DIE FURCHE · 11 24 Ausstellung 14. März 2024 Von Theresa Steininger Ein Land in bewegten Zeiten: Das ist die Ukraine heute, das war die Ukraine auch früher. Das Untere Belvedere zeigt in der Ausstellung „In the Eye of the Storm“ wie Anfang des 20. Jahrhunderts Modernismen in diesem nach Unabhängigkeit strebenden Staat entstanden. Dies tut man nicht zuletzt, um mehr Verständnis für die Wurzeln eines uns aktuell aufrüttelnden Konflikts zu erreichen. Anhand der Kunst lassen sich diese gut nachvollziehen, tendierten die Künstlerinnen und Künstler in der Ukraine doch damals einerseits dazu, nationale Identität in ihre Werke einzuschreiben, andererseits dazu, neue Strömungen der Branche aufzunehmen und für sich umzusetzen – die Ausstellung liefert die passenden Zeitleisten und Erklärungen dazu. Futurist Zu den bedeutendsten Futuristen zählte der in Kiew tätige Oleksandr Bohomasow, von ihm: Schärfen der Sägen, 1927. „In the Eye of the Storm“ im Belvedere stellt Modernismen in der Ukraine vor – und setzt ein politisches Zeichen. Selbstbestimmung, auch in der Kunst „ In der Schau finden sich Werke, die vom Jugendstil be einflusst sind, ebenso wie solche, die Kubismus und Futurismus aufnehmen. “ Foto: © Nationales Kunstmuseum der Ukraine, Kyjiw Nationales Kunst-Erwachen Die Werke kommen aus den wichtigsten Museen der Ukraine und sind seit Herbst 2022 auf Europa-Tour. Auf Initiative von Francesca Thyssen-Bornemisza wurden sie zuerst in deren Museum nach Madrid gebracht und waren danach in weiteren europäischen Hauptstädten auf Station. In Wien ist nun die umfassendste Ausstellung zu sehen, wie Belvedere-Direktorin Stella Rollig stolz sagt. Sie möchte mit der Schau durchaus ein politisches Statement setzen. „Die in der Ausstellung versammelten Werke trotzen gesellschaftlichen wie künstlerischen Konventionen ihrer Zeit, was sie damals wie heute zu Botschaftern einer modernen, auf kulturellen Werten aufgebauten Zivilisation macht“, sagt Rollig. Einst – vor dem Hintergrund der Revolution von 1905, des Ersten Weltkriegs, der kurzlebigen Unabhängigkeit als Ukrainische Volksrepublik und der Gründung der Sowjetukraine – wie jetzt gehe es um Selbstbestimmung, wie man anhand der Kunst zeigen wolle, so Rollig. Rund um 1900 und in den darauffolgenden Jahrzehnten waren ukrainische Künstlerinnen und Künstler vielfach ins Ausland gegangen, um ausgebildet zu werden, wurde doch die erste Kunstakademie im Land selbst erst 1917 gegründet. Was Wunder, dass sie mit vielerlei avantgardistischen Anleihen zurück in die Heimat kamen. Gleichzeitig erlebte die Ukraine Anfang des 20. Jahrhunderts wie so viele Länder das, was Kurator Konstantin Akinsha, der die Ausstellung mit einem ganzen Team zusammenstellte, „ein nationales Erwachen“ nennt, „das mit dem Versuch verbunden war, unter Rückgriff auf Volksmotive und merklich nationale Themen einen nationalen Kunststil zu entwickeln“. Auch verschmolzen ukrainische, polnische, russische, jüdische und andere Einflüsse. In der Schau finden sich demnach Werke, die vom Jugendstil beeinflusst sind, ebenso wie solche, die Kubismus und Futurismus aufnehmen. Wenn bei Oleksandr Muraschko Pariserinnen ins Café gehen, merkt man deutlich den Einfluss von Secession und Jugendstil. Auch Heorhij Narbut ließ sich von diesen Strömungen leiten, von ihm sieht man beispielsweise auch den Entwurf für ein offizielles Wappen der Ukrainischen Volksrepublik mit einem Kosaken samt Muskete über der Schulter – und mit starker Neigung zum Ornamentalen. Boris Michailowitsch Schaposchnikow zeigt Mysteriöses und Geistergestalten mit besonderen Mustern. Oleksandr Bohomasow brachte seinerseits futuristische Tendenzen mit zurück in sein Land. Die Gruppe um Mychajlo Bojtschuk mischte byzantinisches Erbe und Volkskultur mit italienischer Frührenaissance und machte dies Zur Historie der Ukraine lesen Sie auch „Dietmar Griesers Ukraine: Blaugelbe Splitter der Geschichte“ vom 15.3.2023 auf furche.at. zu einem neuen charakteristischen Stil. Aber bald wurden die Mitglieder als bürgerliche Naturalisten diffamiert. Unzählige ihrer Werke wurden nach 1930 zerstört. Generell zeigt die Schau einerseits Stile und Einflüsse, andererseits erzählt sie Schicksale – wie jenes von Wsewolod Maksymowytsch, der eine großformatige, mit reichen Ornamenten gestaltete Kuss-Szene malte und sich bereits mit 19 Jahren das Leben nahm. Jüdische Spuren in der Kunst Vorgestellt wird auch die Kulturliga, die die Entwicklung der zeitgenössisch jüdisch-jiddischen Kultur fördern und mit europäischen Avantgarden verbinden wollte und unter dem Druck der Sowjetunion aufgelöst wurde: Unter den Künstlerinnen und Künstlern waren Sarah Schor, Issachar Ber Ryback und El Lissitzky. Die bekanntesten Namen der Schau sind jene von Kasimir Malewitsch und Alexandra Exter, die beide in der betreffenden Zeit in der Ukraine wirkten. Die Eingliederung in die Sowjetunion führte für viele Künstler zu Repressalien und Gefangenschaft, ja bis zur Ermordung. Gegen Ende der Ausstellung wird dies ebenso augenscheinlich wie die Zerstörung und das Verschwinden vieler Kunstwerke. Mit all den unterschiedlichen Positionen und den Erklärungen dazu möchte man, so Stella Rollig, „das Wissen um dieses Land und dessen Vergangenheit vertiefen, um zu verstehen, was die Ukraine ausmacht“. In the Eye of the Storm Modernismen in der Ukraine Bis 2. Juni 2024 Unteres Belvedere, täglich 10–18 Uhr www.belvedere.at IN KÜRZE GESCHICHTE THEATER FILM & MEDIEN WISSEN ■ Neues Holocaust-Museum Fast 80 Jahre nach Kriegsende soll das Holocaust-Museum in Amsterdam an die Geschichte der Verfolgung niederländischer Juden während des Zweiten Weltkrieges erinnern. Etwa 102.000 Juden, drei Viertel der jüdischen Bevölkerung, waren damals von den Nazionalsozialisten ermordet worden. Bundespräsident Alexander Van der Bellen betonte bei der Feier in der Portugiesischen Synagoge am 10. März die besondere Verantwortung Österreichs. Der israelische Präsident Yitzhak Herzog warnte vor wachsendem Antisemitismus. Währenddessen fand eine Demonstration gegen das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen statt. ■ Ort der Gewalt? Mit den Vorwürfen an Paulus Manker und andere ist das Theater als Ort der Gewalt wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Bereits 2018 hat die Regisseurin Anna Maria Krassnigg im FURCHE-Gespräch mit Franz Zoglauer über Machtmissbrauch im Theater gesprochen. Die These, dass unter Druck und Qual besondere Werke entstünden, hielt sie für ein Klischee, das es zu überwinden gilt. „Ich bin überzeugt davon, dass zeitgenössische Kunst ausschließlich nur in absoluter Freiheit entstehen kann und Freiheit bedingt Vertrauen und Vertrauen entsteht nicht durch Not und Angst. [...] Es muss Grenzen geben.“ ■ Oscars: „Oppenheimer“-Erfolg Mit sieben Preisen war Christopher Nolans Biopic am 10. März der große Gewinner: Das Drama reüssierte in den Kategorien bester Film und Regie, und der Ire Cillian Murphy, der den „Vater der Atombombe“ Robert J. Oppenheimer mimt, freute sich über den Preis als bester Hauptdarsteller. Für ihre Rolle in der feministischen Frankenstein-Parabel „Poor Things“ erhielt Emma Stone den Oscar als beste Hauptdarstellerin. Gleich zwei Filme mit der deutschen Schauspielerin Sandra Hüller wurden preisgekrönt: „Anatomie eines Falls“ gewann in der Sparte Originaldrehbuch, „The Zone of Interest“ wurde zum besten internationalen Film gekürt. ■ „Emerging Fields“ Erstmals fließen im Forschungsprogramm „Emerging Fields“ hohe Summen in „hochinnovative und etwas riskante Ideen“, so Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) und der Präsident des Wissenschaftsfonds FWF, Christof Gattringer. Insgesamt sind 31 Millionen Euro vorgesehen; die fünf Vorhaben werden mit Beträgen zwischen 4,4 und 7,1 Millionen Euro über fünf Jahre dotiert: Globale Versorgungssicherheit, Tumortherapien, Evolutions- und Hirnforschung sowie neue Zugänge zur Relativitätstheorie sind dabei im Fokus. „Emerging Fields“ stehen laut FWF für Projekte, die „bereit sind, etablierte Denkansätze zu durchbrechen“.
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