24 · 13. Juni 2024 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 80. Jg. · € 6,– Schadet eine Scheidung den Kindern? Nicht unbedingt, sagen Expertinnen. Der Verein RAINBOWS hilft, gestärkt aus einer Trennung hervorzugehen. · Seiten 10–11 Polen: Das Gegenmodell zum Gepolter Das Kreuz mit der FPÖ Die Wurzeln des Übels Entgegen des Trends verlor die nationalkonservative „PiS“ bei der EU-Wahl zehn Prozent. Unterschätzen sollte man sie aber nicht. · Seite 7 Die Abgrenzung der Kirchen gegenüber Rechtspopulisten bleibt hierzulande vage – ganz im Gegensatz zu Deutschland. · Seite 9 Feine Prosa, gewichtiges Thema: Claire Keegan erzählt in „Reichlich spät“ alltägliche Formen der Misogynie. · Seite 19 Das Thema der Woche Seiten 2–5 Foto: © MAK/Nathan Murrell Eine Welt ohne Krieg: Diese Vision führt jedes Jahr tausende Soldaten nach Lourdes. Über das Phänomen Wallfahrt zwischen Andacht, Spektakel und Widerstand. Frieden finden Foto: HBF/Trippolt Auf die Barrikaden! Der Widerstand nimmt oft auch baulich Gestalt an: Die Ausstellung „PROTEST/ARCHITEKTUR. Barrikaden, Camps, Sekundenkleber“ im Wiener Museum für angewandte Kunst nimmt Strategien und Manifestationen unter die Lupe. Seite 17 Das ostdeutsche Wahl-Ergebnis ist ein Resultat der polititischen Kultur der DDR und einer kollektiven Kränkung nach der Wende. Die AfD nutzt die innerdeutsche Spaltung für ihre Zwecke. Der wütende Osten AUS DEM INHALT Das vielfach erschütterte Land In Papua-Neuguinea veränderte ein verheerender Erdrutsch eine ganze Region. Über ein schwer zugängliches Land – und eine Heimat, die keine mehr ist. Seite 8 Von Brigitte Quint Es waren bewegende Bilder, als am vergangenen Montag bei Trommelwirbel und Trompetenklang das deutsche und das französische Staatsoberhaupt Arm in Arm der Opfer des SS-Massakers von Oradour gedachten. Vor 80 Jahren hatten Soldaten der 2. SS-Panzer-Division das ganze Dorf ausgelöscht. Die Täter wurden nie verurteilt. „Hier hat mein Land eine zweite Schuld auf sich geladen“, erklärte Frank- Walter Steinmeier. Emmanuel Macron wiederum zog einen Tag nach der EU-Wahl und nachdem er Neuwahlen angeordnet hatte, einen Bogen vom Ort des Massenmordes zum heutigen Europa: „In der Asche in Oradour müssen wir die Kraft der Versöhnung und die Energie für das europäische Projekt finden.“ Die Enkelin eines damals führenden SS-Soldaten kommentierte mit Blick auf die Wahlergebnisse: „An diesem Ort wird einem die Gefahr von rechtsextremem Gedankengut bewusst.“ Ein Bewusstsein, das in Teilen Deutschlands (und Frankreichs – der rechtsextreme Rassemblement National kam auf 31,4 Prozent) brüchig ist. Die als rechtsextrem eingestufte Partei AfD konnte in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, „ Bürger, die im SED- Staat aufwuchsen, erfuhren in der Schule zu wenig über die Verbrechen der Nazis. “ Sachsen-Anhalt und Thüringen den ersten Platz für sich verbuchen. In Thüringen erreichte die AfD 30,7 Prozent. Angesichts der Erinnerungen an das Massaker in Oradour mutet der Skandal um AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah noch perfider an. So hatte dieser erklärt, dass nicht jeder, der eine SS-Uniform trug, ein Verbrecher gewesen sei. Der Aufschrei war groß. Doch mit ihm wurde die „Jetzt-erst-recht“-Stimmung in Ostdeutschland befeuert. Wie ist diese Wut auf „das System“ erklärbar? „Wessis“ vorwiegend in Elitepositionen Das ostdeutsche Wahl-Ergebnis ist ein Resultat der politischen Kultur der DDR. Was die Aufarbeitung der deutschen NS- Geschichte anbelangt, weisen die ehemaligen DDR-Bürger ein Manko auf, da sie in der Schule mit den Nazi-Verbrechen kaum konfrontiert wurden. Vielmehr hatten sie sich mit der Staatsdoktrin auseinanderzusetzen. Anders im Westen. Daher existieren die historischen Lücken nach wie vor. Was ebenfalls bis heute auszumachen ist, ist die tiefe Kränkung, die viele Ex-DDR-Bürger nach dem Mauerfall erfuhren. Sie wurden (und werden) als Bürger zweiter Klasse behandelt: Das Netto-Durchschnittsvermö- gen in Westdeutschland beträgt mehr als das Doppelte als in Ostdeutschland. Im Westen konnte man Vermögen in Form von Geld, Aktien oder Immobilien aufbauen, im Osten war dies kaum möglich. Dazu stieg nach der Wende die Arbeitslosigkeit (nicht zuletzt aufgrund nicht anerkannter Bildungsabschlüsse), und die Löhne sind auch heute geringer als im Westen. Im Schnitt verdient eine Vollzeitkraft im Osten monatlich fast 700 Euro weniger. Unterschiede gibt es auch beim Erben: Menschen in den ostdeutschen Bundesländern erhalten nicht nur seltener Vermögen, sie bekommen auch deutlich weniger. Diese soziale Ungleichheit wird von Generation zu Generation weitergegeben. Darüber hinaus ist der Anteil der Ostdeutschen an den Top-Elitepositionen in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft auffällig gering. Die deutsche Regierung hat seit einigen Jahren die Position eines „Ostbeauftragten“ (Carsten Schneider, SPD) institutionalisiert. Er soll die strukturellen Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland verringern und das gesellschaftliche Miteinander stärken. Selbstredend, dass einem Herrn Schneider bislang nicht gelingen konnte, was man in 35 Jahren versäumt hat. Dafür verstand es die AfD mit Bravour, jenen Menschen, die sich „abgehängt“ fühlen, eine politische Heimat zu bieten. Emmanuel Macron sprach in Oradour von „der Kraft der Versöhnung“ und der Energie, die es für das europäische Projekt brauche. Ein Satz, der auch in Bezug auf die innerdeutsche Spaltung treffender nicht sein könnte. brigitte.quint@furche.at Schluss mit Hyper-Digitalisierung Facebook stirbt. Adrian Lobe fragt: Ist die hohe Zeit der sozialen Netzwerke vorbei? Und Rudolf Taschner kritisiert das Prinzip von erzwungenem Digital only. Seiten 12-13 Droht dem Green Deal das Aus? Die wichtigsten Pflöcke des EU-Transformationskatalogs sind zwar eingeschlagen, seine Weiterentwicklung für die Industrie steht aber bevor, meint Thomas Jakl.Seite 15 Eine gebrochene Hommage Der argentinische Regisseur Lisandro Alonso bringt in seinem epischen Kaleidoskop „Eureka“ die Situation der Indigenen Amerikas auf die Leinwand. Seite 21 Entlassen, aber nicht frei Die Journalistin Zhang Zhan war vier Jahre im Gefängnis, weil sie kritisch über den Ausbruch des Corona-Virus in Wuhan berichtet hatte. Seite 24 @diefurche @diefurche furche.at @diefurche Die Furche Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0
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