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DIE FURCHE 14.12.2023

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DIE FURCHE · 5014

DIE FURCHE · 5014 Theater & Literatur14. Dezember 2023Von Patric BlaserDer wohl letzte Theater-GroßkritikerGerhardStadelmaier vonder FAZ sah die Gründefür den Trend, dassimmer mehr Romane für die Bühnebearbeitet werden ‒ was er damals,2010, als „epische Seuche“beklagte ‒ darin, dass die Stoffeentweder im Bewährten liegen,das man ausbeute, oder im „Bestsellerischen“,an das man sichhänge. Im Fall des jüngsten Romansder 1990 geborenen RaphaelaEdelbauer „Die Inkommensurablen“,der jetzt im Volkstheater ineiner Bearbeitung eines Künstlerkollektivsnamens sputnic uraufgeführtwurde, dürfte der Grundsowohl im einen wie im anderenliegen. Einerseits schildert der Roman,der es heuer auf die Longlistdes Deutschen Buchpreises geschaffthatte, eine schlaflose Nachtin Wien unmittelbar vor Ausbruchdes Ersten Weltkriegs. Damit behandelter genau jene letzten Tageder untergehenden Donaumonarchie,also die Welt von gestern, diehierzulande nach wie vor ein beliebtes,vielfach anschlussfähigesSujet in Film und Fernsehen istund nicht nur durch die Romanevon Stefan Zweig auch Dauergastauf den Theaterbühnen. Zum anderndürfte das zwiespältige medialeEcho, das Edelbauers Romanausgelöst hat, auch das Interessefür eine Bühnenbearbeitung gesteigerthaben, kann auf diese Weisedoch auch von den Medieneffektenprofitiert werden. Dass diebeiden davor verfassten Romanevon Edelbauer, „Das flüssige Land“und „Dave“ ebenfalls den Weg aufdie Bühne gefunden haben, seihier ohne Kommentar, nur derVollständigkeit halber erwähnt.Gemeinsam durch die NachtDer scheidende VolkstheaterdirektorKay Voges hat nun seinenBruder Nils und dessen Künstlerkollektivsputnic damit beauftragt,die Bühnenfassung und Inszenierungfür „Die Inkommensurablen“zu erarbeiten. Ihre Fassungfolgt dabei im Wesentlichen derChronologie des Romans, fügt ihmdurch eine kleine Umstellung derSzenen nur eine Art Rahmenhandlungbei. Wir folgen der Erzählung,in der sich gleich zu Beginn der erst17-jährige Tiroler BauernknechtHans Ranftler (dargestellt vonHardy Emilian Jürgens), der amvorletzten Julitag des Jahres 1914BlassDas Spiel mit Overheadprojektorendrängt das Schauspielvon FabianReichenbach, GertiDrassl, Hardy E.Jürgens und AnnaRieser zurück.„ So gelungen die Textfassungder 350-Seiten-Vorlage trotzder Kürzungen sein mag,so proble matisch ist derenUmsetzung. “Das Wiener Volkstheater zeigt die Uraufführung von Raphaela EdelbauersRoman „Die Inkommensurablen“ als ein Inszenierungshybridvon Theater und Graphic Novel.Das Erzählte unddas Machen derErzählungim vor Kriegseuphorie elektrisiertenWien angekommen ist, mit derPsychoanalytikerin Helene Cheresch(Gerti Drassl) verabredet.Sie soll ihm helfen, seine seltsameGabe, das zu denken, was anderewenig später aussprechen, zuergründen. Danach trifft er Klara(Anna Rieser), eine aus dem großstädtischenLumpenproletariatFoto: Marcel Urlaub / Volkstheaterstammende und nichts destotrotzkurz vor dem Rigorosum stehendeMathematikstudentin, sowieAdam (Fabian Reichenbach), denmusischen Spross einer adeligenMilitärdynastie. Wir folgen deminkommensurablen (im Sinnevon unvergleichbaren) Trio durchdie letzte Nacht bevor Krieg seinwird ‒ zuerst zu einer Orchesterprobe,bei der gerade SchönbergsZweites Streichquartett gegebenwird, dann zu einem Diner im adeligen,ziemlich verschnarchtenElternhaus von Adam, wo unteranderem die serbische Frage erörtertwird und es wegen KlarasAnsichten zum Eklat kommt. Sodannfolgen wir den drei jugendlichenRevoluzzern, die Edelbauergleichsam zu Vorkämpfern einesneuen Zeitgeistes vergrößert,durch das auch erotisch freizügige,nächtliche Wien. So gelungendie Text fassung der 350-Seiten-Vorlagetrotz der Kürzungensein mag, so problematisch istderen Umsetzung.Das Format, das das Kollektivrund um Nils Voges 2015 entwickelte,bezeichnen sputnic selbstals „Live Animation Cinema“. Darunterversteht das Kollektiv einen„abendfüllenden Trickfilm,live animiert, geschnitten undperformt“ (www.sputnic.tv). Dasschaut dann so aus: Die vier infunktionale Overalls gekleidetenDarsteller verkörpern nicht nurdie Figuren, sondern bedienen dazuvier fahrbare Tische mit daraufmontierten Overheadprojektoren.Über die werden, begleitet durchdie Soundeffekte von Fiete Wachholtz,mehr als 300 Bilder (KarlUhlenbrock) auf helle Lammelenvorhängeprojiziert. Die könnenauf- und zugezogen werden oderauch mal schräg, zu einem Kreisoder Halbrund arrangiert werden.Verpuffende EffekteWas zu Beginn durchaus amüsiertund überrascht (animierteBewegungseffekte), nutzt sichschnell ab. Denn einerseits vermagdie Bildebene über den Effekthinaus dem Erzählten kaum etwashinzuzufügen, andererseitswird das verbal Mitgeteilte nichterweitert und kaum bereichert.Die Bildebene deutet Möglichkeiten,die aus der Graphic Novel bekanntsind, lediglich an, ohne überdie Illustration hinausreichende,eigene Akzente zu setzen, etwadas Spiel mit der Perspektive, mitPanelanordnungen, -größen, -formen,sowie unterschiedliche Stile,um damit Traum, Rückblende etc.zu veranschaulichen. Die Handlungbenötigt die Bilder. So bleibtdie gesprochene Textebene zu dominantgegenüber den Bildern.Und darin liegt das eigentlich Problematischedes Abends. Denn esist kaum möglich, die Darsteller inden gespielten Szenen als Figurenzu sehen. Sie bleiben Operateurefür das Hervorbringen der Bilder.Das Hervorbringen der Erzählungschiebt sich vor das Erzählte,das letztlich auf der Strecke bleibt.So sind die Mittel, das bietet sichzu sehr an, das so zu sagen, letztendlichinkommensurabel.Die InkommensurablenVolkstheater, 15., 21.12. und 14., 31.1.„-IchGANZ DICHTVON SEMIER INSAYIFbin kein Mensch am Fenster,/ichbin eine ernsthafte Wanderin – “, heißtes im allerersten Gedicht mit dem Titel„Entgeistert“. An einer anderen Stelle im selbenGedicht: „Meine Seele ist ein Insekt,/das im Ätherschwebt/auf der Suche/nach gemütlichen/Sümpfen/“.„Unerwidert“, so lautet der Gedichtbandvon Bisera Dakova. In 32 Gedichten und 96 Anrufungenunternimmt ein „Ich“ einen existenziellenStreifzug durch die Stadt Wien und durch daseigene Denken und Empfinden. Die Anrufungenan ein konkretes, imaginiertes oder erträumtes„Du“ sind wie kurze manchmal beinahe verzweifelteBriefzeilen formuliert und unterscheidensich meist auch dadurch von den Gedichten, dasssie nicht in Verszeilen, sondern wie ein Prosatextim linksbündigen Flattersatz und ohneTitel gesetzt sind.Sechs Fotoausschnitte von Skulpturen inschwarz-weiß unterstreichen die melancholischeEin lyrischer Streifzug & die Kraft poetischer MaterialitätGrundstimmung der Stadt, die mit der des lyrischenIchs korrespondiert.Die Gedichte sind allesamt ungereimt, in freienRhythmen und manche sind Dichterinnenoder Dichtern zugeeignet wie Stefan George oderFriederike Mayröcker. All das geschieht in einemsehnsuchtsvollen existenziellen Grundgestusdes Suchens, Hinterfragens, Verzweifelnsund Hoffens. So heißt es an einer Stelle: „Um sehenzu können, träumt man.“„Ethik der künstlichen Intelligenz“ heißt derneue Gedichtband von Nikolaus Scheibner. 136Gedichte sind in fünf Kapitel eingeteilt. Die Kapitelsind überschrieben mit „holz, stein, kupfer,eisen, plastik“. Diese Materialien werden für dieGedichte selbst jeweils oft zu Motiv- oder Ideenausgangspunktenund sind vielleicht auch als Hinweisganz grundsätzlicher Natur zu lesen, dennNikolaus Scheibners Poesie hat ein feines Sensoriumfür Materialien. So auch für das Material derSprache, das so ernst genommen wird, dass es inseiner Konkretheit in alle möglichen RichtungenFunken schlägt. Gleich unter dem 1. Kapitel „holz“ist folgender Zweizeiler zu lesen: „die meisten bäumefühlen sich/mittlerweile zu recht gepflanzt“.Auch Redewendungen und bekannte Textzitatez.B. aus der Bibel sind verwendete Grundmaterialienfür die poetische Arbeit, wenn es da heißt: „meingott//warum hast du/dich auf mich/verlassen“.Diese sprühenden Sprach- und Bedeutungsspielewerden mit kritischer Energie und scharfsichtigemAugenzwinkern aufgeladen. Die Gedichtesetzen dabei unterschiedlichste poetische Mittelein, von Alliterationen und Endreimen bis hinzu lautmalerischen und lautverschiebenden Prozessen.Und Achtung ‒ aufgepasst! „/wo die lyrikschwindet macht/angst sich breit/“.„ganz dicht“ stellt jeweils rund um ein Dicht-Fest inder Alten Schmiede Lyrik vor.UnerwidertGedichtevon BiseraDakovaEditionGaramond 202378 S., kart.€ 16,80Ethik derkünstlichenIntelligenzGedichtevon NikolausScheibnerfabrik.transit 2023120 S., geb.€ 18,–

DIE FURCHE · 5014. Dezember 2023Geschichte & Literatur15In ihrem neuen Buch über Maria Theresia beleuchtet die französische Philosophin und Publizistin Élisabeth Badinter eine andere Rolle als jeneder Monarchin. Sie deutet die Herrscherin als Vorläuferin eines neuen Typs von Mutter.Nicht bloß irgendeine MutterVon Christian JostmannDie französische PublizistinÉlisabeth Badinter bemühtesich bereits in ihrem 2017 aufDeutsch erschienenen Buch„Maria Theresia. Die Macht derFrau“, die namhafte österreichische Fürstinzur Ausnahmegestalt zu stilisieren(was ja in einem kleinen Land, das selbstvon seiner Ausnahmerolle eingenommenist, immer gern gelesen wird).Maria Theresias historische Bedeutunglag laut Badinter darin, dass sie als ersteFrau der Weltgeschichte in nur einem Lebendrei konträre Rollen auszufüllen gehabthabe: die der Ehefrau, der Mutter undder Herrscherin. Sie sei mithin die Erstegewesen, die jene Quadratur des Kreiseszu schaffen hatte, an der sich die moderneFrau seither aufreibt: Kinder und Karriereunter einen Hut (oder vielmehr eine Krone)zu bringen.Dass einer Großaktionärin wie Badinter,deren Vermögen auf mehr als eine MilliardeEuro geschätzt wird, die Lebensrealitätenvormoderner Bauers- oder Handwerkerfrauenfremd sind, wird ihr niemandankreiden wollen. Kritikerinnen merktenjedoch an, dass Maria Theresia selbst in ihrenKreisen nicht völlig aus dem – vergoldeten– Rahmen fiel, war es doch für Fürstinnenim dynastischen Europa der FrühenNeuzeit eher die Regel als eine Ausnahme,Herrschaft auszuüben. Und natürlich warenviele Fürstinnen auch Mütter.Eine moderne Mutter?Allerdings sei Maria Theresia – wie MadameBadinter in einem weiteren, heuerauf Deutsch erschienenen Büchlein zu zeigenversucht – nicht bloß irgendeine Muttergewesen, sondern eine für ihre Zeit ungemeinfürsorgliche, weil: Sich intensivum die eigenen Kinder zu kümmern, seidamals nicht à la mode gewesen. Somit habeMaria Theresia „einen neuen Abschnittin der Geschichte der Mütter“ begründet,„der sich bis ins 20. Jahrhundert fortsetzte:die bürgerliche, aktive Mutter, die sichfür Leben und Zukunft jedes ihrer Kinderverantwortlich fühlte“. Und das waren imFalle Maria Theresias bekanntlich nichtwenige, brachte die Habsburgerin doch immerhin16 Sprösslinge zur Welt.Wie schon in ihrem früheren Werk stütztsich Badinter auch in „Macht und Ohnmachteiner Mutter. Kaiserin Maria Theresiaund ihre Kinder“ vornehmlich aufzeitgenössische Korrespondenzen, die sieoffenbar gründlich exzerpiert hat: BriefeMaria Theresias an ihren Nachwuchs, anderen Erzieherinnen, an ihre Höflinge sowiederen Antwortschreiben und Briefean Dritte, ferner auch vereinzelt Gesandtschaftsberichteund Memoiren. In diesemKonvolut sind die 16 Kinder der Fürstinoft genug Thema, sodass Badinter sich animiertfühlte, anhand ihrer Exzerpte eine„intime Betrachtung“ von Maria Theresias„Mütterlichkeit“ anzustellen.Wenn man liest, wie sich die Habsburgerinum ihre Kinder sorgte – um manchemehr, um manche weniger –, wie sieum ihre Kinder bangte und trauerte, sichüber ihre Erziehung den Kopf zerbrach,sich manchmal an ihnen freute, manchmalüber sie ärgerte und oft genug an ihnenverzweifelte, so hat das für Eltern von heutein der Tat einen gewissen Wiedererkennungswert.Die Zerrissenheit aber, die man wahrnimmt,zwischen den Gefühlen einerMutter, die für ihre Kinder nur das Bestewill, und der Chefin des Hauses Habsburg,für die ihre Kinder zugleich Objekte derStaatsräson sind, Mittel zur Bewahrungund Vermehrung eines gigantischen Besitzes,diese Zerrissenheit werden damalswie heute nur sehr wenige Eltern nachempfinden– nur jene nämlich, die selbst überso viel Besitz verfügen, dass sie den Launender Nachkommen nicht deren Partnerwahlüberlassen dürfen.Am Ende des Buches wird die Habsburgerinmit der Aussage zitiert: „Die Erziehungmeiner Kinder war immer mein wichtigstesund liebstes Anliegen. Wenn nichtalles nach meinen Anweisungen und Befehlenund nach den Gedanken, die ich mirgemacht habe, getan wurde, ist das nicht„ Wie schon in ihrem früheren Werkstützt sich Badinter vornehmlich aufzeitgenössische Korrespondenzen: BriefeMaria Theresias an ihren Nachwuchs, anderen Erzieherinnen, an ihre Höflinge. “Foto: Getty Images / VCG / Corbis / Ali MeyerLesen Sie zudiesem Themaauch den Artikel„Der ewige erbitterteKampf umdie guten Mütter“von RegineBogensberger(16.12.2010),furche.atEine Frau dervielen RollenSie hatte nicht nur einReich zu führen, sondernauch für die Erziehungihrer Kinder zu sorgen:Maria Theresia. IhrerMutterrolle maß sie dabeieinen wichtigen Stellenwertbei.mein Fehler, sondern die Folge tausenderUmstände, die uns in der Welt keine Vollkommenheiterreichen lassen und an unsereperverse und unglückliche Menschlichkeitgebunden sind.“ Und MadameBadinter resümiert: „Viele heutige Mütterkönnten das Gleiche sagen.“Ernsthaft jetzt? Für wie viele Mütter –oder Väter – erschöpft sich Erziehung wohldarin, Anweisungen und Befehle zu erteilen?Und vor allem: Wie viele heutige Menschenwürden sich selbst eine „perverse(…) Menschlichkeit“ zuschreiben?Fehlende kritische Distanz„Macht und Ohnmacht einer Mutter“ stiftetNähe und Identifikation, wo vielmehrkritische Distanz angesagt gewesen wäre.Von einer Maria Theresia trennen uns Welten,nicht nur in zeitlicher und kultureller,sondern für die meisten von uns auch insozialer Dimension. Natürlich kann manden kleinen Leuten von heute die literarischeIllusion verschaffen, diese Welten seienihnen zugänglich. Zeitschriften wie die„Bunte“ und „P.M. History“ machen es regelmäßigvor. Aber um die mit viel Aplombvorgetragene Behauptung zu begründen,mit Maria Theresia beginne ein neuer „Abschnittin der Geschichte der Mütter“, hättees doch erheblich größeren intellektuellenAufwands bedurft, als ihn Madame Badinterin diesem Büchlein zur Schau stellt.Macht und Ohnmachteiner Muttervon Élisabeth BadinterÜbersetzt aus demFranzösischen vonStephanie SinghZsolnay 2023208 S., geb., € 26,80LEKTORIXDES MONATS„Niemka“ findet ihren WegBuchpreis von FURCHE,Stube und Institut für JugendliteraturNebenan istdoch weit wegVon Antje BonesMit Bildern vonMichael Szyszkadtv 2023304 S., geb.€ 16,50Von Alexandra HoferIllustration: Michael Szyszkasdie Zeit interessiert dasnicht. Die Sekunden, Minuten,„AberStunden scheren sich nicht umein zwölfjähriges Mädchen, das irgendwoin Berlin zwischen den Scherben seines Lebenshockt.“ Zeit ist für die 12-jährige Edithbedeutend: An dem einen Ort hat sie zu wenig,an dem anderen hingegen zu viel. Dassihre Eltern in das Land ziehen wollen, indem sie sich kennengelernt und studierthaben, ist für die TagebuchschreibendeIch-Erzählerin wenig nachvollziehbar.Für sie bedeutet es tiefgreifende Veränderung,Abschied von Vertrautem – Freundinnen,Nachbarinnen und Nachbarn,Heimat – und Neuorientierung in der Fremde.Genauer gesagt in Polen, Krakau. Dortangekommen beschreibt Edith ihre Entwurzelungund Verunsicherung undramatisch,schwelgt in Erinnerungen an Berlinund ihre beiden besten Freundinnen,die nun ohne sie die Schulbank drücken,freut sich jedoch auch immer wieder überkleine sprachliche und soziale Erfolge. Dabeifließt die Schwierigkeit, eine neue Sprachezu lernen, die mit „Vokalen sparsam“umgeht, ebenso mit ein wie die Verunsicherungin der Schule, wo sie zu Beginn nur als„Niemka“ bezeichnet wird, „die Deutsche“.Formal wechselt der Roman zwischenPassagen aus der Ich-Perspektive undEdiths Tagebucheinträgen; so gelingt einedoppelte Innensicht der Protagonistin, dieerst mit der Zeit und nicht ohne Polen mitDeutschland in Beziehung zu setzen, imneuen Land ankommen kann. Schließlichfindet sie in Milena (die auf Jesus und denehemaligen polnischen Papst Wojtyla vertraut)und Antek zwei Freunde, mit denensie Ausflüge ins jüdische Viertel Kazimierzunternimmt und einen geheimen Raum inEdiths Haus entdeckt – samt einem BündelBriefe von Kaya und Elias. Die Kinder beginnen,geleitet von ihrer Neugierde, auf eigeneFaust zu recherchieren – finden denNamen der ursprünglichen Hausbesitzersowie den aktuellen Aufenthaltsort von Eliasheraus und setzen sich mit ihm in Verbindung.Bei alledem wird die schwierigedeutsch-polnische Vergangenheit (derKrieg, das Ghetto, Auschwitz) immer wiederspürbar. Was bei Edith zu Misstrauenführt, da sie darüber nichts weiß, wird vonihren Eltern zurückhaltend mit notwendigenErklärungen aufgelöst. Misstrauenund Überforderung ob der neuen Spracheund Umgebung werden auch in integriertenSchwarz-Weiß-Illustrationen spürbar,die die Komplexität der polnischen Spracheausloten, als eine Art Wörterbuch fungierenund einmal mehr versinnbildlichen,dass es Zeit braucht, anzukommen undsich neu einzurichten.

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