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DIE FURCHE 14.12.2023

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DIE FURCHE · 5010

DIE FURCHE · 5010 Diskurs14. Dezember 2023ERKLÄRMIR DEINEWELTIch möchte michnicht vor mirselbst schämenDen gesamten Briefwechselzwischen Johanna Hirzbergerund Hubert Gaisbauer könnenSie auf furche.at bzw. unterdiesem QR-Code nachlesen.Johanna Hirzbergerist Redakteurin von „RadioRadieschen“ und freieMitarbeiterin von Ö1.Den Briefwechsel gibt esjetzt auch zum Hören unterfurche.at/podcast„ Mir kam es vor, alssäße ich in einemverbalen Wespennest.Es war nur eine Frageder Zeit, bis ich michals ungebildet outenwürde. Ich fühlte michzerrissen. “Herzlichen Dank für Ihre Offenheit. Ich habe mirschon oft überlegt, ob und wenn ja, wie, ich meineGedanken und mein Empfinden, über die Kriege,in meinen Briefen an Sie festhalten sollte. Bisher habe ichmich weitestgehend davon ferngehalten. Was hätte ichdenn schon beizutragen? Nichts wäre auch nur ansatzweisevon Bedeutung. Ich bin eine weiße, akademischgebildeteund damit in Relation zu großen Teilen derWeltbevölkerung, privilegierte Frau, die selbst noch nie ineinem Kriegsgebiet gelebt hat. Selbstverständlich informiereich mich, spende an Organisationen,die aus meiner Sicht transparentmit ihren Geldern umgehen undderen humanitärer Einsatz durchnichts aufzuhalten zu sein scheint.Aber darüber hinaus? In den letztenWochen musste ich immer wiederan mein erstes Masterseminar in Politikwissenschaftdenken. Das Thema:Zwangsumsiedlungen am Beispieldes Bevölkerungsaustauschszwischen Griechenland und der Türkei,sowie des Israelisch-PalästinensischenKonflikts. Dass ich im Geschichtsunterrichtvon diesen Dingen nichts gehört hatte,wunderte mich nicht. Der Fokus lag auf Pharaonen und denbeiden Weltkriegen. Um also meine Wissenslücken zu füllen,beschäftigte ich mich während des Studiums mit derösterreichischen Mittäterschaft, dem kollektiven Gedächtnisund anderen zeitgeschichtlichen Themen. Dazu gehörteauch der Nahostkonflikt, welcher mich schließlich in besagtesSeminar zum Thema Zwangsumsiedlungen führte.Also saß ich jeden Montagabend in einem tristen Raumim NIG, dem Neuen Institutsgebäude der Universität Wien,und versuchte so unauffällig wie möglich an der Lehr-veranstaltung teilzunehmen. Ich schämte mich dafür, wiewenig ich über Palästina wusste. Und das bereitete mir einschlechtes Gewissen, denn es fühlte sich falsch an, die jüdischeStaatsbildung kritisch zu hinterfragen. Mir kames vor, als säße ich in einem verbalen Wespennest. Es warnur eine Frage der Zeit, bis ich mich als ungebildet outenwürde und im Zuge der hitzigen Diskussionen unter denKommiliton:innen gemaßregelt werden würde. Inmittender aktuellen Berichterstattungen und vor allem der Debattenauf Social Media, fühle ich mich ähnlich zerrissenwie damals. Auch in privaten Gesprächenwird über den Krieg diskutiert.Weder online noch offline melde ichmich zu Wort.Wieder fühle ich Scham, diesesMal, weil ich still bleibe. Übrigens,schon bevor ich von ihrem Tipp, derFantasie und Sehnsucht bei mirselbst nachzugehen, las, bin ich diesemgefolgt. Zumindest, wenn ich Siedamit richtig verstanden habe. Heutewartet zum dritten Mal mein Gesangsunterrichtauf mich. Ich binaufgeregt wie ein Kind. Und genausoaufgeregt und unschuldig stehe ich meistens der Lehrerinam Klavier gegenüber. Sie positioniert einen riesigen Spiegelneben sich, so, dass ich mich selbst beim Singen beobachtenkann. Ganz ehrlich es ist mir schrecklich peinlich.Aber genau deshalb habe ich mich für den Unterricht entschieden.Ich möchte mich nicht vor mir selbst schämen.Der Bonus: Zum ersten Mal habe ich Freude an deutschsprachigenWeihnachtsliedern. Und wer weiß, vielleichtkommt meine Familie in ein paar Wochen auch in denGenuss meiner Stimme. Ich wünsche Ihnen einen besinnlichendritten Adventsonntag.Eines vorweg: Ich habe Geschenke besorgt.Aber ich stehe nicht hintermeinem Handeln. Ich weiß nur, dassein Teil meiner Familie –mein Sohn, meine(teilweise fast erwachsenen) Neffen, aberauch mein Mann – enttäuscht wären, wennsie unter dem Christbaum keine glitzerndenPäckchen vorfänden. Gleichzeitig gehtes mir von Jahr zu Jahr mehr gegen denStrich, wie sehr die Weihnachtszeit zumKonsumrausch verkommt. Wer sich vornimmt,jedem, der einem nahe steht, eineKleinigkeit zu schenken (an sich ein hehresMotiv) muss sich wohl oder übel aufeine überfüllte Shoppingmeile begeben -oder bestellt online, was ich persönlichnoch entsetzlicher finde.Für mich ist das Geschenkekaufen einZwang, etwas das mir zuwider ist. Es führtso weit, dass ich am Ende einfach irgendetwaskaufe, damit ich irgendetwas verpackenund verschenken kann. Je näherWeihnachten heranrückt, desto mehr verliereich das Gespür, was wem eine Freudebereiten könnte. In der Regel gebe ichdann viel zu viel Geld für Dinge aus, vondenen ich keine Ahnung habe, ob sie demAbnehmer wirklich gefallen werden. Dennals geizig will ich schon gar nicht gelten.Natürlich kenne ich die Tricks und Tipps,wie Frau sich die Vorweihnachtszeit stressfreiergestalten kann. Etwa indem man bereitsdas ganze Jahr über Ausschau nachpassenden Präsenten hält und somit bereitsim Sommer das meiste beisammenhat. Aber dieses Niveau an Organisiert-LASS UNSSTREITEN!Geschenkewahnsinnboykottieren?heit werde niemals erreichen. Daher plädiereich für den Boykott. Bei den Kindernkann ich mich nicht durchringen – aberbei den Erwachsenen werde ich von nunan dazu übergehen, Zeit zu verschenken.Es gibt kein Päckchen, sondern ein Kuvertmit einem Gutschein für einen gemeinsamenAusflug. Schon klar, besonders originellist das nicht. Aber es entspricht mirund – so abgedroschen es klingt – kommtvon Herzen. Ich will die Zeit, die ich im Einkaufszentrumverbringe, lieber mit jenenMenschen zusammen sein, für die ich dortirgendetwas gekauft hätte. Und überhaupt:Nachhaltig ist diese Praxis ja nun wirklichnicht. Ich wünsche mir endlich Einkehrund Besinnlichkeit. Mit dem kollektivenGeschenkewahnsinn ist das für mich immerweniger vereinbar. (Brigitte Quint)Es vergeht keine Vorweihnachtszeit,ohne die Kritik an der Konsumgesellschaft.Die einen verzichten ganzaufs Schenken, die anderen beglücken ihreLiebsten mit Zeit, die ja im Endeffektauch ein Geschenk ist. Jedenfalls darf manKapitalismuskritik nicht mit der Kritikdes Schenkens selbst verwechseln. Denndas Ritual des Schenkens ist so alt wie dieMenschheit selbst.Im antiken Griechenland etwa wollteman die Götter mit Geschenken besänftigenund hoffte auf Macht, Ernte und Glück.Im Mittelalter wurden zu Weihnachten dieArmen beschenkt. Mit der „Entdeckung“der Kindheit im 16. und 17. Jahrhundert,gelangten die Kleinen, wie der französischeHistoriker und Annales-Schüler PhilippeAriès schreibt, auch ins Zentrum desSchenkrituals. Niemand aber beschreibtden kulturellen Sinn des Schenkens so gutwie der französische Ethnologe Claude Lévi-Straussin seinem Essay „Der gemarterteWeihnachtsmann“.„Der Weihnachtsmann ist die Gottheit einerAltersklasse unserer Gesellschaft, undder einzige Unterschied zwischen demWeihnachtsmann und einer wirklichenGottheit besteht darin, dass die Erwachsenennicht an ihn glauben, obwohl sie ihreKinder ermuntern, es zu tun.“Wer also an den Weihnachtsmann glaubt,muss noch ein Kind sein, Erwachsenen istdieser Zauber verwehrt. Doch so etwas wieden Weihnachtsmann gibt es auch in indigenenKulturen, wo kostümierte Gestalten,Kinder heimsuchen. Die Geschenke andie Kinder werden da wie dort also wiederzu Geschenken an die Götter. So markierenKinder nicht nur die Grenze zwischenMythos und Logos, sondern auch jene zwischenLeben und Tod. Kinder werden zumTor zur Unendlichkeit. Wenn wir Weihnachtenfeiern, verbinden wir uns durchden Ritus des Schenkens mit den geliebtenVerstorbenen, so Lévi-Strauss. Schenkenist jedenfalls so viel mehr als die reineLust am Konsum und hat auch einen einfachenSinn. Wenn wir uns in die Wünscheeines Anderen hineindenken, befassen wiruns automatisch weniger mit unseren Problemen.Wer weniger um sich selbst kreist,wird mit Zuversicht belohnt. Auch dasspendet Trost. Der Geschenkewahn kannalso ruhig kommen. (Manuela Tomic)Medieninhaber, Herausgeberund Verlag:Die Furche – Zeitschriften-Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KGHainburger Straße 33, 1030 Wienwww.furche.atGeschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner,Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-FlecklChefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-FlecklRedaktion: Philipp Axmann, Dr. Otto Friedrich(Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche,Dipl.-Soz. (Univ.), Brigitte Quint (Chefinvom Dienst), Victoria Schwendenwein BA,Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss,Mag. (FH) Manuela TomicArtdirector/Layout: Rainer MesserklingerAboservice: +43 1 512 52 61-52aboservice@furche.atJahresabo (inkl. Digital): € 298,–Digitalabo: € 180,–; Uniabo (inkl. Digital): € 120,–Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende derMindestbezugsdauer bzw. des vereinbartenZeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist.Anzeigen: Georg Klausinger+43 664 88140777; georg.klausinger@furche.atDruck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 GrazOffenlegung gem. § 25 Mediengesetz:www.furche.at/offenlegungAlle Rechte, auch die Übernahme vonBeiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten.Art Copyright ©Bildrecht, Wien.Dem Ehrenkodex der österreichischenPresse verpflichtet.Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling.Produziert nachden Richtlinien desÖsterreichischenUmweltzeichens,Druck Styria,UW-NR. 1417

DIE FURCHE · 5014. Dezember 2023Diskurs11Qualitätsvolle Printmedien ringen um ihre Existenz. Ein Plädoyer dafür, die Zeitungsvielfalt zuerhalten und mit ihr die Pressefreiheit sowie den Kampf gegen Fake News und Korruption zu stärken.Eine gefährdete Säuleder DemokratieAngesichts einer sich rasend wandelndenMedien- und Kommunikationslandschaftwill sich die Politiknicht Untätigkeit vorwerfen lassen –und setzt derzeit Schritte: Die EuropäischeUnion versucht, mit einem „AI Act“ denEinsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zu regeln.Und in Österreich bringt der Nationalrat –nach dem notwendigen Plazet aus Brüssel – eineneue Qualitätsjournalismusförderung aufden Weg; immerhin 20 Millionen Euro pro Jahr.Doch zugleich gibt hierzulande die öffentlicheHand für Inserate und Werbung in Medienjährlich über 200 Millionen Euro aus. DieStadt Wien – jüngst vom Stadtrechnungshofdarob kritisiert – dürfte sogar Weltmeister inteurer Eigenreklame sein. Nur ein Bruchteildieser Gelder fließt in qualitätsvolle Medien.Gedruckte Zeitungen ringen in besondererWeise um ihre Existenz. Mit Ende 2023 stelltdas Oberösterreichische Volksblatt seine täglichePrintausgabe ein. Ein halbes Jahr zuvor ereiltedie älteste noch erscheinende Tageszeitungder Welt, die seit 1703 gedruckte Wiener Zeitung,dasselbe Schicksal. Die Eigentümer begründensolche Maßnahmen mit steigenden Kosten beischrumpfenden Auflagen und verweisen aufden Weiterbestand dieser Titel als Online-Medien.Andere Zeitungen bestätigen indessen durchmassiven Personalabbau und Preiserhöhungendie Krisensymptome der Printmedienbranche.Auch der Umstand, dass der Verband ÖsterreichischerZeitungen (VÖZ) Ende September denlangjährigen Kollektivvertrag mit der Journalismus-Gewerkschaftgekündigt hat – auch wenndies nun unter Auflagen rückgängig gemachtwurde –, verheißt nichts Gutes. Steht also dasunvermeidliche Ende der gedruckten Zeitungbevor?Konsum von InformationshäppchenEs spricht Bände, wenn heute in der Öffentlichkeitfast niemand mehr in eine Zeitung oderein Buch schaut und stattdessen die meistenpermanent mit ihren Smartphones beschäftigtsind. Der Austausch kurzer Nachrichten mitFreunden und Bekannten oder das rasche Konsumierenvon Unterhaltungs- oder Informationshäppchen(auch aus dubiosen Quellen) habenVorrang.Foto: PrivatEine freie und unabhängige Presse gilt zuRecht als Säule jeder funktionierenden Demokratie.Wenn Journalisten und Journalistinnenmundtot gemacht werden oder Killerkommandoszum Opfer fallen, ist das ein Alarmsignal.Die Ermordung der Journalistin Anna Politkowskajaim Oktober 2006, deren Hintergründenie aufgeklärt wurden, warf schon damalsein Schlaglicht auf die Zustände in Russland.Wer mit seinen Recherchen den Mächtigen indie Quere kommt, lebt in vielen Ländern derWelt gefährlich. Die Morde an investigativenMedienleuten in der Slowakei und Malta erregtenauch hierzulande großes Aufsehen.DIESSEITSVON GUTUND BÖSEVonHeiner Boberski„ Wenn schonbei GedrucktemSkepsis angebrachtist, dann gilt das fürOnline-Meldungennoch mehr.“„Die Presse muss die Freiheit haben, alles zusagen, damit gewisse Leute nicht die Freiheithaben, alles zu tun“, erklärte der französischePolitiker und Autor Alain Peyrefitte (1925–1999). Vom ungarisch-amerikanischen MedienmannJoseph Pulitzer (1847–1911), Namensgeberdes berühmtesten Publizistik-Preises,stammt die Aussage: „Es gibt kein Verbrechen,keinen Kniff, keinen Trick, keinen Schwindel,kein Laster, das nicht von Geheimhaltung lebt.Bringt diese Heimlichkeiten ans Tageslicht, beschreibtsie, macht sie vor aller Augen lächerlich,und früher oder später wird die öffentlicheMeinung sie hinwegfegen.“Man mag argumentieren, die Pressefreiheithänge nicht davon ab, dass es Printmedien gibt.Im Internet hätten ohnehin alle die Freiheit,Nachrichten und Meinungen zu verbreiten.Wenn freilich schon gegenüber GedrucktemSkepsis angebracht ist, weil Papier bekanntlichgeduldig ist, so gilt das für Online-Meldungennoch mehr, da das Internet derzeit noch vielgeduldiger ist und dortige Nachrichtenquellenweit häufiger Fake News produzieren als dievon gewissen Kreisen als „Lügenpresse“ oder„System-Medien“ diffamierten guten alten Zeitungenoder öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.Vom Einsatz von KI nicht zu reden.Weniger Zeitungen, mehr KorruptionEine Studie in Amerika ergab, dass nach demWegfall lokaler Zeitungen die Korruption inder jeweiligen Region zugenommen hat. Online-Mediensind in dieser Hinsicht noch keinErsatz. Was der Demokratie wirklich dient, isteine vielfältige Zeitungslandschaft. Es ist mehrals befremdend, wenn Regierende Billigblättermit Inseratenaufträgen aus öffentlichen Mittelnüberhäufen (noch dazu wie im bekanntenFall des „Beinschab-Tools“ als Gegengeschäftfür den Abdruck gekaufter Umfragen), aberQualitätszeitungen, in denen sie ja auch mehrAnzeigen schalten könnten, sterben lassen.Ein Plädoyer für die gedruckte Zeitung musssich aber nicht nur an die Politik, sondern auchan die Werbewirtschaft richten – die auch gutberaten wäre, solche Medien nicht fallen zu lassen– sowie an die potenzielle Leserschaft. Einesolche Leserschaft für die Zukunft heranzubilden,wäre auch eine politische Aufgabe, die derzeitnur ungenügend bewältigt wird.Es gehört zur Selbsttäuschung der Regierenden,man könne mit Geld die Massenblättergut stimmen und sich so bessere Aussichtenfür die nächste Wahl sichern. Seriöse Politikerinnenund Politiker brauchen seriöse Medien,die ihre Arbeit nüchtern beurteilen. Wer sichganz der aggressiven Boulevardpresse ausliefert,muss umso mehr damit rechnen, dass er –gemäß dem Pulitzer-Zitat – dereinst von der öffentlichenMeinung hinweggefegt wird.Der Autor war 1995 bis 2001 FURCHE-Chefredakteursowie Redakteur der Wiener Zeitung.ZUGESPITZTWartenauf KulturWeihnachtsmarkt. Abend. E stehtvor einer Budel und versucht sichseine Handschuhe auszuziehen.Klappt nicht. Da tritt W auf. Schöndich zu sehen. Wo warst du? E ziehtsich die Handschuhe nun mit denZähnen aus. Ich hab Kultur gesucht.Kultur gesucht? Die ist doch überall,auch hier. W zeigt auf den Weihnachtsmarkt.E knurrt. Ich meinerichtige Kultur. Die hat doch garkeinen Stellenwert mehr im öffentlichenLeben. Jeden Tag Diskussionenüber die Unkultur von Politikern,kaum einmal welche mitKünstlern über Kunst. W zucktdie Achseln: Dann schaust vielleichtdie falschen Nachrichten. Wnimmt sein Handy in die Hand. Beider apa gibt’s pro Tag zig Einträgezum Stichwort Kultur. W liest lautvor: „Hollywood-Star Julia Robertsschaltet gelegentlich ihr Telefonab“, „Zac Efron enthüllte seinen Hollywood-Stern“,„US-Sängerin Ciarazum vierten Mal Mutter geworden“,„Britney Spears teilte Gedankenüber ihr Single-Leben: ‚So seltsam‘“,„TikTok kauft indonesischen Online-HändlerTokopedia“, „GeorgeClooney drehte seinen neuen Filmvom Krankenbett aus“, „HerbertGrönemeyer überrascht Gäste aufBerliner Weihnachtsmarkt“.W schaut auf und E an. E schweigt,wringt die Handschuhe aus, alswären sie nass.Brigitte Schwens-HarrantNACHRUFOstkirchen- und Nahostexperte – 60 Jahre für DIE FURCHESein erster Artikel für DIE FURCHE datiert vom 16.Jänner 1964, sein letzter stammt vom 2. März 2022und handelt von der Lage der Kirchen in der Ukrainenach dem Überfall Wladimir Putins. Mehr als 250Beiträge hat Heinz Gstrein in diesen 60 Jahren für dieseZeitung verfasst. Nun ist der Journalist, Byzantinistund Buchautor kurz vor seinem 82. Geburtstag in Wienverstorben.Der gebürtige Innsbrucker studierte in seiner Heimatstadtsowie in Wien Byzantinistik und Orientalistik.1961 wurde der Katholik in die orthodoxe russischeAuslandskirche aufgenommen und begann an der orthodoxenHochschule im türkischen Chalki Theologiezu studieren, bis diese von den türkischen Behörden geschlossenwurde. Danach begann Gstreins publizistischeKarriere. 1966 übernahm er in Athen die Leitungder deutschsprachigen Zeitung Athener Kurier, danachwar er Athen-Korrespondent für das Schweizer Radio,den ORF und die Presse, bis ihn das Obristen-Regimeausweisen ließ.Danach arbeitete Gstrein bis Mitte der 1980er Jahreals Korrespondent für diese Medien, aber auch fürdie NZZ in Kairo. Nach der Wende schrieb er bis Mitteder 1990er Jahre aus Tirana, Minsk und Athen sowie alsKriegsberichterstatter aus dem Mittleren Osten, ehe erab 2001 in die Schweiz ging, wo er für das Institut „Glaubein der zweiten Welt“, das sich für die Christen in denehemaligen Ostblockstaaten einsetzt, arbeitete. In dieserZeit engagierte er sich auch für ein – erfolgreiches –Minarettverbot in der Schweiz, was dort auch zu Kontroversenum ihn persönlich führte. 2006 übersiedelteHeinz Gstrein nach Wien, wo er bis 2012 auch am Institutfür Balkanstudien der Universität Wien lehrte.Neben seiner journalistischen Tätigkeiten war HeinzGstrein Autor zahlreicher Bücher – seine Veröffentlichungenreichen vom arabischem Sozialismus (1972,1983) über die Edition religiöser Texte vor allem aus demostkirchlichen Bereich, Lebensbilder herausragenderChristen nicht zuletzt im arabischen Raum, Reisebücher(Albanien, Malta ...), aber auch ein Buch über „JüdischesWien“.Für DIE FURCHE war Heinz Gstrein in den letzten 20Jahren vor allem als Erklärer und Hintergrundvermittlerzum orthodoxen Christentum präsent. In Dankbarkeiterinnern wir uns an ihn als aufrechten und ungemeinkenntnisreichen Kollegen. (Otto Friedrich)Foto: Kathbild / Franz Josef RupprechtHeinz Gstrein(1941–2023) war(Süd-)OsteuropaundNahostkorrespondentsowie Kennerdes orthodoxenChristentums.

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