49 · 7. Dezember 2023DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 79. Jg. · € 6,–Papst ja anstoßen will – und die er soebenbei der Weltsynode in Rom die erste globaleFeuerprobe bestehen ließ.Hier geschilderte Vorgänge sind ein Markenzeichendes aktuellen Pontifikats, dasdurch eine Zunahme an Ambiguitäten undMehrdeutigkeiten geprägt ist. Dass dies inVon Otto Friedrichder Widersprüchlichkeit auch im Redenund Tun von Franziskus sichtbar wird, magbiografische Gründe haben. Der Salzburgeran kann sich schon die Augenreiben, wenn so manschreiberinnen.Ein „Beratungs- und Ent-neuen Diagnose des aktuellen Katholizis-ebenso ein Dorn im Auge wie den vier Brief-Theologe Gregor Maria Hoff führt in seinerche Post aus Rom offenbar scheidungsgremium“, wie es derzeit vorbereitetwerde, so Franziskus, sei „mit der politische Verwurzelung von Franziskusmus „In Auflösung“ (vgl. Seite 11) dazu diewird: Da schreiben vierFrauen aus dem konservativenKirchenlager Deutschlands, die zuvor Kirche nicht in Einklang zu bringen“. Aber nicht nur der Papst selbst frönt dersakramentalen Struktur der katholischen im argentinischen Peronismus an.schon ihre Mandate beim Reformprozess Der Papstbrief wurde kürzlich über die Mehrdeutigkeit: Auch seine Kirche mit allemWiderstreit zwischen ihren Lagern istSynodaler Weg niedergelegt haben, Anfang deutsche Tageszeitung Die Welt bekanntNovember einen Brief an den Papst. Und der und ist auch hierzulande relevant, weil drei diesem Verlust an Eindeutigkeit unterworfen.Ein Prozess, der im Übrigen längst vie-antwortet ihnen vier Tage später höchstpersönlichund bestärkt sie in ihren „Sorgen rianne Schlosser und Katharina WesterleInstitutionen und vermeintliche gesell-der Adressatinnen, die Theologinnen Ma-um die Einheit der Kirche“, die sie durch horstmann sowie die Religionsphilosophin schaftliche Zuverlässigkeiten erfasst hat.den Synodalen Weg gefährdet sehen. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, an österreichischenHochschulen lehren.biguitäten umgehen zu lernen. Das ist nichtEs ist ein Gebot der Stunde, mit diesen Am-Franziskus fordert in dem Brief auf, „sichzu öffnen und hinauszugehen, um unsereneinfach, insbesondere wenn – wie oben geschildert– ein und dieselbe Person gleich-Brüdern und Schwestern zu begegnen, besondersjenen, die an den Schwellen unse-Auch der gelernte Katholik kann angezeitigkonträre Positionen einnimmt.Konservativ und progressiv zugleich?rer Kirchentüren, auf den Straßen, in den sichts dieser Vorgänge verwirrt sein: Hat Es gilt, gleichzeitig DeutungsspielräumeGefängnissen, in den Krankenhäusern, Franziskus nicht gerade seinen erzkonservativenKritiker Bischof Joseph Strickland heit zu sorgen. Ein aktuelles – katholisches –zuzulassen, aber wenn es nötig ist, für Klar-auf den Plätzen und in den Städten zu findensind“, anstatt das „Heil“ in immer neuenGremien zu suchen „und in einer gewisnalRaymond Burke, seinem ebenfalls aus 75. Mal die Verkündung der Allgemeinenin Texas abgesetzt? Und hat er Kurienkardi-Beispiel dazu: Dieser Tage jährt sich zumsen Selbstbezogenheit die immer gleichen den USA stammenden, ähnlich gestrickten Erklärung der Menschenrechte. Auch Päpstehaben diese längst als Teil ihrer Sozial-Themen zu erörtern“. Die Themen, die Franziskusoffenbar nerven, sind die altbekann-vatikanische Wohnung gestrichen? Gleichlehrebegriffen. Der Heilige Stuhl ist die-Gegenspieler, nicht soeben Apanage undten „heißen Eisen“ – Macht, Rolle der Frau, zeitig gibt er Kritikerinnen aus ebendiesem ser Erklärung bis heute nicht beigetreten.Sexualmoral, Zölibat. Und der Synodale Rat, Kirchenlager recht und desavouiert den So viel Ambiguität sollte sicher nicht sein.auf den sich die Kirche Deutschlands in großerMehrheit verständigt hat, ist dem Papst den synodalen Prozessen gleicht, die dieserdeutschen Synodalen Weg, der in vielemotto.friedrich@furche.atÖkonom Kurt Bayer erklärt, warumUnternehmen wie Signa keinen Stresstestbestehen müssen, und kritisiert das Parkenvon Gewinnen in Stiftungen. Seite 5Geert Wilders punktete mit seiner Antizuwanderungspolitik.Entwickeln sich diebislang toleranten und offenen Niederlandenun zu einem rechten Vorreiter? Seite 6Stefan Brocza plädiert im „Diesseits vonGut und Böse“ – unabhängig von WolfgangSobotka – für eine generelle Abberufbarkeithiesiger Nationalratspräsidenten. Seite 15Frank Bascombe ist zurück: In seinemneuen Roman „Valentinstag“ schickt RichardFord seinen „Langstreckenchronisten“ zumfünften Mal über die Seiten. Seite 18Eine schöne Bescherung im Kino: „Wonka“lässt die Kinderbuchfiguren von Roald Dahlneu erstehen – und zeigt Timothée Chalametals darstellerischen Tausendsassa. S. 20–21Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W,Retouren an Postfach 555, 1008 WienDIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 WienTelefon: (01) 512 52 61-0DIE FURCHE · 4830. November 2023ildungsminister Martin Polaschek In neuerer Zeit hat der Salzburger ErziehungswissenschafterFerdinand Eder diese(ÖVP) bezeichnete unlängst die Forderungnach Abschaffung der Ziffernnoteals „Hirngespinst linker die in der einen Klasse mit einem ‚Nicht genü-Kritik eindrucksvoll bestätigt: „Leistungen,SPÖ-Träumer“. Kurz darauf leistete gend‘ verbunden sind, reichen in einer anderenihm der Bildungswissenschafter Stefan T. Hopmannvon der Uni Wien im Standard Schützenrellsagen Noten auch wenig über das Zustan-für ein ‚Sehr gut‘. Und vice versa!“ (2019). Genehilfe,indem er – entgegen jahrzehntelanger dekommen der Leistung aus (also etwa großerpädagogisch-empirischer Kritik und erprobtenAlternativen zur Ziffernbenotung – die-Auch ihre Prognosefähigkeit ist gering: Die inFleiß, Schlamperei, wenig Bemühung u. a. m.).se Forderung als „Blödsinn“ titulierte. Beiden meiner Gymnasialzeit wegen schlechter Notenscheint entgangen zu sein, dass diese Art der „Hinausgeflogenen“ etwa können fast alle hervorragendeBerufskarrieren vorweisen.Leistungsbeurteilung in den Erziehungswissenschaftenseit mehr als 50 Jahren massiv angezweifeltwird – ausgehend von dem federführendendeutschen Pädagogen KarlheinzIngenkamp, der dazu schon 1971 (!) publizierte.Fern von „gerechter“ LeistungsbewertungLaut diesen zahlreichen Studien stellen Notennämlich alles andere als eine „transparente,nachvollziehbare Leistungsbeurteilung“Christian AignerVon Josefdar, wie es im Österreichischen Bundesgesetzblattheißt. Auch lässt die zunehmende Diversitätder Schülerinnen und Schüler (erst rechtin Inklusionsklassen) eine auf angeblicher„Messgenauigkeit“ beruhende „gerechte“ Leistungsbewertungendgültig obsolet erscheinen.Denn Noten erfüllen keine der fachlichenBedingungen förderlicher Leistungsbeurteilung:Sie sind weder „objektiv“ (d. h. verschiedeneLehrende bewerten gleiche Leistungensehr unterschiedlich) noch „valide“ (d. h. siemessen nicht Leistung, sondern auch Dingewie die schichtspezifische Sprachversiertheit).Der Inns brucker Pädagoge Rudolf Weiss etwahat schon vor 55 Jahren in einer Studie zwei Der verdienstvolle österreichische SchulpädagogeRupert Vierlinger (zuletzt Professor anGruppen von Lehrpersonen unterschiedlicheAuskunft über die Herkunft eines zu beurteilendenAufsatzschreibers vorgegeben. Und sieschungenzu dem Schluss: „Ziffernnoten sindder Universität Passau) kommt nach langen Forheda: Sogar in der Rechtschreibbeurteilung, ein feindlicher Agent im Reich des Lernens.“wo es doch um eine simple Zahl von Fehlern Und: „In jedem anderen Leistungsbereich unsererHochkultur würde ein Instrumentariumginge, setzte sich das angebliche Milieu durch:Der Schreiber aus vermeintlich gutem Haus erhieltvon 40 Prozent ein Gut, der vermeintlich seiner Gütekriterien zu einem ähnlichen De-zum Müll geworfen, wenn die Überprüfungbildungsferne Schüler nur von sieben Prozent saster wie bei den Schulnoten führte“ (2001).(vgl. Weiss 1968). Und Noten sind schließlich Deshalb entwickelte er das alternative Konzeptder sogenannten Direkten Leistungsvorla-auch nicht „reliabel“ – gleiche Leistungen werdenalso nach einiger Zeit durch ein- und dieselbeLehrperson anders benotet.um eine Dokumentation erreichter Ziele –ge (DLV oder Portfolio-Konzept). Darin geht esalsokommunikation und Psychologie. 2009 schickte ihn seinOrden nach Klosterneuburg, wo er in der Pfarr- und Krankenseelsorgedes Stiftes tätig war, gleichzeitig machte eran der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universitätden. Der nach dem salvadorianischen Märtyrerbischof Wien sein Doktorat. Nach fast sieben Jahren „quasi in Luxusin Österreich“ sei es an der Zeit gewesen, einen Kon-Óscar Romero (1917–1980) benannte Preis wird von derKatholischen Männerbewegung verliehen und gilt als trast zu erleben, meinte P. Sen in einem Interview für dieÖsterreichs bedeutendste Auszeichnung für in der Entwicklungszusammenarbeitengagierte Menschen. Orden gebeten, nach Afrika auf Mission gehen zu dürfen.Wiener Kirchenzeitung Der Sonntag: So habe er seinenDer 48-jährige P. Sen gehört den Missionaren des hl. Zurzeit ist Sen Vellakada Regens für die Theologiestudentensowie Ökonom seiner Gemeinschaft in Kame-Franz von Sales an und setzt sich für Bildungschancenbenachteiligter Kinder in den zentralafrikanischen Ländernein. Er engagiert sich u. a. im Tschad für den Bau von Doba im Tschad und in Ngaoundéré, Nordkamerun.run und Koordinator der beiden großen Schulprojekte inSchulgebäuden aus Ziegeln und Beton. Viele Schulen in Der mit 10.000 Euro dotierte Romero-Preis wurde indiesem Land seien in einfachen strohgedeckten Lehmhüttenuntergebracht, oder der Unterricht finde unter eibeiwürdigte der Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschleinem Festakt im Stift Klosterneuburg übergeben. DanemMangobaum statt, wie er berichtet. In der ProvinzhauptstadtDoba im Süden des Tschad konnte er bereits mann eröffne mit seinem Schulprojekt Wege aus der Hoff-die Arbeit von P. Sen in einer Videobotschaft: Der Ordens-ein Gebäude errichten; für die Schülerinnen und Schüler nungs- und Perspektivlosigkeit. Auch das Stift Klosterneuburgunterstützt die Projekte von P. Sen: „Vellakadader Sekundärschule ist nun ein Neubau geplant.Sen Vellakada wurde im südindischen Bundesstaat hat breite Netzwerke zwischen Menschen geschaffen undKerala geboren. Dort begann er das Studium der Philosophieund der Theologie, zusätzlich studierte er Massen-Anton Höslinger bei der Preisverleihung.schlägt für Menschen Brücken in die Zukunft“, so Propst(ofri/KAP)Arbeiten aus Mathematik, Deutsch, verschiedeneArbeitsblätter, Projektberichte, Listen gelesenerBücher oder gelernter Lieder, Dateien mitDokumenten zur mündlichen Ausdrucksfähigkeitu. a. – mit dem wichtigen Schwerpunkt aufzu verbessernde Bereiche, also nicht be- odergar entwertend, sondern förderungsorientiert.Das hat auch weitreichende soziale Konsequenzen,fungieren doch Lehrpersonen nichtmehr als Beurteilende, sondern als Helfendeund Fördernde. Auch etwas wie Schwindelnwird witzlos, weil die Schülerinnen und Schülersich selbst betrögen. Neidische Konkurrenzum der Konkurrenz (und der Note …) willenerübrigt sich – und Eltern könnten keinenVerdacht mehr auf ungerechtfertigte Beurteilunghegen; es zählen nur die sichtbare Leistungund der individuelle Leistungszuwachs.Und Hand aufs Herz: Wieso perpetuierenwir eine Leistungsbeurteilung, derentwegenzum Schul- und Semesterschluss hin „Krisentelefone“eingerichtet werden, um enttäuschteSchülerinnen und Schüler vor Selbstschädigungzu bewahren? Und indirekt bestätigtja die Politik selbst die Problematik der Noten,indem man Kindern mancherorts wenigstensin den untersten Stufen die Noten erspart.„Krisentelefone“ gegen SelbstbeschädigungAber die Ziffernnote ist offenbar eine heiligeKuh konservativer Schulpolitik: Ich erinneremich etwa an Erhard Busek als Unterrichtsminister(also nicht einen der einfältigsten ausder Politikerkaste), der aber auf die Forderungnach Abschaffung der Noten auch sagte: „Dannlernen s’ ja nix mehr!“ Nun: Das Gegenteil istin x Schulversuchen und Alternativmodellenbewiesen. Es wäre längst an der Zeit, dass diePolitik dies realisiert und einem verdienstvollenErziehungswissenschafter wie dem 2019verstorbenen Rupert Vierlinger – der auch fürdie Gesamtschule eintrat und mit der ÖVP, derer an sich nahestand, darob schwer in Konfliktgeriet – wenigstens posthum insofern die Ehreerweist, als seine Forschungen nicht weiterbeharrlich ignoriert werden.Der Autor ist Psychologe, Psychoanalytikerund war bis 2017 Professor an der Fakultät fürBildungswissenschaften der Uni Innsbruck.Pater SenVellakada MSFSwurde für seinEngagement inZentralafrika mitdem Romero-Preis2023 ausgezeichnet.Von Brigitte Quintin alter Schulfreund hatte vor Jahreneine Freundin, nennen wir sie Babsi,von der mir nur eines im Gedächtnisgeblieben ist: ihre Ansprüche an ein Hotel.Sie bestand darauf, dass es entweder neu gebautoder frisch renoviert worden war. Auchcheckte sie vorab, welche Holzart für dieMöbel verwendet wurde. Ebenso die Markender Matratzen oder welche Art von Bildernan den Wänden hingen. Mein Schulfreundhatte ihre Allüren irgendwann satt.Mir kam Babsi in den Sinn, weil ich michauf einer Hotelbuchungsplattform herumtreibenmusste. Fatalerweise hatte ich michbereiterklärt, für einen Mädelstrip nachPrag das Hotel zu organisieren. Vereinbartwar, dass keine von uns mehr als 80 Eurodie Nacht ausgeben wollte. An die Bleibestellten wir zwei Anforderungen: Sie solltesauber und einigermaßen zentral sein.Schnell merkte ich, wie naiv wir waren.Unter 180 Euro pro Nacht und Nase gehtin der Prager Innenstadt in der Vorweihnachtszeitnichts. Doch dann schaltete ichden Filter aus, der mir jene Hotels, die mit„enttäuschend“ oder „schlecht“ bewertetsind, erst gar nicht anzeigt. Ein Volltreffer!Das System spuckte eine Bleibe aus, die unseremBudget entsprach.Nun musste ich nur noch herausfinden,warum das Hotel so abgekanzelt wurde. Alsoackerte ich mich durch die Kommentare.„Jakob“ mahnte an, dass das Bier aus demAutomaten zu warm gewesen sei. „Hahn“bekrittelte, das Hotel diskriminiere aufgrundder kleinen Zimmer übergewichtigeTouristen (er selbst hätte aber Idealgewicht).„Sonja“ monierte die Halterung desKosmetikspiegels. „Harald“ gab an, nachtsvoller Angst wachgelegen zu sein, weil imNebenzimmer gestritten wurde. „Paul“ warendie Stiegen zu steil. „Robert“ waren dieStiegen zu flach. „Nele“ fand das Angebotim Supermarkt nebenan unbefriedigend.Ob Babsi ihre Probleme in den Griff bekommenhat? Wofür standen die Matratzen,Bilder und Holzarten? Und: Warum sorgtsich „Hahn“ um übergewichtige Prag-Besucher?Was hat es mit „Haralds“ Angstattackeauf sich? Das schlechte Hotel ist jedenfallsgebucht – als Selbsterfahrungstrip, alsExperiment. Was soll schon schiefgehen?Wir haben ja jede Menge warmes Bier.DIE FURCHE · 5012 Diskurs14. Dezember 2023IHREMEINUNGSchreiben Sie uns unterleserbriefe@furche.at„Wer is’ stärker, i oder i?“Der genervte PapstVon Otto FriedrichNr. 49, Seite 1Die Widersprüchlichkeiten im Redenund Tun von Papst Franziskus werdendurch das Nestroy’sche Zitat „Weris’ stärker, i oder i“ am bestencharakterisiert. Das einzige Mittel,den unaufhaltsamen Niedergangder Katholischen Kirche zu vermeiden,wie ihn auch Franz Winter (inFURCHE Nr. 48, Seite 9) prophezeit,wäre, dass sich der „Synodale Weg“auf eine Kirche der unterschiedlichenGeschwindigkeiten einigt. Sollte mansich auf grundlegende Inhalte des katholischenGlaubens einigen können,wäre die pastorale Umsetzung an dieBischofskonferenzen zu delegieren.Diese könnten dann, angepasst andie jeweils konkrete Situation inihren Diözesen, den für sie bestenWeg wählen, wie z.B. in Deutschlandden „Synodalen Rat“. So würden sichdann auch die Widersprüchlichkeitenauflösen.Dr. Anton Schwarz1210 WienWas statt Noten?„Die Ziffernnoten als ewigeheilige Kuh“Von Josef Christian AignerNr. 48, Seite 15Josef Christian Aigners Artikel leseich immer mit großem Interesse; siezeugen von engagierter Auseinandersetzungmit gesellschaftspolitisch brisantenThemen. Beim Thema Notenreizt er mich aber, die komplizierteSachlage etwas pragmatischer unterGeht Israel in Gaza zu weit? Heile Anfänge Nikola Tesla: Unter StromVölkerrechtsexperte Ralph Janik über den Nahost- Andreas R. Batlogg plädiert für „Mariä Erwählung“Der geniale Erfinder und Elektroingenieur findet inKonflikt und warum er die internationale Rechtsordnungan ihre Grenzen bringt. · Seite 8sei missverständlich. · Seiten 9–10literarisch Resonanz. · Seiteals Name für den 8. Dezember. „Mariä Empfängnis“ den Romanen von Alida Bremer und Jean Echenoz17Das Thema der WocheSeiten 2–4Einmal mehr zeigt sich, dass das Pontifikat von Franziskus von verstörenden Mehrdeutigkeitengeprägt ist – ein Prozess, der längst auch andere Institutionen erfasst hat.Der genervte PapstM„ Mit den Ambiguitätenumzugehen, ist schwer,wenn eine Persongleichzeitig konträrePositionen einnimmt.“Geben undnehmenIm Advent dreht sich alles umsSchenken. In einer Welt desÜberflusses ist es aber schwergeworden, das richtige Maß zufinden. Über den Wert der Gabe.Foto: iStock/DNY59 (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)Foto: APA / Hans Klaus TechtDer Grundstein fürdas BildungslebenAnna-Carola Swoboda istElementarpädagogin ausLeidenschaft. Aber fehlendeRessourcen erschweren ihrden Beruf. · Seiten 12–13„COP-Tanker istzu langsam“Wie sieht Österreichs bekanntesteKlimaforscherin den aktuellenWeltklimagipfel in Dubai? HelgaKromp-Kolb über technischeIrrwege, individuelle CO2-Beschränkungen, den Verfall derDebattenkultur – und wichtigeFragen für den Wirtshaustisch.Seiten 22–23AUS DEM INHALTCausa Benko: „Auf tönernen Füßen“Triumph des Enfant terribleSobotka – der UnabwählbareAls wär’s ein gutes LandTräume von Schokoladefurche.atdie Lupe zu nehmen.Als ehemaliger Schulleiter einen kleinenVolksschule habe ich seit Anfangder 1990er Jahre mit Begeisterung fürdie notenfreie Grundschule gestritten.Wir hatten sukzessive die Ziffernnotenbis zur vierten Schulstufe durchein strukturiertes Elterngesprächam Ende der Semester ersetzt. DerBezirksschulrat Freistadt hat dieseBestrebungen immer unterstützt.Konterkariert wurde diese Entwicklungdurch die gesetzliche Regelung,dass auf Wunsch der Eltern ein Notenzeugnisvorgelegt werden musste.Und die leidige Praxis, schon Endeder dritten Klasse Vorentscheidungenfür den Übertritt in ein Gymnasiumtreffen zu müssen, weichte das Bemühenebenso auf.Die Elternschaft tendiert seit etwazehn Jahren meiner Erfahrung nachwieder mehr zu Ziffernnoten. Tests,wie PISA, evidenzbasierte Schulentwicklungund kompetenzorientierteUnterrichtsentwicklung gaben denmessbaren Unterrichtsergebnissenwieder mehr Gewicht. Gleichzeitigscheint mir unter den Eltern einstarkes Bestreben zum optimalenCoaching der Nachwuchskarrierenvorhanden zu sein. Noten sind ineinem solchen Setting einfach lesbareErfolgsmarken, praktisch undvermeintlich objektiv.Herr Aigner hat zurecht auf die vielenUntersuchungen hingewiesen, diedie Problematik von Noten in vielenFacetten darlegt. Welche Schwachstellendie vielen Ersatzformenaufzuweisen haben, darüber gibt esjedoch keine Auskunft. Darüber hatteübrigens auch Rupert Vierlinger, dessenVerdienste ich nicht in Abredestellen will, kaum etwas Überzeugendesgeäußert. Die Verwerfungen imSchulwesen, die durch die Beurteilungentstehen, sind nicht explizit denZiffernnoten geschuldet, sonderneiner problematischen Haltung vielerLehrender. Beispiel: Sobald die Beurteilungdes Verhaltens der Lernendenin die Notengebung von Fächern„einfließt“, führt sich das Notensystemad absurdum. Und derlei „Haltungsschäden“gibt es viele.Zur Direkten Leistungsvorlage bzw.dem Portfolio möchte ich nochFolgendes zu bedenken geben:Aufgrund der modernen Mediensind Schülerarbeiten relativ einfachherzustellen; ihre Aussagekraft wirdimmer geringer und Stärken undSchwächen lassen sich nicht wirklichdaraus ablesen. Pensenbücher sindumfangreiche „Kompetenzkataloge“,deren Aussagekraft ebenso fraglichist. Und was in Zeiten mit viel Bürokratiebesonders zu beachten ist: Allealternativen Beurteilungsformen sindsehr zeitaufwändig.Zur Aussage des ehemaligen UnterrichtsministersErhard Busek möchteich bemerken: Im gegenwärtigenBFoto: PrivatDIESSEITSVON GUTUND BÖSEPORTRÄTIERTVon Indien über Klosterneuburg nach Zentralafrikaater Sen Vellakada, indischer Ordensmann, istfür sein Engagement in Afrika mit dem „Rome-für herausragende Leistungen im BereichPro-PreisGerechtigkeit und Entwicklung“ ausgezeichnet wor-DiskursNoten seien „ein feindlicher Agent im Reich des Lernens“, meinte der 2019 verstorbene SchulpädagogeRupert Vierlinger. Warum ihre Hinterfragung kein „linkes Hirngespinst“ ist. Ein Gastkommentar.Die Ziffernnote alsewige heilige Kuh„ Noten sind wederobjektiv noch validenoch reliabel. Auchihre Prognosefähigkeitist gering.“Foto: KMBÖ/PumbergerEQUINT-ESSENZ15Was „Hahn“ umtreibtKontext ist es tatsächlich so, dassan Noten gewöhnte Schülerinnenund Schüler sehr wohl unbenoteteTätigkeiten weniger ernst nehmen.Dass Alternativmodelle das Gegenteilbeweisen, würde ich bezweifeln; damüsste man sich mit der Vergleichbarkeitbeschäftigen. Alternativmodellearbeiten etwa meistens mitmehr Personal, das noch dazu positivselektiert ist.Also – trotz meiner Bedenken hielteich eine notenfreie Schule für erstrebenswert.Die Gesellschaft scheintmir dazu in ihren fragmentiertenVorstellungen von Schule aber nichtbereit zu sein. Wer die Noten abschaffenwill, muss eine klare Vorstellungdavon haben, was an ihre Stelletreten soll, sonst ist der Schadengrößer als der Fortschritt.Alleine während meiner Dienstzeithaben zwölf Unterrichtsministerinnenund -minister das Schulwesendauer-reformiert. Die Umstrukturierungdes gesamten Bildungswesenshat zwar an wissenschaftlicherExpertise gewonnen, aber es wurdeverabsäumt, die besten Köpfe ausder Praxis in die Entwicklung von Gesetzgebung,Lehrplan und vor allemAusbildung einzubinden.OSR. Josef Kramer4273 UnterweißenbachWas ist „Missionsarbeit“?„Von Indien über Klosterneuburgnach Zentralafrika“Von Otto FriedrichNr. 48, Seite 15In „Portätiert“ wird von der Verleihungdes Romero-Preises an PaterSen Vellakada MSFS berichtet. DieserBericht berührt mich. Er erinnertmich an meine Erfahrungen alsMissionshelfer von 1970 bis1972 ImChaco (Paraguay/Argentinien):In Paraguay organisierte ich einenSchulbau in einer abgelegenen Gegend– ein Gebäude aus gebranntenZiegeln, echten Glasfenstern und stabilemWellblechdach. Die Einweihungwar ein großes Fest, die Campesinoskamen von der ganzen Umgebung.Einige Jahre später besuchte ich denOrt wieder und war begeistert, dassdie Campesinos neben der Schuleeine zweite Schule bauten – abereinen traditionellen Lehmbau mitStrohdach und einem Raumklima,das ganz ihren klimatischen Verhältnissenentsprach. Ich hab mich da„sauwohl“ gefühlt!Ein Jahr zuvor war ich im argentinischenChaco tätig, in einer „Indianer-Kolonie“.Dort hatten deutscheMissionare mit vielen Spendengeldernfest gemauerte Häuser für dieEingeborenen/Aborigenes gebaut.Folge: Die Leute verwendeten sie alsAbstellraum und bauten ihre Häuserauf traditionelle Weise dran. Da fühltensie sich wohl.Ich betrachte seither jegliche „Missionsarbeit“mit ganz anderen Augen.Max GurtnerKustos des Stille Nacht MuseumsArnsdorf. 5112 Lamprechtshausen„Sündige“ ZeugungZum Newsletter„Über den 8. Dezember als großesMissverständnis“Von Doris Helmberger8. DezemberIch bin erstaunt und sehr positivüberrascht, diesen Text in derFURCHE zu lesen. Als Evangelischerhabe ich es ja leichter. Woher kommtdiese abstruse Sexualmoral in derkatholischen Kirche? Es gibt dochkein größeres und schöneres Wunderals die Geburt eines neuen Menschen(mit vorheriger Zeugung natürlich).Wie kann man das als „schmutzig“oder gar sündig empfinden? Was solldieser Widersinn von „unbefleckterEmpfängnis“ und „jungfräulicher Geburt“?Danke für Ihre klaren Worte.Michael Gleitsmannvia MailKlüger gewordenwie obenIch habe meiner Frau – sie arbeitetseit Neuestem in Wien – den Artikelüber den rätselhaften Feiertag 8.Dezember vorgelesen und wir (Deutsche)sind jetzt viel klüger. Dankefür diesen ambitionierten Text mitpositivem Ausgang!Heinrich HattebierDresdenHINWEIS: Unsere Newsletter, darunterden freitags erscheinenden„Lesestoff aus dem FURCHE-Navigator“,können sie unter furche.at/newsletter abonnieren.EuroDreams:20.000 Europro Monatfür 30 JahreSeit Ende Oktober ist mitEuroDreams ein neues Spiel inÖsterreich sowie in den siebenweiteren Ländern Frankreich,Spanien, Portugal, Irland,Belgien, Luxemburg und derSchweiz gestartet.Dabei hat man nun zweimal wöchentlich– jeweils am Montagund am Donnerstag – die Chance,bis zu 20.000 Euro nettopro Monat für die Dauer von 30Jahren zu gewinnen.Die Spielformel lautet „6 aus 40“plus „1 aus 5“, das heißt, mankreuzt sechs Zahlen in einemZahlenfeld von 1 bis 40 an,und eine „Traumzahl“ in einemZahlenfeld von 1 bis 5, wobeidie „Traumzahl“ nur im erstenvon sechs Gewinnrängen zumTragen kommt.Eine monatliche Ratenzahlungals Gewinn gibt es auch imzweiten Gewinnrang („6 plus 0Richtige“), und zwar in Höhe von2.000 Euro für fünf Jahre.Tipps für EuroDreams könnenzum Preis von 2,50 Euro in allenAnnahmestellen der ÖsterreichischenLotterien sowie überwin2day und auch über die LotterienApp abgegeben werden.Die Ziehungen werden in animierterForm sowohl in ORF 1als auch auf ATV und Puls4 nocham Montag bzw. DonnerstagAbend ausgestrahlt.Alle Infos zu EuroDreams gibt esunter www.lotterien.at.Lebe deine EuroDreams - 20.000Euro monatlich, für 30 Jahre,ermöglichen es, die „beste Versionseines Lebens“ zu leben.Foto: Österreichische LotterienIN KÜRZERELIGION■ Erzbischöfe in DeutschlandRELIGION■ Antisemitismus im SejmGESELLSCHAFT■ Theo Öhlinger (84) ist totGESUNDHEIT■ Paxlovid bleibt ein ZankapfelZwei mit Spannung erwartete Erzischofsbestellungenin Deutschland zeigen Kontinuitätund vor allem: Rom geht nicht auf Konfrontationmit der deutschen Kirche ob desSynodalen Wegs. In Bamberg übernimmtWeihbischof Herwig Gössl den Hirtenstab,der zuvor schon als Diözesanadministratordie Erzdiözese nach dem Rücktritt von LudwigSchick ein Jahr lang interimistisch geleitethatte. Und an die Spitze der 1,4 MillionenKatholiken in Paderborn kommt UdoMarkus Bentz, bislang Weihbischof und Generalvikarin Mainz. Beide sind 56 Jahre alt,werden ihre künftigen Erzdiözesen also dienächsten zwei Jahrzehnte prägen.In Polen hat der Abgeordnete Grzegorz Braunvon der rechtsradikalen Konfederacja dieLichter auf einem Chanukka-Leuchter imParlamentsgebäude mit einem Feuerlöschergelöscht. Während der Plenarsitzung desSejm waren Vertreter der jüdischen Gemeindeauf Einladung des Parlamentspräsidentenin das Gebäude gekommen und hatten denLeuchter entzündet. Von der Rednertribüneerklärte der Abgeordnete anschließend, dasAnzünden eines Chanukka-Leuchters seiein „Akt des Satanismus“. ParlamentspräsidentSzymon Hołownia schloss Braun daraufhinvon der Sitzung aus und kündigte an,das Präsidium werde Strafanzeige erstatten.Die juristische Fachwelt trauert um einenWissenschaftler, der sich auch nach seinerEmeritierung im Jahr 2007 intensiv fürsein Fach eingesetzt hat. Der Verfassungsexperte,Universitätsprofessor und Ehrenzeichenträgerder Republik, Theo Öhlinger,ist am 10. Dezember im 85. Lebensjahrin Wien verstorben. Der gebürtige Oberösterreicherhat sich bis zuletzt immer wiederin zahlreichen politischen Diskussionenzu Wort gemeldet und war für Journalistenein wichtiger Experte zu verfassungsundverwaltungsrechtlichen Fragen, EUsowieVölkerrecht. Unter anderem schrieb erauch für DIE FURCHE. Österreich erlebt derzeit die höchste Corona-Infektionsrateseit Ausbruch der Pandemie.Der Grund dafür ist die höchstinfektiöseOmikron-Variante Pirola. Das hatnun dazu geführt, dass GesundheitsministerJohannes Rauch (die Grünen) die Apothekenkammerscharf kritisiert. Im Streitüber das Covid-Medikament Paxlovid forderter Klarheit und Transparenz. Man habe123.000 Dosen für die öffentlichen Apothekenbeschafft. Bis Ende Oktober wurden davon77.000 abgerechnet. „Wo die restlichensind, konnte mir die Kammer nicht erklären“,so Rauch. Die Apothekerkammer wiesden Vorwuf zurück.
DIE FURCHE · 5014. Dezember 2023Fotografie13Von Wenzel MüllerIn den 1950er Jahren gehörtensie zu den Mitschülernvon Anna Auer: Karl Merkatzund Thomas Bernhard.Gemeinsam besuchten siedas Schauspielseminar Mozarteumin Salzburg. Karl Merkatzhat danach zwanzig Jahre anDeutschlands großen Bühnen vieleErfolge gefeiert und ist späterals „Mundl“ einem breiteren Fernsehpublikumbekannt geworden.Thomas Bernhard wollte Sängerwerden, wurde aber Schriftsteller,bekanntlich ein über die Landesgrenzenhinaus sehr berühmter.Und Anna Auer, 1937 in Klagenfurtgeboren, brach die Schauspielschuleab, wie schon vorhereine Buchhändlerlehre, und gingnach Frankreich ‒ der französischenLiteratur wegen, wie siesagt. Wieder zurück in Österreich,gründete sie 1970 in Wien die erstekommerzielle Fotogalerie aufdem europäischen Festland: „DieBrücke“. Eine Pionierleistung.Später, 2008, sollte sie für ihreVerdienste um die künstlerischeFotografie im Land den Professorentitelerhalten.Heute ist Anna Auer 86 Jahrealt. Aus ihrer großen Wiener Wohnungam Fleischmarkt ist sie ineine kleinere nach Hietzing gezogen,umgeben von Parks und naheam Wienerwald.Die Fotografie lebt von Quereinsteigern.Deren bedeutendsteTheoretiker – etwa Susan Sontag,Roland Barthes, Walter Benjamin–, kommen aus ganz verschiedenenBereichen, aus der Literatur,der Soziologie, der Philosophie,keinesfalls aus der Fotopraxisoder der Kunstgeschichte. Insofernist es erst einmal nicht ungewöhnlich,wenn eine Schauspielerin(ohne Abschluss) dieFotografie für sich entdeckt.Foto: Anna Auer1970 gründete Anna Auer in Wien die erste kommerzielle Fotogalerie auf dem europäischen Festland. Mitihrem Engagement leistete sie viel für die Fotografie in Österreich und ist auch mit 86 Jahren noch aktiv.Die Quereinsteigerin110 Quadratmeter für FotografieDoch wie kam es dazu, gleicheine Fotogalerie zu gründen?Wir dürfen nicht vergessen, dassdamals, vor gut einem halben Jahrhundert,die künstlerische Fotografiewenig Beachtung fand, jedenfallsbei uns. An den hiesigenKunsthochschulen wurde sie nochnicht gelehrt, und die Museenmachten einen weiten Bogen umsie. Zwar nahmen die Menschendie Kamera mit in den Urlaub, indieser Hinsicht etablierte sich dieFotografie als Massenphänomen,doch als Kunstobjekt wurde sie beiuns seinerzeit im Grunde nur ineiner kleinen Zeitschrift gefeiert,den „protokollen“, die regelmäßigFotoserien veröffentlichte. Unterdiesen Umständen war es höchstungewöhnlich, ja kühn, sich anzuschicken,Fotoarbeiten an dieWand zu hängen und sie wie Tafelbilderzu präsentieren. Wie kam esalso zu diesem Entschluss?„Am Anfang war die Liebe“,sagt Auer. Die Liebe zu WernerH. Mraz, einem Technikstudenten,der sich für Fotografie begeisterteund mit seiner Begeisterungseine Freundin ansteckte. Wasfür sie beide überaus spannendwar, so deren einfache Überlegung,müsste doch auch für anderespannend sein. Und überhaupt:Jemand muss immer den erstenSchritt machen. Wieso nicht sie?„Uns war wichtig, dass die Galeriezentral liegt, im ersten WienerBezirk. Ich ging also von Hauszu Haus und sprach mit den Hausbesorgern.Eines Tages geriet ichan einen Hausbesitzer, an PeterPerz. Er war von unserer Idee sofortangetan. Und vermietete unsseine Parterre-Räumlichkeitenin der Bäckerstraße 5, 110 Quadratmeterfür monatlich 100 Schilling,so etwas war damals nochmöglich“, sagt Auer.Wie präsentiert man Fotos?Auch mit solchen scheinbar einfachenFragen waren Mraz undAuer anfangs konfrontiert. Vorbilder,an denen sie sich hättenorientieren können, die gab esnicht, allenfalls in den USA. 1905gründete Alfred Stieglitz in NewYork seine „Little Galleries“, womitnach allgemeiner Ansicht dieGeschichte des kommerziellenFotohandels begann. Mraz undAuer war es wichtig, die Fotoarbeitenin ihrer Galerie wie wertvolleKunstobjekte zu präsentieren,wie das Alfred Stieglitzvorgezeigt hatte: mit Rahmen undPassepartout.Eröffnen wollten sie mit einerösterreichischen Fotografin, mitElfriede Semotan, die heute ebensowie Auer über 80 ist und damalsam Beginn ihrer Karrierestand. Doch bei Semotan überwogendie Zweifel. Eine Fotogaleriein Wien? Daran konnte sienicht recht glauben und sagte ab.Zum Zug kam stattdessen Kurt W.Erben, ein österreichischer Fotograf,der an der Folkwang-Schulein Essen studiert hatte.Heute können wir uns problemlosweltweit austauschen, dazu genügtoft ein einfacher Mausklick.Vor 50 Jahren war das noch anders.Damals gab es noch kein Internet.Über das internationale Fotogescheheninformierte man sichin erster Linie über Bücher undZeitschriften, allen voran über diein der Schweiz erscheinende „Camera“,herausgegeben von AllanPorter, einem amerikanischen Fotografen.Mraz und Auer hattenKontakt zu ihm, auch fuhren sieregelmäßig auf die Kunstmessenin Basel, Köln und Düsseldorf.Ein Foto-Gott in WienZu den Höhepunkten der „Brücke“gehörte eine Ausstellungvon Werken des amerikanischenLandschaftsfotografen AnselAdams. Nachgerade eine Sensation.Doch als die wurde sie inWien nicht wahrgenommen. Einvom Ansel Adams signierter Abzugwar für 200 US-Dollar zu haben.Heute ist er über 200.000US-Dollar wert. Man hätte nurzugreifen müssen, doch niemandgriff zu. „Unsere Ausstellungenwaren immer gut besucht,aber es gab kaum Sammler darunter.Nur die Hobbyfotografenfielen wie Heuschreckenschwärmein die Galerie ein und wolltenwissen, wie die großen Meisterdies oder jenes gemacht hatten.Das brachte uns 1973 immerhinauf die Idee, den Galerieräumeneine auf Fotografie spezialisierteBuchhandlung anzuschließen“,sagt Auer.Der Buchverkauf lief gut, dochwiederum auch nicht so gut, alsdass die Galerie hätte erhaltenwerden können. Die Zeit war offenbarnoch nicht reif für die Fotokunst.Zu den finanziellenSchwierigkeiten kamen privatehinzu, Auer und Mraz trenntensich. Und so schloss die Galerie1978 (die Buchhandlung wurdenoch bis 1980 weitergeführt).Das Abenteuer Galerie war damitvorüber. Ein Abenteuer, dasfür manche Besucher nicht folgenlosblieb. Etwa für Fritz Simak ,damals Musikstudent. In der„Brücke“ kaufte er seine ersten Fotoarbeiten,heute zählt er zu Öster-„ Wie präsentiertman Fotos? Auch mitsolchen scheinbareinfachen Fragenwaren Mraz und Aueranfangs konfrontiert.“Foto: Lea SondereggerEin erster SchrittHeute ist die Fotogalerie„Die Brücke“ legendär. Beiihrer Gründung 1970 war sie dieerste Galerie, die Fotografie alseigenständiges Kunstmediumanerkannte und ihr breiten Raumzugestand. Anna Auer (* 1937)und Werner H. Mraz botendamit zahlreichen Fotografeneine Bühne und verhalfen demMedium zu Anerkennung .Einen Artikel zudem Fotografenund SammlerFritz Simak mitdem Titel „DieWolken und dieBaumrinde ‒ siehaben die gleicheStruktur!“(24.1.2019)finden Sie unterfurche.at.reichs bedeutendsten Fotosammlern.Oder für Kurt Kaindl, damalsGermanistikstudent. Regelmäßigkam er zu den Ausstellungen,und bald darauf gründeteer mit Freunden den Fotohof inSalzburg.Unter den regelmäßigen Besuchernauch: Ivo Stanek, Marketingdirektorder ÖsterreichischenLänderbank. Eines Tagesmachte er Auer das Angebot, fürdie Länderbank eine Fotosammlungaufzubauen. Auer nahmdankend an und schuf die Sammlung„Fotografis“, bis 1986. Danachfolgte ein Stipendium durchdas Getty Museum in Los Angeles,das ihr ermöglichte, eine Studieüber österreichische Fotografenund Fotografinnen zu erstellen,die während der Nazizeit insExil gegangen waren. Eine Ausstellungdarüber wurde 1998 inWien gezeigt.Und heute? Zu Fotoausstellungengeht Auer nur noch gelegentlich.Dafür arbeitet sie vielzu Hause, erstellt Videos zu fotogeschichtlichenThemen, die siedann auf YouTube ins Netz stellt.Zuletzt arbeitete sie an einem längerenVideo über Eugène Atget,den Chronisten des alten Paris.Ihre Leidenschaft für die Fotografieist also selbst im hohen Alterungebrochen.
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