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DIE FURCHE 13.07.2023

DIE FURCHE

28 · 13. Juli 2023 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 79. Jg. · € 4,– Die Rutte-Dämmerung Der niederländische Premier nimmt Abschied von der Politbühne. Über einen Pragmatiker, der es vermochte, Probleme wegzulachen. · Seite 8 Herbert Grönemeyer: Humanismus mit Poetik Der Künstler schreibt seit über vier Jahrzehnten Musik für Kopf, Herz und Beine. Sein neues Album trotzt dem Zeitgeist. · Seite 9 Schwarz oder weiß? Die unselige Verbindung Hautfarbe = Charakter wurde auch durch Literatur hergestellt. Mit ihrer bereits 1983 erschienenen Erzählung „Rezitativ“ lädt Toni Morrison zu einem eindrücklichen Selbstexperiment ein. · Seite 17 Das Thema der Woche Seiten 2–4 Zuversicht braucht es von Kindesbeinen an. Wie man lernt, seine Sorgen hinter sich zu lassen, und eine positive Haltung entwickelt. Kopf hoch! Illustration: Rainer Messerklinger Foto Morrison: imago / ZUMA Wire „Heilige Kuh“ nutzt der FPÖ Österreichs Teilnahme am Luftverteidigungssystem „Sky Shield“ fügt der Endlos-Neutralitätsdebatte eine Schleife hinzu – und zeigt gleichzeitig auf, wie Kickl und Co eine sicherheitspolitische Frage für ihre Zwecke instrumentalisieren. Seiten 5–6 Die NATO war richtig beraten, die Ukraine nicht vorschnell in das Bündnis aufzunehmen. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass viele essenzielle Fragen offen bleiben. Die eigene Haut gerettet AUS DEM INHALT Weltgeschichte in Geschichten Heinz Nußbaumer – Journalist, Präsidentensprecher, Brückenbauer sowie langjähriger Mitherausgeber und Kolumnist der FURCHE – wird 80 Jahre alt. Eine Würdigung. Seite 10 Von Brigitte Quint Der NATO-Gipfel in Vilnius brachte Klarheit: Es fehlt an politischem Willen, einen Staat in das Bündnis aufzunehmen, der Opfer eines russischen Angriffskrieges geworden ist. Für Wolodymyr Selenskyj und das ukrainische Volk ist das ein Dämpfer. In der Sache ist die Entscheidung aber durchaus nachvollziehbar. Gemäß Artikel zehn des Washingtoner Vertrages können die NATO-Mitgliedstaaten jeden anderen europäischen Staat einladen – wenn dieser es vermag, zur Sicherheit des nordatlantischen Gebiets beizutragen. Im Falle der Ukraine ist das Gegenteil der Fall. Das Land befindet sich im Krieg mit der größten Atommacht der Welt. Hätte man die Ukraine zum vollwertigen Mitglied gemacht, dann könnte sie sich ab Tag eins auf den Artikel fünf der NATO-Charta berufen. Im Klartext: Der dritte Weltkrieg wäre keine Dystopie mehr, sondern ein realistisches Szenario. Der Konjunktiv ist hier bewusst gewählt. Denn den Verantwortungsträgern des Atlantischen Bündnisses stünde es freilich frei, eine neue Mitgliedschaft an neue Bedingungen zu knüpfen; sicherheitspolitische Klauseln einzusetzen. Etwa dass der Bündnisfall erst nach Beendigung „ Der Verweis auf den ‚Reformbedarf‘ ist im Hinblick auf Mitglieder wie Ungarn oder die Türkei Spiegelfechterei. “ eines aktuellen Konflikts greift. Denkbar wäre auch, ähnlich vorzugehen, wie das 1955 beim geteilten Deutschland der Fall gewesen ist: Westdeutschland wurde in die NATO aufgenommen, die DDR blieb außen vor. Unbestritten bedeutete das eine Zensur für die territoriale Integrität der Ukraine. Doch die Option wurde sehr wohl diskutiert – und schnell wieder verworfen. Was einmal mehr zeigt, dass der politische Wille, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, bei den meisten Mitgliedstaaten enden wollend ist. Der laute Warnruf eines Henry Kissingers Der Verweis auf Kriterien, die es noch zu erfüllen gilt, ist indes Spiegelfechterei. Angeführt wurde etwa, dass in puncto Rechtsstaatlichkeit und Demokratie noch Reformbedarf besteht. Im Hinblick auf Mitgliedstaaten wie die Türkei, Ungarn, Polen, aber auch Bulgarien oder Albanien kann man an dieser Stelle nur milde lächeln. Dennoch dürfte das einer der Gründe sein, warum sich Länder wie die USA und Deutschland so vehement gegen eine Aufnahme ausgesprochen haben. Viele sehen und sahen die Ukraine auch abseits des Kriegszustandes als Unsicherheits faktor. Nach der Institutionalisierung eines NATO-Ukraine-Rates haben sich die einschlägigen Länder nun mittels neu zugesagter Waffenlieferungen aus dem Dilemma herausmanövriert. Aus den USA kommt Streumunition, Deutschland schnürte ein „Schützenhilfepaket“ im Wert von 700 Millionen Euro, Frankreich will nun doch Marschflugkörper liefern. Vor diesem Hintergrund gilt es, sich ein Zitat von Henry Kissinger, Ex-Außenminister der USA und politische Jahrhundertgestalt, vom Mai 2023 vor Augen zu führen: „Wir haben die Ukraine so aufgerüstet, dass sie das am besten bewaffnete Land mit der strategisch am wenigsten erfahrenen Führung in Europa sein wird.“ Die Ukraine auf Abstand zur NATO zu halten, hält Kissinger daher „für wahnsinnig gefährlich“. Das ist die Kehrseite des jüngsten NATO- Beschlusses. Es bleibt ein fahler Nachgeschmack und die Frage, ob alle Variablen richtig gewichtet wurden. Auch in Bezug auf den weiteren Kriegsverlauf. Inwiefern nutzt Putin den Wartezimmerstatus der Ukraine für seine Zwecke? Wie wird sich die Beziehung zwischen der NATO und der Ukraine entwickeln, wenn sich Personalien verändern? Stichwort Trump, Marine Le Pen – aber auch Selenskyj. In den vergangenen Tagen konnte man dabei zusehen, wie es der Westen vermag, seine eigene Haut zu retten, und wie das Schicksal des ukrainischen Volkes besiegelt wurde: Es kann sich fortwährend nur auf sich selbst verlassen und auf weitere Almosen hoffen. Ein Lehrstück in Sachen Realpolitik, aber definitiv kein Anlass für Hoffnung. brigitte.quint@furche.at Außerirdische Projekte Wird die Menschheit jemals ein Refugium jenseits der Erde finden? Wie Terraforming von der visionären Science-Fiction zur ambitionierten Wissenschaft wurde. Seite 12 Szenen eines wilden Ritts Angesichts der jüngsten Gewalt in Frankreichs Straßen wirkt Lola Quivorons Debütfilm „Rodeo“ wie ein Kommentar zur drastischen sozialen Realität. Seite 19 Sushi und Buchweizen Lydia Mischkulnig über Nationalsprachen im Dienst der Literatur und die Einsicht: Das Ukrainische „braucht ein Zimmer für sich allein“. Seite 20 Materialität und Haptik Eduardo Chillida gilt als Meister der abstrakten Skulptur. In der Ausstellung in der Kunsthalle Krems faszinieren aber auch seine Papierarbeiten. Seite 20 furche.at Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0

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