DIE FURCHE · 28 12 Wissen 13. Juli 2023 Von Klaus Stiefel Foto: iStock/ Digital Vision. „Der Blick von oben wirkt sicherlich“ (29.9.2021): „Austronaut“ Franz Viehböck über Emotionen, Experimente und Einsichten im Weltall, auf furche.at. Wird die Menschheit jemals ein Refugium jenseits der Erde finden? Wie Terraforming von der visionären Science-Fiction zur ambitionierten Wissenschaft wurde. Außerirdische Projekte Der Unterschied zwischen Science-Fiction und Fantasyliteratur scheint subtil, könnte aber nicht radikaler sein. Während in Fantasyromanen das Schnippen der Finger zu Superkräften oder zum Erscheinen von beflügelten Feen führt, ist die Handlung in Science-Fiction-Romanen oft wissenschaftlich realistisch. Eine Reise zum Mars hat zwar noch nicht stattgefunden, aber wenn bemannte Flüge zum Mond in den 1960/70er-Jahren möglich waren, dann ist ein Marsflug mit neuerer Technologie doch sicher im Bereich des Möglichen? Auch gibt es noch keine Laserkanonen, mit denen man ein feindliches Raumschiff in Stücke schießen kann, aber so ein hypothetisches Gerät verstößt nicht gegen die Gesetze der Physik. Und die Idee des Terraforming, bei dem die Atmosphäre eines außerirdischen Planeten so modifiziert wird, dass Menschen dort atmen und herumlaufen können? Auch dieses Konzept kommt ohne Zauberei aus und könnte künftig vielleicht umgesetzt werden. Tatsächlich denken ernsthafte Wissenschafter schon seit Jahrzehnten über Terraforming nach. Der 1996 verstorbene amerikanische Astronom Carl Sagan war einer der Ersten, die sich des Themas annahmen. Auch in den letzten 20 Jahren erschienen in der wissenschaftlichen Literatur faszinierende Analysen zum Thema. Terraforming hat heute leider auf unbeabsichtigte Weise neue Relevanz erlangt. Der Klimawandel, der durch den Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlendioxid (CO₂) zustande kommt, ist ja eine ungeplante Variante der atmosphärischen Modifikation. In dem Sinne könnte man den Klimawandel als Anti-Terraforming betrachten, das heißt, als Veränderung einer planetaren Atmosphäre, die für das menschliche Gedeihen weniger gut geeignet ist. Was muss aber nun bei einem erfolgreichen Terraforming passieren? Die Atmosphäre des zu terraformenden Planeten muss so verändert werden, dass die dort herrschenden Temperaturen für Menschen verträglich werden, also etwa zwischen minus zehn und plus 30 Grad Celsius. In vielen Fällen könnte man das durch die Eliminierung oder die Zufuhr von Treibhausgasen (meist „ Die künftigen Terraformer der Venus haben das umgekehrte Problem wie ihre Kollegen auf dem Mars: Sie müssten einen sehr starken Treibhauseffekt einbremsen. “ CO₂) bewirken. Dann muss sichergestellt werden, dass in der Atmosphäre genug Sauerstoff vorhanden ist, wie auf der Erde. Schließlich kann es sein, dass der terraformende Ingenieur giftige Gase und Dämpfe wie Salzsäure beseitigen muss. Der erste Kandidat für ein versuchtes Terraforming ist unser Nachbarplanet, der Mars, einen Orbit weiter von der Sonne entfernt als wir. Zwar sind noch keine bemannten Missionen zum Mars gelungen, aber es ist schon viel geforscht und publiziert worden. Daher kann es wohl nicht mehr lange dauern. Auf bemannte Erkundungen werden dann bald dauerhafte Mars-Stationen folgen – und dann eine Kolonisierung des Roten Planeten, hoffentlich mit einer terrageformten Atmosphäre. Wie realistisch ist ein Terraforming des Mars? Den Boden beackern Die jetzige Atmosphäre des Mars ist kalt und dünn, nur etwa 0,6 Prozent der Dichte der Erdatmosphäre. Aus den Mars-Gesteinen CO₂ freizusetzen, würde die Atmosphäre aufwärmen und verdicken. Eine Studie im Fachjournal Nature Astronomy (2018) berechnete, wie viel Kohlendioxid insgesamt auf dem Mars verfügbar wäre. Dabei beziehen sie alle bekannten Quellen wie das CO₂ der Polkappen des Mars ein. Die Schlussfolgerung: Es ist nicht genug Kohlendioxid auf dem Mars verfügbar, um ihn genug aufzuheizen, damit sich Menschen dort wohlfühlen könnten. Die Terraformer müssten also Kohlenstoff von außerhalb des Mars einbringen. Die zweite Kandidatin für ein Terraforming ist die Venus, unser Nachbarplanet Richtung Sonne. Roter Planet Die jetzige Atmosphäre des Mars ist kalt und dünn. Damit sich Menschen dort wohlfühlen könnten, müssten die Terraformer Kohlenstoff von außerhalb des Roten Planeten einbringen. Das Klima auf der Venus ist sehr unangenehm, mit einer Bodentemperatur von etwa 460 Grad Celsius und Winden, die mit bis zu 360 km/h blasen. Die Atmosphäre der Venus besteht zu einem Großteil aus Kohlendioxid (vgl. die Erde: ca. 0,04 Prozent) und ist auch neunzigmal dichter als die Atmosphäre der Erde. Dadurch herrschen auf dem Planeten ganz extreme Treibhausbedingungen, die zusammen mit dem geringeren Abstand zur Sonne die hohen Oberflächentemperaturen bedingen. Die zukünftigen Terraformer der Venus haben also das umgekehrte Problem wie ihre Kollegen auf dem Mars: Sie müssten einen sehr starken Treibhauseffekt einbremsen. 2011 verglich der NASA-Forscher und Science-Fiction-Autor Geoffrey Landis mehrere Methoden, mit denen das gelingen könnte. Carl Sagan hatte ursprünglich vorgeschlagen, einzellige Algen in die Atmosphäre der Venus einzubringen, die mittels Photosynthese das viele Kohlendioxid binden. Allerdings sah er später ein, als die atmosphärischen Verhältnisse auf der Venus besser bekannt waren, dass die Bedingungen dort so extrem sind, dass irdische Algen das nicht überleben würden. Weitere Methoden wären das Umackern des Venusbodens bis zu einen Kilometer tief, um die Bildung von Karbonatgesteinen aus dem atmosphärischen Kohlendioxid zu begünstigen. Oder auch das Wegblasen großer Teile der Venus-Atmosphäre mittels auf den Planeten abgelenkter Asteroiden – keine einfachen Unterfangen! Auf Mars und Venus würde das Terraformen also nur mit extrem hohen Energieaufwand funktionieren. Außerdem ist das Zusammenspiel der Gase in der Atmosphäre, der Wolken, der Gesteine, die im Gasaustausch eine Rolle spielen, und der Eiskappen, die auf dem Mars das Sonnenlicht reflektieren, ein komplexes dynamisches System: Kleine Änderungen eines Parameters wie der Fläche der Eiskappen können zu großen Änderungen im Endresultat wie der Temperatur des Planeten führen. Diese Nichtlinearitäten können im Extremfall auch zu Chaos, also zu Änderungen im Endresultat durch minimale Änderungen der Ausgangsbedingungen, führen. Das macht solche komplexen dynamischen Systeme schwer vorhersagbar. Globale Krisen Das Terraformen von Venus und Mars ist also nicht prinzipiell unmöglich, stößt aber an schwerwiegende Grenzen und wird wohl noch Jahrtausende dauern. Wird es überhaupt je gelingen? Das hängt wahrscheinlich davon ab, ob es die Menschheit schafft, den eigenen Planeten auf Dauer in einem Zustand zu erhalten, der es ermöglicht, eine hochtechnologische Zivilisation auf funktionierendem Niveau zu betreiben. Wenn wir ständig damit beschäftigt sein werden, eskalierende Dauerkrisen wie Kriege, Klimawandel und Umweltzerstörung zu managen, werden wir nicht die Ressourcen haben, andere Planeten zu besiedeln. Das führt zur Modifikation der Erdatmosphäre zurück: In den letzten Jahren, seitdem immer mehr Menschen klar geworden ist, wie schwerwiegend der menschengemachte Klimawandel ist, gab es immer mehr Vorschläge, diesen Klimawandel durch großangelegte „Geoengineering“-Projekte zu bremsen. Das Abkühlen der Atmosphäre durch Aerosole – also kleine Partikel, die Sonnenstrahlung reflektieren – oder das Düngen der Ozeane, damit das Plankton dort mehr CO₂ aufnimmt, sind hier zwei häufig diskutierte Ansätze. Diese Vorschläge sind sicher gut gemeint. Aber würden sie funktionieren oder möglicherweise unbeabsichtigten Schaden anrichten? Die oben erwähnten Nichtlinearitäten machen es schwer, eventuelle Katastrophen komplett auszuschließen. Die vernünftigste Vorgehensweise ist weiterhin, die Prävention der Klimakatastrophe vor einen Lösungsversuch mit ungetesteten Methoden zu stellen – und natürlich die Bewahrung unseres Heimatplaneten vor dem Terraforming anderer Planeten zu priorisieren. Der Autor ist Biologe, populärwissenschaftlicher Autor und Naturfotograf. Er lebt zurzeit auf den Philippinen.
DIE FURCHE · 28 13. Juli 2023 Wissen 13 Vor 50 Jahren erschien ein Klassiker der Nachhaltigkeitsliteratur. Mit „Small is beautiful“ erwies sich Ernst F. Schumacher als hellsichtiger Kritiker der technologischen Entwicklung. Gegen den Größenwahn Von Martin Tauss Macht der technische Fortschritt unser Leben einfacher oder komplexer, leichter oder mühseliger – oder beides zugleich? „Als ich begann, die Welt zu bereisen, und reiche und arme Länder besuchte, war ich versucht, den ersten Grundsatz der Wirtschaftswissenschaft wie folgt zu formulieren: ‚Die Menge an wirklicher Muße, die eine Gesellschaft hat, steht im umgekehrten Verhältnis zur Menge an arbeitssparenden Maschinen, die sie verwendet‘.“ Das schrieb Ernst Friedrich Schumacher, der 1955 als ökonomischer Berater im damaligen Burma (heute Myanmar) tätig war. Dort entwickelte der deutsche Ökonom, der noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs nach England geflohen war, die Grundregeln einer „buddhistischen Wirtschaftslehre“. Darin sah Schumacher nicht nur ein Vorbild an Einfachheit und Friedfertigkeit, sondern auch den Ausdruck einer radikalen Vernunft: Denn „erstaunlich kleine Mittel“ würden so „zu außerordentlich zufriedenstellenden Resultaten“ führen. Er war überzeugt, dass die „Produktion von lokalen Betriebsmitteln für die lokalen Notwendigkeiten die rationalste Weise des Wirtschaftens ist“. Eleganz und Schönheit Die Abkehr vom westlichen Materialismus durchzieht sein einflussreiches Werk „Small is beautiful“ (1973), das zu einem Klassiker der Umweltbewegung und Nachhaltigkeitsliteratur werden sollte. Das Buch stand zunächst im Schatten des ein Jahr zuvor publizierten Berichts über die „Grenzen des Wachstums“. Die Studie des „Club of Rome“ zeigte empirisch, was es bedeutet, wenn die planetaren Ressourcen weiter ausgebeutet werden. Schumacher hingegen ging einen Schritt weiter und reflektierte über die tieferen geistes- und sozialwissenschaftlichen Bezüge, die sich aus einer Abkehr vom bisherigen industriellen Entwicklungspfad ergeben würden. „Wer das Buch als Angehöriger einer jüngeren Generation zum ersten Mal liest, wird sich fasziniert die Augen reiben und feststellen: ‚Small is beautiful‘ war nicht nur seiner Zeit voraus, sondern ist von einem Scharfsinn geprägt, der das Gros aller späteren Einlassungen zum Thema blass aussehen lässt“, schreibt der Nachhaltigkeitsforscher Niko Paech im Vorwort zur jüngsten Neuauflage im oekom-Verlag. „ Schumachers radikales Werk inspirierte auch den jetzigen König Charles III., der sich schon früh für ökologische Landwirtschaft einsetzte. “ E. F. Schumacher plädierte für eine „Mittlere Technologie“ – d. h. „der primitiven Technologie früherer Zeiten weit überlegen, zugleich aber sehr viel einfacher, billiger und freier als die Supertechnologie der Reichen“. In einer Zeit, in der der Vormarsch der Künstlichen Intelligenz beschworen und gefürchtet wird, ist es besonders spannend, Schumachers Argumente für eine „Technologie mit menschlichen Zügen“ wieder aufzuschlagen: „Denn dem Menschen, den Thomas von Aquin als ein Lebewesen mit Hirn und Händen definiert, bereitet nichts mehr Freude, als mit seinen Händen und seinem Hirn zugleich schöpferisch, nützlich und produktiv tätig zu sein.“ So gesehen habe der Prozess der Industrialisierung, der heute noch mehr in die Automatisierung führt, dem Menschen genau jene Art von Arbeit genommen, die er am liebsten tut. Schumachers Plädoyer für eine „Mittlere Technologie“ orientiert sich an einem Wertesystem, das zutiefst menschlichen Bedürfnissen gerecht zu werden versucht: dem Streben nach Freude und Zufriedenheit, Schönheit und Weisheit. Er sezierte die Tatsache, dass genau diese Bedürfnisse bei der grassierenden Großmannssucht oft unter die Räder kommen. „Immer größere Maschinen, die immer größere Konzentrationen von Wirtschaftsmacht und immer größere Gewalt gegen die Umwelt mit sich bringen, sind kein Ausdruck des Fortschritts: Sie sind eine Verleugnung von Weisheit“, so der Umweltpionier, der 1971 zum katholischen Glauben konvertiert war. „Weisheit verlangt nach einer Neuorientierung von Wissenschaft und Technologie, hin zum Organischen und Sanften, zum Eleganten und Schönen.“ Kein Wunder, dass Schumacher oft als rückständig gebrandmarkt wurde. Doch sein Werk zog damals weite Kreise und inspirierte auch den jetzigen König Charles III., der sich schon früh für ökologische Landwirtschaft einsetzte. Heute empfiehlt sich dringend eine relecture: Denn dieser Neuentwurf von Technologie birgt letztlich eine neue Vorstellung von Lebensqualität. Small is beautiful Die Rückkehr zum menschlichen Maß Von Ernst F. Schumacher. Neuauflage mit einer Einführung von Niko Paech oekom-Verlag 2019, 320 S., geb., € 29,50 Foto: Ernst Schumacher Illustration: Rainer Messerklinger Von Manuela Tomic Rhythmus im Blut MOZAIK Im Unterricht ließ mich der Musiklehrer Herr M. immer die schwierigsten Takte wiederholen. Wenn ich diese korrekt nachklatschte, rief er in die Klasse: „Die Balkaner, die haben den Rhythmus im Blut!“ Zwölf Jahre später saß ich an einem kalten Wintertag mit einem amerikanischen Freund in der Ausländerbehörde in Berlin, weil wir beide unsere Visa verlängern mussten. Die Stimmung war angespannt, um uns herum saßen viele Familien mit Kindern. Wir wurden ins selbe Stockwerk verwiesen und warteten. Nach einer Weile bemerkte mein Freund süffisant und mit amerikanischem Akzent: „Es gibt nur einen Ort, an dem die Balkaner nicht tanzen: Es ist die Ausländerbehörde.“ Ich musste auflachen. Auch ich mache gerne Balkanwitze und erfülle viele Klischees der lustigen Südosteuropäerin. Oft zu meinem Vorteil. Doch wo verläuft die Grenze zwischen Spaß und der nötigen Ernsthaftigkeit, mit der man etwa den Journalistenberuf ausübt? In dieser Kolumne? Ich möchte mich von den Klischees lösen, sie mir vom Leib schreiben. Das habe ich mir fest vorgenommen. Wird schwierig. Ich tanze wirklich für mein Leben gern. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Jetzt als Podcast! Den Briefwechsel zwischen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger gibt es nun auch zum Anhören. In sieben Folgen erzählen die beiden von ihrer eigenen Welt – und lernen jene ihres Gegenübers kennen. ERKLÄR MIR DEINE WELT Die Folgen finden Sie auf furche.at/podcast bzw. über diesen QR-Code:
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