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DIE FURCHE 14.03.2024

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DIE FURCHE · 11 14 Diskurs 14. März 2024 ERKLÄR MIR DEINE WELT Ich versuchte, seine Körpersprache zu lesen Den gesamten Briefwechsel zwischen Johanna Hirzberger und Hubert Gaisbauer können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Johanna Hirzberger ist Redakteurin von „Radio Radieschen“ und freie Mitarbeiterin von Ö1. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast Wie schön, dass Sie in Ihrem letzten Brief an mich das Thema Männlichkeit aufgegriffen haben. Vor etwa einem halben Jahr habe ich mich für die Ö1 Sendung Hörbilder damit beschäftigt, welchen Einfluss das traditionelle Männerbild auf Gewalt in unserer Gesellschaft hat. Turns out: Einen großen. Unter anderem haben sich zwei verurteilte Gewalttäter bereit erklärt, mit mir zu sprechen. Mein erstes Treffen war in Graz, ich erinnere mich noch gut daran, wie nervös der Mann war, der mir gegenüber in einem leeren, weißen Besprechungsraum saß. Wir hatten unseren Tisch in eine Ecke geschoben, um den Hall in der Aufnahme zu reduzieren. Während er mir von der liebevollen Beziehung seiner Eltern erzählte, wippte er nervös mit seinen Beinen und wischte sich immer wieder über seine tätowierten Unterarme. Er kam direkt von einer Nachtschicht im Tunnelbau zum Interview. Ob er nicht zu müde sei für unser Gespräch, fragte ich ihn und versuchte, seine gebeugte Körpersprache zu lesen. Der Mitte 30-Jährige schüttelte den Kopf, er wolle die Gelegenheit unbedingt nutzen, um über seine Fehler, seine „Dummheit“ zu sprechen. Ein paar Stunden später lernte ich den zweiten Mann kennen, er war ungefähr in meinem Alter. Ich erinnere mich noch gut an sein Lachen, als er über seinen Bewährungshelfer und sein Leben, das er ihm heute zu verdanken hatte, sprach. Die Leichtigkeit verschwand schlagartig aus seiner Stimme, als er mir von der alkoholreichen Partynacht erzählte, die ihn schließlich ins Gefängnis brachte. „Ich habe mich stark gefühlt, wie ein Macker, wenn ich jemanden zusammengeschlagen habe und meine Freunde „ Mir ist aufgefallen, dass Männer in meinem Umfeld mehr Zeit und Raum brauchen, um ihre Empfindungen zu benennen. Momentan übe ich mich in Geduld. “ mich bewunderten. Das war dumm“, erzählte er mir. Obwohl sich die Männer in ihrer Art und Herkunft unterschieden, war ihr Männerbild von damals ähnlich: Ein echter Mann zeigt keine Gefühle außer Wut, er bringt das Geld nach Hause, putzt nicht und hat das letzte Wort. Beide sind sich einig, dass sie durch das Anti-Gewalttraining die Chance auf ein neues Leben bekommen haben. Sie sprachen zum ersten Mal mit anderen Männern über ihre Gefühle, versetzten sich in die Situation der Opfer und reagierten auf Gewalttaten anderer Teilnehmer. Sie kennen mittlerweile ihre persönlichen Risikosituationen, vermeiden es, Alkohol zu trinken und haben gewaltfreie Handlungsalternativen erarbeitet. Jeden Tag entscheiden sie sich aufs Neue gegen ihre alten Verhaltensweisen. Insgesamt seien ihre Leben heute leichter, weil sie sich nicht mehr unter Druck setzen, einem Rollenbild zu entsprechen. „Ich darf als Mann auch traurig sein und muss niemanden unterdrücken. Das zu erkennen war befreiend“, erzählte mir der Grazer Jugend-Trainer Christaime Ngoy. Für ein Gewalt-Präventionsprojekt leitet er Workshops an Schulen. Dadurch erkannte er, dass nicht nur die männlichen Jugendlichen vom traditionellen Männerbild geprägt sind, sondern auch junge Frauen, die einen Partner suchen, „der für sie ein Fels in der Brandung“ sein könne. Nach den Gesprächen fragte ich mich, wie männliche Stereotype mein Leben beeinflussen. Mir ist aufgefallen, dass Männer in meinem Umfeld mehr Zeit und Raum brauchen, um ihre Empfindungen zu benennen. Momentan übe ich mich in Zurückhaltung und Geduld. Letzteres ist für mich eine Qual. Die Russen warnen – schon wieder. Der Grund sind die viel diskutierten Lieferungen der deutschen Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine. Der Streit um die Taurus-Frage droht sogar die Ampel-Koalition zu sprengen. Das Besondere: Die Rakete hat eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern. Sie könnte damit Moskau erreichen. Um den Flugkörper abzufeuern, müssen Piloten nicht in den feindlichen Luftraum eindringen. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte der Lieferung eine klare Absage erteilt. Scholz befürchtet, dass Deutschland sonst in den Krieg hineingezogen werden könnte, da er die Steuerung der Rakete nicht aus deutschen Händen geben will. So argumentiert auch Russland. Die Lieferungen könnten zu einem Kriegseintritt Deutschlands führen, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin kürzlich. Taurus wird den Krieg nicht entscheiden, doch was ist die Alternative? Um Russland zurückzudrängen benötigt die Ukraine dringend weitere Waffen. Ein Vorrücken Russlands bis nach Kiew kann von der Nato und der EU nicht gewollt sein. Deshalb hat die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (GRÜNE) einen Ringtausch mit Großbritannien ins Gespräch gebracht. Auf die Warnungen Russlands sollte man und kann man nicht viel geben. Das zeigen vor allem die jüngste Nato-Erweiterung. Putin hatte auch dem Nato-Mitglied Finnland offen gedroht, sollte es der Nato beitreten. Passiert ist: nichts. Drohungen gehören LASS UNS STREITEN! Deutsche Taurus-Lieferung für die Ukraine? zu Putins Kriegstaktik. Er möchte die Europäer und Europäerinnen verängstigen und verunsichern. Doch die Alternative ist, dass man Putin gewähren lässt, die „weiße Fahne“ hisst, wie Papst Franziskus kürzlich in einem Interview erklärt hat. Dann wird Russland tatsächlich zu einer Bedrohung für Europa, weil Putin immer näher rückt und eine mögliche künftige Aufnahme der Ukraine in die Nato für ihmer verbaut wäre. Putin kann kein Interesse daran haben, Deutschland anzugreifen, wenn es die Taurus-Flugkörper liefert. Schließlich würde dann Artikel 5 der Nato in Kraft treten. Für Putin wäre das – zumindest in dieser Phase des Krieges – noch viel zu früh. Nicht zuletzt deshalb sollte der Ringtausch der Taurus-Raketen mit Großbritannien eher schneller, als langsamer vonstattengehen. (Manuela Tomic) Ob man sich in Österreich erdreisten sollte, den Deutschen auszurichten, welche Waffen es zu liefern gilt, ist fraglich. Der Staat Österreich versteckt sich hinter seinem Neutralitätsstatus, ist damit beim Thema Waffenlieferungen fein raus. Deutschland hingegen lieferte bislang Waffen im Wert von 17 Milliarden Euro und übernimmt in Europa den Löwenanteil. Frankreich lieferte seit Kriegsausbruch nur Waffen im Wert von 540 Millionen Euro. Andere EU-Militärmächte musterten anfangs ihre militärischen Altbestände aus und halten sich seither mit Taten (nicht aber mit Worten) zurück. Dass Olaf Scholz aufgrund seines Vetos zu den Taurus-Marschflugkörpern von vielen europäischen Politikern (oder innerhalb der Ampel) kritisiert wird, ist verstörend. Als Emmanuel Macron das Thema Bodentruppen aufs Tapet brachte, war die Entrüstung dagegen groß. Ich frage mich aber: Wer entscheidet in diesem Diskurs über die roten Linien? Ist die rote Linie dort, wo die eigene Bevölkerung, die eigenen Wähler gut wegkommen? Wenn dem so ist, dann ist Scholz doppelt gut beraten, den Taurus nicht in die Ukraine zu schicken. Mit dem Flugkörper, der als einer der modernsten in der Luftwaffe überhaupt gilt, könnte man weit im inneren des russisches Staatsgebietes Munitionsdepots, Bunkeranlagen, empfindliche Infrastruktur und vieles mehr treffen. Völkerrechtlich wäre diese Vorgehensweise seitens des ukrainischen Militärs legitim. Deutsche Techniker streiten gerade darüber, inwiefern man die Reichweite dieser Waffe begrenzen könnte oder welche Bedingungen Deutschland an die Ukraine stellen müsste, um die Gefahren, die die Lieferung mit sich brächte, zu minimieren. Der rosa Elefant im Raum wird dafür totgeschwiegen. Es geht um Vertrauen. Die Ukraine ist das Opfer eines bestialischen Angriffskrieges und läuft Gefahr diesen Krieg zu verlieren. Wer könnte es diesem Staat verdenken, wenn er alles daraufsetzte, Russland maximal zu schwächen? Das wiederum könnte zu einer Eskalation führen, deren Ausmaß niemand abschätzen kann. Nich wenige Militär-Experten vermuten, spätestens dann kämen taktische Atomwaffen zum Einsatz. Noch ist für Putin die Drohung nützlicher als die Tat, doch das kann sich ändern. (Brigitte Quint) Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. 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14. März 2024 Diskurs 15 Wie Bruno Kreisky buhlt auch Andreas Babler um die Bürgerlichen. Doch die heutige SPÖ zeigt sich proletarischer denn je. Ein Gastkommentar über die politischen Spitzen und einen Diskurs „am Limit“. Mit Babler „ein Stück des Weges“ gehen? Nach den regionalen Wahlen in Salzburg geben wir unsere Stimme bald wieder ab: international in rund drei und national in rund sechs Monaten. Die Wahlen zum Europäischen Parlament sind dabei – weit mehr als das Ergebnis vom Sonntag – ein Gradmesser für die Wahlen zum hiesigen „Hohen Haus“. Welche Regierung der Bund nach dem Herbst des Jahres haben wird, ist unsicher: eine Koalition entweder Mitte/Rechts oder Mitte/Links; eine mit oder ohne ÖVP; eine mit oder ohne SPÖ etc. Nur eines ist gewiss: Eine „Große“ Koalition wird es nicht mehr geben. Denn drei Mittelparteien haben die beiden einst großen abgelöst. FPÖ, SPÖ und ÖVP vereinigen jeweils rund 25 Prozent auf sich. Das doppelte Problem: Erstens steht die FPÖ nicht in der Mitte, sondern ist extrem; und zweitens ist die ÖVP, anders als die aktuelle SPÖ, nicht mehr radikal. Das heißt: Ihrer Praxis fehlt die Theorie. Oder: Sie weiß zwar, für welches Klientel sie etwas tut, aber nicht, wegen welchen Wertes. Rückblende: Eine wirklich „Große“ Koalition aus ÖVP und SPÖ mit rund 90 Prozent der Stimmen hatte es bis 1966 gegeben, als der christdemokratische Reformer Josef Klaus (dessen antikapitalistischen Affekt der Salzburger Kommunist Kay-Michael Dankl unlängst im ORF betonte) die Regierung mit der SPÖ nicht weiter fortsetzte, sondern allein regierte. Verachteter „Kleriko-Faschismus“ Bruno Kreisky wiederum sprach schon vor 1970 davon, „ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen“. Damit meinte er aber kein Revival einer Regierung der SPÖ mit der ÖVP. Denn ein „Geist der Lagerstraße“, wie er unter inhaftierten Christ- und Sozialdemokraten zwischen 1938 und 1945 entstanden war, blieb dem Asylanten in Schweden in dessen Verachtung eines „Kleriko-Faschismus“ von 1933 bis 1938 stets fremd. So entstand Kreiskys erste Regierung mit Duldung und Deckung der FPÖ und ehemaliger Nationalsozialisten. Was Kreisky mit dem Zitat sehr wohl meinte und worin ihn Andreas Babler imitiert, ist ein Angebot an Bürgerliche, SPÖ zu wählen. Anders als Kreisky lässt Babler dem Impuls nach außen aber keinen nach innen folgen: nämlich Foto: Privat DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Thomas Köhler „ Dass Babler und Nehammer ihre Parteien in die Nationalratswahl führen werden, daran zweifeln nicht wenige. “ den einer parallelen „Verbürgerlichung“ seiner Bewegung. Die SPÖ ist heute – was kein Vorwurf an Babler ist, sondern dessen Entwurf folgt – proletarischer denn je. Während Kreisky den Habitus eines Citoyens pflegte, symbolisiert Babler das Gegenteil. Vergleichen wir allein die Sprache, so kommt die Differenz drastisch zur Geltung. Nicht nur Journalisten bestätigen: Ein Interview mit Kreisky war ein Genuss. Er kannte Anfang und Ende von Sätzen, er wusste um Pointen von Worten – in Summe alles, was Babler nicht beherrscht. Dass Bablers schwarzes Pendant, Karl Nehammer, als Alternative ebenso wenig Charisma in sich trägt, ist das große Glück der Roten. Unter ihm steht die ÖVP – Salzburg lässt grüßen – symptomatisch für eine lobbyistische Mietenpolitik, die zusammen mit der ideologischen Energiepolitik der Grünen unter Werner Kogler Bürgerliche vor Existenzprobleme stellt. Langfristige Vorhaben, wie von der Regierung gerade vorgestellt, nützen kurzfristig wenig, wenn die nächste Erhöhung der Mieten zugunsten der Immoblienspekulation spätestens im zweiten Quartal des Jahres wieder ins Haus steht. Die diabolische Spirale, wonach Mieten zugleich inflationsgetrieben wie inflationstreibend sind, dreht sich also weiter. Poli- tischer Profiteur dieser „Proletarisierung der Bourgeoisie“ ist nicht die SPÖ, sondern die FPÖ. Vieles spricht also dafür, dass ÖVP wie SPÖ aus den Wahlen zum Europäischen Parlament nicht als Gewinner, sondern als Verlierer oder „neutral“ hervorgehen werden. Während die ÖVP mehr als ein Drittel ihrer Stimmen abgeben könnte, wird die SPÖ mehr oder minder gleichbleiben. Umgekehrt werden links- und vor allem rechtspopulistische Bewegungen deutlich zulegen. Relevant ist, ob das österreichische Ergebnis dem europäischen entsprechen oder sich davon unterscheiden wird. Weicht es zu sehr vom europäischen Durchschnitt ab, wird es früher oder später zur Diskussion kommen, wer die beiden Parteien in die nationalen Wahlen führen soll und kann. Dass es Babler und Nehammer sein werden, daran zweifeln nicht wenige. Falsches „Du“ Was dabei nicht nur unter Meinungsführern diskutiert wird, ist das Niveau des politischen Diskurses. Vornehm gesagt: Nicht mehr alle Abgeordneten beherrschen noch Hochdeutsch, und das wechselseitige – ebenso anbiedernde wie hinterfotzige – „Du“ vom Rednerpult ans Plenum und retour vom Plenum ans Rednerpult ist so inflationär wie am Stammtisch im Wahlkreis oder in der Blase im Netz. Nicht selten folgt dem „falschen Du“ eine anonyme Anzeige. Das „falsche Du“ – es steht symbolisch für Niedergang und Niedertracht des Kleinstaates in einer Dritten Republik, die sich immer noch als Teil der Zweiten wähnt; für einen Mangel an professioneller Distanz, der eine Basis für direkte wie indirekte Korruption in Wort und Tat schafft; für eine strukturelle Eifersucht gegenüber Intellektualität und Kreativität, die bewirkte und bewirkt, dass Genies in und aus Österreich entweder tot sein müssen oder emigrieren wollen. Wie sprach weiland Werner Schneyder, ein „konservativer Sozialist“, in einem Wiener Salon: „Die Schraube des Grotesken ist am Limit.“ Der Autor ist Geisteswissenschaftler sowie Logo- und Psychotherapeut. Zuletzt erschienen: „Einheit in Vielfalt. Erhard Buseks Welten“ (Edition mezzogiorno und Wieser Verlag.) ZUGESPITZT Die Russland- Versteher Kay-Michael Dankl ist ein Phänomen. Sympathisch (was man nicht von jedem Politiker behaupten kann), rhetorisch gewandt (was man von noch weniger Politikern behaupten kann), als Vater mit umgeschnalltem Baby ein Role-Model (was man von keinem zweiten Politiker behaupten kann) – und vor allem glaubwürdig. Man kauft ihm ab, dass ihm leistbares Wohnen wichtig ist – und er das nicht nur (wie die meisten anderen Politiker) kurz vor der Wahl behauptet. Warum er dafür unbedingt den Kommunismus braucht, dessen realexistente Erfolgsbilanz sowohl im Osten wie auch in Venzuela eher überschaubar war, konnte Dankl bislang zwar nicht erklären. Aber wenn das Konzept der ideologischen Abspaltung auch an der Mur funktioniert (wo man sogar ein Ja zum EU-Austritt für mehr Sozialarbeit schluckt), warum nicht auch an der Salzach? Nur am Inn sieht das einer kritisch: „Die Marke [KPÖ] ist toxisch“, meinte Ex- Kanzler Wolfgang Schüssel beim Wahlkampfauftakt in Innsbruck – und empfahl dem „netten jungen Mann“ in Salzburg, sie „blitzartig aufzugeben“. Das hat etwas für sich. Akteure mit unklarem Verhältnis zu Russland kann sich Europa nicht leisten: weder solche mit Gas im Gepäck noch solche mit Giebelkreuz oder Hammer und Sichel. Doris Helmberger NACHRUF „Dolmetscherin“ für den angelsächsischen Raum Noch in der Ausgabe vom 2. März findet sich ein Beitrag von Christa Pongratz-Lippitt, auch kurz zuvor hatte sie in der katholischen britischen Wochenschrift The Tablet über den Konflikt Roms mit den deutschen Bischöfen berichtet: Wenn es eine Publizistin gibt, die die religiöse Landschaft Österreichs, Deutschlands, der Schweiz aber auch Ostmitteleuropas einem angelsächsischen Publikum nahegebracht hat, dann war es Pongratz-Lippitt. Am 29. Februar ist diese Doyenne des Journalismus im 93. Lebensjahr verstorben. Pongratz-Lippitt wuchs in England auf, studierte in Oxford Slawistik, war danach im diplomatischen Dienst tätig und kam in den 1950er Jahren nach Österreich. Hier heiratete sie, zog zwei Kinder groß und arbeitete als Übersetzerin. Seit 1988 – Österreichs Kirche befand sich in der Krise der Ära Groër – arbeitete sie für The Tablet und baute sich ein Netz an Kontakten zu kirchlichen Stellen und Dissidenten auf wie kaum ein Religionskorrespondent hierzulande. Über sie erfuhr das englischsprachige Publikum – Pongratz-Lippitt schrieb auch für das liberal-katholider 1980/90er Jahre, aber auch über die ambivalent verlaufene Transformation der katholischen Kirche in den Reformstaaten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sowie den Reformkatholizismus in den deutschsprachigen Ländern. Etwas Besonderes war die Freundschaft von Christa Pongratz-Lippitt mit Kardinal König, der ein ausgeprägtes Faible für die englische Sprache hatte und schon lange ein regelmäßiger Leser von The Tablet war. Mit der Tablet- Korrespondentin verband den Kardinal viel und er publizierte eifrig in dieser Zeitschrift – oft klarer und schärfer, als er den heimischen Medien gegenüber formulierte. In den letzten Lebenswochen des vor 20 Jahren verstorbenen Kardinals gelang es Pongratz-Lippitt, biografische Interviews von dem großen Kirchenmann zu erhalten, die dann nach Königs Tod zuerst auf Englisch, später auf Deutsch („Offen für Gott, offen für die Welt“, 2006) erschienen – das erste und einzige Buch, in dem sich König ausführlich über sein Leben und seine Lebenserfahrungen äußerte. Auch für DIE FURCHE schrieb Christa Pongratz-Lippitt – thbild.at/ Franz Josef Rupprecht Lesen Sie von Christa Pongratz-Lippitt am 3.8.2000: „Kardinal Königs Schwäche fürs Englische“, siehe furche.at.

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