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DIE FURCHE 13.06.2024

DIE

DIE FURCHE · 24 4 Das Thema der Woche Frieden finden 13. Juni 2024 Soldaten in Lourdes Eine Aufnahme der Lichterprozession durch den Heiligen Bezirk zur Esplanade bei der internationalen Soldatenwallfahrt 2024. Bischof Freistetter führte die österreichische Delegation an. „ Was Kirchen überhaupt tun können oder nicht tun sollten, ist ohnehin fraglich. Das sieht man in Russland. “ nommen wurden. Die UNO-Satzung verbietet jede Art von Gewaltanwendung zwischen den Staaten. Natürlich auch den Angriffskrieg. Das ist eine der wenigen Verhaltensweisen, die im Völkerrecht wirklich als Verbrechen geächtet wird. Diese Leitlinie hat übrigens auch Pius XII. in einer Ansprache aus den späten 1940er Jahren vertreten. Damals sagte er, dass es in der internationalen Gemeinschaft darum gehe, kleinere Staaten vor der Willkür mächtiger Staaten zu schützen. Und er rief auch andere Staaten auf, den Angegriffenen beizustehen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat später dann etwas formuliert, das auch in unserer Situation noch eine Maxime sein kann: In Gaudium et spes – diesem großen Dokument über die Beziehung von Kirche und Welt – werden die Übel des Krieges aufgezählt. Eine Formulierung lautet sinngemäß: Solange die Gefahr von Krieg besteht und es noch keine internationale Autorität gibt, die diesen verhindern kann beziehungsweise alle friedlichen Mittel erschöpft sind, hat eine Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung. Kurzum: Die Gefahr von Krieg ist real und es besteht auch die Gefahr, dass sich Mächtige einfach aus ihrem Machtinteresse heraus durchsetzen. In Gaudium et spes heißt es auch, dass nicht alle Mittel eingesetzt werden dürfen, die möglich wären. Auch, dass man sich an die Regeln des humanitären Völkerrechts halten muss. Und das ist eigentlich die Position, die viele christliche Soldaten durchaus nachvollziehen können. Lesen Sie auch den Text „Die Illusion einer atomwaffenfreien Welt“ (14.9.2022) von Ulrich H. J. Körtner auf furche.at. Das Gespräch führte Brigitte Quint Militär und Kirche – für viele ist das ein Widerspruch in sich. „Solange es die Möglichkeit von Krieg gibt, gilt es, die Menschen im Krieg religiös-geistlich zu begleiten“, sagt dazu Österreichs Militärbischof Werner Freistetter. Im Rahmen der internationalen Soldatenwallfahrt nach Lourdes, wo Soldaten aus aller Welt für den Frieden beten, sprach DIE FURCHE mit ihm über Gewalt und die christliche Position dazu, die großen Kriege der Gegenwart, die Frage, wie die Kirchen als Vermittler agieren können – und das Fundament von militärischer Ethik. DIE FURCHE: Bei nicht wenigen herrscht die Meinung vor, dass sich Soldatinnen und Soldaten naturgemäß mehr 1997 bis 2015 leitete Werner Freistetter das Institut für Religion und Frieden der katholischen Militärseelsorge Österreichs in Wien. Seit 2015 ist er Militärbischof für Österreich. Österreichs Militärbischof Werner Freistetter über die Beziehung von Kirche und Krieg, eine Welt ohne Gewalt, die Rolle der Friedensbotschaft beim Heer – und was für ihn Hochverrat am Menschen wäre. „Der Auftrag, die Gipfel zu finden“ mit dem Krieg, als mit dem Frieden beschäftigen. Wo setzt hier die Militärseelsorge an? Werner Freistetter: Die Militärseelsorge gibt es, weil es die Möglichkeit von Krieg gibt. Diese besondere Form der Seelsorge war immer schon dazu bestimmt, Menschen im Krieg religiösgeistlich zu begleiten. Eigentlich haben sich sehr früh Orden darum gekümmert. Dann bekam die Militärseelsorge eine organisierte Gestalt. In der späteren Neuzeit waren es etwa die Franziskaner, die Menschen auf dem Schlachtfeld begleitet, versorgt oder Verwundete und Tote geborgen haben. Es ist also eine Situation, die uns als Menschheit durch Jahrhunderte begleitet. Dann hat es auch immer Versuche gegeben, Gewalt einzudämmen, unter Regeln zu stellen. Das war von mehr oder weniger Erfolg gekrönt. Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges haben wir eine Situation mit der Organisation der Vereinten Nationen gefunden, wo frühere Versuche, den Krieg zu ächten, aufge- Fotos: HBF/Trippolt DIE FURCHE: Bei vielen Menschen dominiert die Vorstellung, die Kirchen sollten ausschließlich für eine Welt ohne Gewalt stehen. Es gibt auch nicht wenige Stimmen in der katholischen Kirche, die bedingungslosen Pazifismus fordern. Das zeigt sich aktuell gerade vor allem in Bezug auf den Krieg in der Ukraine oder in Gaza. Freistetter: Eine Welt ohne Gewalt ist die Maxime Jesu. Dafür ist er ans Kreuz gegangen. Das Kreuz war die erlittene Gewalt; brutalste Gewalt. Dass diese zum Heil wurde, ist der im Glauben anerkannten Tatsache geschuldet, dass hier Gott selbst am Wirken war. Die Frage, die sich dabei stellt – und die hat sich sehr bald gestellt, als die Kirche in eine Situation gekommen ist, in der sie auch gesellschaftlich und politisch relevant und gestaltungsmächtig wurde –, lautet: Wie setzen wir Jesus Maxime um? Wie erwähnt, gibt es Militärseelsorge deswegen, weil es Krieg geben kann. Die Aufgabe der Militärseelsorge liegt allen voran in der Begleitung von Menschen in einer existenziell schlimmen Situation – und nicht so sehr darin, dass wir uns in alle politischen Fragen einmischen, weil wir es besser wüssten oder die Lösungen hätten. Würde sich die Kirche gegen diese Begleitung verwahren, wäre das in meinen Augen ein Hochverrat am Menschen. Die rechtliche „ Franziskus spricht eben von einer anderen Welt, die nicht bloß utopisch ist, sondern die möglich ist – und die den guten Willen voraussetzt. “ Begründung der Militärseelsorge ist ja nicht die Unterstützung der Regierungspolitik, sondern die Sicherung der religiösen Rechte der betroffenen Soldatinnen und Soldaten. Was den bedingungslosen Pazifismus betrifft, so muss man sich also ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, ob wir eine Welt wollen, in der Mächtige ungehindert ihren Willen durchsetzen können, nur weil sie mächtig sind. DIE FURCHE: Welche Haltung vertreten Sie hinsichtlich der beiden großen Kriege der Gegenwart? Freistetter: Die Kriege in der Ukraine und in Gaza könnten aufgrund der Entstehungsbedingungen unterschiedlicher nicht sein. Im Nahen Osten geht es um einen brutalen Angriff einer Terrororganisation gegen einen Staat. Dass Israel sich dagegen zur Wehr setzt, wurde allgemein als Recht anerkannt. Der Nahost-Konflikt unterscheidet sich von anderen Konflikten vor allem deshalb, weil so viel Religion und Geschichte mit hineinspielen. Der Tempelberg ist für mich das Sinnbild schlechthin. Zunächst jüdisch, christlich und dann muslimisch. Und für mich verdichten sich die religiö-

DIE FURCHE · 24 13. Juni 2024 Das Thema der Woche Frieden finden 5 sen Konflikte an diesem Ort. Meine Bewertung zu Gaza lautet dennoch: Israel wurde angegriffen, hat sich verteidigt und das mit einer Regierung, die stark auf Gewalt setzt. Diese Stärke geht auf Kosten der Schwächsten. Allerdings hängt jede Lösung des Konfliktes auch davon ab, wie die umgebenden Staaten und Großmächte mit ihren Interessen agieren. Es kann keine Lösung in Israel geben, wenn nicht die großen Staaten und die Großmächte rundherum ihren Einfluss wirksam machen. Und im Falle der Ukraine geht es um zwei Staaten, deren Rechte eigentlich im internationalen Recht geregelt sind. Bezeichnend ist, dass auch die russische Seite diesen Krieg als Verteidigung darstellt. In Russland herrschte seit Jahrzehnten viel Verbitterung bei den Eliten aufgrund der missglückten wirtschaftlichen Transformation, dem Bedeutungsverlust. Das hat man im Westen lange nicht sehen wollen. Aber selbst, wenn man es gesehen hätte, wüsste ich nicht, wie man diese Katastrophe hätte verhindern können. Ich habe mir Putins Ansprachen angehört. Darin ging es um die Auslöschung einer Identität, der ethnischen und kulturellen Identität eines Volkes. DIE FURCHE: Müssten die Religionsvertreter nicht noch stärker als Vermittler auftreten? Freistetter: Zu Gaza: Die Vielfalt von Glaubensrichtungen in Israel ist erheblich. Es gibt unterschiedliche Glaubensrichtungen bei den Juden und auch bei den Muslimen. Und es gibt ganz unterschiedliche christliche Konfessionen. Die katholische Kirche und ihr Oberhaupt, Papst Franziskus, ist hier eine unter anderen. Außerdem keine unbelastete in diesem Raum. Vor allem in Israel. Was Kirchen überhaupt tun können oder nicht tun sollten, ist ohnehin fraglich. Das sieht man in Russland. Vor allem, wenn zum Beispiel die eine große orthodoxe Kirche die Politik dieser Regierung voll unterstützt und rhetorisch untermauert. Andere orthodoxe Kirchen – diese sind ja alle recht selbständig – machen das nicht. Aber das zeigt schon die Spannungen, die es auch innerhalb dieser Glaubensgemeinschaften gibt. Und auch im Islam gibt es diese unterschiedlichen Richtungen und Konflikte. Die müssten sich zunächst einmal einigen, wohin es religiös eigentlich gehen soll. Das ist eine Art von gordischem Knoten, den man nicht wie Alexander der Große mit einem Schwertstreich lösen kann. DIE FURCHE: Soldatinnen und Soldaten, zumal jene auf realen Schlachtfeldern, stehen vor ethischen, ja existenziellen Dilemmata zwischen Töten und Getötetwerden. Wie können sie damit umgehen? Freistetter: Nach dem Fall des Kommunismus wurde das Bundesheer ausgerichtet auf friedensunterstützende, friedenserhaltende Maßnahmen. Das ist während der Zeit des Kalten Krieges als Nebenschauplatz gehandelt worden. Es war so, dass man gesagt hat: Die Armeen demokratischer Staaten haben jetzt, wo der Kalte Krieg gelöst ist, die Aufgabe, in den unruhigen Gebieten, dafür zu sorgen, dass Friedensmaßnahmen militärisch abgesichert werden, sodass sich dann eine Zivilgesellschaft entwickeln kann. Darauf haben wir jahrzehntelang unsere ganze Armee vorbereitet. Insofern müssen sich die Soldaten des Bundesheeres mit ethischen Fragen auf dem Schlachtfeld zum Glück nur sehr theoretisch auseinandersetzen. Was jetzt natürlich – auch angesichts des Krieges in der Ukraine – kommt, ist eine Wiedererringung einer Kapazität zur Landesverteidigung. Oft wird gesagt: Wir sind von Freunden umgeben. Aber ich sehe es auch so, dass wir uns mit ihnen gemeinsam um die Verteidigung kümmern müssen. Sprich: Sie wird langfristig nur in einem europäischen Verbund möglich sein. Und spätestens dann werden die Fragen nach Moral und Ethik inmitten eines bewaffneten Konfliktes eine neue Dimension erhalten. Auch in Österreich. „ Wir werden uns mit unseren Nachbarn gemeinsam um die Verteidigung kümmern müssen. Sprich: Sie wird langfristig nur in einem europäischen Verbund möglich sein. “ DIE FURCHE: Waren oder sind Sie auch im Austausch mit Soldatinnen und Soldaten, die tatsächlich in bewaffneten Konflikten stehen? Freistetter: Ja, ich war Anfang der ersten Hälfte der 1990er Jahre und dann sporadisch immer wieder eingeladen an der Naval Postgraduate School in Kalifornien. Das ist an sich eine Hochschule der Marine, wo alle Teilstreitkräfte Kurse machen und auch jene der Verbündeten. Ich hatte dort ein Seminar über „Religion and Politics in Europe“ und habe Studentinnen und Studenten kennen gelernt, die tatsächlich im Irak oder in Afghanistan gekämpft hatten. Die haben natürlich einiges erzählt. Da wurde mir einmal mehr eine Tatsache bewusst, die im Grunde aus allen Kriegen überliefert ist: Was einen Soldaten durchhalten lässt, ist die Fokussierung auf das Überleben der eigenen Kleingruppe, den militärischen Kern, mit dem jeder Soldat direkt in Beziehung steht. Es gilt, sich mit Emotionen wie Angst und Hass auf den Gegner auseinanderzusetzen. Und deshalb ist es wichtig, dass Soldaten hier ganz klare Prinzipien verinnerlicht haben. Ich beziehe mich auf die Regeln, die im humanitären Völkerrecht verankert sind, also etwa die Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen. Was natürlich ungemein schwierig ist, wenn zivile Ziele militärisch von der Gegenseite genutzt werden. Das gehört meiner Meinung nach in einem demokratischen Rechtsstaat zum ethischen Profil und Selbstverständnis jedes Soldaten. Das Augenmerk müssen wir daher auf die innere Kultur der Streitkräfte legen. Es hat also keinen Sinn, hehre Prinzipien zu verkünden, wenn die Praxis in der Ausbildung und im soldatischen Alltag anders aussieht. Ich sage immer: Militärische Ethik lernt man durch das Leben beim Militär. Aus dem Vietnamkrieg weiß man, dass es eine Wechselwirkung gibt zwischen Behandlung des Gegners und innerer Disziplin. Denn das Rechtsbewusstsein der Menschen ist ein einheitliches. Wenn Regeln in einem Fall nicht eingehalten werden, warum sollten diese dann im anderen Fall eingehalten werden? Ich spreche hier von einer Aufgabe, die es international zu lösen gilt, auch wenn ich nicht weiß, wie es sich mit den internationalen Beziehungen langfristig verhält. DIE FURCHE: Es gab zuletzt weltweit heftige Kritik an Papst Franziskus und seinem Appell an Wolodymyr Selenskyj, über Frieden nachzudenken, Stichwort „weiße Fahne“. Viele störten sich daran, dass sich der Papst explizit an den Angegriffenen und nicht direkt an Wladimir Putin gewendet hatte. Wie ordnen Sie das ein? Freistetter: Am Anfang des Konfliktes hat es durchaus Versuche des Heiligen Stuhls gegeben, mit Putin und mit der orthodoxen Kirche in Verbindung zu treten. Nur man hat sich eine richtiggehende Abfuhr eingehandelt. Hier spielen auch alte Vorurteile von orthodoxen russischen Christen gegenüber den Würdenträgern der katholischen Kirche mit hinein. Aber zu Franziskus: Ich habe für mich ein Bild gefunden, mit dem ich seine Rolle auch meinen Soldaten näherbringen kann. Franziskus zeigt uns die erleuchteten hellen Gipfel, zu denen wir unterwegs sind. Wir aber sind in den Wäldern unterwegs und müssen den Weg zu diesen hell erleuchteten Gipfeln erst auskundschaften. Wie der Weg dorthin gehen soll, sagt uns erst einmal keiner. Unser Auftrag ist, ihn zu finden. Franziskus spricht eben von einer anderen Welt, die nicht bloß utopisch, sondern die auch möglich ist. Die aber den guten Willen aller voraussetzt. Ich glaube, dass seine Stellungnahmen oft nicht im Ganzen gesehen werden. Er argumentiert eben nicht in einer militär-ethischen Kasuistik. Sondern er möchte seine große Vision, die wir ja alle in Wirklichkeit haben, immer wieder auch den Mächtigen und Verantwortlichen darlegen. Österreichs oberster katholischer Militärseelsorger Werner Freistetter spendet den Soldatinnen und Soldaten vor dem gemeinsamen Abmarsch den Segen. Neuanfang in jeder Herausforderung Baustellen haben oft einen schlechten Ruf und sorgen für Frustration im Alltag – sei es durch Staus, Umwege oder Verspätungen. Doch was wäre, wenn ein neuer Blick auf sie geworfen wird? In seinem inspirierenden Buch lädt Pater Martin Werlen dazu ein. Er zeigt, wie Baustellen nicht als Hindernisse, sondern als Chancen gesehen werden können. Mit ermutigenden Impulsen wird deutlich, wie in Krisen und Umbrüchen das Positive gefunden und mutig neue Wege gegangen werden können. Werlens Einsichten beflügeln und offenbaren die Kraft, die in jeder Baustelle steckt. 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