DIE FURCHE · 37 14 Diskurs 14. September 2023 ERKLÄR MIR DEINE WELT Ich habe Angst vor trostloser Verödung Den gesamten Briefwechsel zwischen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Hubert Gaisbauer ist Publizist. Er leitete die Abteilungen Gesellschaft- Jugend-Familie sowie Religion im ORF-Radio. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast Ihre Freude am Herbst als Neubeginn gefällt mir. Und Ihre Briefe lenken mein Nachdenken oft in eine ungewohnte Richtung. Das ist gut so. Ob ich einmal „neu begonnen“ habe, fragen Sie mich diesmal. Nein, nicht im Beruflichen, da hatte ich das Glück, die einmal eingeschlagene Laufbahn nie wechseln zu müssen. Und sonst? Ja, da gab es die frühe Entscheidung, eine Familie zu gründen. Das war Neubeginn, für den meine Frau und ich – in unseren sehr jungen Jahren – überhaupt nicht vorbereitet waren. Ein sicht-, spür- und hörbarer Neubeginn war das, als unser erstes Kind geboren worden ist. An einem schönen Septembertag war es, da haben wir begonnen, erstmals für ein kostbares und einmaliges neues Leben Verantwortung zu übernehmen. Ansonsten werde ich auf die übliche Rede verzichten, wir Menschen hätten ja jeden Tag die Chance, neu zu beginnen. Mir genügt jetzt, wenn mir an einem wolkenfreien Morgen durch das Fenster meiner Dachstube der Sonnenaufgang recht aufmunternd ins Gemüt leuchtet. „ Mein erster Schultag war im November des Jahres 1945. Das Schulgebäude war von russischen Besatzungssoldaten zweckentfremdet ,benützt‘. “ Die Amerikaner sind nicht lange geblieben Wie mein erster Schultag war, wollen Sie wissen. Er war im November des Jahres 1945. Das Schulgebäude war von russischen Besatzungssoldaten zweckentfremdet „benützt“ – und unser Klassenzimmer war in der Wirtsstube mit dem stark riechenden, dunkel geölten Bretterfußboden. Vier Klassen in einem Raum. Eins möchte ich Ihnen noch erzählen aus dieser Zeit. Wie überall gab es schlimme Vorkommnisse, auch in unserem Ort. Aber wir Kinder waren mit den Russen gut Freund – oder, anders gesagt, sie mit uns, übrigens sehr zum Missfallen der Eltern. Die haben es gar nicht gern gesehen, wenn ich zu Mittag lieber bei der russischen Feldküche gestanden bin und „mit den Russen“ pickiges Brot (chleb) und eine undefinierbare Gemüsesuppe aus einem Blechnapf gegessen habe. Zuvor waren ja die Amerikaner da, aber die sind nicht lange geblieben, nachdem sie den Leuten am Straßenrand von ihren Jeeps aus Schokolade und Kaugummi zugeworfen hatten. Dann die Russen. Die sind geblieben – und am Abend haben sie wehmütige Lieder aus ihrer Heimat gesungen. Na gut, Erinnern ist schön, aber nicht alles. Liebe Frau Hirzberger, ich lese aus Ihrem jüngsten Brief, dass Sie – neben dem Unmut über den Mitgliedsbeitrag an den „Verein […] toxischer Männer“ – eine heimliche Sehnsucht verspüren, nach Religion, ja sogar nach „Glauben“. Die beiden Begriffe meinen für mich übrigens nicht dasselbe, sie überschneiden sich vielleicht manchmal. Ich bin jetzt einmal Optimist und hoffe, dass dieser „Verein“, genannt Kirche, noch länger seinen Beitrag leistet, damit ein wesentlicher Teil dessen weiterlebt, woran wir uns erfreuen können. Ich nenne nur Kunst und Feierkultur. Also Dinge und Erlebnisse, die uns so heftig anreden, dass wir Glück empfinden. Die unsere Seele Feuer fangen lassen. Ich werde nachdenklich, wenn ich höre, dass Kinder in der Schule kaum mehr Gedichte und von ihren Eltern keine Gebete mehr lernen. Ich habe Angst, dass ein Winter trostloser Verödung von „Herzland“ (Paul Celan) droht, wenn Kinder – und dann auch Erwachsene – weder bei Gebeten noch bei Gedichten Zuflucht nehmen können. Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Herbst! Christian Schacherreiter Es muss nicht immer Hesse sein, wenn etwas Neues In FURCHE Nr. 36 beginnt. Wie wäre es mit einer Relecture Adalbert 3800 5. September 2019 Stifters? Warum er Wesentliches zu sagen hatte. Nach den Kindern im Osten drücken nun auch jene im Westen Österreichs wieder die Schulbank. Welch zentrale Rolle bei ihrem Lernerfolg die Lehrkräfte spielen, hat Adalbert Stifter aus eigener Anschauung gewusst. Der ehemalige Gymnasialdirektor Christian Schacherreiter hat dessen Erkenntnisse 2019 für DIE FURCHE kompiliert. Mit Stifter ins neue Schuljahr AUSGABEN DIGITALISIERT Hermann Hesse ist in dieser Woche wahrscheinlich der meistzitierte Dichter. Denn ohne den Zauberer aller Anfänge geht es auch zu Schulbeginn nicht. „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Dieser Vers aus Hesses Gedicht „Stufen“ geistert im frühen September durch Begrüßungsreden und Zeitungskommentare, und falsch ist er ja auch nicht. Hören kann man ihn halt nicht mehr, weil er leider immer passt, wenn irgendwo irgendwas anfängt: Schule, Ehe, Geburt, Firmengründung, zweite Ehe, Pension – jedem Anfang wohnt halt auch ein Zauber inne. Ja, eh. Als Alternative zu Hermann Hesse biete ich Adalbert Stifter an. Dieser Mann wird zu Unrecht hoffnungsloser Verschrobenheit verdächtigt. Er hat nicht nur einige gute Erzählungen geschrieben, die für Pädagogen auch heute noch lesenswert sind, er war in seinen Wiener Jahren ein gesuchter Hauslehrer – unter anderem unterrichtete er den Sohn des Fürsten Metternich in Mathematik und Physik – und ab 1850 war er als k.k. Schulrat zuständig für die oberösterreichischen Volksschulen. Im Unterschied zu manchem „Bildungsexperten“ der Gegenwart kannte Stifter die Welt, über die er schrieb. [...] Klage über unfähige Lehrer Auf seinen Inspektionsreisen durch Ober österreich sah der k.k. Schulrat Adal bert Stifter die vielen Mängel des öffentlichen Schulwesens und regte zu umfassenden Reformen an. Manche Schulen waren baulich in katastrophalem Zustand. Die Volksschullehrer waren schlecht besoldet und noch schlechter Foto: APA / Heinz Peter Ziegler ausgebildet. „Leider sind im Lehrstande auch Individuen der mittelmäßigsten Art, die auf einen engen Standpunkt befangen, in ihm einen blinden Mechanismus huldigend, umso anmaßender sind, als ihnen die menschlichen Faktoren unbekannt sind, die sie bedürfen. Meist ist ihnen gutes Aufsagen die größte Tugend des Schülers, und das Innehaben eines Lehrbuches ihre größte Kenntnis. Manche sind auf Befehl durch eine konkurs artige Prüfung Professoren geworden, und tun die Arbeit ungern. Daher wird sie mechanisch, daher sind sie jeder Neuerung abhold, die ihr bisheriges Tun ändert.“ Stifters Amtsschriften kann man entnehmen, dass er immer wieder die mangelnde Fähigkeit der Lehrer beklagte, ihren Unterricht auf die Perspektive der Kinder einzustellen. [...] Die Lehrerpersönlichkeit, so Stifter, sei der Schlüssel zum gelungenen Unterricht. Um zu lehren und zu erziehen, müsse man nicht nur etwas wissen, sondern auch etwas sein. Die berühmte Hattie-Studie aus dem Jahr 2009 kam 150 Jahre nach Stifter zu einem ähnlichen Ergebnis. Nicht das „System“, nicht die Klassenschülerzahl, auch nicht die Infrastruktur sind entscheidend, entscheidend ist der Mensch. [...] VON 1945 BIS HEUTE ÜBER 175.000 ARTIKEL SEMANTISCH VERLINKT DEN VOLLSTÄNDIGEN TEXT LESEN SIE AUF furche.at Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. 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DIE FURCHE · 37 14. September 2023 Diskurs 15 Wegen seiner symbolischen Bedeutung für die NS-Expansionspolitik ist das Betreten des Balkons der Wiener Hofburg verboten. Es wäre aber wichtig, diesen belasteten Ort zu demokratisieren. QUINT- ESSENZ „Terrasse der Demokratie“ statt „Hitler-Balkon“ Der Hitler-Balkon der Wiener Hofburg ist erneut in die Diskussion geraten. Ein Werbefilm der FPÖ-Jugend lässt drei junge Männer hoffnungsvoll auf den symbolpolitisch aufgeladenen Ort blicken, von dem aus Adolf Hitler am 15. März 1938 vor 250.000 jubelnden Menschen den „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich verkündet hat. Das ist, gerade mit Blick auf die Opfer des Nationalsozialismus, infam. Noch infamer ist, dass führende FPÖ-Politiker die Szene völlig normal finden. Der Balkon auf der Hofburg, der eigentlich „Altan der Neuen Burg“ heißt, ist eine Leerstelle. Er darf – von seltenen Ausnahmen abgesehen – von niemandem betreten werden. Neben baulichen und Sicherheitsbedenken gibt es die Sorge vor ideologischem Missbrauch des Balkons. Was wäre, wenn von hier aus ein neuer Führerkult seinen Ausgang nähme – noch dazu von einem Ort, von dem aus man fast alle für den Rechtsstaat Österreich wichtigen demokratischen Institutionen überblicken kann? Immer wieder einmal sollen sich vor der historischen Kulisse Passanten auf dem Heldenplatz mit einem Hitlergruß fotografieren lassen. Foto: Privat DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Jan-Heiner Tück „ Auch die Beflaggung der Hofburg mit Europafahnen könnte die nationalistische Vereinnahmung ikonisch abwehren. “ mentar: „Dass ich heute hier auf dem Balkon der Neuen Burg stehe, ist zum einen meine Rache an Hitler. Zum anderen will ich gerade hier an diesem Ort darauf hinweisen, dass Demokratie zerbrechlich ist. Österreich braucht keinen starken Mann, es braucht die Stärkung des Vertrauens in die Demokratie.“ Eine deutliche Absage an einen starken Mann hat im Oktober 1938 Theodor Kardinal Innitzer vorgenommen. Beim Rosenkranzfest im Stephansdom hat er 7000 Jugendlichen von der Kanzel aus zugerufen: „Christus ist unser Führer!“ Diese Kritik am nationalsozialistischen Führerkult war zugleich eine Erinnerung an den Unterschied zwischen Religion und Politik. Eine Politik, die ersatzreligiöse Züge annimmt und ins Totalitäre ausgreift, beitreibt Idolatrie. In der Formel „Heil Hitler“ und in den para-liturgischen Massenveranstaltungen des NS-Regime hat sie ihren Ausdruck gefunden. Die katholische Kirche und Kardinal Innitzer selbst waren freilich anfänglich ziemlich empfänglich für das großdeutsche Projekt. Sie haben gelernt. Wie steht es heute um die katholische Kirche und ihre Haltung zur Demokratie? Kann sie schweigen, wenn unter der Hand eine rechte politische Okkupation des Hitler-Balkons Erika Freemans „Rache an Hitler“ Dass der Balkon bislang mit einem Betretungsverbot belegt ist, hat ihn mit einer negativen Aura belegt, die das Gedenken an die NS-Expansionspolitik fördern soll. „Nie wieder!“, lautet der geschichtspädagogische Imperativ, der freilich zunehmend weniger Beachtung zu finden scheint. Eine Statistik vom Oktober 2022 zeigt, dass der „Wunsch nach einem starken Führer, der sich um Parlament und Wahlen nicht kümmern muss“, bei fast einem Drittel der österreichischen Bevölkerung vorhanden ist. Das ist ein alarmierendes Zeichen von Demokratiemüdigkeit. Da verwundert es nicht, wenn der seit 1945 tabuisierte Balkon von rechts neu vereinnahmt werden soll. Zuletzt gab es eine bemerkenswerte Ausnahme. Die 95-jährige Holocaust-Überlebende und Psychoanalytikerin Erika Freemann konnte auf eigenen Wunsch hin den Altan der Neuen Burg betreten, als sie dem Museum „Haus der Geschichte Österreich“ im November 2022 persönliche Erinnerungsstücke überließ. Ihr Koman der Hofburg angezielt wird? Nein! Wenn sie in der Liturgie vor Christus, dem Herrn, die Knie beugt, muss sie totalitären Bestrebungen oder gar starken Führern ins Angesicht widerstehen. Wenn in der Mitte ihrer Memoria der Gekreuzigte steht, hat sie Anwältin der Schwachen und Entrechteten zu sein. Eine Rhetorik des Hasses und der Xenophobie kann sie nicht gutheißen und muss dafür eintreten, dass in der Migrationspolitik, um die je neu mit Augenmaß zu ringen ist, humane Standards eingehalten werden. Das Betretungsverbot aufheben! Daher steht es der Kirche im Streit um den Hitler-Balkon gut an, eine zivilgesellschaftliche Initiative von Monika Sommer, der Direktorin des Hauses der Geschichte Österreich, zu unterstützen. Diese fordert, das Betretungsverbot der etwa 200 Quadratmeter großen Terrasse aufzuheben und den symbolpolitisch belasteten Ort zu demokratisieren. Alle Besucherinnen und Besuchern des Museums Haus der Geschichte sollen freien Zutritt erhalten. Die Initiative findet, wie einer digitalen Abstimmung unter den Museumsbesuchern zu entnehmen ist, mehrheitlich Zuspruch. Die Öffnung für alle wäre ein gutes Signal, dem Ort seinen negativen Nimbus zu nehmen und eine offene Wunde der Zeitgeschichte zu heilen. Beginnen müsste man freilich schon mit der Sprache: Aus dem sogenannten Hitler-Balkon müsste im Volksmund die „Terrasse der Demokratie“ oder, wie Monika Sommer im Gespräch mit der Presse vorgeschlagen hat, das „Plateau der Menschenrechte“ werden. Überdies könnte die Beflaggung der Hofburg mit Europafahnen eine nationalistische Vereinnahmung ikonisch abwehren. Die Sensibilität müsste freilich von unten kommen. Die ganze Gesellschaft – die ungläubigen Söhne und Töchter der Moderne, praktizierende Christen, gläubige Juden und fromme Muslime – ist gefragt, der wachsenden Sehnsucht nach dem „starken Führer“ in Österreich gegenzusteuern und offen Widerstand gegen das wieder aufkeimende rechte Denken zu leisten. Der Autor ist Professor für Dogmatik an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Wien. Von Brigitte Quint Die befreiende Magie Nehmen Sie den Sommer mit in den Herbst“ – diese Zeile las ich letztens auf irgendeinem Zeitschriftencover. Beim Vorbeigehen. Daher weiß ich bis heute nicht, wie das gelingen soll. Leider. Ich mag es, wenn ich nur in meine Sandalen schlüpfen muss; ohne Jacke das Haus verlassen kann. Ich fühle mich dann so frei, regelrecht befreit. Wenn sich das Leben draußen abspielt, der Alltagsstress runtergefahren wird, weil es allen für alles zu heiß ist – herrlich ist das. So viele Sommer hat der Mensch schließlich nicht. Also ist jeder einzelne Sommer magisch. Ist diese Magie in einer kälteren, graueren Version ebenso bezaubernd? Das erinnert mich an das Ginger beer-, Zimtzahnpasta- bzw. Räucherstäbchendilemma. In einem Südengland-Urlaub habe ich im Pub ständig ginger beer getrunken und bei der Abreise zig Flaschen nach Wien geschleppt. Hier fand ich es widerlich. Ähnlich erging es mir mit der Zimtzahnpasta aus den USA. Und den Räucherstäbchen aus Sri Lanka. Wer sich kleidet wie ein Jugendlicher, kann deshalb auch nicht seine Jugend bewahren. Es ist dann eben jugendliche Kleidung an einer in die Jahre gekommenen Person. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich kaufe meine Hosen oder Röcke bis heute gerne in Teenie-Shops. Würde ich die aktuelle Teenie-Mode durchziehen, müsste ich dazu ein bauchfreies Oberteil tragen. Weil das ganz offensichtlich unangebracht ist, muss ich mir eine andere Kombi einfallen lassen. Der Sommer lässt sich also bestenfalls nur halb in den Herbst hi nü ber retten – und verwandelt sich dann sowieso. Es wäre also besser gewesen, ich hätte mein letztes ginger beer getrunken, gezahlt und einen Schlussstrich gezogen. Schließlich bin ich von Südengland nicht direkt in ein Arbeitslager nach Nordkorea geflogen. Ich kehrte in ein Leben zurück, in dem die Rolle des ginger beer samt Konsorten längst besetzt ist. Apropos Bier. Eine Maß Oktoberfestbier ist gesetzt. Eine Freundin von mir hat zum Anstich einen Tisch im Armbrustschützenzelt ergattert. Und ich werde sowas von dabei sein. Die Münchner Wiesn ist nämlich magisch. Zumindest für eine waschechte Bayerin. Wurscht, wie sehr es hineinherbstelt ins Zelt. Ein sehr befreiender Gedanke. NACHRUF Herrscher über die Zulus, Schaukelpolitiker in der Apartheid Er galt zu Zeiten der Apartheid als Antipode zu Nelson Mandela, der für seine Überzeugungen jahrzehntelang im Gefängnis saß. Anders als der spätere, dem Volk der Xhosa angehörige Präsident war Mangosuthu Gatsha Buthelezi ein Zulu-Führer, dessen Machtbasis die von ihm 1975 gegründeten Inkatha Freedom Party (IFP) war. Im Gegensatz zum African National Congress (ANC) von Mandela und Co, denen er Kommunismus vorwarf, trat Buthelezi in den letzten Jahrzehnten der Apartheid als Anhänger einer wirtschaftsliberalen konservativen Ideologie auf und arrangierte sich mit den Machthabern des Apartheidregimes. Als dieses mit der Politik der Homelands – Schwarzen zugewiesenen Wohngebieten – versuchte, den immer stärker werdenden Emanzipationsbestrebungen der schwarzen Bevölkerungsmehrheit Südafrikas Herr zu werden, war Buthelezi ein willkommener Kooperationspartner – im Übrigen gleichermaßen für konservative Politiker im Westen (auch in Österreich gab es in der ÖVP gute Kontakte zu ihm). In dem künstlichen Konglomerat KwaZulu, das sich aus 40 (!) unzusammenhängenden Teilterritorien zusammensetzte, die das Regime den Zulus als Siedlungsgebiet zuwies, war Buthelezi seit 1976 Chief Minister. Nach innen herrschte er autoritär und mit eiserner Hand, nach außen praktizierte er dem Apartheidregime gegenüber eine Schaukelpolitik: So akzeptierte er das Gebilde KwaZulu, während er gleichzeitig dessen Schein-„Unabhängigkeit“, in das die Regierung in Pretoria andere Homelands wie die Transkei „entließ“, ablehnte. Um das Jahr 1989 kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der IFP und dem ANC, die tausende Todesopfer forderten. Erst als es Nelson Mandela gelang, Buthelezi 1994 in sein Kabinett der nationalen Versöhnung als Innenminister einzubinden, konnten die gewalttätigen Rivalitäten eingedämmt werden. Bei den ersten freien Wahlen 1994 erreichte die IFP 10,5 Prozent der Stimmen, in der Heimatregion KwaZulu-Natal eine absolute Mehrheit. Seitdem nahm der politische Einfluss Buthelezis, der bis 2004 Minister blieb, stetig ab: 2014 konnte er bei landesweiten Wahlen nur mehr 2,4 Prozent der Stimmen erreichen und auch in KwaZulu-Natal nur 10,5 Prozent. 2019 legte er den Vorsitz der IFP zurück. Mangosuthu Gatsha Buthelezi war ein Nachkomme der letzten unabhängigen Zulu-Könige. Er starb am 9. September im 96. Lebensjahr. (Otto Friedrich) Foto: APA / AFP / Rajesh Jantilal Mangosuthu Buthelezi, geboren am 27. August 1928 in Mahlabatini, heute in KwaZulu-Natal; gestorben am 9. September 2023.
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