DIE FURCHE · 24 24 13. Juni 2024 Die Anwältin und Journalistin Zhang Zhan verbrachte vier Jahre im Gefängnis, weil sie kritisch über den Ausbruch des Corona-Virus in Wuhan berichtete. Nun wurde sie entlassen, frei ist sie dennoch nicht. „Ich werde nicht brechen“ Von Manuela Tomic Riesenrad Illustration: Rainer Messerklinger MOZAIK Eines Nachts kam Vater mit einem Fahrrad geschultert nach Hause. Obwohl mir das rapsgelbe Rad mit riesigen Reifen Angst einflößte, konnte Vater es kaum erwarten: Im Licht der Straßenlaternen vor unserem Reihenhaus hievte er mich auf den hohen Sitz und gab mir einen sanften Schubs. Ich ratterte über den Asphalt und stürzte in einen Busch. Zerrupft und verzweifelt rannte ich in mein Zimmer und das Fahrrad verschwand für immer im Keller. Wenige Jahre später wollte Vater mir in einem verlassenen Industriepark das Autofahren beibringen. Der Motor heulte auf, meine Schwitzhände packten statt der Kupplung die Handbremse. Der Wagen stoppte abrupt. Vater bewahrte Ruhe. Als LKW-Fahrer war er der König der Autobahn. Ich hingegen habe bis heute keinen Führerschein. In der Großstadt brauche ich weder Rad noch Auto. Nur als Studentin fuhr ich einmal mit dem Wiener Riesenrad. Die Fahrradfahrer und Autos zu meinen Füßen wurden immer kleiner. Gerne hätte ich Vater über die Stadt gehievt. Doch ohne Krone schwingt er sich nicht aufs Rad. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Die Kolumnen gibt es jetzt als Buch! Foto: Bildnachweis Von Manuela Tomic Herbst kommt und auch der Winter, aber bitte seid nicht traurig, denn der Frühling ist schon bei Schnee und „Der Regen eingezogen. Die Samen sind bereit, aus dem Boden zu sprießen, damit sie sich entfalten können, wenn der Tag kommt.“ Mit diesen Worten tröstete die ehemals inhaftierte chinesische Journalistin Zhang Zhan ihre Mutter in einem Brief aus dem Gefängnis. Eigentlich ist Zhan, die Frau mit dem runden Gesicht und den braunen Haaren, Anwältin. Im September 2019 protestierte sie in Shanghai für Hongkong und ein Ende der Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas. Daraufhin wurde sie für 65 Tage inhaftiert. In dieser Zeit trat sie in einen Hungerstreik. Nur wenige Wochen nach ihrer Freilassung häuften sich die Fälle einer unbekannten Lungenkrankheit in der chinesischen Stadt Wuhan. Zhan wurde neugierig – und misstrauisch. Anfang 2020 reiste sie als Journalistin von Shanghai nach Wuhan, um selbst über das Corona-Virus zu berichten. Als eine der Ersten dokumentierte sie die Situation in den überfüllten Krankenhäusern, sprach mit den Familien der Corona-Toten und besuchte Krematorien. Sie berichtete auch über den Alltag in der Stadt, die als erste weltweit von einem Lockdown betroffen war. Zhans Videoreportagen und Essays gingen um die Welt – und die ganze Welt blickte in dieser Zeit nach Wuhan. Lässt sich das Virus noch aufhalten? Wie tödlich ist es? Wie konnte es überhaupt ausbrechen? Wirr und chaotisch Während die chinesische Regierung in Staatsmedien bekräftigte, das Virus unter Kontrolle zu Foto: Getty Images / Pierre Crom haben, berichtete Zhan von zahlreichen Toten, die Tag und Nacht in die Krematorien gebracht werden. Ihre Berichterstattung erfolgte über YouTube und Twitter (heute X), die in China gesperrt, aber über ausländische VPNs, also private Netzwerkverbindungen, zugänglich sind. Ihre Videos waren häufig verwackelt, wirr und chaotisch. Vieles hat sie im Dunkeln aufgenommen. Dennoch hat Zhan, wie so viele zu Beginn der Pandemie, wichtige Zeugnisse hinterlassen, die Historiker und Historikerinnen in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Zhan war aber die Erste, die aufgrund ihrer Berichterstattung zu Corona in China inhaftiert wurde. Seitdem galt sie als das Gesicht für Unterdrückung und Chinas Umgang mit dem Virus, der von Verheimlichung und Vertuschung geprägt war. Im November 2021 bekam Zhan einen von drei Press Freedom Awards von „Reporter ohne Grenzen“ verliehen. Die Organisation zeigte sich nun erleichtert über die Bestätigung der Freilassung Zhans, betonte jedoch, dass sie nicht wirklich „ Während ihrer Haft traft Zhan in einen Hungerstreik – und wurde durch eine Magensonde zwangsernährt. Ihre Hände wurden 24 Stunden am Tag gefesselt. “ frei sei. Die ehemalige Reporterin stehe weiterhin unter strenger Überwachung. Außerdem könnten die Behörden ihr trotz verbüßter Strafe eine Reise ins Ausland verwehren. Auf ihrem YouTube-Kanal ist es aktuell still. Zhan war nicht die Einzige, die über den Corona-Ausbruch in Wuhan berichtete. Berühmt wurden auch die „Wuhan-Tagebücher“ des Journalisten Fang Fang. Er wurde 2020 festgenommen, nachdem er Videos mit Leichensäcken und überfüllten Krankenhäusern in der zentralchinesischen Metropole ins Internet gestellt hatte. Vergangenes Jahr kam auch er frei. Die Videos der Blogger Chen Qiushi, Li Zehua und Fang Bin zeichnen ebenso ein düsteres Bild von Wuhan, der Elf- Millionen-Metropole. Chinas folgende Null-Covid-Strategie mit einer Abschottung des Landes, Ausgangssperren, Zwangsquarantäne und Massentests ließ sich mit der Ankunft der sich noch viel schneller verbreitenden Omikron-Virusvariante nur noch schwer durchhalten. In einer abrupten Wende wurde die Null-Toleranz- Umgang mit Corona Viele Organisationen, darunter auch Amnesty International, haben sich mehrfach dafür eingesetzt, dass Zhan entlassen wird. Nun ist sie frei. Politik im Dezember 2022 aufgegeben, obwohl besonders die ältere Bevölkerung nur unzureichend geimpft war und Krankenhäuser unvorbereitet überrascht wurden. Eine massive Corona-Welle rollte bis Jänner und Februar 2023 durch die 1,4 Milliarden zählende Bevölkerung. Doch jene, die kritisch darüber berichten konnten, saßen zu dieser Zeit bereits alle hinter Gittern. Häufig wurde China von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dafür kritisiert, nicht genügend Informationen, etwa über die Verbreitung neuer Corona-Varianten, zu liefern. Auch bei den Todeszahlen klaffen die Schätzungen stark auseinander: Offiziell hat China nur rund 120.000 Corona-Tote der WHO gemeldet, darunter fast die Hälfte noch im Winter 2023. Verschiedene ausländische Schätzungen gehen allerdings von rund einer Million Toten aus. „Schon die Recherche eines Tabuthemas oder die Veröffentlichung zensierter Informationen kann zu jahrelanger Gefängnisstrafe führen“, heißt es in einem Bericht von „Reporter ohne Grenzen“ von 2021. Die Kontrolle sei unter Staats- und Parteichef Xi Jinping noch verschärft worden. Die Organisation fordert westliche Demokratien dazu auf, Strategien zu finden, um chinesische Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen und Reporter in repressiven Ländern zu unterstützen. Die Haft überleben Im September 2020 trat Zhan während ihrer Haft wieder in einen Hungerstreik – und wurde durch eine Magensonde zwangsernährt. Laut einem von Zhans Anwälten, Zhang Keke, seien ihre Hände 24 Stunden am Tag gefesselt worden, um zu verhindern, dass sie die Sonde entfernt. Immer wieder musste sie ins Krankenhaus eingeliefert werden. 2021 schwebte sie aufgrund des Hungerstreiks in Lebensgefahr. In ihrem Brief, den sie 2023 an ihre Mutter schrieb, äußerte sich Zhan trotz aller Strapazen hoffnungsfroh. Sie wolle die Haft nur überleben, schrieb die heute 40-Jährige: „Und wäre ich ein geknicktes Rohr, ich werde nicht brechen. Wäre ich ein glimmender Docht, ich werde nicht verlöschen.“ Die Journalistin Zhan hat überlebt. Frei ist sie dennoch nicht. Lesen Sie zu diesem Thema auch den Artikel „Ukraine und China: Die Zeitenwende des Misstrauens“ von Oliver Tanzer vom 11. März 2021 – sowie viele weiterführende Texte auf furche.at.
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