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DIE FURCHE 14.08.2024

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DIE FURCHE · 33 20 14. August 2024 Illustration: Rainer Messerklinger Ein Stück Wiener Geschichte Savo Ristić möchte Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern ein Denkmal setzen. Von Manuela Tomic Nachbar in Not MOZAIK In unserem Südkärntner Wohnhaus lebt A., ein blasser Glatzkopf, vor dem ich mich als Kind fürchtete. Wenn ich mit Großmutter Fangen spielte, polterte er wie ein Zornesgott mit seinem Besenstiel unter unseren Füßen. Dann bellte seine Stimme aus unserer Gegensprechanlage: „Gehts z’ruck, wo ihr her’kumman seids!“ Jeden Morgen sahen wir A. und seine kleine runde B. beim Spaziergang. Sie muckste nicht, indessen er mit Stock in der Luft gestikulierte und politisierte. Als ich einmal in den Semesterferien nach Hause kam, überfiel mich A. schon im Hof: „Woll’n Sie nit Ihr Land daham aufbauen?“, fragte er mich Studentin, die sich damals jede Nacht knutschend in Wiener Clubs herumtrieb. Als seine geliebte B. vor zwei Jahren starb, suchte A. neue Freunde. Mein frisch pensionierter Papa plappert nun mit ihm im Stiegenhaus. Sie reden über Schrebergärten, die Gesundheit und die zugezogenen Nachbarn. Vor wenigen Tagen brütete ich in meiner Wiener Wohnung über einem haarigen Text, als es über mir zu rumpeln begann. Ich putzte die Brille, fletschte die Zähne und holte den Besen. Der Zornesgott war in mich gefahren. Ich bin das große A. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Die Kolumnen gibt es jetzt als Buch! Foto: Naz Küçüktekin Von Naz Küçüktekin Mit großen Augen und nachdenklicher Miene schaut Ristić die Statue vor sich an. Es handelt sich um den Markuslöwen, ein aus Kalkstein bestehendes, eine Tonne wiegendes Antlitz eines geflügelten Löwen. Schon seit 140 Jahren begrüßt er ankommende Fahrgäste in Wien. Heute am Hauptbahnhof, früher noch am Südbahnhof. „Ich kann mich erinnern, als der noch dort stand“, sagt Ristić. Erinnerungen in eine Statue gießen, das will er auch. Genauer gesagt möchte er ein Denkmal errichten. Für Menschen, an die man sich in Österreich bis heute nicht so gerne erinnert: Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter. Doch für Ristić ist das Erinnern und Gedenken ein Muss. Schließlich geht es auch um seine eigene Familiengeschichte. Ristić ist in einem kleinen Dorf im heutigen Kroatien aufgewachsen. 1978, als er auf die Welt kam, nannte man dieses Stück Land noch Jugoslawien. Seine Eltern waren einige Jahre zuvor Gastarbeiter in Österreich gewesen und kehrten dann wieder in ihre Heimat zurück. Seine eigene Geschichte mit Österreich sollte erst knapp zwei Jahrzehnte später beginnen. Job in der Pflege „ Meine Vorstellung ist, einen ganzen Bildungsraum zu schaffen, wo über die Geschichte von Gastarbeitern gesprochen und ihr Verdienst gewürdigt wird. “ 1998 zog er nach Wien, um zu studieren. Um sich das finanzieren zu können, übte er Aushilfsjobs aus, arbeitete viel auf dem Bau. „In dieser Zeit habe ich nachvollziehen können, wie sich Gastarbeiter gefühlt haben müssen, in harten Jobs für wenig Geld zu arbeiten“, sagt Ristić. Wie viele Gastarbeiter blieb aber auch er wider Erwarten kein Gast in Wien. Es sollte zu seiner Heimat werden. Ristić lernte schon bald seine Frau, eine Wienerin, kennen, die beiden bekamen einen Sohn. Das angefangene Bauingenieurstudium an der Technischen Universität Wien schloss er nie ab. Über Umwege kam er in den Pflegesektor, heute leitet er eine Senioren einrichtung in Wien. Ehrenamtlich beschäftigt sich Ristić hingegen mit Themen, die auch ihn selbst betreffen. „Um 2015 herum, vor allem ausgelöst durch die Flüchtlingswelle, war mir klar, dass ich mehr machen muss“, erklärt Ristić. Für ihn steht an erster Stelle immer eines: das Warum. Warum gibt es Diskriminierung und Rassismus? In Wien soll ein Denkmal für Gastarbeiter errichtet werden. Das Vorhaben wird seit Kurzem auch von Millionenerbin Marlene Engelhorn unterstützt. Savo Ristić ist Ideengeber des Ganzen. Gekommen, um zu bleiben Wa rum sprechen so viele von Integration, und was bedeutet sie eigentlich? In seinem ersten Buch, das 2023 im Selbstverlag erschienen ist, kommt er bereits im Titel zu einer Conclusio. „Integration existiert nicht“, lautet die Ansage des Erstlingswerks. Was Ristić damit meint? „Integration ist meist nur eine Ablenkung, welche die Gesellschaft spaltet“, so Ristić. Gemeinsame Werte erreiche man nicht durch „Integration“, sondern durch Reden, findet er. „Wer bestimmt denn schließlich, was Werte sind und wer sie hat oder nicht hat? Ich kenne genug autochthone Menschen, die frauenfeindlich sind. Von daher hat zum Beispiel Gleichberechtigung nichts mit Integration für mich zu tun“, betont Ristić. Um Gleichberechtigung dreht sich auch sein zweites, im Selbstverlag erschienenes Buch. In „Mira und die Magie des Selbstvertrauens“ (2024) erzählt Ristić 17 Kurzgeschichten. Diese sollen vor allem Mädchen Mut machen. „Ich werde immer wieder Zeuge, wie Frauen sich weniger zutrauen, als sie können. Das hat viel damit zu tun, welche Geschichten unsere Gesellschaft ihnen erzählt und was sie dadurch für möglich halten“, sagt der Autor. Wie Geschichten erzählt werden, darum geht es Ristić auch bei seinem aktuellen Projekt. Oder besser gesagt: welche nicht erzählt werden. Für Ristić sind das jene von vielen Gastarbeitern und Gastarbeiterinnen. Sie opferten viel, um in Österreich unter meist prekären Bedingungen zu arbeiten. Damit trugen sie erheblich zum Aufschwung und Wohlstand des Landes bei. Anerkennung dafür, wie viel sie eigentlich geleistet haben, bekommen sie laut Ristić aber bis heute nicht. Deshalb plant er, ein Denkmal für sie zu errichten. Schon seit Jahren hat er die Idee. Unterstützt wurde er bisher vor allem von der Volkshilfe Community Work, welche ihm bei der Realisierung und der Finanzierung hilft. Kürzlich kam aber auch der „Gute Rat für Rückverteilung“, ein Komitee aus Bürgern und Bürgerinnen, das von Marlene Engelhorn dazu berufen wurde, zu entscheiden, wie ihr 25-Millionen- Erbe sinnvoll umverteilt werden kann, zum Entschluss, dass es dieses Denkmal braucht. Es stellte dem Vorhaben eine Finanzierung von rund 50.000 Euro zur Verfügung. „Das alles braucht viel Zeit“ Das Denkmal soll auch von einem Aufarbeitungsprozess begleitet werden. „Es werden ebenfalls Forscher und Historiker eingebunden sein. Wir planen außerdem eine Ausstellung und eine Videodokumentation“, erklärt Ristić. Die Vision des Ideengebers geht weit über ein Denkmal allein hinaus. „Meine Vorstellung ist, einen ganzen Bildungsraum zu schaffen, wo über die Geschichte von Gastarbeitern gesprochen, ihr Verdienst gewürdigt sowie Österreichs Migrationsgeschichte aufgearbeitet wird“, so Ristić. Der Prozess sei deshalb eigentlich viel wichtiger als das Denkmal selbst. Derzeit stehe man aber noch am Anfang. „Das alles braucht natürlich viel Zeit“, betont Ristić. Ziel ist es, das Vorhaben bis 2026 zu realisieren. „Da feiert das Anwerbeabkommen zwischen Österreich und dem ehemaligen Jugo slawien sein Jubiläum. Es wurde 1966 unterzeichnet“, erklärt Ristić die Bedeutung des Datums. Das Denkmal soll in der Nähe des Wiener Hauptbahnhofs beheimatet sein. Wo genau, das werde derzeit noch überlegt, mehrere Standorte auf dem Areal kämen infrage. „Der Hauptbahnhof als Ganzes hat als ehemaliger Südbahnhof aber einfach eine große Bedeutung“, erklärt Ristić. Für viele Gastarbeiter sei es der Ort gewesen, wo alles angefangen habe. „Der Südbahnhof war der Ort, wo sie erstmals ankamen und sich später auch trafen und ihre Zeit verbrachten“, fügt er hinzu. Mit dem Denkmal sollen der Platz und seine einstige Bedeutung für viele Menschen, die immer mehr droht, in Vergessenheit zu geraten, wieder ins kollektive Bewusstsein rücken.

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