“, soFellner – oder wie Bourgeois esselbst ausdrückte: Symbole seienwie Flaschen, die es zu befüllengelte. Da werden Spiralen wiedie einer Wendeltreppe ähnelndeim Marmorsaal des Unteren Belvedereseinerseits zum Gleichnisfür Anfang und Ende und den Lebensweg.Die Skulptur steht aberauch für Zerbrechlichkeit, Angst– und das, was die Welt in Bewegunghält. In Bourgeoisʼ gesamtemWerk präsent ist das Verlangennach Unabhängigkeit, eine gewisseEntschlossenheit ist all ihren Figureneingeschrieben. Auch hatsie die Kunst zum Weg erkoren,sich den eigenen Ängsten, der Wut,dem Zorn, der Traurigkeit und denSelbstzweifeln zu stellen.Wiederkehrende MotiveDie Schau im Belvedere gehtnicht chronologisch vor, sondernbringt Werke zusammen, die sichmit ähnlichen Themen befassen.Dabei sei faszinierend, wie Bourgeoisauch nach vielen Jahren zugewissen Motiven zurückkehrt,so Co-Kuratorin Johanna Hofer:„Teils hat man das Gefühl, dasszwei Werke doch sehr nah aneinanderentstanden sein müssten– und dann merkt man, dass vielZeit dazwischen lag“.Abseits der Suche nach sich wieein roter Faden durchziehendenSujets stellt die Ausstellung auchdar, dass sich Louise Bourgeoisnicht wirklich auf eine Stilrichtungfestlegen ließ. „Sie ist in ihrerZeit und in der Szene verankert,aber sie macht ihre eigenen Dinge“,beschreibt Fellner. „Wenn siejemand als Surrealistin bezeichnete,sagte sie: Der Traum interessiertmich nicht. Vielmehr schöpftesie aus dem direkten Zugang zuihrem Unterbewusstsein.“ Dasssie sich intensiv mit Psychoanalyseauseinandersetzte, wird in einemeigenen Raum gezeigt. Nichtnur, dass Bourgeois ihr zwiespältigesVerhältnis zum Vater immerwieder künstlerisch verarbeitethat, sie hat auch ein großes Konvolutan psychoanalytischen Schriftenerstellt, von denen einige Seitenpräsentiert werden.Die Zimmerflucht des UnterenBelvederes erweist sich bei dieserAusstellung auch als Vorteil, siehtman doch beim nochmaligen Vorbeigehenan den Werken durchdie nun erfahrenen Zusammenhängemanches durchaus anders.Und Bourgeoisʼ Themen setzensich bis in den Belvedere-Gartenfort, in den man eine monumentaleBronzespinne aufgestellt hat.Louise BourgeoisUnbeirrbarer WiderstandUnteres BelvedereBis 28. Jänner 2024www.belvedere.at
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE