DIE FURCHE · 28 14 Diskurs 13. Juli 2023 ERKLÄR MIR DEINE WELT Wie kompliziert kann man schreiben? Den gesamten Briefwechsel zwischen Johanna Hirzberger und Hubert Gaisbauer können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Johanna Hirzberger ist Redakteurin von „Radio Radieschen“ und freie Mitarbeiterin von Ö1. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast Ihr Brief erreicht mich beim Frühstück, es gibt Weckerl mit Erdnussbutter und schwarzem Kaffee. Ehrlicherweise habe ich mich ein bisschen vor Ihrer Antwort gefürchtet, ich wollte nicht, dass mein Weltschmerz wieder geweckt wird. Das klingt egoistisch, ist es auch. Aber ich kann halt nur ein gewisses Maß an Machtlosigkeit an mich ranlassen, um mich noch gesund zu fühlen. Und auch das ist wichtig, nicht nur für mich, auch für meine Liebsten. Jedenfalls haben Sie mich mit Ihrer Kamelgeschichte überrascht. Ich musste sogar kurz auflachen. So etwas liebe ich. Innige Beziehungen, ob Familie oder Freundschaft, sind für mich vielleicht ein Ausweg aus dem Weltschmerz. An das Bild heranzoomen und auf die kleinen Details achten. Wenn ich Sie richtig verstehe und Sie meinen, Weltschmerz sei in Ihrer Definition eine Ausrede, um nichts zu ändern, dann stimme ich Ihnen teilweise zu. Gleichzeitig ist es schwierig, als Einzelperson, ohne das nötige Kleingeld oder eine Entscheidungsfunktion, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Das bringt mich zu meiner letzten Moderation bei den Konsum Dialogen in Hallein. Es ging um die Grenzen der Nachhaltigkeit in der Fashionund Textilindustrie. Bereits vor drei Jahren war der Textilsektor ja die drittgrößte Quelle für Wasserverschmutzung und Flächenverbrauch. Und die Produktionen nehmen immer weiter zu. Ich gebe zu, das Modeangebot überfordert mich, deshalb habe ich mich dazu entschieden, einfach nichts mehr zu kaufen und zu ignorieren, wenn manche Kleidungsstücke Löcher haben. Aber zurück zum Thema. Eine Person aus dem Publikum meinte, man müsse fast fashion moralisch sanktionieren. Ja, okay, „ Jedenfalls haben Sie mich mit Ihrer Kamelgeschichte überrascht. Ich musste sogar kurz auflachen. So etwas liebe ich. “ verstehe ich, kann sein, dass ich das okay finde, ganz sicher bin ich mir aber noch nicht. Mein Problem damit ist, dass die Verantwortung, so wie auch im Beispiel des Weltschmerzes, auf das Individuum heruntergebrochen wird. Ein zweiter Gedanke, der mich noch immer beschäftigt, geht auch auf eine Publikumsbemerkung zurück. Die Jungen seien ja die, die massig bei „Shein“ shoppen und damit das Pro blem anheizen würden. Die Besucherin erklärte ausführlich, wie sehr sie sich daran stört, von ebenjenen Jungen als klimabedrohender Boomer abgestempelt zu werden, immerhin habe sie in ihrer Jugend nie in solch einem Überfluss gelebt. Schwierig, finden Sie nicht auch? Irgendwie verstehe ich beide Seiten und kenne selbst keine konkrete Lösung. Ach, da fällt mir ein, ich lese gerade, „Herzzeit“, den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann, Paul Celan und anderen. Darauf gekommen bin ich Ihretwegen. Was sagen Sie zu diesem Buch? Ich gehe schon einmal in Deckung, denn meine folgenden Fragen könnten für Liebhaberinnen stümperhaft klingen. Aber, ich frage ja nur. Erstens: Wie kompliziert kann man schreiben? Zweitens: Ganz ehrlich, hatten die beiden eine klassische toxische Beziehung, ich lese auch ein bisschen gaslighting raus? Drittens: Es wird ja gerade viel über KI und die Möglichkeit, dass Tote durch diese Technik sozusagen wieder zum Leben erweckt werden können, gesprochen, dass es eigentlich auch ein Recht auf Vergessen gibt oder geben sollte. Ist es in so einem Fall nicht ähnlich? Dennoch ziehen mich die Briefe in den Bann, und ich kann auch nicht anders als weiterlesen. Ich bin gespannt, was Sie mir antworten werden. Von Erich Reiter Die Globalisierung verlangt nach einer parallelen Strategie In FURCHE Nr. 12 in der Sicherheitspolitik. Doch erst ein geeintes Europa 3800 25. März 1999 wäre gegenüber den USA ein gleichwertiger Partner. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bemängelte, dass sein Land beim NATO-Gipfel in der litauischen Hauptstadt Vilnius vergangenen Dienstag keine Einladung zum Beitritt erhält. „Für Russland ist das eine Motivation, seinen Terror weiter fortzusetzen“, erklärte Selenskyj. Hingegen ist der Streit über Schwedens Beitritt zur NATO kurz vor Beginn des zweitägigen Gipfels beigelegt worden. Bereits 1999 hat sich Erich Reiter, damals Beauftragter für strategische Studien im Bundesministerium für Landesverteidigung, Gedanken über die Zunft der NATO in einer globalisierten Welt gemacht: Die wirtschaftliche Globalisierung verlangt nach einer parallelen Strategie der Globalisierung in der Sicherheitspolitik. Die NATO muß sich aus US-Sicht weiterentwickeln, von einer Allianz des gegenseitigen Beistandes in der kollektiven Selbstverteidigung zu einer global wirksamen Institution, zu einer Allianz von Interessen. Dazu ist es notwendig, auch in von Europa weit entfernten Gebieten Aktivitäten zu entfalten: zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, zur Kontrolle von A-, B-, und C-Waffen, zur Unterbindung der Weiterverbreitung von Globalisierung der NATO Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen dafür, zur Eindämmung des Drogenhandels; und natürlich geht es auch um direkte militärische Interventionen, wenn sie zur Sicherung des Weltfriedens aufgrund des Eskalationspotentials erforderlich sind, wenn vitale Interessen der Amerikaner oder Europäer betroffen sind, oder wenn sie aus humanitären Gründen geboten sind. Europas Unfähigkeit Mit oder ohne neues strategisches Konzept der NATO sind die europä ischen Streitkräfte in einem markanten Struktur änderungs prozeß – von relativ schwerfälligen Großverbänden zur traditionellen Territorialverteidigung Westeuropas hin zu hochoperativen Einsatzverbänden für entfernt liegende Kriegsschauplätze, also zu kleineren Heeren, dafür aber modernst ausgerüstet und flexibel einsetzbar, unterstützt von großzügiger Logistik und modernsten Aufklärungsund Informationssystemen. Die Abhängigkeit der Europäer von den USA ist freilich eine selbstverschuldete. Immerhin wenden die USA – obwohl sowohl von der Bevölkerungszahl als auch von der Wirtschaftskraft her kleiner als die Europäische Union – um etwa 50 Prozent mehr für Verteidigung auf als die Länder der EU zusammen (mehr als doppelt soviel pro Kopf als die Europäer). Die Zersplitterung der europäischen Rüstungsindustrie und die Unfähigkeit der Europäer, in weiten Bereichen ihren Rüstungsbedarf aufeinander abzustimmen, haben neben der ohnedies vorhandenen technologischen Überlegenheit Foto: APA / AFP / Olivier Morin der USA dazu geführt, daß die USA im rüstungstechnologischen Bereich nicht nur bereits überlegen führend, sondern auch im Begriffe sind, diese Führung noch weiter auszubauen. Erst ein sicherheits politisch geeintes Europa, ein Europa, das in wichtigen Fragen mit einer Stimme spricht und über handlungsfähige Organe in der Sicherheitspolitik verfügt, wäre gegenüber den USA ein gleichwertiger Gesprächspartner. AUSGABEN DIGITALISIERT VON 1945 BIS HEUTE ÜBER 175.000 ARTIKEL SEMANTISCH VERLINKT DEN VOLLSTÄNDIGEN TEXT LESEN SIE AUF furche.at Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. 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DIE FURCHE · 28 13. Juli 2023 Diskurs 15 Das Veto des Vatikans gegen die Wahl des Südtiroler Moraltheologen Martin M. Lintner zum Dekan der Hochschule Brixen offenbart das (intrigante) Ringen um den Kurs der Kirche. Ein Gastkommentar. Der „Fall Lintner“ oder: Kampf um Rom Brixen liegt auf halber Strecke zwischen Brenner und Bozen. Benedikt XVI. machte im dortigen Priesterseminar Urlaub, schon als Kurienkardinal. Und nun schaut ganz Italien und halb Europa auf die Kleinstadt am Eisack, die weniger als 25.000 Einwohner hat. Ein regelrechter Solidaritäts-Tsunami ist auf den Servitenpater Martin M. Lintner eingebrochen. Der Grund: Der Vatikan, genauer das zuständige Dikasterium für die Kultur und die Bildung, verweigerte Lintner, der bereits im November 2022 zum Dekan der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen gewählt und von Bischof Ivo Muser darin bestätigt worden war, das Nihil obstat. Seine Lehrbefugnis war von der Maßnahme aber ausdrücklich ausgenommen. Bemerkte keiner den Widerspruch: leiten und repräsentieren nein, lehren ja? Gegenüber der Wochenzeitung Christ & Welt beteuert Lintner: „Ich bin kein Irrlehrer.“ Über seine Reputation heißt es hier: „In Fragen der Sexual- und der Tierethik zählt er zu den Renommierten seines Faches im deutschsprachigen Raum, genießt auch in Italien hohes Ansehen.“ Und: „Für die Kollegen in Deutschland sind Lintners Positionen mittlerweile Konsens innerhalb der deutschsprachigen Moraltheo logie und weit darüber hinaus.“ Orientiert am Menschen und dessen Nöten Im Vatikan – und andernorts – sieht man das offenbar anders (vgl. den Bericht von Doris Helmberger in der letzten FURCHE). Und das macht die Sache so undurchsichtig: Geht es um Lintners Eintreten für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare? Um sein Buch „Den Eros entgiften“ (2011)? Eckt an, dass „Homosexualität gottgewollt“ sei, wie auch der Aachener Bischof Helmut Dieser meinte? Oder geht es grundsätzlich um Lintners Plädoyer für eine am konkreten Menschen orientierte, die Vielfalt von Lebensentwürfen berücksichtigende Moraltheologie – weg von Gebots- und Verbotsmoral? Wenn sich diese Mutmaßung bestätigte, wäre Lintner Opfer eines Stellvertreterkriegs: Man schlägt den Sack und meint den Esel! Abgesehen davon, dass Franziskus ohnehin immer unverhohlener attackiert wird und ihn manche am liebsten bereits tot sähen. Lintner Foto: Oliver Bodmer konnte und kann sich dabei immer auf Papst Franziskus berufen, der in dem Nachsynodalen Schreiben Amoris laetita (2016) einer „kalten Schreibtischmoral“ eine Absage erteilte. Dort hatte er, mit Berufung auf Thomas von Aquin, für eine sensiblere „pastorale Unterscheidung“ geworben. Und „Hirten“ gebeten, Menschen in „irregulären“ Situationen (auf die Anführungszeichen kam es an!) nicht so zu behandeln, als seien „moralische Gesetze anzuwenden, als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft“. DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Andreas R. Batlogg SJ „ Lintner gehört zu denen, die daran arbeiten, dass Menschen Kirche als ,ihren‘ Ort erleben. Aber er ist kein Stein. “ Franziskus’ jüngste Personalie, nämlich seinen Intimus, den Erzbischof von La Plata (Argentinien), Victor Manuel Fernández zum neuen Präfekten des Dikasteriums für die Glaubenslehre zu ernennen, hat offenbar im Vatikan zu massiven Irritationen geführt. Er hievt jedenfalls Vertraute in Positionen, deren „Entfernung“ sich ein potenzieller Nachfolger nicht ohne Imageverlust leisten könnte. Deutlich wird hier freilich, dass es gerade nicht nur um einen Stil-, sondern um einen Perspektivenwechsel geht. Franziskus hat „die Lehre“ nicht geändert. Aber er öffnet ständig Räume, damit Problemfelder künftig anders angegangen werden. Auch mit dem Megathema Synodalität – im Oktober beginnt dazu die Weltbischofssynode. Klar ist, dass es dauert, bis sich eine echte synodale Kultur in der Kirche etabliert und die Mentalität endet, die alles top-down entschieden wissen will. Bei aller Kritik: Unterschätzen wir Kardinal Schönborn dabei nicht! Seine letzten Interviews im ORF und auf furche.at zeigen einen langgedienten Erzbischof, der um die Problematik weiß. Und darum, was auf dem Spiel steht. „Sehr viele lehnen Franziskus’ Kurs ab“ Der Papst sucht und braucht Verbündete. Würde er die Causa Lintner zu Gesicht bekommen: Er würde die zuständigen Kardinäle (Bildung und Kultur, Glaubenslehre) zu sich zitieren. Jemanden wie Martin M. Lintner zu verheizen, an dessen menschlicher Integrität und wissenschaftlicher Kompetenz kein Zweifel bestehen kann, ist einfach unanständig. Und grausam. Was ihm passierte, konterkariert den Cantus firmus des Pontifikats von Franziskus. Lintner im O-Ton: „Sehr viele lehnen seinen Kurs und Amoris laetitia ab, würden es am liebsten einstampfen, deshalb braucht er Unterstützung – damit Änderungen, die er angeregt und weitergebracht hat, nicht mehr zurückgeschraubt werden.“ Das sagt einer, der sich verbittert zurückziehen könnte. Gut zehn Jahren älter, bewundere ich ihn für seine kritische Loyalität zur Kirche! Von solchen Theologen, die nicht um ihre „Karriere“ bangen, bräuchte es mehr! Lintner gehört zu denen, die daran arbeiten, dass Menschen Kirche als „ihren“ Ort erleben können. Aber er ist auch kein Stein. Er fordert zu Recht: „Das Nihil obstat-Verfahren gehört reformiert, transparent und fair gestaltet.“ Der neue Glaubenspräfekt, der im September sein Amt antritt, meinte im Interview mit katholisch.de, dass er „im Dialog“ vorgehen wolle. Dieser Dialog ist mit Lintner ausgeblieben. Wenn sich das jetzt ändert, würde das nicht nur ihm helfen und ihn trösten. Sondern auch diejenigen, die ratlos mitansehen, wie die großen Perspektiven, die Franziskus angegangen ist, im Sumpf von Intrigen und überholten Ansichten von der „Orthodoxie“ des Glaubens zu ersticken drohen. Der Autor ist Jesuit und Publizist in München. QUINT- ESSENZ Von Brigitte Quint Via Kurve zum Ziel Zwischen Vizekanzler Werner Kogler und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner kriselt es. Es geht um das Wort „normal“. Sie sagt, sie will Politik für die „normalen“ Menschen machen. Kogler wiederum bezeichnet solche Sager als präfaschistoid. Das wiederum findet Mikl-Leitner abnormal. Vermutlich ist das normal. Aber was weiß ich schon. Ich weiß nur, dass ich das Wort „normal“ herausstreiche, wenn ich Texte redigiere. Es beinhaltet keinerlei informativen Gehalt; verschwendet wertvollen Platz. „Anormal“ übrigens auch. Interessanter ist da schon „Normal“. Groß geschrieben, englisch ausgesprochen. Gemeint ist die Stadt im US-amerikanischen Illinois, 1854 gegründet von einem Joseph Parkinson (soweit ich weiß, weder verwandt noch verschwägert mit James Parkinson, nach dem das Parkinsonsyndrom benannt ist). Jedenfalls hat dieser Joseph Parkinson seinerzeit beim Bau einer neuen Eisenbahn dafür gesorgt, dass diese eine Kurve machen muss, damit sie die bereits vorhandene Eisenbahn an einem ganz bestimmten Punkt kreuzt – und genau an dieser Stelle besaß und kontrollierte der gute alte Parkinson Land. Deshalb liegt der Großteil von „Normal“ bis heute südlich der Bahngleise. Warum der Landstrich ausgerechnet „Normal“ getauft wurde? Damals war dort eine Schule für „Normalisten“ ansässig. So nannte man Lehrer, die den Kindern beibringen sollten, was „normal“ ist. Weil man diese Zuschreibung irgendwann für anormal hielt, wurde die Schule umbenannt. Die Stadt nicht. „Normal“ heißt weiter „Normal“. Johanna Mikl-Leitner hat sich in Niederösterreich alle Gleise so zurechtgebogen, dass der Regierungszug an ihrer Person erstens nicht vorbeikommt und zweitens von ihr kontrolliert werden kann. Als sie fürchtete, an Einfluss zu verlieren, verwandelte sie holterdiepolter eine Sackgasse – die Koalition mit Udo Landbauer – in die einzig denkbaren Strecke zum Ziel. Alles zum Wohle der „Normal“-Bevölkerung, versteht sich. Joseph Parkinson hätte die Gewieftheit der Landeshauptfrau (heißt das in Niederösterreich noch so?) begrüßt. Aber er ist tot. Und wir schreiben auch nicht mehr das Jahr 1854. Im Gegensatz zu St. Pölten ist das in „Normal“ angekommen. PORTRÄTIERT Die kritischen Zeilen des Herrn Salehi In seinem letzten Rap-Song heißt es: „Jemandes Verbrechen bestand darin, mit den Haaren im Wind zu tanzen“. Die Anspielung des bekannten iranischen Rappers Tumadsch Salehi ist mehr als klar. Der Tod der jungen iranischen Kurdin Mahsa Amini am 16. September 2022 löste die seit Langem größten Proteste im Land aus. Sie starb im Polizeigewahrsam, nachdem sie von der Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verstoßen haben soll. Ein großer Unterstützer der Proteste, die auf Aminis Tod folgten, ist Salehi. Nun wurde er in einem umstrittenen Prozess zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt. Wie die iranische Zeitung Shargh unter Berufung auf Salehis Anwalt berichtete, muss der Musiker für sechs Jahre und drei Monate ins Gefängnis. Ein Gericht verhängte demnach eine zweijährige Ausreisesperre sowie ein zweijähriges Berufsverbot für den Rapper. Er sei zudem aus der Isolationshaft in die allgemeine Abteilung der Dastgerd-Haftanstalt in der Metropole Isfahan verlegt worden. Salehi wurde im Herbst 2022 während der massiven Proteste gegen die politische Führung der Islamischen Republik festgenommen. Immer wieder hatte er mit seinen kritischen Texten soziale und politische Missstände angeprangert. Staatsmedien veröffentlichten ein Video des Rappers mit verbundenen Augen, in dem er sich für seine Kritik entschuldigt. Angehörige werfen der iranischen Justiz vor, den Rapper in der Haft gefoltert zu haben. In seinen Auftritten in den sozialen Medien solidarisierte sich der Rapper früh mit den Demonstrationen. Bereits ein Jahr zuvor war Salehi festgenommen worden. Damals kam er auf Kaution frei. Im Zusammenhang mit Salehis Prozess hatte die EU Ende Juni Verantwortliche mit Sanktionen belegt. Betroffen ist unter anderem der General anwalt der Provinz Isfahan. Dieser hat nach EU-Angaben Anklage gegen den 32 Jahre alten Musiker erhoben. Der Rapper sei unter grausamen Bedingungen inhaftiert, hieß es weiter. Irans Justiz klagte den Rapper zunächst gemäß islamischer Rechtsauffassung wegen „Krieg gegen Gott“ und „Korruption auf Erden“ an. Diese Vorwürfe hätten auch ein Todesurteil nach sich ziehen können. Die von Frauen angeführten Proteste im Herbst 2022 waren der größte politische Belastungstest für die Islamische Republik seit Jahrzehnten. Auch hier findet sich eine Zeile von Salehi: „... 44 Jahre Ihrer Regierung. Es ist das Jahr des Scheiterns.“ (Manuela Tomic, APA) Screenshot: youtu.be/nKOInT1Bpik Der iranische Rapper Tumadsch Salehi wurde in einem umstrittenen Prozess zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt.
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