DIE FURCHE · 28 20 Ausstellung 13. Juli 2023 Von Ursula Philadelphy Eduardo Chillida zählt zu den wichtigsten Bildhauern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bekannt sind seine tonnenschweren Monumentalplastiken im öffentlichen Raum; riesige Cortenstahl-Skulpturen in minimalistischen Formen finden sich in Parks, auf öffentlichen Plätzen und in weitläufigen Landschaften. Mit der Skulptur „Peine del Viento XV“ zeigte der 2002 verstorbene baskische Künstler, wie sehr seine Kunst der wilden Küste seiner Heimat, San Sebastián, verbunden war – „wie ein Baum, der an seine Umgebung, sein Terrain angepasst ist, der aber seine Arme der Welt entgegenstreckt“, so seine persönliche Definition, umgesetzt in Cortenstahl. Er sah diese Skulptur als Lösung einer Gleichung, „die anstelle von Zahlen Elemente enthält: das Meer, den Wind, die Klippen, den Horizont und das Licht“. Wichtig war ihm, dass sich „die Formen des FEDERSPIEL Sushi und Buchweizen Eduardo Chillida gilt als Meister der abstrakten Skulptur, in der Kunsthalle Krems faszinieren aber auch seine Papierarbeiten. Materialität und Haptik Stahls … mit den Kräften und Erscheinungsformen der Natur“ vermischen und so im Dialog zueinander stehen. „Sie sind Fragen und Affirmationen“ und auch als „ Im erhitzten Zustand verbog, drehte und dehnte Chillida das Material, bis es sich zu einer bewegten künstlerischen Geste entwickelte. “ Symbole gedacht – sowohl für alle Basken und Baskinnen als auch für das Land, „das zwischen zwei Ex tremen liegt, dort, wo die Pyrenäen aufhören und der Ozean beginnt“. Raum, Zeit, Materie und das Leben im Allgemeinen sind wichtige Aspekte in den Arbeiten Chillidas, und zwar sowohl in seinem skulpturalen als auch in seinem grafischen Werk. Die Abstraktion hier wie dort wird nun verdeutlicht in Von Lydia Mischkulnig Peine del Viento XV Eduardo Chillida sah seine Skulptur als Lösung einer Gleichung, „die anstelle von Zahlen Elemente enthält: das Meer, den Wind, die Klippen, den Horizont und das Licht“. der ersten monografischen musealen Ausstellung Eduardo Chillidas in Österreich, zugleich ein Startschuss zu einem internationalen Ausstellungsreigen anlässlich des 100. Geburtstages des Künstlers im Jänner 2024. „Peine del Viento“ („Windkamm“) ist eines jener prominenten Skulpturenprojekte, das in der Kunsthalle Krems nun mit Skizzen, Modellen und fotografischen Dokumentationen präsentiert wird. Für den künstlerischen Direktor Florian Stei ninger ist Chillidas „grafisches und skulpturales Werk voller Poesie, Konkretion und Erdverbundenheit“. Auf Minimum reduziert Foto: Eneko Santiago Saracho; © Zabalaga-Leku, Bildrecht, Wien 2023 Der Künstler löste sich schon früh von der klassischen Skulpturentradition. 1948 ging er nach Paris, wo er sich drei Jahre lang an der Antikenskulptur orientierte; seine Formen wurden aber immer kantiger. Ab 1950 entwickelte er eine biomorphe Formensprache, die er auf ein Minimum reduzierte. Jean Arp bezeichnete diese Reduktion des Körpers auf eine abstrahierte Form und das polierte Finish des Materials als „menschliche Konkretion“. Die abstrakten Skulpturen entstanden stets im Dialog mit dem Material. Im erhitzten Zustand verbog, drehte und dehnte Chillida das Material, bis es sich zu einer bewegten künstlerischen Geste entwickelte. Im Lauf der Zeit entstanden minimalistisch-geometrische Skulpturen. Und das, obwohl Chillida einmal meinte, für ihn „existiert die Geometrie nicht, ich bin ein Gesetzloser“. Quader und Würfel wurden trotzdem seine bevorzugten Formen. Masse und Raum, Fülle und Leere, Hell und Dunkel sind die elementaren Aspekte. Die Palette reicht von den in den 1970er Jahren entstandenen „Oxidos“ – gebrannten Terrakotten, die Chillida mit schwarzem Kupferoxid bemalte und die auch eine Verbindung zu seinen Papierarbeiten sehen lassen – bis zu einem großen Quader aus Rosenquarz („Homenaje a la arquitectura II“) aus dem Jahr 2000. Für den Künstler war klar: „Der Raum dringt hier in das Innere des Steins ein, er ist die Leere im Herzen des Steins.“ Gesetzmäßigkeiten Auch die grafischen Arbeiten sind sehr speziell und als unabdingbares Pendant zu den Skulpturen zu sehen. Chillida interessierten die Wechselwirkungen zwischen den Formen: „Meine Zeichnungen und Plastiken weisen keine gemeinsamen Aspekte auf, in denen sie sich ähneln. Dennoch lassen sie eine Handlungsweise, eine Verhaltensweise und Gesetzmäßigkeit erkennen, die den Zeichnungen und auch den Plastiken inhärent sind.“ Die linearen Zeichnungen, flächenbezogenen Collagen und geprägten Druckgrafiken beweisen das eindrucksvoll. Äußerst faszinierend sind allerdings die „Gravitaciones“, Chillidas hängende Papierarbeiten. Sie bestehen aus einzelnen Papierfragmenten, die unabhängig voneinander, hintereinander geschichtet an Fäden oben im Rahmen aufgehängt sind. Die Blätter rahmen einander ein, heben sich zugleich deutlich voneinander ab und lassen so, durch Licht- und Schattenräume, wunderbare Reliefs entstehen. Eduardo Chillida. Gravitation Kunsthalle Krems Bis 24. September 2023 www.kunsthalle.at IN KÜRZE Mykola Riabchuk verlässt den „sicheren Hafen“ Paris, um nach Sapporo zu gehen. Als Stipendiaten wohnten wir Tür an Tür in Winterthur. Putin war schon in der Ukraine. Wir diskutierten bei Spaghetti und Buchweizen über Nationalsprachen im Dienst der Literatur. Ich behauptete damals, es sei egal, in welcher Sprache man schreibe, es käme auf die Umkreisung seines Verhältnisses zur Welt an. Ich fädelte Worte auf, versuchte sie zum Klingen zu bringen, was schlagartig einleuchten, aufgehen sollte. Nichts Genaues also, nur ein Anschein von etwas. Ich meinte, etwas getroffen zu haben. Da fragte mich Mykolas Frau, Natalka, wie österreichisch diese meine Aussage sei? Eine Art Ungenauigkeit für Spielerei und Schein? Sie schrieb auf Ukrainisch. Welches? Nationalsprachen seien zweischneidig per se nationalistisch. Ich fürchtete mich vor Enge und Vereinnahmung, das Deutsch als meine Sprache zu befürworten. Minderheitensprachen sind Bereicherung, ihre Pflege ist Demokratie. Meindeutsch bin ich, aber ich bin nicht deutsch. Ja, das ist österreichisch, nicht zum Deutsch zu stehen, obwohl ich Deutsch schreibe. In der Ukraine ist die Sprache auch Kampf gegen die Auslöschung von der Landkarte. Sie stellt jeden Autor dieser Sprache in die Bedeutung des zeitlichen Kontextes. Man kann das auch auf Englisch sagen. Im Prinzip braucht man Ukrainisch, Russisch, Deutsch nicht, aber doch eine Sprache. Hätten Goethe und Rilke auf Italienisch gedichtet, würde ich sie anders lieben als in ihrer deutschen Sprache, die meiner nahe kommt. Ukrainisch verlangt so wie jede Dichtkunst in Freiheit zu entstehen. Sie ist kein Nationalsprachverstärker, ihr Gebrauch macht die Bedeutung fest. Diese Einsicht führt mich zu Virginia Woolf. Das Ukrainische „braucht ein Zimmer für sich allein“. Für Mykola ist dieses Zimmer zunächst nur in Sapporo, auf ein baldiges Treffen in Kyjiw zu Sushi und Buchweizen hoffe ich. Die Autorin ist Schriftstellerin. LITERATUR ■ Literaricum Lech Jane Austens Roman „Stolz und Vorurteil“ bildet den Ausgangspunkt für die dritte Auflage des Literaturfestivals „Literaricum Lech“. Von 13. bis 16. Juli treffen sich Schriftsteller(innen), Übersetzer(innen), Kultur- und Literaturwissenschafter(innen) am Arlberg zum Austausch. Zudem wird erstmals die mit 15.000 Euro dotierte Auszeichnung „Poeta Laureatus“ vergeben, sie geht an Michael Krüger. KUNST ■ Ralph Gleis wird neuer Albertina-Direktor „Weiter in der Elite der internationalen Museumslandschaft mitspielen – und gleichzeitig das Tempo ein wenig senken.“ Dies sei angesichts steigender Kosten allerorten das Gebot der Stunde, kündigte Ralph Gleis an, Spezialist für Klassische Moderne und Kunst des 19. Jahrhunderts und zurzeit Chef der Alten Nationalgalerie in Berlin. Er wird 2025 auf Klaus Albrecht Schröder folgen, der sich nicht wieder beworben hatte.
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