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DIE FURCHE 13.07.2023

DIE

DIE FURCHE · 28 6 Politik 13. Juli 2023 DAS ERWARTET SIE IN DEN NÄCHSTEN WOCHEN. Die FURCHE nimmt in den kommenden Ausgaben folgende Themen* in den Fokus: Kunst des Verzichts Nr. 30 • 27. Juli 2023 Eine Haltung des „Immer mehr!“ hat lange das gesellschaftliche Grundgefühl bestimmt. Heute wächst das Unbehagen daran. Aber wo und wie ist Reduktion sinnvoll? Ein Fokus anlässlich der Salzburger Hochschulwochen. Das Wasser- Jo-Jo Nr. 32 • 10. August 2023 Trotz verregneten Frühjahrs dümpelt der Grundwasserspiegel vielerorts in Österreichs auf Rekord-Tiefniveau. Wie das Wasserreich Österreich bewahren? Und was tun gegen den Dürre- Hochwasser-Teufelskreis? Idealismus Nr. 34 • 24. August 2023 Idealismus scheint im abgeklärten, postfaktischen Zeitalter fehl am Platz. Und wenn man für seine Ideale eintritt wie die Klimakleber, dann beruht das auf wissenschaftlichen Fakten. Warum Überzeugung dennoch essenziell ist. Klasse Job? Nr. 36 • 7. September 2023 Die Schule ist der Grundstein für das weitere Leben. Was muss geschehen, damit Schüler(innen) für die Arbeitswelt gerüstet werden? Und wie wird dabei auch der Lehrberuf wieder zum „Klasse Job“? *Änderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten. Franz Jägerstätter ALLES AUCH DIGITAL AUF FURCHE.AT Nr. 31 • 3. August 2023 Am 9. August jährt sich die Hinrichtung des Bauern und Kriegsdienstverweigerers aus St. Radegund/OÖ zum 80. Mal. Jägerstätters Beispiel, seinem Gewissen um jeden Preis zu folgen, ist aktuell wie eh und je. Wie anfangen? Nr. 33 • 17. August 2023 Nach Sommer und Urlaub kommt der Herbst, die Zeit des Neuaufbruchs. Was ist nötig, damit ein Anfang gelingt – von Schule und Beruf über den Start in einem neuen Land bis zur gesellschaftlichen Transformation? Politik lernen Nr. 35 • 31. August 2023 Seit Max Webers Vortrag „Politik als Beruf“ wird das Politikhandwerk mit dem Bohren harter Bretter beschrieben. Wie Politik-Lernen heute funktionieren kann, zeigt eine Spurensuche beim Europäischen Forum Alpbach. Der Westen Nr. 37 • 14. September 2023 Er ist nicht nur eine Himmelsrichtung, sondern steht für eine – angeschlagene – Weltmacht: der Westen. Wo beginnt und endet er? Was ist darunter zu verstehen? Beginn einer Reihe – gefolgt vom Süden, Osten und Norden. Podcasts, Videos, E-Paper und alle FURCHE-Artikel seit 1945 JETZT 77 Jahre Zeitgeschichte im NAVIGATOR. FORTSETZUNG VON SEITE 5 wechsel vollzogen – Gleiches gilt für die Freiheitliche Partei.“ Damit marschieren in Österreich Regierung und der allergrößte Teil der Opposition im Neutralitätsgleichschritt. Ein Ausscheren gibt es nur in der Form, dass die FPÖ auf die buchstabengetreue Einhaltung des Neutralitätsgesetzes pocht und der Regierung quasi ein scheibchenweises Filetieren dieser heiligen Kuh vorwirft. „Der Oppositionspolitiker Kickl nützt das natürlich aus und setzt sich auf die heilige Kuh Neutralität drauf“, kommentiert Schellhorn diesen Wettlauf um den Titel „ Die Neutralität ist kein Instrument der Aussen- und Sicherheitspolitik mehr, sondern ein mythisch überhöhter Selbstzweck. Die Schweiz hat der Neutralität zu dienen. “ Marco Jorio, Historiker des eifrigeren Neutralitätsbewahrers: „Dazu gibt es gewisse Boulevardmedien, die auch glauben, sie müssen Politik machen.“ Und nach Corona kommt für Schellhorn ein weiterer verstärkender Effekt dazu: „Alle fühlen sich auf irgendeine Weise zurückgelassen, alle, bis auf ein paar wenige Kasten, fühlen sich auf irgendeine Weise benachteiligt. Das hat natürlich was mit der Bildung zu tun, wo man nicht sonderliches Interesse daran hat, dass sich die verbessert. Aber so wird bei uns eine ganze Herde von heiligen Kühen gehegt und gepflegt, da reicht eine Almwirtschaft nicht aus.“ Aus dem Bewahrer-Image politisches Kapital zu schlagen, gehört für Praprotnik zum politischen Werkzeugkasten rechtspopulistischer Parteien: „In unsicheren Zeiten stellen sich diese Parteien als Traditionsbewahrer dar, versprechen die Rückkehr in eine Zeit, in der die Welt noch heil war. Das zentrale Versprechen lautet, nichts zu verändern.“ Als Beispiel dafür verweist sie auf den Bundespräsidentschaftswahlkampf voriges Jahr, „bei dem die zentralen Botschaften des FPÖ-Kandidaten lauteten: Wir holen uns unser Österreich zurück. Dazu gehören Unterbotschaften wie: Wir holen uns unsere Neutralität zurück. Wir gehen zurück in die Zeiten, in denen noch alles besser war. Diese Idee fruchtet natürlich in einer Zeit großer Unsicherheiten und Unzufriedenheiten, wie sie die aktuellen Umfragen zeigen.“ Wer zum Kuhmesser greift … SCHLACHT UM HL. KÜHE ANDERSWO „ In unsicheren Zeiten stellen sich rechtspopulistische Parteien als Traditionsbewahrer dar, versprechen die Rückkehr in eine Zeit, in der die Welt noch heil war. “ Katrin Praprotnik, Politikwissenschafterin Der erste und letzte Bundeskanzler, der die Neutralität mit Lipizzanern und Mozartkugeln gleichsetzte und so infrage stellte, war Wolfgang Schüssel 2001. Ein Beweis, dass wer auch immer zum Messer greift, um diese heilige Kuh zu schlachten, und sei es ein Bundeskanzler, an diesem Nationalmonument scheitern wird? Schellhorn meint, Schüssel habe „schon einiges geschafft“, und verweist auf eine andere heilige Kuh: „Er hat eine Pensionsreform eingeleitet, die damals vor allem der jüngeren Generation Respekt abgerungen hat.“ Aber der Bundeskanzler könne „noch so ein Wunderwuzzi sein, die großen Reformen verhindern immer die Landeshauptleute“, sagt Schellhorn: „Weil wir keinen Föderalismus haben, der gelebt wird, sondern einen Feuderalismus und Fladeralismus.“ Eine echte Debatte über die Neutralität und andere heilige Kühe in Österreichs politischer Landschaft würde Zeit brauchen, sagt Katrin Praprotnik: „Aber wann nimmt man sich diese Zeit? In Vorwahlzeiten, wo EU- Wahl und die Nationalratswahl um die Ecke stehen, werden sich die Parteien hüten, das Thema offensiv anzugehen. Noch dazu, wo es mit dem Krieg in der Ukraine große sicherheitspolitische Unsicherheiten gibt und das vorherrschende Narrativ Neutralität mit Sicherheit gleichsetzt. Das zur Diskussion zu stellen, ist schwierig.“ Dass Sky Shield die Neutralitätsdebatte wieder hochkochen ließ, obwohl seitens des Bundeskanzlers bereits für beendet erklärt, nennt sie „ein positives Zeichen: dass man eine Debatte nicht abwürgen kann, wenn das Thema virulent ist“. Und das wird so bleiben, hüben wie drüben der Grenze zwischen Österreich und der Schweiz. Denn auch hierzulande gilt, was der Historiker und frühere Chefredaktor des „Historischen Lexikons der Schweiz“, Marco Jorio, in einem NZZ-Kommentar schreibt: „Die Neutralität ist kein Instrument der Aussen- und Sicherheitspolitik mehr, sondern ein mythisch überhöhter Selbstzweck geworden. Sie ist nicht mehr für die Sicherheit der Schweiz da, wie es seit Jahrhunderten der Fall war, sondern die Schweiz hat der Neutralität zu dienen.“ Oder wie es die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel einmal bei einer Bundestagsrede auf den Punkt brachte: „Nicht jede heilige Kuh kann mit einem Prinzip gerechtfertigt werden.“ Der Klimakuhhandel um Ernährung hat begonnen Irland hat schon einmal bewiesen, dass es bei der Abschaffung einer heiligen Kuh beispiellos konsequent sein kann: 2004 erließ die Grüne Insel als erstes Land der Welt ein Rauchverbot in öffentlichen Räumen inklusive Transportmitteln, Restaurants und Pubs. Aktuell wird ein anderer radikaler Bruch mit einer irischen Tradition diskutiert: Irland zählt bei fünf Millionen Einwohnern sieben Millionen Rinder – Tendenz steigend. Das führt zu immer mehr Methanund Lachgasemissionen und rückt Irlands Klimaschutzziele in weite Ferne. Als Gegenmaßnahme wird als erster Schritt diskutiert, bis 2026 jährlich 65.000 Tiere zu schlachten. Eine Art Kuhkopfprämie soll die Bauern entschädigen. Anders als in Österreich, wo das Thema nur einen kurzen medialen und gar keinen politischen Widerhall gefunden hat, wird dieser Klimakuhhandel beim Nachbar Schweiz intensiv diskutiert: Während der Schweizer Bauernverband den „Keulen fürs Klima“-Vorschlag als „sinnfrei“ vom Tisch wischte, begrüßten Klima- und Umweltaktivisten die Maßnahme. Der Vorschlag aus Irland passt auch gut zur aktuellen eidgenössischen Volksinitiative „Für eine sichere Ernährung – durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser“. Für Initiatorin Franziska Herren sind radikale Maßnahmen à la Irland auch in der Schweiz „dringend nötig“. Gegenüber der SonntagsZeitung sagte Herren: „Etwa 50 Prozent der Nutztiere in der Schweiz sind zu viel. Wir haben im Vergleich zu unseren Weideflächen nicht nur zu viele Kühe, sondern auch zu viele Hühner und Schweine.“ Eine Vorausschau, wie der Streit um die heilige Kuh Ernährungsgewohnheiten demnächst die politische Debatte bestimmen wird, lieferte Sloweniens Ministerpräsident Robert Golob Anfang des Jahres mit seiner Ansprache im Europaparlament. Als individuelle Klimaschutzmaßnahme schlug der grün-liberale Politiker vor: „Steigen Sie einfach auf weniger Fleisch um – ich sage nicht, kein Fleisch, aber konsumieren Sie weniger Fleisch, lassen Sie uns mehr pflanzliche Lebensmittel konsumieren.“ Der Verband der slowenischen Fleischindustrie protestierte: „Laienaufrufe – und mehr oder weniger unverhohlener Lobbyismus – zur Einschränkung der Tierhaltung und des Fleischkonsums sind aus verschiedenen Blickwinkeln zumindest schädlich, wenn nicht gar gefährlich.“ Der Weltklimarat gibt Massentierhaltung und -konsum dieses Attribut und propagiert stattdessen eine „klimasmarte“ Landwirtschaft als klimafitte heilige Leitkuh. (Wolfgang Machreich)

DIE FURCHE · 28 13. Juli 2023 Politik/International 7 Welche Rolle spielt Österreich auf dem internationalen Parkett? Eine zu geringe, sagen Kritiker. Angesichts der hochgerühmten Neutralität verliere das Land zunehmend an Einfluss und Gestaltungsmöglichkeit. Ein kritischer Blick auf die Performance der heimischen Außenpolitik. Von Fußstapfen und Tiefstaplern Von Tobias Kurakin Der Regen, der die ganze Nacht über auf Sopron niederprasselte, hat den Boden aufgeweicht. Zwar scheint am Morgen des 27. Juni 1989 im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet wieder die Sonne, die Schuhe der Protagonisten müssen dennoch leiden. Sowohl jene des ungarischen Außenministers László Nagy als auch die Lederschuhe seines österreichischen Amtskollegen Alois Mock versinken in der sumpfigen Landschaft rund um das Grenzgebiet. Doch beide Herren haben an diesem Tag anderes zu tun, als sich um die Beschaffenheit ihres Schuhwerks zu kümmern. Mit großen Kneifzangen montieren die Außenminister den Stacheldraht an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn ab. Die Bilder gehen um die Welt. Der Eiserne Vorhang ist Geschichte. Österreichs Rolle als aktiver Spieler in der Außenpolitik auch. „Österreich bleibt aktuell hinter seinen außenpolitischen Möglichkeiten als neutraler Staat“, sagt Thomas Roithner, Friedensforscher und Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Einst als Musterschüler und Vorzeigenation in der Außenpolitik aufgetreten, verliert Österreich mittlerweile international zunehmend an Einfluss und Gestaltungslust. Laut Roithner sind dafür unter anderem die Rahmenbedingungen verantwortlich. So beispielsweise die sinkende Personaldecke im Außenministerium. Ende Dezember 1985 hatte das Außenamt 1457 Mitarbeiter, 2000 waren es 1489, heute sind es 1113. Der Beitritt zur EU als „Zäsur“ Mock war in der Sumpflandschaft von Sopron keine Ausnahme. Im Gegenteil. Im vorangegangenen Jahrtausend zeigten mehrere österreichische Politiker internationales Profil. Besonders unter Bruno Kreisky kam es zu einer aktiven Neutralitätspolitik. Kreisky suchte persönlichen Kontakt zu Machthabern im Globalen Süden, wie dem Gründer des neuen Indiens Pandit Nehru, zu dem er, wie auch später zu dessen Tochter Indira Ghandi, eine enge freundschaftliche Beziehung aufbaute. Ohne Kritik ging diese Phase nicht über die Bühne. Aus CIA-Akten geht über den längstdienenden Kanzler hervor, dass die USA Kreiskys Nahostpolitik mit Argusaugen beobachteten. Kreiskys internationale Beliebtheit verschlechterte sich, als er 1979 als erster westlicher Regierungschef den ehemaligen palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat offiziell empfing. Die Umarmung Kreiskys und Arafats auf dem Flughafen in Wien erzeugte Argwohn. Die ÖVP warf dem damals allein regierenden SPÖ-Kanzler Antiamerikanismus vor. „Kreisky hatte aber einen klaren Plan, wie er Außenpolitik gestalten wollte, und schmiedete mit Willy Brandt, dem Schweden Olof Palme oder dem finnischen Premierminister Urho Kekkonen eine gelungene Kooperation“, sagt Roithner. Mit der Annäherung an den Nahen Osten habe Kreisky bewusst eine Lücke gefüllt, in der ein neutraler Staat seinen Gestaltungsspielraum beweisen konnte. Die Kritik habe er in Kauf genommen. Die Zeit sprach damals für Österreich. Mit Kurt Waldheim als UNO-Generalsekretär und dem Bau der UNO-City habe Österreich auch auf dem internationalen Parkett an Bekanntheit und Profil gewonnen. Parallel zum Ende der Ära Kreisky nahmen die Spannungen zwischen Ost und West wieder zu. Österreich konzentrierte daraufhin seine außenpolitischen Bemühungen „mehr auf Europa und weniger auf die globale Politik“, analysiert Roithner. Treffen unter Tadel Bruno Kreisky empfing 1986 als erster westlicher Regierungschef Jassir Arafat. Die Umarmung der beiden auf dem Flughafen erzeugte Argwohn. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union sei es schließlich zur „Zäsur“ gekommen, sagt Roithner. Bei sicherheitspolitischen Fragestellungen habe man sich weitgehend der EU-Linie angeschlossen. In der OSZE und der UNO versäume es Österreich, sein Potenzial zu nutzen. Roithner sieht Österreichs Rolle im Bereich der zivilen Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung. Österreich spiele in diesem Bereich abermals seine geografische Lage in die Karten: „Ein mitteleuropäisches Land umgeben von NATO-Staaten, die nun allesamt in militärische Aufrüstung investieren, kann leicht einen anderen Weg einschlagen.“ Statt wie zuletzt primär über eine Anhebung des Heeresbudgets zu diskutieren, solle Österreich seine Kräfte auf die Kernelemente der zivilen Krisenprävention richten. Dazu zähle der Einsatz von Experten, die mit zivilen Methoden an den Ursachen, Verläufen und Folgen von Konflikten arbeiten. „Zivile Beiträge sind kein unsolidarisches Trittbrettfahren, sondern zentrale Leistungen zur Stärkung des Gewaltverbots und zur Vertrauensbildung.“ „ Aufgrund der intensiven, fast freundschaftlichen Verbindungen zum Aggressor in der Vergangenheit wird Österreich als eine Art trojanisches Pferd Russlands wahrgenommen. “ Politikwissenschafter Gerhard Mangott KLARTEXT EU-Digitalgeld kann warten Phönizier haben das Geld erfunden – aber warum so wenig?“ Nun, zu Zeiten Johann Nestroys, von dem dieses „Die schöne Zitat stammt, gab es noch kein so ausgeprägtes Banken- und Kapitalmarktsystem wie heute. Und keine Notenbanken, die für die in ihrem Einflussbereich ausgereichten Währungen letztverantwortlich sind und in Krisenzeiten die Geldmenge massiv erhöhen. Nun schickt sich die Europäische Zentralbank an, nach Münzen, Papiergeld und Buchgeld mit dem digitalen Euro eine nächste, wahrlich historische Ausbaustufe vorzubereiten. Die Eile, mit der die EZB dieses Projekt vorantreibt, macht mich, ich gebe es zu, stutzig, sind doch die vielen Facetten der denkbaren Umsetzungsformen noch längst nicht zu Ende gedacht. Zwar schillert die Palette der sich auftuenden Chancen in den buntesten Farben – bankenunabhängige, kostengünstige Alternativen zum Bargeld für jedermann/jedefrau, direkte, supranationale Liquiditätshilfen in Finanzkrisen und vieles mehr. Foto: APA / Robert Jaeger Lesen Sie hierzu auch „Nußbaumers Welt“ vom 12.8.2021 unter dem Titel „Unsere ‚Mission‘ – und was noch gilt“ auf furche.at. Kritik kommt auch von Moritz Ehrmann, Direktor des Austrian Center for Peace (ACP), und der Direktorin des International Institute for Peace (IIP), Stephanie Fenkar. Der Mehrwert, den Österreich als neutrales Land leisten könne, werde „absolut zu wenig genutzt“, so Ehrmann. Unter Bundeskanzler Bruno Kreisky habe es eine kurze Periode gegeben, in der das „besser und umfangreicher“ getan wurde. Derzeit ruhe man sich darauf aus und denke, damit sei es getan, meint wiederum Fenkart. Der Ausbruch des Ukrainekrieges änderte nur wenig an Österreich außenpolitischen Schwerpunkten. Eine Vermittlerrolle, wie sie Österreich einst in Konflikten zukam, ist für Expertinnen und Experten ausgeschlossen. „Auf die Rolle von Österreich als Vermittler wartet in der Ukraine niemand. Aufgrund der intensiven, fast freundschaftlichen Verbindungen zum Aggressor in der Vergangenheit wird Österreich als eine Art trojanisches Pferd Russlands in der EU wahrgenommen“, sagt der Innsbrucker Politikwissenschafter Gerhard Mangott. Roithner meint, dass ohnehin andere Länder, wie beispielsweise die Türkei, bessere Karten hätten. Österreich könne im Hintergrund Experten anbieten, die man zweifelsfrei habe. Vom Außenministerium wird indes stolz auf die humanitäre Hilfe verwiesen, die man leistet. „All unsere Unterstützung und Solidarität gilt der Ukraine. Gemeinsam haben die EU-27 bisher zehn Sanktions pakete geschnürt – gemeinsam, einstimmig, in einer starken westlichen, geschlossenen EU-Front. Es ist eine Selbstverständlichkeit, der Ukraine – insbesondere durch umfassende finanzielle Hilfe – unterstützend zur Seite zu stehen“, sagt Außenminister Alexander Schallenberg. Größter Geber humanitärer Hilfe pro Kopf Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft ist Österreich der größte Geber humanitärer Hilfe pro Kopf gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Die bisher erfolgte bilaterale finanzielle Unterstützung Österreichs für die Ukraine und ihre Nachbarländer umfasst dabei mehr als 129 Millionen Euro. Für Roithner zweifelsfrei „ein wichtiger Beitrag“, aber kein außenpolitischer Meilenstein. Auf Anfrage lässt Minister Schallenberg wissen, dass man sich besonders im Bereich der Menschenrechte und als starker Fürsprecher für die Westbalkanstaaten sehe. Global sei man für Abrüstungsgespräche stets bereit. „Wir vergessen oft, dass über 80 Prozent der Menschen in Ländern leben, die keine Sanktionen gegen Russland verhängten“, sagt Roithner. Zwar seien die Sanktionen ein wirksames Instrument und moralisch richtig, von Österreich würde sich der Politologe aber auch andere Hebel wünschen. Auch in Europa sollten mehr Ansätze einer engeren Zusammenarbeit – beispielsweise mit der Schweiz oder den EU-Neutralen – für zivile Instrumente verfolgt werden. Gemeinsam könne man das Gespräch mit Staaten wie Indien suchen und sein außenpolitisches Profil in der Welt wieder schärfen. „Österreich ist seit Jahren dazu geneigt, die Weltpolitik durch eine EU-Brille zu sehen“, und Roithner plädiert für mehr „außen- und sicherheitspolitischen Pluralismus“. Kreisky und Mock haben einst eine Nische besetzt, in die ein kleiner Staat hinein passte. Die Nische habe sich seither graduell verändert, Österreichs Position massiv. Die Fußstapfen in Sopron sind längst überdeckt. Zugleich aber tun sich Abgründe an möglichen Gefahren auf: Energieund Netzabhängigkeit nach faktischer Abschaffung des Bargeldes, Verdrängung der Banken in ihrer realwirtschaftlich unverzichtbaren Mittlerfunktion zwischen Geldanlage und Kreditgewährung, aber auch Benachteiligung all jener, denen digitale Zugangsmöglichkeiten verschlossen bleiben. Ein echter Zusatznutzen im Vergleich zu ohnehin leistungsfähigen Bezahlsystemen ist bisher nicht erkennbar. Der digitale Euro will Zahlungen über digitale Geldbörsen („Tokens“) zur Regel machen. Dabei wäre es angesichts unzähliger Fälle von betrügerisch missbrauchten Kryptogeldern viel vordringlicher, all diese problematischen Konstrukte endlich regulatorisch in den Griff zu bekommen. Erst dann wird das Feld für einen gut durchdachten digitalen Euro frei. Der Autor ist Ökonom und Publizist. Von Wilfried Stadler

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