36 · 7. September 2023 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 79. Jg. · € 4,– und der Hervorhebung des sogenannten Hitlerbalkons bei Nicht-FPÖ-Sympathisanten für Empörung sorgte, zu keinem Umdenken geführt hat, ist wenig überraschend. Der strukturelle Rassismus in Österreich wird einfach hingenommen. Dabei gäbe es durchaus Maßnahmen, die Von Brigitte Quint dem entgegenwirken könnten. Erstens: die Ausweitung des Faches „Politische Bildung“ mit Schwerpunkt Menschenrechte auf die in gedrängt voller Zugwaggon schen aus Osteuropa, Sinti und Roma, werden immer wieder neu reproduziert: in der bar. Zweitens: politische Mitbestimmung. Volksschulen. Denn Zivilcourage ist lern- auf der Strecke zwischen Salzburg und Bayern. Unter den Familie, in der Schule, in der Politik, seitens der Behörden, durch die Medien. hiervon gänzlich ausgeschlossen sind, Dass Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten Passagieren: junge Männer aus Braunau, die einen Junggesellenabschied feiern. Alle trinken Dosen- einer Junggesellenpartie gnädig hinweg- Parlamentsparteien müssen bei ihren Be- Dass über die rassistischen Äußerungen spielt dem Alltagsrassismus in die Hände. bier und grölen „Die Inder fressen unsere Kinder“, sobald eine Person, die optisch Ausländern ginge eine Gefahr aus, korre- als potenzielle Wähler nehmen. Drittens: gesehen und Kindern suggeriert wird, von schlüssen keine Rücksicht auf Einwanderer ein Zuwanderer sein könnte, den Durchgangsbereich passiert. Ein Teil der anderen chen entgegengebracht wird. Laut Umfrawechsel. Es gilt darüber nachzudenken, liert mit der Akzeptanz, die den Freiheitli- einen bildungspolitischen Paradigmen- Fahrgäste schaut beschämt zu Boden. Ein gen würden sie gegenwärtig mit 28 Prozent auch Türkisch, Arabisch oder Serbisch als anderer schmunzelt. Auch der Schaffner. der Stimmen rechnen können. Fast jeder eine der dritten Fremdsprachen an höheren Schulen zu etablieren. Das würde die Ganz besonders der Schaffner. dritte Befragte dürfte also die offen menschenrechtsfeindlichen Äußerungen vie- Fähigkeiten von Minderheiten aufwerten. Ortswechsel. Ein Weiler in der Steiermark. 2015 wurde ein altes Bauerngehöft ler Parteifunktionäre – von Kickl abwärts – Auch das heißt Integration. Viertens: verpflichtende Schulungen zum Thema Rassis- in eine Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert. Der anfängliche Unmut hat sich ge- Kavaliersdelikt begreifen. mus (ebenso zu Antisemitismus) für Beam- schlimmstenfalls goutieren, bestenfalls als legt. „Nur die Tür muss man halt fest zugesperren, seit die da sind“, meint ein Hassreden als Kavaliersdelikt? Die Junggesellen wollten übrigens auf te ausweiten. Wohl auch für Schaffner ... Zwölfjähriger. Wie viele Einbrüche gab es In dieses Lagebild passt die Positionierung der ÖVP, die eine Absage an Schwarz- Markus Söder (vgl. Seite 14) seinen Skandal- eines der Herbstfeste nach Bayern. Seit in den vergangenen acht Jahren? „Noch keinen.“ Gelächter bei den Erwachsenen. Blau nach der nächsten Wahl vermeidet. Stellvertreter Aiwanger begnadigt hat, Der Widerspruch bleibt unthematisiert. Auch der Kanzler hat im ORF-Sommergespräch eine erneute Zusammenarbeit nicht sonders laut aus den Bierzelten. Dass die dröhnen die „Jetzt erst recht“- Parolen be- Zwei Anekdoten, zwei Beispiele für Alltagsrassismus, zwei Belege, das dieser mitnichten nur am rechten Rand zu finden ist – sona non grata zu sein, aber Parteiobmann ren hat, ist unwahrscheinlich. Gemeinsame ausgeschlossen. Zwar scheint Kickl die per- Truppe dort mit ihrer Art Gegenwind erfah- sondern in der Mitte der Gesellschaft. Die könnte er im Falle des Falles wohl bleiben. Feinde erhalten die Freundschaft. Ressentiments, der heimliche Groll gegenüber Schwarzen, Asiaten, Muslimen, Men- das mit seiner rechtsextremen Bildsprache Dass das jüngste Video der FPÖ-Jugend, brigitte.quint@furche.at Kann man zwischen „wahr“ und „falsch“ Trennlinien ziehen? Und wie funktioniert Unterscheidung generell? Ein philosophisches Gespräch. Seiten 10–11 Golli Marboe macht sich im „Diesseits von Gut und Böse“ Gedanken zum Welttag der Suizidprävention am 10. September – und zum „Papageno-Medienpreis“. Seite 15 Videotheken waren früher an jeder Ecke zu finden, heute sind sie ein rares Relikt einer vergangenen Zeit. Zu Besuch an einem besonderen Ort. Seite 19 Langes Sitzen und Fehlhaltungen fördern die „Volkskrankheit“ Rückenschmerzen. Arzt und Yoga-Therapeut Peter Poeckh hat dafür ein natürliches Heilmittel. Seite 23 Lydia Mischkulnig war im Turm, dessen Front groß das Gesicht eines Ex-Politikers ziert. Über Hybris und die Kunst, Puppen als Larven einer Macht zu entlarven. Seite 24 Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0 Von Manuela Tomic uf einer schweren schwarzen Schreibmaschine lernte ich in der Hauptschule Maschinschreiben. Unsere Lehrerin, eine weißhaarige Frau mit großen Zähnen, schüttete in der ersten Stunde lose Schreibtasten wirr auf den Tisch: das Alphabet in seine Einzelteile zerlegt. In der zweiten Stunde öffnete die Lehrerin einen großen Kasten und hievte die Schreibmaschinen, die sie wie einen Schatz hütete, auf unsere Tische. Im Marsch mussten wir stundenlang Zeichenfolgen aufs Papier klopfen: xyz xyz xyz xyz ... iv iv iv iv iv ... Im Buchstabenrausch hämmerte ich viel schneller als die Anderen und geriet dabei aus dem Takt. Anstatt zu schimpfen, klebte mir die Lehrerin dutzende goldene Sterne in mein Heft. „Du wirst einmal eine fleißige Sekretärin“, sagte sie und tätschelte mein Köpfchen. Wenn ich heute Interviews führe und in Echtzeit auf meinen Laptop mitschreibe, spüre ich noch immer ihr Tätscheln und fühle, wie meine Kinderfinger tief in den Tastenschacht stürzen. Sekretärin bin ich keine geworden, aber Frau Holle mit den großen Zähnen wäre sicher stolz. Ich klopfe in die Tastatur, bis mir die Augen brennen. Es schneit Buchstaben, doch auf den Goldregen warte ich immer noch. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. 110 Asteroiden flogen im letzten Jahr näher als der Mond an der Erde vorbei. Im September 2022 gelang es der NASA erstmals, eine unbemannte Raumsonde mit einem Asteroiden kollidieren zu lassen. Die Lehren daraus wurden nun in einer Studie zusammengefasst. Von Klaus Stiefel Energie loser Gesteinsbrocken, die durch liche Leistung! Wenn ein Asteroideneinschlag auf der Erde so massiv ist, dass es den Einschlag ins All geschleudert wurden. Vor dieser Mission war nicht klar, wie zu einer globalen Katastrophe kommt, ist iele Leute, die es später in die Wissenschaft verschlagen hat, dieser sekundäre Effekt ausfallen würde. die Lage extrem ernst: Das Aussterben der haben sich als Teenager für Doch die überraschend starke Änderung Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren war Science-Fiction interessiert der Umlaufbahn von Dimorphos war genau die Konsequenz eines solchen Einschlags – und haben sich durch in einer darauf zurückzuführen. von einem Brocken mit einem Durchmesser von zehn bis 15 Kilometern – im heuti- phantastischen Zukunft angesiedelte Romane und Filme für die Forschung begeis- („Double Asteroid Redirection Test“; dt. gen Mexiko. Die Raumsonde hieß übrigens DART tert. In der Science-Fiction gibt es eine „Doppel-Asteroiden-Umleitungs-Test“), ein Reihe von Themen, die regelmäßig wiederkehren: Krieg im Weltall, schrecklich böse (Pfeil). Die akademische Wissenschaft ist Um einen Einschlag abwehren zu können, Wortspiel mit dem englischen Wort „dart“ Kritische Vorwarnzeit Aliens und ein Asteroid, der ohne menschliche Intervention auf der Erde einschla- wenn es darum geht, kreative Abkürzunßerirdischen Objekts vorhersagen können. zwar oft eine humorbefreite Zone, aber muss man auch die Flugbahnen dieses augen und alles Leben auslöschen würde. In gen zu finden, neigen die Kolleg(inn)en Die NASA ist hier ebenfalls aktiv, und in letzterer Geschichte geht es dann meist so gern zum Wortwitz. DART wog etwas mehr Zusammenarbeit mit Teleskopen weltweit weiter, dass tapfere Raumfahrer, immer als 600 Kilogramm und hatte eine kleinere Raumsonde im Huckepack, die sich vor erdnaher Asteroiden zusammen, die auch stellt die US-Raumfahrtbehörde eine Liste Amerikaner mit ernstem Gesicht (Bruce Willis!), zu dem Asteroiden fliegen und ihn dem Einschlag löste und dessen Folgen dokumentierte. Auch mit Teleskopen von der jetzt wurden mehr als 32.000 solcher Objek- auf der NASA-Webseite einzusehen ist. Bis sprengen: Dann ist die Erde ist gerettet! Erde aus konnte man die Folgen der Kollision, nämlich die veränderte Umlaufzeit von messer von mehr als einem Kilometer. Von te gefunden, davon 853 mit einem Durch- Änderung der Umlaufbahn Faszinierenderweise hat die Realität diese Geschichte nun fast eingeholt. Zwar war 110 näher als der Mond an der Erde vorbei. Dimorphos, beobachten. all diesen Asteroiden flogen im letzten Jahr der konkrete Asteroid nicht direkt auf Kurs Keiner davon zielte direkt auf unseren Heimatplaneten. Wenn das bei einem massiven Richtung Erde und die Mission zu ihm war unbemannt. Aber es ist in einem Probelauf Asteroiden der Fall wäre, dann ist eine entsprechend lange Vorwarnzeit äußerst wich- gelungen, einen Himmelskörper von seinem Kurs abzulenken. Vor ziemlich genau tig: Die Planung von DART begann 2017, die einem Jahr hat es die NASA geschafft, eine unbemannte Raumsonde so mit dem Assen und dann dauerte es noch weitere zehn Raumsonde wurde 2021 ins All geschosteroiden Dimorphos kollidieren zu lassen, Monate, bis sie Dimorphos erreichte. Da die dass sich die Umlaufbahn dieses Gesteinsbrockens geändert hat. Ein Artikel im Fach- Ernstfall natürlich schneller gehen, aber für Technologie nun etabliert ist, würde es im journal Nature hat heuer die wesentlichen eine erfolgreiche Ablenkung eines die Erde Lehren daraus zusammengefasst. bedrohenden Asteroiden sollten jedenfalls Dimorphos existiert als Paar mit dem Die Mission ließe sich ohne Zweifel noch Jahre eingeplant werden. größeren Asteroiden Didymos. Dabei kreist in ihrem Ausmaß vergrößern – durch eine massivere Raumsonde oder Sprengmit- auch Sozial-, Klima- und Umweltproble- Derzeit herrscht Krieg in Europa und Dimorphos um Didymos, wie eine Miniaturversion von Erde und Mond. Vor der tel auf der Sonde. Selbstverständlich wollte me sind Grund zur Sorge. Aber zumindest Kollision mit der NASA-Raumsonde dauerte eine Umkreisung von Dimorphos um monuklearen Sprengköpfe im All detonie- im All, die Kurs auf die Erde nehmen, nun die NASA bei einem Probelauf keine ther- kann man beim Gedanken an Felsbrocken Didymos etwas weniger als zwölf Stunden, ren lassen. Aber wenn es darum geht, eine ein bisschen besser schlafen. der Einschlag verkürzte sie um unerwartet reale Gefahr von der Erde abzulenken, ist lange 32 Minuten. Interessanterweise war das sicher eine Option. Im Prinzip ist die Der Autor ist Biologe, populärwissenschaftlicher Autor und Naturfotograf. dafür der Einschlag der Raumsonde direkt Menschheit nun in der Lage, Felsen im All verantwortlich, teils auch die kinetische von ihrem Kurs abzulenken: eine erstaun- Er lebt zurzeit auf den Philippinen. DIE FURCHE · 37 16 Diskurs 14. September 2023 IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Sprachtheorie und Praxis Der unheimliche Groll Von Brigitte Quint. Nr. 36, Seite 1 Den Überlegungen von Brigitte Quint, die Sprachen unserer Schüler(innen) aufzuwerten, indem man sie an unseren Schulen unterrichtet, ist vollinhaltlich zuzustimmen. Tatsächlich sind die aktuell existierenden Lehrpläne der schulischen Praxis weit voraus, was die Sprachenvielfalt betrifft. So können an den allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) folgende Sprachen als erste oder zweite lebende Fremdsprache in der Unterstufe wie in der Oberstufe angeboten werden: die „klassischen“ Fremdsprachen Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Spanisch sowie die Sprachen der anerkannten Minderheiten (Burgenland-)Kroatisch, Romanes, Slowakisch, Slowenisch, Tschechisch, Ungarisch und die Migrantensprachen Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und Polnisch. (Der gleiche Sprachenkanon gilt für die Mittelschulen, wo es auch möglich ist, Türkisch anzubieten.) Abgesehen vom Fremdsprachenunterricht gibt es auch das freiwillige Angebot des Erstsprachenunterrichts in derzeit über 20 Sprachen. Besonders „sprachoffen“ sind (derzeit noch) die Handelsakademien (HAK), wo der Lehrplan für die zweite lebende Fremdsprache sprachenneutral formuliert wurde und daher grundsätzlich jede Sprache angeboten werden kann, sofern eine dafür ausgebildete Lehrkraft zur Verfügung steht und seitens der Schüler(innen) genügend Interesse besteht. Die Praxis sieht jedoch an all diesen Schularten anders aus. Neben Erben und Reiche zur Kasse bitten? Katholische Abgründe: Missbrauch der Seelen Von Schokolade herbeigeträumt Ob Steuern für Vermögende zum Wohle der Spiritueller und sexueller Missbrauch als Kehrseite Die Entwicklung Englands nach 1945 erzählt Allgemeinheit erhöht werden sollen, ist eine Grund- Neuer geistlicher Gemeinschaften. Andere Gruppen Jonathan Coes Roman „Bournville“ durch eine satzfrage. Zwei Standpunkte. · Seite 5 setzen auf die Vergangenheit. · Seite 9 Familiengeschichte. · Seite 17 Das Thema der Woche Seiten 2–4 Eine (Kickl-lose) Koalition mit der FPÖ – damit liebäugelt die Volkspartei. Ein Beleg dafür, dass der strukturelle Rassismus im Land einfach hingenommen wird. Der unheimliche Groll E ChatGPT und Ressourcen prägen den Diskurs über Schule. Deren elementare Aufgaben geraten dabei leicht aus dem Blick. Wofür muss sie junge Menschen rüsten? Lernziel: Leben „ Es gilt darüber nachzudenken, Türkisch, Arabisch oder Serbisch als dritte Fremdsprache zu etablieren. “ Collage: Rainer Messerklinger (unter Verwendung von Bildern von iStock/Igishevamaria bzw. iStock/Serg_Velusceac) „In seiner Sterbesekunde war ich da“ Ein Porträt der Kinderkrankenpflegerin Gabriele Hintermayer im Rahmen der Reihe „Gesichter des Zusammenhalts“. · Seiten 12–13 Foto: IMAGO / Photo12 Chiles 11. September Vor 50 Jahren haben Militärs den linken Reformer Salvador Allende gestürzt und das Land unter Augusto Pinochet in eine Diktatur gezwungen. Der Schriftsteller Erich Hackl und drei Wiener Exil-Chilenen über den Putsch und seine Folgen. Seiten 6–7 AUS DEM INHALT „Wahrheit ist eine verbrauchte Idee Journalismus kann Leben retten Vergessene Welt der Silberscheiben Sorgsam hineingedehnt Federspiel: Fremdkörper furche.at Englisch als erster lebender Fremdsprache wird als zweite Sprache fast ausschließlich Französisch oder Spanisch, ev. Italienisch, vielleicht im Einzelfall Russisch unterrichtet. Die Möglichkeit, auch die Sprachen der Schüler(innen) anzubieten, ist weitgehend unbekannt. Aber es kommt noch schlimmer: Anscheinend gibt es im Bildungsministerium Überlegungen, die zweite Fremdsprache an den HAK abzuschaffen oder nur noch als Wahlfach anzubieten. Die Idee der Mehrsprachigkeit soll also in Hinkunft zugunsten einer „doppelten Einsprachigkeit“ (Deutsch und Englisch) aufgegeben werden. In diesem Zusammenhang sind auch die Regierungsprogramme von Nieder- und Oberösterreich zu erwähnen, die dezidiert fordern, dass in den Schulpausen ausschließlich Deutsch zu verwenden ist. Damit widersprechen die Programme dieser Länder der in der österreichischen Bundesverfassung verankerten Europäischen Menschenrechtskonvention, die ein Diskriminierungsverbot aufgrund von Sprache (§ 14) enthält. Und kein Kind lernt besser Deutsch, wenn man ihm seine Erstsprache verbietet. Elfie Fleck, via Mail Gruppendruck als Übel wie oben Was ich unbedingt anfügen muss an die von Brigitte Quint empfohlenen „Maßnahmen“ zur Bekämpfung des „strukturellen Alltags-Rassismus“, ist die Bekämpfung eines tiefsitzenden Gruppendrucks bis -zwangs, eines „Mitläufertums“, für das im Grunde jeder Mensch mehr oder weniger anfällig ist. „Maßnahme“ bzw. Heilmittel dagegen wäre ein gesunder, um nicht zu sagen „radikaler“ Individualismus, der unter Umständen auch mit alten Freundschaften bricht, wenn sie auf Lüge und Unrecht gebaut waren. Biblisch übersetzt handelte es sich also um „Menschenfurcht“, was aber hier nicht etwa Furcht vor Fremden meint, sondern Furcht vor den Folgen der eigenen Aufrichtigkeit, wenn wir voraussetzen dürfen, dass der Mensch ursprünglich und zuinnerst kein Rassist und Fremdenhasser ist. Peter Mathei, 6861 Alberschwende Einseitiges Notenbashing Die Not mit den Noten Von Franz Hammerer Nr. 36, Seite 2 Der Autor lehnt die Verpflichtung zu Noten ab der zweiten Klasse der Volksschule ab (wofür man Ver- ständnis haben kann). Dann reitet er aber eine Attacke gegen Leistungsbeurteilung mit Noten mit extrem einseitiger Schwarzweißmalerei. Er tut so, als ob es im Schulbetrieb nur mit Noten (in Zeugnissen) Rückmeldungen über die Leistungen bzw. Leistungsfortschritte gäbe. Aber: In jeder Schulstunde gibt es Rückmeldungen für einzelne Schüler(innen), manchmal für alle. Zu behaupten, beim Notengeben stehe die „Selektionsfunktion“ „im Mittelpunkt“, ist eine böswillige Unterstellung. Als Abschluss versteigt sich der Autor zu dem unsinnigen Satz: „Bildung über ein selektives Notensystem produziert letztlich Verlierer.“ Also sind alle Österreicher(innen) Verlierer. Noch eine Bemerkung: Die vom Autor gewünschten Formen der Rückmeldung können möglich sein, wenn eine Lehrerin mit 20 Schüler(inne)n in fast allen Wochenstunden arbeitet, werden aber unzumutbar, wenn eine Lehrkraft 150 Schüler(innen) – und mehr – in jeweils zwei, im besten Fall drei Wochenstunden unterrichten und beurteilen soll, was in höheren Schulen der Regelfall ist. Auch deswegen sind so einseitige Verurteilungen des Notensystems unverantwortlich. Mag. Wolfgang Rank 2880 Kirchberg/Wechsel DIE FURCHE · 36 22 Wissen 7. September 2023 Zehnfingermärchen A MOZAIK I lu: Rainer Me serklinger Foto: iStock / MARHARYTA MARKO Asteroiden nähern sich oft gefährlich nahe der Erde. Vor einem Jahr hat die NASA gezeigt, dass sie Felsbrocken im All vom Kurs ablenken kann. Was das für die Zukunft bedeutet. Außerirdische Abwehr V „ Asteroiden, die durch menschliche Technologie gesprengt werden, waren lang Stoff für Science-Fiction. Faszinierenderweise hat die Realität diese Geschichte nun fast eingeholt. “ Gezielte Kollision „Wahrheit“ ist unersetzbar „Wahrheit ist eine verbrauchte Idee“ Gespräch mit Josef Mitterer und Katharina Neges. Nr. 36, S. 10–11 Den Begriff der „Wahrheit“ zu verwerfen und dies mit zunehmender Fake News-Kommunikation zu begründen, ist nicht stichhaltig und vor allem im Beitrag nur schwach begründet. Zumindest die Welten der Rechts-, Natur- und Strukturwissenschaften (Mathematik) und die mit ihnen verbundenen gesellschaftlichen Lebenswelten bedienen sich dieses Begriffes, der jedenfalls als „leistungsfähig“ betrachtet werden kann und nicht wirklich zu ersetzen ist. Klarerweise ist in komplexen Zusammenhängen die Wahrheit mit Qualitäten im Sinne einer Fuzzy Logic zu sehen. Aber das Streben nach Wahrheit im Sinne einer Fehlerminimierung in den Aussagen wird wohl nicht ersetzbar sein, vor allem wozu? Und das Gegenteil von Fake News wären für mich Unfake News, was noch nicht unbedingt etwas mit Wahrheit zu tun haben muss, aber mit dem Fernsein der Lüge. PS: Philosophische Betrachtungen in der FURCHE halte ich für spannend und freue mich auf weitere Denkanstöße in Ihrem Blatt. DI Gerhard Hartl, 5061 Elsbethen Der Bote wird geprügelt Zum „Blutgeld“-Sager von Martin Selmayr. Vgl. dazu auch „Im Krieg lernt die EU, mit einer Stimme zu sprechen“ von Wolfgang Machreich, Nr. 35, Seite 4 Martin Selmayr, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, hat deutlich darauf hingewiesen, dass Österreich durch seine Gasimporte aus Russland den Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine mitfinanziert. Dafür gebührt ihm Dank und Anerkennung! Anstatt umgehend die Gasimporte aus Russland zu beenden, spricht die Bundesregierung aber von „unseriösen und kontraproduktiven“ Aussagen und zitiert ihn ins Außenministerium. Leider hat dieses Verhalten bei uns schon Tradition: Nicht der Missstand wird bekämpft, sondern jeder, der darauf hinweist. Im Ausland bleibt die Unterstützung Putins durch Österreich nicht verborgen: Anfang Juli hat der britische Economist Österreich im Ranking der „nützlichen Idioten Putins“ bekanntlich (hinter Ungarn) auf den zweiten Platz gereiht. Ein solcher Ruf schadet unserem Ansehen und wird uns auch wirtschaftliche Nachteile bringen. Franz Pauer, 6020 Innsbruck a, s, d, f – oder andersrum? Zehnfingermärchen. „mozaik“ von Manuela Tomic. Nr. 36, Seite 22 Könnte es sein, dass der Illustrator die Reihenfolge der Zeichenfolgen an den Schreibtasten für die Finger der linken Hand durcheinandergebracht hat? Nach meinem einstigen Schreibmaschinenkurs hat sich mir die Buchstabenfolge „a, s, d, f“ eingeprägt. Ansonsten müsste ich auf meine alten Tage noch umlernen! Dr. Josef Draxler, via Mail Beim neuen Los „Lucky Diamonds“ geht es um bis zu 100.000 Euro. Rubbellos in der Welt der Edelsteine „Diamonds Are a Girl’s Best Friend” sang schon Marilyn Monroe Anfang der 1950er Jahre, und daran wird sich wohl bis heute nicht viel geändert haben. Vermutlich sind aber auch Männer dem Funkeln und Glitzern nicht abgeneigt, vor allem, wenn es sich um „Lucky Diamonds“ von Rubbellos handelt. Das neue Rubbellos der Österreichischen Lotterien glänzt mit funkelnden Gewinnen von bis zu 100.000 Euro. „Lucky Diamonds“ wartet aber noch mit zahlreichen weiteren Gewinnen von 3 Euro bis 1.000 Euro auf, und man kann dank zweier Bonus-Spiele bis zu dreimal pro Los gewinnen. „Lucky Diamonds“ ist zum Preis von 5 Euro in allen Annahmestellen der Österreichischen Lotterien erhältlich. Die Serie besteht aus einer Million Lose, die Ausschüttungsquote beträgt 58 Prozent. Die Chance auf einen Gewinn liegt bei 1:3,05. Das neue Rubbellos „Lucky Diamonds“ Foto: © Österreichische Lotterien DIE FURCHE EMPFIEHLT IN KÜRZE 60 Jahre KHG-Heim „PJ 29“ Das Studentenhaus Peter-Jordan-Straße der Kath. Hochschulgemeinde Wien feiert seinen 60er. Neben einem Gottesdienst mit Studentenseelsorger Helmut Schüller spricht dabei Werner Zollitsch von der BOKU über „Nachhaltigkeit im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichem Reformbedarf und individueller Verhaltensänderung“. 60 Jahre Studentenhaus 1190 Wien, Peter-Jordan-Str. 19 • Sa 22.9., ab 14 Uhr • Infos: www.freunde-khg-wien RELIGION ■ Missbrauch in der Schweiz Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hat nun auch die Schweiz erreicht. Mindestens 921 Personen sind seit Mitte des 20. Jahrhunderts im Umfeld der katholischen Kirche in der Schweiz Betroffene sexuellen Missbrauchs gewesen. Eine soeben vorgestellte Pilotstudie des Historischen Seminars der Universität Zürich geht jedoch davon aus, dass dies nur „die Spitze des Eisbergs“ ist. Unabhängig davon leitet der Churer Bischof Joseph Bonnemain, von Rom beauftragt, eine Untersuchung, die sich mit Missbrauchs- und Vertuschungsvorwürfen gegen amtierende und emeritierte Bischöfe sowie Kleriker in der Schweiz beschäftigt. RELIGION ■ Judenretter seliggesprochen Ein Kurienkardinal leitete im Auftrag des Papstes die Seligsprechung für die polnische Familie Ulma, die während des Zweiten Weltkriegs Juden vor den deutschen Besatzern versteckt hatte. Der Gottesdienst fand in deren Heimatgemeinde Markowa statt. Die katholischen Eheleute Józef und Wiktoria Ulma mit sechs Kindern nahmen damals zwei jüdische Familien auf, wurden dann aber verraten und 1944 von den Nazis ermordet. Dabei wurde am Sonntag auch ein ungeborenes – und damit ungetauftes – Kind der Ulmas seliggesprochen. Wiktoria Ulma war bei ihrer Ermordung im siebenten Monat schwanger. BILDUNG ■ Vorreiter in Berufsausbildung Die neue OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ zeigt: Hierzulande wird zwar etwas weniger für das Bildungssystem ausgegeben, der investierte Betrag pro Schüler liegt allerdings deutlich über dem Durchschnitt. 54 Prozent der 25- bis 35-Jährigen haben zudem einen berufsbildenden Abschluss. Österreich gilt damit als Vorreiter, denn der OECD-Schnitt liegt nur bei 35 Prozent. Allgemein gilt weiterhin: je höher der Bildungsabschluss, desto höher die Erwerbsquote. Eine Ausnahme bilden aber Bachelorabsolventen, die mit 83 Prozent etwas seltener berufstätig sind als Personen, die eine BHS abgeschlossen haben (86 Prozent).
DIE FURCHE · 37 14. September 2023 Geschichte 17 Kaiser Nero gilt als Despot, Menschenschinder, Muttermörder, Brandstifter, psychopathischer Tyrann. Alexander Bätz spürt in seiner Biografie einem vielschichtigen Charakter im Netz familiärer und politischer Ränkespiele nach. Kaiser, Künstler, Ungeheuer Von Oliver vom Hove Seit knapp zwei Jahrtausenden gilt er als der Wüterich der Weltgeschichte. Ein hemmungsloser Despot und Menschenschinder sei Nero gewesen, an dessen Händen Unmengen von Blut klebten. Muttermörder, Brandstifter, ein psychopathischer Tyrann – das alles gehört von jeher zur Beschreibung seiner Person. Ist das auch alles wahr? Nicht alles, konstatiert der Althistoriker Wolfgang Bätz in seiner jüngsten Nero-Biografie. Die Nachwelt habe, großteils aus selbstbezogenen Gründen, nahezu ausnahmslos kein gutes Haar an der überlieferten Gestalt des letzten Kaisers der julisch-claudischen Dynastie gelassen. Nacheinander haben sich vor allem die Geschichtsschreiber Tacitus, Sueton und Cassius Dio überboten in der möglichst krassen Zeichnung des abscheulichen Prinzeps, dessen Herrschaft von 54 bis 68 nach Christus dauerte. Auch Plinius d. Ä. fügte das Seine hinzu. Einzig Josephus Flavius, Neros Zeitgenosse, suchte der Nachwelt ein eher gemäßigtes Bild des Kaisers zu hinterlassen. Reigen aus Intrigen Geht es demnach um die schlagkräftigste posthume Verleumdung eines weithin unbeliebten Kaisers? Bätz stellt klar: „Es gibt keinen Grund zu der Annahme, Neros Darstellung in der antiken Historiografie sei ausschließlich Erfindung. Viele der Nero nachgesagten Verbrechen und Verhaltensweisen sind evident.“ „Was hat es Schlimmeres gegeben als Nero, was gibt es Besseres als die Bäder Neros?“, fragte denn auch der Dichter Martial, nur zwanzig Jahre nach Neros Tod, in einem Epigramm. Immerhin hatte der Kaiser, um die bei den Römern beliebte Bäderkultur zu fördern, auf dem Marsfeld eine weitläufige Thermenanlage – einen antiken „Wellness“-Tempel – errichten lassen. Blutbande waren die entscheidende Trumpfkarte im dynastischen Nachfolgespiel der Kaiserzeit. Nur dass es kein Spiel, sondern ein gnadenloser Machtkampf war: Im imperialen Familienclan nach Augustus ging es mörderischer zu als in den blutrünstigen antiken Dramen der Orestie. Hauptakteurin zugunsten ihres Sohnes Nero war Julia Agrippina. Sie war die Tochter des ruhmreichen Feldherrn Germanicus, Schwester und Bettgespielin von Kaiser Caligula, Gattin und Regentin des altersschwachen Kaisers Claudius und schließlich sogar Mutter und (angebliche) Bettgenossin des neuen Kaisers. Für seine Inthronisation hatte sie alle Mittel, einschließlich ihres eigenen Körpers, eingesetzt. Den 14-jährigen princeps iuventutis konnte das römische Volk bereits ab dem Jahr 51 auf einer Denare-Münze bestaunen – auf der Rückseite. Denn auf dem Avers zeigte sich Agrippina selbst, als Fruchtbarkeitsgöttin Ceres. Drei Jahre später starb Kaiser Claudius beim Pilzmahl, allem Anschein nach vergiftet durch Agrippina. Der Weg zur Thronbesteigung ihres Sohnes war frei. Für Tacitus mit seinen repu blikanisch-senatorischen Neigungen war der Einfluss Agrippinas auf das Patriziat Roms ein Gräuel. Dementsprechend schildert er sie mit allen grellen Farben als Ausbund von Heimtücke und Hinterlist. Aber sie hatte einen brillanten Erzieher für ihren Sohn engagiert, der dem unsteten Charakter des Eleven, solange es möglich war, Stabilität abzuringen suchte. Der stoische Philosoph Seneca wurde für diese Aufgabe eigens aus der korsischen Verbannung zurückbeordert und stand später, zusammen mit dem Prätorianerpräfekten Sextus Afranius Burrus, dem jungen Kaiser als Regierungsberater maßgeblich zur Seite. Anfangs ließ sich die Regentschaft von Nero Caesar durchaus vielversprechend an. Brot und Spiele wollte das Volk – der Kaiser ließ Vorsorge treffen, dass die Getreidelieferungen für die monatliche kostenlose Zuteilung an rund 200.000 bedürftige Römer reibungslos vonstatten ging. Um die Bürger Roms vollends für sich einzunehmen, ließ er ein durch seine Größe wie auch seine Holzarchitektur beachtliches Amphitheater errichten. Damit wurde der Spektakelsucht der plebs urbana mit Gladiatorenkämpfen, Tierhetzen und Wagenrennen eine entsprechende Arena geboten. Nero selbst war ein begeisterter und fachkundiger Anhänger der Wagenrennen. Dass er freilich als nimmersatter Lenker oft selbst in die Quadriga stieg, wurde ihm als Verletzung von Pflicht und Kaiserwürde angekreidet. Noch unangemessener erschien der aristokratischen Oberschicht Neros Leidenschaft, sich bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten als Bühnenkünstler zu präsentieren. Der Kaiser war dem Mimus verfallen. Als Sänger mit der Kithara ließ er sich von Claqueuren, sogenannten Augustiani, ausgiebig bejubeln. Er fühlte sich mit Leib und Seele als Schauspieler, der wie üblich mit goldener Maske und auf hohen Kothurnen auftrat. Sein tägliches Stimmtraining nahm viel Zeit in Anspruch. Im Senat machten sich, zunächst noch verhohlen, Spott und Unmut breit. Nach fünf Jahren Herrschaft entblößte sich nach und nach Neros tyrannischer Charakter. Zuvor schon hatte er sich seines Stiefbruders und Thronrivalen Britannicus durch Mord entledigt. Nun wurde seine Mutter zu mächtig. Das Komplott, das er zu ihrer Ermordung schmiedete, war verbrecherisch abgefeimt: Bei einem inszenierten Schiffbruch sollte Agrippina den Tod im Meer finden. Doch sie konnte sich retten und musste letztlich durch den gedungenen Henker Anicetus in ihrer Villa erdolcht werden. Foto: iStock/bauhaus1000 Nero Er lebte von 37 bis 68 und war ab 54 Kaiser des Römischen Reichs. Seit Jahrhunderten arbeitet sich die Geschichtsschreibung besonders an seiner tyrannischen Herrschaft ab. „ Anfangs ließ sich die Regentschaft von Nero Caesar durchaus vielversprechend an. Brot und Spiele wollte das Volk. “ Nach dem Muttermord wurde, auch unter Mithilfe Senecas, das Gerücht verbreitet, Nero hätte durch die Tat einen Anschlag Agrippinas auf ihn vereitelt. Dass das Volk daraufhin sein Überleben feierte, kommentierte Tacitus sarkastisch: Ein Volk von Sklaven habe seinen Herrscher bejubelt. Leichen markierten weiter den Weg des despotischen Kaisers. Octavia, seine erste Frau, musste sterben, um für eine neue Favoritin, Poppaea Sabina, Platz zu schaffen. Auch sie fand durch Neros Brutalität den Tod: Er hatte der Schwangeren so heftig in den Leib getreten, dass sie starb. Umstritten ist Neros Rolle bei der Brandschatzung Roms im Juli 64. Neun Tage lang wütete das Feuer, das Nero wohl nicht gelegt haben konnte: Er weilte beim Ausbruch in seiner Villa in Antium im Süden Roms. Andererseits gewann er durch den Brand neuen Raum für seine gigantische Palastanlage Domus Aurea, die er mit Mitteln der Bürger errichten ließ. Die Schuld an dem Brand lenkte er auf die marginale Minderheit der Christen (Chrestiani), für die bestialische Strafen vorgesehen waren: Menschen wurden in Tierhäute eingenäht und von Hunden zerfleischt, andere wurden ans Kreuz geschlagen und als menschliche Fackeln angezündet. Spätestens jetzt griff Unbehagen um sich. Ein Kreis von Verschwörern um Gaius Calpurnius Piso plante 65 den Umsturz, wurde indes verraten und auf Befehl Neros hingerichtet oder zum Selbstmord gezwungen. Darunter war auch Seneca. Zuletzt gab es innerhalb der römischen Machtelite nur noch Furcht und Zittern. Last Exit Ausschweifung, Genusssucht und Größenwahn zerrütteten die Staatsfinanzen. Im Frühjahr 68 kam es erneut zum Aufstand. Er begann in der gallischen Provinz, schwoll militärisch rasch an und setzte sich schließlich im Senat fort, der am 9. Juni Nero zum Staatsfeind erklärte. Der floh noch in derselben Nacht vor den Armeen des Gegenkaisers Galba in die Villa eines Vertrauten, wo er sich mit dessen Hilfe selbst entleibte. Ist Nero durch die moderne Historiografie rehabilitiert? Nur sehr mit Maßen. „Ein Tyrann der übelsten Sorte“ bleibt er für Alexander Bätz. Sein Buch vermittelt viel Alltagswissen, das Gesamturteil deckt sich mit dem üblichen und überlieferten letztlich doch sehr. Noch im Tod hatte der extrovertierte Mime geklagt: „Welch ein Künstler geht mit mir zugrunde!“ Die politische Bilanz ist verheerend: Dem Imperium Romanum hatte er in den vierzehn Jahren seiner Herrschaft weder als Heerführer noch als achtbarer Staatsmann gedient. Nero Wahnsinn und Wirklichkeit Von Alexander Bätz Rowohlt 2023 576 S., geb., € 35,‒
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE