DIE FURCHE · 11 22 Chancen 14. März 2024 Realität oder Utopie? Institutionen, politische Systeme und sogar Länder so umzugestalten, dass der Planet im Vordergrund allen politischen Handels steht,ist das Ziel der planetaren Demokratie. Foto: Pixabay Illustration: Rainer Messerklinger Von Manuela Tomic Hotel California MOZAIK Als Schülerin wippte Mutter in Sarajevo zu den Gitarrenriffs von „Hotel California“. Da sie Russisch statt Englisch büffelte, verstand sie kaum ein Wort des Songs. Im Cockta-Rausch und in Rifle-Jeans träumte sie dennoch den amerikanischen Traum. Als Kind wurde auch ich vom kalifornischen Fieber gepackt. In meiner Lieblingsserie „Full House“ flitzte eine glückliche Familie mit ihrem Cabrio über die Golden Gate Bridge und picknickte in einem Park vor einer Kulisse zuckerlbunter Häuser. Es war der paradiesischste Ort, den ich je gesehen hatte. Ich wollte unbedingt dorthin. 2016 packte ich endlich meine Koffer und besuchte meinen Freund in Berkeley. Wir saßen unter dem pfirsichfarbenen Himmel vor einem Zitronenbaum und tranken Rotwein auf der Veranda. Die Hausherrin, eine jüdische Russin, war einst dem sowjetischen Gulag entflohen – ihr Freund, ein homosexueller Serbe mit Zahnlücke, den Gräuel Slobodan Miloševićs. Als es dunkelte, stieß Orban, ein ungarischer Freund, hinzu. Er arbeitete in einem Leichenschauhaus in Budapest, ehe er vor den Kommunisten floh. Orban erzählte von seinem LSD-Trip und ich machte Kaiserschmarrn zum Nachtisch. Ich stand in der Küche und summte Mutters Lieblingslied: „You can checkout any time you like / But you can never leave!’“ FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Frederic Hanusch forscht zu planetarer Demokratie. Er meint: Um angemessen auf die Klima- und Biodiversitätskrise zu reagieren, müssen wir unsere politischen Systeme radikal neu denken. „Nicht ohne die Nichtmenschlichen!“ Das Gespräch führte Laura Anninger Wie kommt der Planet in die Politik? Mit dieser Frage beschäftigt sich Frederic Hanusch, wissenschaftlicher Geschäftsführer des „Panel on Planetary Thinking“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen. DIE FURCHE hat mit ihm über neue demokratische Systeme, Kipppunkte und das Prinzip Umweltschutz gesprochen. DIE FURCHE: Herr Hanusch, was unterscheidet globales vom planetaren Denken? Frederic Hanusch: Die gesellschaftlich relevante Frage ist, wie wir diesen Planeten verstehen: als etwas, mit wem wir vielfältig verbunden sind oder als Tischglobus, auf dem wir Güter hin und herschieben. Beim globalen Denken geht es um den Transport von Gütern, Dienstleistungen, Ressourcen oder Menschen um den Erdball. Es lässt außer Acht, dass wir in vielfältigen Weisen mit dem Planeten Erde verschränkt sind. Planetares Denken beschreibt zusammengefasst, dass wir nicht auf dem Planeten Erde leben, sondern ein Teil davon sind. Das geht vom Erdinneren bis zum Weltraum. Ausbrechende Vulkane haben im frühen 18. Jahrhundert zu Hungersnöten geführt und legen im 21. Jahrhundert teilweise den Flugverkehr lahm. Indem wir das Eisschild abtauen, könnten sie aktiver werden. Sonnenwinde, die auf den Planeten einprasseln, werden weitestgehend von der Magnetosphäre abgehalten. Dringt dieses Weltraumwetter zu uns durch, könnte es GPS- Systeme lahmlegen. „ Es geht es darum, Akteure und Akteurinnen etwa aus der Tierwelt oder gar ganze Ökosysteme in demokratische Prozesse aufzunehmen. “ DIE FURCHE: Wie kam die Politikwissenschaft zu planetaren Denkansätzen? Hanusch: Es lassen sich grob drei Phasen unterscheiden. Im letzten Jahrtausend gab es eine strenge Trennung zwischen dem Menschen und der Umwelt. Das passierte etwa in der globalen Umweltpolitik, wo man nach dem Prinzip des Umweltschutzes agierte. In den 2000ern verschob sich der Diskurs zu einem erdsystemaren Denken. Die Erdsystemwissenschaften wirkten sich auch auf die Politikwissenschaft aus, die sich der Steuerung des Erdsystems widmete. In den letzten fünf Jahren rückten Zusammenhänge von Menschen mit dem Planeten stärker in den Vordergrund. Es geht mehr um die Bewohnbarkeit des Planeten – und das vielschichtiger, als es das Konzept der Nachhaltigkeit tut. DIE FURCHE: Kipppunkte wie der Zusammenbruch der atlantischen Umwälzungsströmung werden sehr wahrscheinlich eintreten. Wie müssen wir uns politisch organisieren, um mit diesen Veränderungen umzugehen? Hanusch: Das Bild, das uns physikalisch klar vor Augen geführt wird, schlägt sich nicht in sozialer und politischer Ordnungsbildung nieder. Die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre steigt. Die Fragen sind so tiefgreifend, dass sie sich mit den heutigen politischen Antworten und Institutionen kaum beantworten lassen. Der Soziologe und Philosoph Bruno Latour hat in seinem letzten Buch sinngemäß geschrieben: Wir haben keine Zeit mehr, also lasst uns einen Moment innehalten. Könnten wir zurücktreten und politische Systeme anders denken? Unsere Institutionen, Nationalstaaten und Demokratien sind ja recht jung gemessen an der gesamten Menschheitsgeschichte. Die Demokratieforschung wendet sich nun dem sogenannten Nichtmenschlichen zu. Es geht es darum, Akteure und Akteurinnen etwa aus der Tierwelt oder gar ganze Ökosysteme in demokratische Prozesse aufzunehmen. Der Ansatz steckt noch in den Kinderschuhen. In Neuseeland wurden diese Rechte etwa einem Fluss oder einem Berg zugestanden. Diese werden durch sogenannte Proxy-Repräsentanten vertreten, die sich in deren Sinn in politische Prozesse einbringen – etwa, wenn die Rechte des Flusses verletzt werden.
AZ_XC60_Spitzbergen_210x280abf_IC_RZ.indd 1 30.01.24 15:46 McD_Cozy_Presse_Schaufenster_223x297.indd 1 01.02.24 17:58 * Mit Ihrer SMS erklären Sie sich einverstanden, dass Greenpeace Ihre Telefonnummer zum Zweck der Kampagnen kommunikation erheben, speichern & verarbeiten darf. Diese Einwilligung kann jederzeit per Nachricht an service@greenpeace.at oder Greenpeace, Wiedner Hauptstraße 120-124, 1050 Wien widerrufen werden. SMS-Preis laut Tarif, keine Zusatzkosten. GP_Plastik_23_210x280_LO1.indd 1 13.02.24 09:29 Kunst MAK.at Mo geschlossen sammlung.mak.at Kunst MAK.at Mo geschlossen sammlung.mak.at 0699.03.23001_MAK_ADGAR_210x280_ICv2.indd 1 08.02.24 14:25 DIE FURCHE · 11 14. März 2024 Chancen 23 Auch Vulkane, Wälder, Tiere oder Künstliche Intelligenzen beeinflussen unser Leben. Sollte man diese nicht auch in Demokratien berücksichtigen? Diese Frage ist groß und noch nie geklärt. Es gilt hier, evidenzbasierte Forschung durchzuführen. Eines steht fest: Nur wenn man sich das ganze Spektrum von nichtmenschlichen Akteuren ansieht, könnte man zu belastbaren Lösungen kommen. DIE FURCHE: Wie kann man mit diesen Akteuren kommunizieren? Hanusch: Es gibt viele Experimente, die versuchen, die Tierwelt besser hörbar zu machen. Eines davon nimmt etwa mit Sensoren die Kommunikation von Pottwalen auf. Aufgrund der Daten analysieren die Forschenden deren Kommunikationsmuster und Sozialverhalten und wollen in einigen Jahren mit den Walen kommunizieren. Am Max-Planck- Institut beschäftigt sich eine Forschungsgruppe mit der Kommunikation von Nacktmullen. Es gibt viele ähnliche Experimente, etwa mit Fledermäusen. „ Weltklimakonferenzen sind leider schon weitestgehend von Akteuren vereinnahmt worden, die sich einklinken, um ihre Interessen geltend zu machen. “ Hanusch: Es gibt spannende Ansätze, unsere politischen Einheiten wie Nationalstaaten anders zu denken. Man könnte sie etwa anhand von Öko- oder Bioregionen, wie etwa der Tundra, ausrichten. In Nordamerika kam schon in den 1970ern das „Cascadia Movement“ auf. Darin finden sich Regionen in Kaskadien – einem Gebiet im Nordwesten der USA und Südwesten Kanadas – zusammen. Sie finden: Es würde sehr viel mehr Sinn ergeben, dass die Region mit ihren Flüssen und Gebirgszügen, mit ihren indigenen Kulturen und der Besiedelungsstruktur eine politische Einheit bildet. Ein weiteres Beispiel ist die „Embassy of the North Sea“ in den Niederlanden. Sie will als Sprachrohr der Nordsee fungieren. Über solche utopisch gedachten Projekte könnte man nachdenken und ihre Wirkung erforschen. DIE FURCHE: Wie kommen wir zu wirksamen, planetaren Klimaschutz? Hanusch: Das ist diese Million- Dollar-Frage. Mit den gegenwärtigen politischen Strukturen wird es schwer. Auf globaler Ebene funktioniert planetares Handeln nur, wenn man eine globale Kooperationsarchitektur aufrechterhalten kann. Diese bricht aber wegen kriegerischer Auseinandersetzungen gerade weiter auseinander. Es lohnt sich, auf Initiativen zu blicken, die planetar arbeiten. Solche Ideen zu verbreiten, ist ein Weg, den man gehen kann. Die Demokratie zu stärken, kann ein weiterer Puzzlestein sein. Ich habe etwa über die Frage promoviert: Beeinflusst mehr oder weniger Transparenz, Partizipation und ähnliches dazu, welche Klimapolitik Staaten machen und wie viele Treibhausgase sie einsparen? DIE FURCHE: Was haben Sie herausgefunden? Hanusch: Es gibt einen schwachen Zusammenhang zwischen mehr Demokratie und besserer Klimaperformanz. Das Problem ist: Selbst wenn man Verbesserungen umsetzt – etwa diverse Vorsitze 2023 oder Moderation, die Interessensausgleich erleichtert – käme man nicht dort hin, wo man hinkommen müsste. Weltklimakonferenzen sind leider schon weitestgehend von Akteuren vereinnahmt worden, die sich einklinken, um ihre Interessen geltend zu machen. Diese sind nicht innerhalb des Zwei-Grad-Limits zu bleiben. Es bleibt natürlich wichtig, weiter global zu verhandeln. Aber ich glaube nicht, dass die Lösung dadurch alleine erzielt wird. Es muss sich etwas umfassender, ja radikaler ändern. Vielleicht ist der Einbezug der Nichtmenschlichen ein Weg dorthin. Das müssen allerdings Experimente und deren Erforschung zeigen. Lesen Sie dazu auch den Text „Gaia: Liebevoll und aufbrausend“ von Martin Tauss vom 25. August 2021 auf furche.at. Wir gratulieren allen Gewinnerinnen und Gewinnern DIE FURCHE: Wie müssten planetare Institutionen aussehen? Hanusch: Wir interagieren mit Prozessen, die in geologischen Zeitskalen stattfinden. Das extremste Beispiel ist der Nitratkreislauf den wir Menschen durch Düngung und dergleichen tiefgründiger beeinflusst haben, als alle anderen planetaren Kräfte in den letzten 2,5 Milliarden Jahren. Wir müssen Institutionen schaffen, die in der Lage sind, damit umzugehen und länger bestehen als vier Jahre einer Wahlperiode oder nur eine menschliche Lebenszeit. Wir sprechen von „Deep Time Organisations“. Ein Beispiel ist der Svalbard Global Seed Vault, in dem Samen von Kulturpflanzen für Jahrtausende gelagert werden sollen, um den Planeten bewohnbar zu erhalten. Wir müssten uns überlegen: Welche Institutionen müssten wir auslaufen lassen und wie ließen sich diese ersetzen? Printwerber des Jahres Wilfried Weitgasser & Andreas Martin Porsche Austria Wir testen im Eis. Und jetzt auch im Eismeer. ©2023 McDonald’s Österreich Dienstleistungen McDonald´s Österreich Agentur: DDB Wien Hungrig auf Gemütlichkeit? Museum für angewandte Kunst Sie brauchen nicht 74 Jahre zu warten, um angemessen sitzen zu können. XXXLutz_Prince_Charles_210x280_ICv2.indd 1 09.02.24 12:05 Handel, Konsum- & Luxusgüter XXXLutz Agentur: Demner, Merlicek & Bergmann / DMB. 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