DIE FURCHE · 37 22 Wissen/Film 14. September 2023 Von Martin Tauss HUMAN SPIRITS Im Bann der Geräte Ein aufschlussreicher Blick nach Schweden: Das renommierte Karolinska-Institut, eine forschungsintensive Medizinuniversität in Stockholm, sprach sich unlängst für eine „Analogisierung“ im Schulbereich aus. Anlässlich des Schulbeginns kam die Meldung, digitale Geräte würden „das Lernen der Schüler eher einschränken statt fördern“. Wissensaneignung solle daher besser durch gedruckte Schulbücher und die Expertise der Lehrer(innen) erfolgen, „statt vor allem durch frei zugängliche digitale Quellen, die nicht genau auf ihre Richtigkeit überprüft wurden“. In schwedischen Kindergärten und Vorschulen soll digitales Lernen nun ganz verboten werden. Das ist eine wissenschaftlich fundierte Position in einem spannungsgeladenen Diskurs. Auf die große Frage, wie sich die Menschheit in der digitalen Kultur weiterentwickeln wird, kursieren derzeit zwei grundverschiedene Antworten: Die eine geht davon aus, dass der Mensch mithilfe von technischen Geräten eine neue Stufe der Evolution erreichen wird. Tablets und Smartphones sind da erst der Anfang; bald schon könnten VR-Brillen, implantierte Chips oder andere künstliche Körperteile folgen. Am Ende dieser Entwicklung winkt eine Art aufgerüsteter Übermensch, der „Homo deus“ (Yuval Noah Harari) – eine neuartige Fusion von Mensch und Technik, die den „Homo sapiens“ durch bislang ungeahnte Fähigkeiten überstrahlen könnte. „ Die heutigen Kinder sind bereits jetzt ein neuer Menschentypus. Bei ihnen werden die Smartphones zu einem künstlichen Körperteil. “ Die andere Antwort sieht in solchen Visionen bloß eine verführerische „Techno-Religion“ und irrationale „digitale Mystik“. In seinem jüngsten Buch, „Realitätsverlust“ (Heyne, 2023), präsentiert Joachim Bauer eine Radikalkritik der technologischen Entwicklung, deren Speerspitze derzeit Künstliche Intelligenz und neue virtuelle Welten sind. „Die digitalen Angebote reichen uns die Hand und sorgen für Bequemlichkeit“, so der renommierte Arzt und Psychotherapeut. „Man hilft gesunden Menschen beim Denken, bis sie nicht mehr denken können. Die vordergründige Freundlichkeit, mit der dies geschieht, macht aus dem Verlust der Realität einen hypnotischen, der bewussten Wahrnehmung entzogenen Prozess.“ Wer mit Kindern zu tun hat, erhält einen unmittelbaren Eindruck vom Suchtpotenzial von Smartphone und Co. Der Suchtforscher Bruce Alexander sieht in digitalen Angeboten bereits das größte Suchtmittel. Prävention und die Schulung im gesunden Umgang mit diesen Geräten sind daher vordringliche Herausforderungen. Denn es gibt kein Zurück mehr: Der aktuelle Generationen-Gap zeigt sich darin, dass Kinder heute so selbstverständlich mit Smartphones aufwachsen, dass diese tatsächlich wie ein erweiterter Körperteil funktionieren. Sie sind bereits jetzt ein neuer Menschentypus („Menschen mit Technik“; MmT). Die große Aufgabe ist, für ein gesundheitsverträgliches Wachstum zu sorgen. Foto: iStock/jroballo Mithilfe von Künstlicher Intelligenz lassen sich digitale Klone erstellen. Das ändert auch die Filmwelt: Wird die Kinoleinwand bald von virtuellen Agenten bevölkert sein? Bühne frei für die neuen Marionetten Von Adrian Lobe In Hollywood geht die Angst vor der Künstlichen Intelligenz (KI) um. Diesmal nicht auf der Leinwand, sondern ganz real: Seit mehreren Wochen streiken Drehbuchautoren und Schauspieler. Sie befürchten, dass sie künftig von KI-Systemen ersetzt werden könnten. Killt Künstliche Intelligenz den Videostar? Die Sorgen sind nicht unbegründet. Als in der Corona-Pandemie Kontaktbeschränkungen und Ausgehverbote verhängt wurden und die Dreharbeiten ruhen mussten, nutzte das Produktionsteam der Comedyserie „Ted Lasso“ kurzerhand eine Software, um Fußballstadien zu füllen. Wer braucht noch Statisten, wenn es KI gibt? KI ist in der Filmbranche nichts Neues. Schon vor 20 Jahren griffen die Macher von „Herr der Ringe“ auf eine Animationssoftware zurück, um detailgetreue Landschaften und Schlachten auf die Leinwand zu projizieren. Um die Massenkampfszenen, bei denen zehntausende Krieger aufeinanderprallen, realistisch darzustellen, hätte man eigentlich tausende Statisten engagieren müssen. Das wäre selbst für eine Produktion mit einem Budget von 93 Millionen Dollar ein viel zu teures Unternehmen gewesen. Stattdessen erstellte der Filmstab auf Grundlage einer Datenbank mit „ Die digitale Nekromantie wirft ethische Fragen auf: Darf man Doubles von Verstorbenen Sätze artikulieren lassen, die diese wohl nie gesagt hätten? “ Bewegungsmustern zehntausende künstliche Agenten, die individuell auf das Terrain abgestimmt waren und über eigene Kampfstile verfügten. Um einen digitalen Klon von einem Menschen zu kreieren, muss das Individuum gescannt werden. In einem Bodyscanner, wie man sie von Flughäfen kennt, sind dutzende Kameras installiert, die simultan hochauflösende Fotos von Mimik, Gestik und Bewegungen der Person machen: zum Beispiel, wie sie den Arm hebt oder den Mund beim Sprechen bewegt. Motion Capture heißt das im Fachjargon. Mithilfe der Photogrammetrie, eines Verfahrens, bei dem Punkte im Raum vermessen werden, werden die sich überlappenden 2D-Bilder zu einem 3D-Modell zusammengefügt. Diese skelettähnliche Struktur wird schließlich am Computer bearbeitet und mithilfe von Bewegungsdaten und Spezialeffekten animiert. Kinderleichte Fake-Bilder Ein Rückblick: Als der erste Teil von „Herr der Dinge“ 2001 in die Kinos kam, waren solche Spezialeffekte nur in teuren Hollywoodstudios realisierbar. Heute kann jeder per Mausklick Bilder produzieren. Dafür braucht es weder eine Kamera noch ein Studio. Die Fake-Aufnahme, die den Papst in einem weißen Daunenmantel zeigt und vor ein paar Monaten im Netz viral ging, kreierte ein 31-jähriger Bauarbeiter aus Chicago. Mit dem Siegeszug der Generativen KI wächst die Sorge, dass künftig KI-Modelle die Bühne betreten können – und zwar nicht nur als Staffage im Hintergrund von Stadion- oder Schlachtfeldkulissen, sondern an der Front. Erste Filmcrews haben bereits damit begonnen, Darsteller zu klonen, indem sie ihre Körper scannten und 3D-Modelle am Computer erstellten. Einmal generiert, kann der digitale Zwilling per Knopfdruck am Set eingesetzt werden. Beliebig oft, wie eine Marionette. Der Schauspieler muss nicht zum Drehort reisen oder Texte einsprechen, die Stimme wird per KI synthetisiert. Das ist viel günstiger, als Schauspieler oder Synchronsprecher zu engagieren. In der Comicverfilmung „Man of Steel“ (2013) wurden bereits digitale Replika von Superman in das Filmmaterial reingeschnitten. Auch beim Science-Fiction-Film „Avengers: Infinity War“ (2018) wurden visuelle Effekte eingesetzt, um Schauspieler Josh Brolin in der Rolle des Oberschurken Thanos auf das Format eines acht Meter großen Kriegers zu bringen. Künftig könnte Künstliche Intelligenz die Stuntmänner gänzlich überflüssig machen. Spielentwickler wie EA Sports setzen 3D-Boyscanning-Technologien schon seit Jahren ein, um realitätsnahe Avatare von Sportprofis zu erstellen, die sich in der Simulation genauso wie das Original bewegen. Die Techniken, die bei der Spielentwicklung zum Einsatz kommen, etwa die 3D-Modellierung von Landschaften oder Animation von Charakteren, haben längst auch Eingang ins Kino gefunden. So schufen die Macher der Serie „The Mandalorian“ mithilfe eines Grafikprogramms des Spielentwicklers Epic Games ein virtuelles Set, wo sich 3D-Landschaften wie das Hintergrundbild am Desktop verändern ließen. Der SWR hat sich kürzlich vom Großteil seines Requisitenfundus getrennt – Jesus-Figuren oder Bordellreklame braucht es in Zeiten von Computeranimation nicht mehr. Statt Botox ein digitaler Klon Die Potenziale der Technik sind gewaltig: KI gab dem amerikanischen Schauspieler Val Kilmer, der durch eine Kehlkopfkrebserkrankung nicht mehr sprechen kann, seine Stimme zurück und verjüngte Leinwandlegende Harrison Ford für den Film „Indiana Jones 5“. Der biologische Alterungsprozess, vor dem sich die Hollywooddiven fast noch mehr fürchten als vor Robotern, lässt sich mit KI aufhalten. Man braucht kein Botox mehr, wenn man auf einen digitalen Klon aus dem Computerarchiv zurückgreifen kann. Mit digitalen Reproduktionstechniken lassen sich sogar verstorbene Schauspieler zum Leben erwecken. So wurden Filmstars wie Audrey Hepburn oder Bruce Lee mittels computergenerierter Modelle als Testimonials in Werbeclips wiederbelebt. Die Sängerin Amy Winehouse wurde nach ihrem Tod 2011 sogar auf Hologrammtournee geschickt. Die digitale Nekromantie wirft eine Reihe ethischer Fragen auf. Darf man Menschen einfach klonen? Darf man Doubles von Verstorbenen in fremde Kontexte einbetten und Sätze artikulieren lassen, die diese womöglich so nie gesagt hätten? Darf man Avatare digital aufhübschen, etwa ihre Brüste vergrößern? Wie weit reicht das Recht am eigenen Bild und Wort? Bis zum Tod? Oder darüber hinaus? Sind digitale Klone zu ewiger Arbeit verdammt? Der Schauspieler Robin Williams, der als Sprecher von Dschinni in „Aladdin“ bekannt wurde und 2014 Suizid beging, hatte zu Lebzeiten verfügt, dass die Nutzung seiner Bilder erst 25 Jahre nach seinem Tod zulässig ist. Das konnte allerdings nicht verhindern, dass sein Gesicht in einem Deepfake-Video auf den Körper von Will Smith montiert wurde. Wie die Zukunft des Films aussehen könnte, hat kürzlich eine Produktionsfirma aus Detroit demonstriert: Sie hat mithilfe einer KI einen zwölfminütigen Kurzfilm („The Frost“) kreiert. Dazu wurden mit dem Bildgenerator DALL-E auf Basis eines (manuell verfassten) Drehbuchs Bilder erzeugt, die am Computer animiert und zusammengefügt wurden. Ein wenig wie bei der Reihenfotografie zu Beginn der Filmgeschichte. Doch für den Kurzfilm brauchte es weder Kameras noch Schauspieler. Das gesamte Material kam aus der Konserve.
DIE FURCHE · 37 14. September 2023 Wissen 23 Die Kommunikation im Tierreich treibt die buntesten und abenteuerlichsten Formen hervor – insbesondere wenn es um die Fortpflanzung geht. Ein sinnlicher Rundgang durch die Sonderausstellung „Heraus mit der Sprache“ im Landesmuseum Niederösterreich. Liebesg’schichten & Paarungssachen Von Martin Tauss Wenn die Glühwürmchen im Wald wie magische Punkte leuchten, ist das ein doppeldeutiges Zeichen: Die Weibchen sitzen am Boden und locken mit ihrem erotischen Schimmer die Männchen an. Bei den Kleinen Glühwürmchen können diese ebenfalls leuchten. Sanft schwebend nähern sie sich ihren Partnerinnen. Menschen wiederum, die dieses Spektakel im nächtlichen Dunkel beobachten, können sich sicher sein: Sie befinden sich gerade an einem Ort der intakten Natur. Denn Glühwürmchen sind ein Indikator für ein gesundes Ökosystem. „Interessierte Bürger können an einer Blinkkarte für Österreich mitarbeiten und Sichtungen von Glühwürmchen einmelden“, sagt Ronald Lintner, Kurator der Ausstellung „Heraus mit der Sprache“. Dort wird den Leuchtkünstlern unter den Tieren gebührender Platz eingeräumt: in einem Gang, wo das Phänomen der Bio lumineszenz erklärt wird, sowie im „Sinnesraum“, wo die Leuchtzellen der Glühwürmchen detailgetreu im Modellbau zu sehen sind. Am Eingang der Ausstellung wirft ein präparierter Waldrapp seinen Kopf in den Nacken und begrüßt die Besucher(innen) mit einem herzlichen „Chrup!“. Man kann das als „Grüß Gott“ verstehen, denn Biologen beschreiben den Vogel als ausgesprochen höflich. Im Haus für Natur in St. Pölten werden die vielfältigen Kommunikationsformen von Flora und Fauna beleuchtet. Und die sind jenen des Menschen frappant ähnlich, zumindest wenn man sich an eine zentrale Erkenntnis von Paul Watzlawick hält: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Balzen und Posieren Wobei hier gleich zu fragen wäre, ob nicht jene Lebewesen die fortschrittlichste Kommunikation entwickelt haben, denen man es am wenigsten zutrauen würde: die Pflanzen, genauer gesagt die Bäume, die unterirdisch riesige Netzwerke mithilfe von Pilzen ausbilden. Informationen können in diesem „Wood Wide Web“ über weite Strecken ausgetauscht werden – ähnlich wie im Internet, das die Kommunikationskultur des Menschen auf eine neue Stufe gehoben hat. Wenn ein Baum zum Beispiel von einem Insekt angegriffen wird, schreit er in seiner eigenen Sprache: Er produziert eine chemische Substanz, um sich für den Angriff zu wappnen. Solche Botenstoffe können über das Waldnetzwerk von einer Pflanze zur anderen durchsickern. Es ist, als ob eine Warnung weitergeleitet wird. Das „Wood Wide Web“ wird in der Ausstellung des Landesmuseums Niederösterreich freilich nur gestreift. Der große Fokus liegt hier auf der Sprache der Tiere – dem Singen und Tanzen, Klopfen und Brummen, Duften und Stinken, Vibrieren und Leuchten. Diese Sprache spricht über alle Sinne; sie ist visuell, akustisch, chemisch, taktil und sogar elektrisch. Die Besucher(innen) bekommen dies anhand von zahlreichen Präparaten, Videos und interaktiven Stationen vermittelt. Zudem gibt es fünf Terrarien, in denen Lebendtiere wie Fauchschaben, Gottesanbeterinnen und Pfeilgiftfrösche zu bestaunen sind. Rasch wird hier klar: Im Tierreich menschelt es. Komplexe Choreografie „ Die Weibchen locken mit ihrem nächtlichen Schimmer die Männchen an. Wenn die Glühwürmchen leuchten, be - findet man sich an einem Ort intakter Natur. “ In einem großen Schauraum sind die Wände rosa ausgemalt. Hier dreht sich alles um das Herzensthema der animalischen Kommunikation, um Liebesgeschichten und Heirats- oder besser Paarungssachen. Das Balzen, Posieren und Schwärmen treibt im Tierreich die buntesten und abenteuerlichsten Formen: ein riesiger Aufwand, der wahre Kunstwerke hervorbringt. Schließlich geht es darum, einen Partner zu finden und die eigenen Gene an die nächste Generation weiterzugeben. Beim Imponiergehabe sind die heimischen Hirsche vorn dabei: Wer ihre Brunft im September noch nicht live miterlebt hat, kann in St. Pölten ein Röhren auf Bestellung hören. „Wir haben eine simple Installation gewählt, wo man die Frequenzen hinunterschrauben kann“, erklärt Ronald Lintner und schiebt den Regler nach links. Fotos: NÖ Museum Betriebs GmbH, Daniel Hinterramskogler Das Haus für Natur im Museum Niederösterreich bietet nicht nur eine Sonderausstellung, sondern auch einen (permanenten) Zoo mit über 40 einheimischen Tierarten. Der Blaue Pfau imponiert mit seinem psychedelisch anmutenden Federkleid. Ist es zerzaust, deutet dies auf einen Parasitenbefall hin. Potenzielle Partnerinnen wären dann abgeschreckt. In der St. Pöltener Ausstellung gibt es fünf Terrarien, in denen Lebendtiere wie Fauchschaben, Gottesanbeterinnen (Bild) und brasilianische Pfeilgiftfrösche zu besichtigen sind. Der präparierte Hirsch scheint tiefe Laute von sich zu geben. „Das Paarungsverhalten dieser Tiere ist akustisch schon beeindruckend. Je größer der Hirsch, desto tiefer die Stimme“, so der Biologe. Auch wenn ein Tier über längere Zeit röhrt, verschiebt sich die Stimmlage aufgrund der Dehnung des Vokaltrakts nach unten. Wasservögel setzen auf ganz andere Reize: In einem Video sieht man zwei Haubentaucher, die zur Annäherung eine Art Wasserballett vollführen – inklusive Tauchspiele und „Pinguintanz“. Am Ende der Zeremonie schütteln die Vögel mit der charakteristischen Stehfrisur den Kopf und überreichen sich feierlich ein Büschel mit Wasserpflanzen. „Das ist eine wirklich komplexe Choreografie, da geht mir das Herz auf“, sagt Lintner. „Dieses Spektakel kann man etwa auf den Viehofner Seen beobachten, also quasi direkt vor der Haustür. Wir zeigen hier bewusst Dinge, die man mit etwas Glück auch im Alltag sehen kann. Wenn Besucher berichten, dass sie nach der Ausstellung ein Gespür dafür mitbekommen haben, ist das für mich das schönste Kompliment.“ Weiter geht es zum Großtrapp, der sich in einen weißen Federball verwandelt, um für sein Weibchen zu tanzen. Seine Balzarena hat er u. a. in den burgenländischen Steppengebieten. Kokett streckt er sein Hinterteil in die Höhe. „Dir zeig ich meine Unterwäsche!“ steht in großen Buchstaben über dem Tierpräparat. Unmittelbar daneben ein Blauer Pfau, der sein Rad schlägt und zu sagen scheint: „Auf dich werf’ ich mehr als ein Auge!“ Seine Farben schillern fluide wie in einem psychedelischen Gemälde. Ist sein Gefieder zerzaust, sinken jedoch die Chancen auf eine Partnerin. „Das ist ein Zeichen für Parasitenbefall“, erklärt Lintner. „Der Vogel wirkt dann schwächlich, die Weibchen bleiben zurückhaltend.“ Ähnlich geht es auch der Amsel, deren Schnabel quasi ein „Fitnessbarometer“ ist. Eine kräftig orangene Farbe signalisiert den Artgenossen hohe Vitalität; zunehmendes Gelb hingegen lässt auf Krankheitsanfälligkeit schließen. Wolf und Fledermaus Die Ausstellung erinnert daran, dass die Forschung zur tierischen Kommunikation maßgebliche Impulse aus Österreich erhalten hat. Vor 50 Jahren erhielten Konrad Lorenz und Karl von Frisch gemeinsam mit dem niederländischen Zoologen Nikolaas Tinbergen den Nobelpreis für Medizin (1973). Während Lorenz als „Gänsevater“ weltberühmt wurde, untersuchte Frisch die Sprache der Honigbienen. Beide eröffneten neue Horizonte für die Verhaltensforschung. „Das war der Startschuss, um der Kommunikation im Tierreich auf die Schliche zu kommen“, sagt Kurator Lintner. „Heute vergeht kaum ein Monat ohne neue Erkenntnisse, weil die technischen Hilfsmittel immer besser werden. Als ich an der Uni Wien zum Thema zu forschen begann, haben wir noch mit älteren Geräten aufgenommen: Alle 90 Minuten mussten die Bänder gewechselt werden, und es passierte nicht selten, dass just off-the-record etwas Wichtiges zu hören war.“ Nicht zuletzt schlägt die Ausstellung Brücken zu aktuellen Forschungsprojekten: Was sich Mäuse via Ultraschall zu sagen haben, wie Spinnen Vibrationssignale nutzen oder warum Geparden auch zwitschern können (Spoiler: vielleicht der Versuch, die Löwen und Hyänen in der Savanne zu täuschen und so die Jungtiere zu schützen). Der „Sinnesraum“ führt schließlich ins Dunkle, um Tierstimmen via Spektro gramm sichtbar zu machen. Ein heulender Wolf ist vor Ort, auch der Ruf der Fledermaus ist zu hören. „Bei älteren Besuchern kann es sein, dass die Geräusche an der Grenze zum Ultraschall nicht mehr wahrnehmbar sind“, berichtet Lintner. Hier gibt es auch ein Quiz, in dem aktuelle Probleme wie Lärm- und Lichtverschmutzung thematisiert werden. „Künstliches Licht kann die tierische Kommunikation stören“, so der Kurator. „Manche Fledermausarten werden so eventuell von ihrem Jagdrevier abgeschnitten.“ Ein Tipp zum Schluss: Wenn Sie die Ausstellung verlassen und einen Frosch winken sehen, beziehen Sie es nicht auf sich! Wahrscheinlich hat dieser nur einem Artgenossen etwas Wichtiges mitzuteilen. Heraus mit der Sprache! Wie Tiere und Pflanzen kommunizieren Museum NÖ, Haus für Natur Kulturbezirk 5, 3100 St. Pölten bis 11.2.2024; www.museumnoe.at
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