DIE FURCHE · 24 12 Gesellschaft 13. Juni 2024 Bald ganz ohne Freunde Dass Facebook an Popularität verliert, ist kein Geheimnis. Doch die Konsequenzen des Untergangs eines Giganten könnten weitreichend sein. Von Adrian Lobe Illustration: Rainer Messerklinger Neulich auf Facebook, nachdem man eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr vorbeigeschaut hat: Auf der Startseite wird der Gelegenheitsnutzer an den Urlaub vor elf Jahren erinnert (fast schon vergessen!), im Newsfeed erscheint ein diffuser Strom an Informationen: Lustige Memes und Videoclips mischen sich zwischen ernste Nachrichten, die Urlaubsfotos des auf Kuba weilenden Cousins tauchen zwischen Comics und Oma-Rezepten auf, statt Wohnungsgesuchen sieht man Anzeigen von Immobilienmaklern. Man hat den Eindruck, als würde man zu einer Party kommen, die schon seit Jahren beendet ist, für die aber immer noch Flyer gedruckt werden. Von den 500 Facebook- „Freunden“ ist gerade einmal eine Handvoll online. Der Schulkamerad, von dem man seit Jahren nichts mehr gehört hat? Längst abgemeldet! Der Stammtisch? Inaktiv. Der Kommilitone, der auf seinem Profil noch jung und dynamisch wirkt? Inzwischen Familienvater und ergraut. Beim Blick auf die Erasmus-Gruppe, der man vor 13 Jahren beigetreten war, merkt man selbst, dass man älter geworden ist: „Dein letzter Besuch liegt elf Jahre zurück“, steht da. Mehr tote als lebende Nutzer im Jahr 2070 20 Jahre, nachdem der Harvard-Student Mark Zuckerberg im Studentenwohnheim die Webseite TheFacebook freischaltete, wirkt die Plattform aus der Zeit gefallen: Blutleer, wie eine Geisterstadt. Dazu passt auch eine Studie des Oxford Internet Institute: Demnach wird 2070 auf Facebook die Zahl der toten Nutzer die der lebenden übersteigen. Zuckerberg hatte immer die Vision, aus seiner Plattform einen digitalen Marktplatz zu machen. Nachdem sich dort aber Scharfmacher und Verschwörungstheoretiker tummelten, entschied sich das Management, an den Algorithmen zu drehen und Facebook zum Wohnzimmer zu machen. Friends and family come first, lautete die Losung, die Facebooks damaliger Produktchef und heutiger Instagram-Boss Adam Lesen Sie auch „Nerd, Visionär, Viehzüchter: Mark Zuckerberg wird 40“ (10.5.24) von Manuela Tomic auf furche.at. Facebook-Nutzerinnen und -Nutzer werden immer älter und posten weniger, die Sehnsucht nach analogem Leben wächst. Ist die hohe Zeit der sozialen Netzwerke vorbei? Facebook stirbt, und das hat Folgen Mosseri mitten im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 ausgab. Freunde und Familien zuerst. Doch auch in den virtuellen Wohnstuben herrscht gähnende Leere. Und Langeweile. Die Musik spielt woanders: Die Generation Z tanzt auf TikTok, die Spät-Millennials sind zu Instagram, Snapchat oder Telegram abgewandert. Zurück bleiben die Boomer, die sich via Facebook aus dem Urlaub melden. Facebooks wenig innovative Strategie bestand darin, Mitbewerber aufzukaufen (Instagram, Whatsapp) oder deren Features zu kopieren (Snapchat). Doch gegenüber dem dynamischeren Wettbewerber TikTok sieht der blaue Riese alt aus. „Die Lichter auf dem Marktplatz sind erloschen“, kommentierte das Magazin Economist in seiner Titelgeschichte (The end of the social network). „ Die Generation Z tanzt auf Tiktok, die Spät-Millennials sind auf Instagram. Zurück bleiben die Boomer, die sich via Facebook aus dem Urlaub melden. “ Zwar ist Facebook weiterhin die größte Community der Welt und hat mit drei Milliarden Nutzern mehr Mitglieder als die Katholische Kirche (1,3 Milliarden). Doch die Nutzer werden älter und passiver – und posten weniger. So zeigt eine Analyse der Marktforschungsgesellschaft Gartner, dass die Zahl der US-Amerikaner, die ihr Leben online teilen, seit 2020 von 40 auf 28 Prozent gesunken ist. Ein enormer Rückgang, der auch mit einem sich ändernden sozialen Klima zu tun hat: Die Nutzerinnen und Nutzer sind zurückhaltender mit Postings, weil das Publikum sensibler geworden ist. Nicht jedem gefällt ein Macho- Video, und bevor man einen Shitstorm erntet, teilt man es lieber in der privaten Whatsapp-Fußball-Gruppe. Im kommenden Jahr, prognostizieren die Gartner-Analysten, wird die Hälfte der Social-Media-User ihre Accounts entweder aufgeben oder ihre Nutzung deutlich herunterfahren. In der Meta-Zentrale haben sie die Änderung des Kommunikationsverhaltens bereits registriert: So teilte Instagram-Chef Mosseri im vergangenen Juli mit, dass Nutzer Fotos und Videos vermehrt in Direktnachrichten und Stories teilen, die nicht für jedermann zugänglich sind. Diskussionen finden zunehmend in geschlossenen Öko- Systemen wie auf Whatsapp oder Telegram statt. Deren Gruppen beziehungsweise Kanäle sind eine Art unregulierter Sender. Facebook ist derweil zu einer Art Dauerwerbefernsehen verkommen, das zunehmend die Kontrolle über seine Inhalte verliert. So kursierten vor einigen Wochen KI-generierte Jesus-Figuren, wo der Gottessohn unter anderem in Gestalt von Garnelen dargestellt wurde. Die Nutzer nahmen die bizarren Jesus-Darstellungen mit Humor – und kommentierten diese frömmelnd mit „Amen“. Doch für Facebook war dies ein peinlicher Vorfall – nicht nur, weil das Management großen Wert darauf legt, die Gefühle religiöser Menschen nicht zu verletzen, sondern auch, weil es die Attraktivität als Werbeplattform schmälert. Anzeigen machen 97,5 Prozent des Konzernumsatzes aus, das Geschäftsmodell ist wenig diversifiziert. 2020 hatten namhafte Konzerne unter dem Motto #StopHateFor- Profit zu einem Werbeboykott aufgerufen, weil Facebook aus ihrer Sicht nicht entschlossen gegen Hassrede vorginge. Das hat die Plattform X bereits zu spüren bekommen, wo zahlreiche Unternehmen ihre Werbekampagne eingestellt haben, seitdem der Eigner Elon Musk wie wild an den Algorithmen herumdreht und damit die Verbreitung von Verschwörungstheorien befeuert. KI-Müll, Hassrede, Fake News: Ist die Party in sozialen Medien vorbei? Die Zukunft: Ideologische Bunker Das Ende von Social Media wurde schon oft herbeigeraunt. In gewisser Weise gehört die Untergangsstimmung auch zum guten Ton im Silicon Valley. Dort hat man schon viele Start-ups kommen und gehen sehen. Soziale Netzwerke wie Friendster, MySpace oder Google+ liegen heute ebenso auf dem Internet-Friedhof begraben wie studiVZ und schülerVZ, die 2022 endgültig abgeschaltet wurden. Doch ein Abgesang wäre verfrüht und leichtfertig, denn dafür vereinen die Konzerne zu viel soziales Kapital auf sich. Viel spricht für die These, dass sich die Social-Media-Landschaft in zwei Teile mit unterschiedlichen Funktionslogiken aufspaltet: Social und Media. Im öffentlichen Media-Teil bespielen Parteien, Unternehmen und Stars die Kanäle. Im privaten Social-Teil tauschen sich Nutzer und Nutzerinnen untereinander aus. Das hat Implikationen für die digitale Öffentlichkeit, weil Ideen nicht mehr frei flottieren können: Jeder bunkert sich in seiner ideologischen Wagenburg ein. Ein soziales Netzwerk, in dem drei Milliarden Menschen angemeldet sind, war aber schon seit jeher überdimensioniert und entgegen sozialen Interaktionen strukturiert: Kein Mensch hat 500 Freunde, sondern, wie Studien belegen, zwischen drei und sechs echte Freunde. Insofern differenziert sich hier etwas aus, was von Anfang an ein dysfunktionales soziales System war. „Die Zukunft von Social Media ist deutlich weniger Social“, schrieb die New York Times im vergangenen Jahr. Damit ist nicht gemeint, dass Social-Media-Plattformen unsozialer oder gar asozial werden, sondern soziale Interaktionen sich in kleinere Räume verlagern. So erfreut sich die hyperlokale App Nextdoor, eine Art digitale Nachbarschaftshilfe, wo in den USA 42 Millionen Nutzer aktiv sind, wachsender Beliebtheit: Dort können sich Nachbarn vernetzen und gegenseitig helfen, zum Beispiel Babysitter organisieren, Möbel aufbauen oder mit dem Hund spazieren gehen. Das wahre Leben spielt also draußen vor der Tür – und nicht im Netz.
DIE FURCHE · 24 13. Juni 2024 Gesellschaft 13 Niemandem soll die Freiheit genommen werden, unbegrenzt digitale Geräte zu verwenden. Doch der Zwang zu ihrer Nutzung führt zu einem Ende der Aufklärung. Ein persönlicher Einwurf. Wirklich Digital only? Von Rudolf Taschner John von Neumann, mathematisches Jahrhundertgenie, das für die US- Armee gegen Ende des Zweiten Weltkriegs die Architektur für elektronische Rechenmaschinen konstruierte, wäre heute bass erstaunt, wie sehr die von ihm erfundene Digitalisierung alle unsere Lebensbereiche durchdringt. Sie macht regelrecht süchtig. Nicht bloß die sie nützenden Menschen, auch Firmen, Organisationen und staatliche Behörden. Auch ich gestehe, die Sucht zu kennen: Diese Sätze schreibe ich etwa nicht mit Feder auf Papier, sondern drücke virtuelle Tasten meines Smartphones. Auch ich lasse mich gerne verführen. Denn das Schreiben erfolgt schnell, scheinbar problemlos, mit dem eingebauten Rechtschreibprogramm vermeintlich sicher und unvergleichbar bequem. Doch ich habe wenigstens zwei Ausreden parat: Erstens beherrsche ich noch die Handschrift. Der Computer ist bloß angenehmer Ersatz, zu sehr vertraue ich ihm nicht. Zuweilen genieße ich es, auf echtem Papier mit echter Tinte zu schreiben. Und zweitens weiß ich darum Bescheid, dass im Digitalen nichts wirklich echt, sondern alles simuliert ist, dass die Digitalisierung Wirklichkeit durch Schein ersetzt. Dies ist für mich einer der drei Gründe, dem Trend zum Digital only – insbesondere der Idee, alle Dokumente allein dem Handy anzuvertrauen und die Kommunikation mit Behörden nur digital zu erlauben – grundsätzlich zu widersprechen. Denn wenn nur mehr Schein besteht und die Wirklichkeit verschwindet, verliert man sich im Ungefähren. Manche mögen diesen Grund als unerheblich abtun. Der zweite Grund zum Wider- spruch gegen das Digital only lässt sich hingegen nicht so leicht beiseite schieben: Digitale Geräte verwandeln nämlich alle Eingaben mit Rechenverfahren, sogenannten Algorithmen, in Folgen aus Nullen und Einsen. Und nur Algorithmen können solche scheinbar wirren Null-Eins-Folgen sinnvoll bearbeiten. Es handelt sich dabei um Algorithmen, die zumeist von rein gewinnorientierten Firmen ausländischer Provenienz entwickelt wurden und ständig verändert werden. Niemand hat hier den Überblick. Man muss den Algorithmen vertrauen. Und ob dieses Vertrauen auf festem Fels gegründet ist, sei dahingestellt. Auch wenn digitale Firmen treuherzig versprechen, für Datensicherung zu sorgen: Wer weiß wirklich, welche geheimen Hintertüren in den Algorithmen eingebaut sind, wie verletzlich sie gegenüber Angriffen von Datendieben sind, welcher Unfug mit den Daten angerichtet werden kann? Foto: iStock/gorodenkoff „ Wer sich mit Haut und Haaren der Digitalisierung ergibt und sich auf Simulierte Intelligenz verlässt, verzichtet darauf, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. “ Auto als Computer auf vier Rädern Dies führt zum dritten und schwerwiegendsten Grund gegen das Digital only: Wer digitale Geräte benutzt, liefert sich undurchschaubaren Mächten aus. Nun mag man dagegenhalten, dass man nie uneingeschränkt eigenmächtig ist, stets von anderen abhängig, bis hin zur Abhängigkeit von Gesetzen der Natur. Doch die Digitalisierung mit ihrer Unentwirrbarkeit verleiht der Abhängigkeit eine beunruhigende Dimension. Ein Beispiel mag es verdeutlichen: Im Unterschied zu den ansehnlichen Oldtimern des vorigen Jahrhunderts ist das Auto von heute ein Computer auf vier Rädern. Zwar mag es dem Fahrer noch das Gefühl vorgaukeln, der Motor gehorche unmittelbar dem Druck des Gaspedals und die Räder gehorchen unmittelbar dem Drehen des Lenkrads, aber in Wahrheit sind digitale Maschinen dazwischengeschaltet. Die Funktionsweise des Oldtimers, die Mechanik der Lenkung, der Druck der Flüssigkeit beim Bremsen, das kontrollierte Explodieren des Kraftstoffs im Motor, ist demjenigen, der ihn fährt, im Prinzip klar. Er ist zwar von der Funktionstüchtigkeit abhängig, aber er weiß zumindest im Prinzip, worauf er sich einlässt. Im Unterschied dazu sind die Funktionsweisen der im heutigen Auto dazwischenliegenden digitalen Geräte auch technisch gebildeten Fahrern ein Rätsel – und selbst Experten digitaler Systeme nur ausschnitthaft verständlich. Diese absolut undurchsichtige Kompliziertheit des Computers verleiht der Abhängigkeit des Fahrers von den digitalen Maschinen etwas Beängstigendes, das wir leichthin wie im Blindflug überspielen. Gegen totale Vereinnahmung Wer sich im Sinne des Digital only mit Haut und Haaren der Digitalisierung ergibt und auf die sogenannte Künstliche Intelligenz verlässt, die eigentlich besser Simulierte Intelligenz heißen sollte, verzichtet deshalb, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Wer dies tut, begibt sich freiwillig und frohgemut in die selbstverschuldete Unmündigkeit. Zuweilen hört man den Vorwurf, nicht diese, sondern jene anderen, die sich gegen das Digital only aussprechen, seien unmündig und jedenfalls der Digitalisierung nicht gewachsen. Bevorzugt wird das alten Menschen vorgehalten. Doch das ist abgrundtief falsch: Zwar soll niemandem die Freiheit genommen werden, unbegrenzt und nach Belieben digitale Geräte zu nützen, doch der mit dem Digital only verbundene Zwang ist überzogen. Nicht, weil einige Menschen keine digitalen Geräte bedienen könnten, sondern weil man sich vom Digital only nicht total vereinnahmen lassen will, ist Kritik angebracht. Setzte sich Digital only durch, bedeutete dies das Ende der Aufklärung. Der Autor ist Mathematiker, Autor sowie Bildungs- und Wissenschaftssprecher des ÖVP-Klubs im Nationalrat. Wochenausblick DIE FURCHE nimmt in den kommenden Ausgaben diese Themen in den Fokus: Überflieger Nr. 26 • 27. Juni Sommer, Ferien, Urlaub: Flugreisen boomen nach der Corona-Zwangspause mehr denn je. Flugscham scheint vergessen, die Klimakrise verdrängt. Welche Möglichkeiten gibt es, Fliegen und Nachhaltigkeit zu verbinden? 90 Jahre Juli-Putsch Nr. 29 • 18. Juli Am 25. Juli 1934 um 12.53 Uhr stürmen 150 SS-Männer das Bundeskanzleramt in Wien. Der beim Angriff schwer verletzte Kanzler Engelbert Dollfuß stirbt, wird zum Märtyrer und ideologischen Reibebaum bis heute. Der Pass als Privileg Nr. 27 • 4. Juli Immer wieder wird hierzulande über das Recht auf die Staatsbürgerschaft diskutiert. Ist es zu streng oder zu lasch? Wer Geld hat, kann sich einen Pass auch kaufen. Und wie ist es, als Nicht-Staatsbürger in Österreich? Olympia Nr. 30 • 25. Juli Die Olympischen Spiele kehren zurück nach Paris, wo deren Widereinführung 1894 beschlossen wurde. Ein Fokus über die Faszination Hochleistung – und die Politik des Sports: von Transgender bis Nationalismus. Altern und Eltern Nr. 28 • 11. Juli Über wenige Themen streitet es sich so gut wie über Erziehung, gerade mit den eigenen Eltern. Wie erziehen Boomer, wie Millenials? Dürfen Oma und Opa Erziehungstipps geben? Oder sind Großeltern gar die besseren Eltern? Fragiles Vertrauen Nr. 31 • 1. August Wissenschaft, Politik, Medien: Sie ringen um Vertrauen, eine der wertvollsten und rarsten Ressourcen unserer Zeit. Warum fällt es Menschen so schwer, an das wohlwollende und ehrliche Gegenüber zu glauben? Jeden Mittwoch und Freitag! Nichts mehr verpassen – Newsletter abonnieren Magische Momente Nr. 32 • 8. August Es gibt sie: Diese besonderen Augenblicke, die unser Leben positiv prägen und verändern können. Was zeichnet sie aus und wie entstehen sie? Über „Magic Moments“ – in Extremsituationen ebenso wie im Alltag. Änderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten. Das Leben aufschreiben Nr. 33 • 14. August Seit der Antike sind Biografien beliebt. Sie gehören zum Kanon wie Romane, Novellen oder Lyrik. Aber welche Funktion erfüllten und erfüllen sie? Und warum sind Ahnenforscher so beliebt? Eine Kulturgeschichte. Jetzt anmelden furche.at/newsletter Wie klingt Gott? Nr. 34 • 22. August Vor 200 Jahren wurde Anton Bruckner geboren. Wie wird Göttliches in der Musik hörbar? Und gibt es in den Religionen unterschiedliche Zugänge? Ein Fokus zum runden Geburtstag des großen Kirchenmusikers.
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE