DIE FURCHE · 33 16 Ausstellung 14. August 2024 Von Theresa Steininger Humor und Horror, Anziehendes und Abstoßendes: Sie bestimmen das Œuvre der Künstlerin Eva Beresin. Wie sich Fantastisches mit Schrecklichem und Ironischem verbindet, zeigt die Albertina in der Ausstellung „Thick Air“ in rund 30 Arbeiten aus dem malerisch-grafischen Schaffen der ungarischen Künstlerin, die seit Jahrzehnten in Wien lebt. Grotesk wirken viele ihrer Figuren, einiges erscheint wie aus einer (Alb-)Traumwelt. Spukgestalten sind ebenso zu sehen wie groteske Personen und seltsam anmutende Fantasiewesen. Aber auch die (Selbst-)Ironie kommt nicht zu kurz. In farbensprühenden Großformaten zeigt Beresin alltägliche Banalitäten ebenso wie mittelalterlich anmutende Grausamkeiten, diese wirken nicht nur durch die expressiv aufgetragene Farbe wie aufgeladen. In der Ausstellung versammelt Kuratorin Angela Stief, die die Arbeitsweise „rauschhaft und fast manisch angetrieben“ nennt, viele aktuelle Werke aus den vergangenen vier Jahren – also aus einer Zeit nach der entscheidenden Zäsur in Beresins Werk. Eva Beresins Werke changieren zwischen Schönem und Abstoßendem. In der Ausstellung „Thick Air“ zeigt die Albertina eine Auswahl ihrer jüngsten Arbeiten. Mit Humor und Horror Neue Werkphase 2007 hatte die Künstlerin die Tagebücher ihrer Mutter von 1945 gefunden und darin gelesen, wie diese der Schoa entkam. Aber sie, die zwar Bruchstücke der Familienhistorie kannte, jedoch geschützt werden sollte, erfuhr darin erstmals auch sehr unvermittelt, wie unzählige Familienmitglieder während des Holocausts umgebracht wurden. Lange Zeit wurde unter den Nachkommen nicht darüber gesprochen – als Beresin aber genauer Bescheid über diese Schrecken wusste, richtete sie sich auch künstlerisch neu aus. „Damals wurde mir klar, dass die Geschichte meiner Familie auch meine ist“, sagt Beresin heute. Auf einmal sei ihr bewusst geworden, wie sehr sie all dies ihr ganzes Leben lang beeinflusst und warum sie so traurige Szenen gemalt habe, so Beresin: „Und gleichzeitig spürte ich mit diesem Wissen auf einmal eine Befreiung.“ Ihre Herangehensweise an Grausamkeiten wurde eine andere: „Ich dachte bis dahin, dass man über dieses Thema nur mit Traurigkeit umgehen kann, aber ich spürte, dass ich es nun auch mit Humor darstellen dürfte.“ Der Fund „löste etwas aus, das man als Wiederkehr des Verdrängten bezeichnen kann“, beschreibt auch Kuratorin Stief. Als Beresin ein ehemaliges Konzentrationslager besuchte, malte sie danach noch mehr im Schnellverfahren als schon zuvor, ja, sie soll nach diesem Erlebnis gar einen Tag und eine Nacht durcharbeitet haben. Nun sind unter den Gemälden und Grafiken, die oft Momente „ Wie so oft bei Beresin wird die Groteske großgeschrieben, während sie mit expressiv aufgetragener Farbe, die auch die Leinwand herunterrinnen darf, arbeitet. “ Eva Beresin Foto: Albertina, Wien der Entblößung, ein Ausloten der Schamgrenzen und eine aufdringliche Art haben, solche, denen die Konfrontation mit Schrecken und Trauma zwar eingeschrieben sind, bei denen aber gleichzeitig eine Leichtigkeit dazukam. Sich selbst stellt Beresin oft nackt und mit roten Lippen und Nägeln dar, was sie auch in die Skulpturen übersetzt hat, die sie mittels 3D-Druck herstellt und anschließend bemalt. Neben ihren Selbstbildnissen schafft sie so auch Tiere wie Bären und Hunde oder ein Liebespaar. Rote Lippen Sich selbst stellt Beresin oft nackt und mit roten Lippen und Nägeln dar, so auch in ihren Skulpturen, etwa in dem Werk „Resting in Ecstasy“ (2023, Acryl auf 3D-Druck, PLA, Albertina, Wien – Familiensammlung Haselsteiner). Hunde, Esel, Frösche oder Vögel bevölkern auch ihre Bilder – und tragen menschliche Züge. In „A Look in the Mirror“ hat die Katze auf der Schulter der Frau (Beresin, die sich in jedem Bild auch selbst zeigt) einen ähnlichen Gesichtsausdruck wie diese. In „Puppies are gonna be dogs“ werden Tiere sogar titelgebend. Im Gegenzug werden die Menschen manchmal animalisch dargestellt, teils mit verzerrten Gesichtern, oft mit überdimensionalen Füßen. Skurril und oft furchteinflößend wirken alle, ob Mensch, ob Tier. Während sie sich in dem Werk, das der Ausstellung „Thick Air“ den Namen gab, auch mit der Corona-Pandemie beschäftigte und sich selbst mit Filtermaske abbildete, ist „The Seven Spiritual Laws of Success“ eine moderne Neuinterpretation von Leonardo Da Vincis „Das letzte Abendmahl“. Alle Figuren sind weiblich, vor „Jesus“ steht eine Iberogast-Flasche. Wie so oft bei Beresin wird die Groteske großgeschrieben, während sie mit expressiv aufgetragener Farbe, die auch die Leinwand herunterrinnen darf, arbeitet. In der Albertina wird durch die gedimmte Beleuchtung die Farbenpracht der Werke noch unterstrichen. Aktueller denn je Die Ausstellung ist die erste in einem Museum, die von der Künstlerin gezeigt wird. Dass sie so lange übersehen worden sei, sei „schwer nachvollziehbar“, so Direktor Klaus Albrecht Schröder – sei doch die Position, die sie vertrete, „aktueller denn je“. Gerade wenn Schönes und Hässliches zusammenstießen, entstehe „die größtmögliche Reibungsfläche, die größtmögliche Spannung“. Nun bekam Beresin ihre Einzelausstellung, nächstes Jahr wird sie 70. Eva Beresin – Thick Air Albertina Bis 15. September 2024 Täglich 10–18 Uhr, Mi u. Fr 10–21 Uhr www.albertina.at Neue FURCHE-Serie „Sommer der Demokratie“ » Wie funktioniert Demokratie? » Was sind ihre Grundbedingungen? » Und wie kann man sie vor dem Herbst stärken? DIE FURCHE sucht nach fundierten Antworten – und zeigt auf, dass Demokratie als Lebensform immer bei jedem Einzelnen beginnt. Sieben Folgen umfasst die von Christoph Konrath und Marianne Schulze konzipierte Serie, die bis 14. August bekannte Autor:innen zu Wort kommen lässt. Mit einem Digital- oder Kombiabo lesen Sie alle Texte zum „Sommer der Demokratie“ auch online. JETZT LESEN: www.furche.at/dossier
DIE FURCHE · 33 14. August 2024 Film 17 Robert Guédiguian hat in seiner Tragikomödie „Und die Party geht weiter“ wieder ein Gespür für soziale Realitäten. Arian Ascaride und Jean-Pierre Darroussin unterstützen grandios. Gute Fee von Marseille Von Otto Friedrich Robert Guédiguian ist der Romantiker unter den Filmemachern, die soziale Realitäten als Thema ihres Schaffens bevorzugen: In der harten Welt der kleinen Leute – vor allem von Marseille – gibt es auch so etwas wie Glück. Und da bringt dieser Regisseur schon einmal das Pflänzchen Liebe zum Blühen. Das war schon so in „Marius und Jeannette – Eine Liebe in Marseille“, mit dem Guédiguian 1997 bekannt wurde. Nach seinem größten Erfolg, „Der Schnee auf dem Kilimandscharo“ (2011), blieb der armenischstämmige Filmemacher weiter auf seiner Linie. Hierzulande war zuletzt das 2019 herausgebrachte „Gloria Mundi – Rückkehr nach Marseille“ zu sehen, wo er die komplexen Realitäten einer auch dysfunktionalen Familie zu einem ebenso komplexen Handlungsgeflecht verdichtete. Helfen an allen Ecken und Enden Für „Gloria Mundi“ erhielt Ariane Ascaride bei den Filmfestspielen Venedig den Darstellerinnenpreis. Und im neuesten Guédiguian, „Und die Party geht weiter“, spielt die Haus-und-Hof-Schauspielerin dieses Regisseurs wieder die Hauptrolle. Ebenso sind Jean-Pierre Darroussin und Gérard Meylan wieder mit von der Partie. Schauplatz ist erneut Marseille. „Und die Party geht weiter“ beginnt mit dem Einsturz zweier Häuser in einem Problemviertel der französischen Hafenstadt: Die Bausubstanz wurde nicht überprüft, Kanalisation und Installationen vernachlässigt – eine Katastrophe für das Grätzel, das Rosa (Ascaride) als gute Fee zusammenhält. Die Sechzigjährige managt gleichzeitig ihre Großfamilie, ihre Arbeit als Krankenpflegerin in einem überfüllten Spital samt entsprechenden Problemen mit Patienten und ausgepowerten Kolleginnen sowie ihr poli- tisches Engagement für die Underdogs der Stadt. Wie auch anderswo in Frankreich ist hier die Linke zerstritten; Rosa scheint die Einzige, die die Gräben zwischen den Fraktionen und auch den Grünen überwinden kann, damit die sozial Schwachen bei den Kommunalwahlen die Chance auf Vertretung ihrer Interessen haben. Rosa meistert die Mehrfachbelastung mit Bravour. Das soll sich auch nicht ändern, obwohl Rosa als Krankenpflegerin in Pension geht. Doch just in diesem Augenblick schlägt Amor zu: Rosa verliebt sich in Henri (Darroussin), den Vater des Freundes ihrer Tochter. Und mit einem Mal gerät alles, was Rosa so in der Hand zu haben glaubt, ins Wanken. Erstmals in ihrem Leben entgleitet ihr das Leben, das sie so sicher wie ohne Aufhebens arrangiert hat. Und sie hat Angst, sich zu binden. Und was für eine Angst! Nun beginnen alle, an Rosa zu zerren: „ Die sechzigjährige Rosa meistert Mehrfachbelastungen mit Bravour. Aber sie muss Entscheidungen treffen. Es geht darum, ob sie sich selbst gestattet, ihren Träumen zu folgen. “ Ein genauer Blick Robert Guédiguian sieht genau hin, wenn er von den sozialen Brücken und Belastungen in seiner Heimat Frankreich erzählt – auch in seiner neuen Arbeit „Und die Party geht weiter“. Die Arbeitskollegin dreht durch, weil sie Rosas Abgang fürchtet. Die Familie will ihr Recht auf Rosa weiter haben, ebenso ihre politischen Verbündeten, die ohne Rosa um ihre Wahlchancen fürchten. Und so muss Rosa Entscheidungen treffen. Zuallererst geht es darum, ob sie sich selbst gestattet, ihren Träumen zu folgen. Einmal mehr lassen Robert Guédiguian und sein altbewährtes, aber immer noch grandioses Ensemble das Publikum daran teilhaben, wie trotz aller Wirren so etwas wie Glück dräut. Und zwar gar kein fernes. Und die Party geht weiter (Et la fête continue!) F 2023. Regie: Robert Guédiguian Mit Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin, Gérard Meylan. Panda Lichtspiele. 104 Min. LIEBESDRAMA Emotionale Achterbahnfahrt Wenn die Filmvorlage ein Millionenbestseller ist, dann sind die Erwartungen besonders hoch: zum Beispiel im Fall von „Nur noch ein einziges Mal“, der nach der erfolgreichen Romanvorlage „It Ends With Us“ von Colleen Hoover aus dem Jahr 2016 und nach einem Drehbuch von Christy Hall von Regisseur Justin Baldoni wie in einem Liebestaumel in Szene gesetzt wurde. Es ist eine emo tionale Liebesgeschichte, die förmlich nach einer Leinwandadaption gerufen hat. Die Handlung dreht sich um die junge Collegeabsolventin Lily Bloom (Blake Lively), die es in ihrem Leben nicht leicht hatte: Nach ihrem Abschluss und dem Tod ihres gewalttätigen Vaters zog sie nach Boston, um ihr eigenes Blumengeschäft zu eröffnen. Raus aus dem Kleinstadtmief, rein ins Leben! Dann trifft sie den attraktiven Neuro chirurgen Ryle (Justin Baldoni), und alles in ihrem Leben scheint plötzlich perfekt zu sein. Es gibt aber Schattenseiten, denn Ryle ist zwar einfühlsam, neigt aber auch zu unkontrollierbaren Gefühlsausbrüchen und scheut jede Beziehung. In dieser Phase taucht mit Atlas (Brandon Sklenar) Lilys Jugendliebe auf, was sie an ihre traumatische Vergangenheit erinnert. Die Liebe zu Ryle steht plötzlich vor vielen Fragezeichen. Ganz klassisch unternimmt Baldoni alles, um die Dramatik der Romanzen in dieser Dreiecksgeschichte zu betonen – von der verführerischen Lichtsetzung bis zum schwulstigen Soundtrack gelingt das auch nach Schema F überwiegend gut. Blake Live ly ist die Seele des Films und macht ihren Job ganz überzeugend. Aber klar ist auch: So eine emotionale Achterbahnfahrt muss man als Zuschauer auch wollen, um sie gut zu finden. (Matthias Greuling) Nur noch ein einziges Mal USA 2024. Regie: Justin Baldoni. Mit Blake Lively, Justin Baldoni. Sony Pictures. 130 Min. Justin Baldoni und Blake Lively fallen sich in dieser Lovestory – allzu heftig – in die Arme. DRAMA Trotzdem immer wieder auf allen vier Pfoten landen Sängerin und Schauspielerin Izïa Higelin sowie Jean-Pierre Darroussin spielen die Hauptrollen. An die Familie knüpfen sich besondere Erwartungen. Für Juliette jedenfalls ist es der Ort, an dem sie ihre Sorgen und Nöte teilen möchte. So fährt die an einer Depression leidende Kinderbuchillustratorin heim in die französische Provinz. Sie zählt auf das Mitgefühl und die Unterstützung ihrer Eltern und ihrer Schwester. Doch kann die Familie solche Sehnsüchte überhaupt noch uneingeschränkt stillen? Das ist die Frage, mit der sich „Juliette im Frühling“ auf kurzweilige Art beschäftigt. Denn in dem durch ein fabelhaftes Schauspielensemble zum Leben erweckten Beziehungsgefüge kämpft jeder für sich, taucht in seine Wirklichkeit ab. Familienrituale wie ein gemeinsames Essen stärken keineswegs immer die emotionalen Bande. Im Gegenteil, sie offenbaren den destruktiven Stillstand: Über Belastendes wird hinweggegangen oder der Mantel des Schweigens gebreitet. Aber das Verdrängte kehrt wieder, als Juliette im Haus ihrer Großmutter eine Kiste aus ihrer Kindheit findet. Nach und nach füllt sich die Lücke im Familiengedächtnis, durch die sie am Ende ihr Leiden in die gemeinsame Geschichte einordnen kann. Blandine Lenoirs Tragikomödie handelt zugleich von beschädigter Kindheit wie auch von einem ungleichen Geschwisterpaar. Denn auch Juliettes Schwester Marylou wurde einer unbeschwerten Kindheit beraubt, musste vorschnell erwachsen werden. Nun steckt sie in einer Ehe fest, in welcher der Mann sich zwar vorbildlich einbringt, sie aber dennoch nicht zufrieden ist. Denn es braucht zum Glücklichsein weitaus mehr, wie der Film unterstreicht: kindliche Glücksmomente, Erfahrung mit der Natur, unstrukturierte Zeit für Kontemplation, Spiel und schöpferisch-symbolischen Selbstausdruck. Und solche herzerfrischenden Momente kreiert die Komödie, die auf einer Graphic Novel von Camille Jourdy fußt, zuhauf. Sie bebildert die zwischenmenschlichen Beziehungen mit spielerisch-komischen Szenen, aber auch ernsthaft-lakonisch, und beobachtet deren Mechanismen genau. Sie verweisen auf den Mangel, der sich zugleich in seiner Ambiguität zeigt. So wie die Stille, die nach dem Auszug der lautstarken Mutter entstanden ist: Sie erscheint dem Vater einerseits wohltuend, doch zugleich fühlt sich für ihn der schmerzhafte Verlust beängstigend an. Er ist, wie letztlich alle Figuren im Film, auf sich selbst zurückgeworfen. Doch in Lenoirs optimistischer Akzentuierung öffnet sich auch der Weg in Neues: Die Katze, die vom Dach springt, kommt immer wieder auf ihren vier Pfoten auf. (Heidi Strobel) Juliette im Frühling (Juliette au printemps) F 2024. Regie: Blandine Lenoir. Mit Izïa Higelin, Sophie Guillemin, Jean-Pierre Darroussin, Salif Cissé. Polyfilm. 95 Min.
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