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DIE FURCHE 13.04.2023

DIE

DIE FURCHE · 15 8 Religion 13. April 2023 Er war ein Erneuerer religiöser Sprache und der Liturgie im Gefolge des II. Vatikanums. Obwohl Niederländer, blieb er auch im deutschen Sprachraum wirkmächtig. Zum Tod von Huub Oosterhuis. Von Otto Friedrich Einer der aus dem Licht / mir entgegenkam / küsste seinen Namen auf meine Lippen. Diese Zeilen aus dem Gedicht „Ankunft“, im bislang letzten, 2021 auf Deutsch erschienenen Gedichtband von Huub Oosterhuis, könnten als Ostergedicht verstanden werden. Doch in diesen Tagen liest man sie als die unnachahmlich persönlichen Zukunftsworte eines eben Gegangenen: Denn am 9. April, dem Abend des Ostersonntags 2023, ist Oosterhuis in Amsterdam verstorben, wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag. Hör mich, sei nicht Totenstille. / Gib mir Antwort, wenn ich rufe. / Aus dem Abgrund hör mich rufen / Gib mir Raum weit, wie den Himmel. So lautet eine andere Oosterhuis-Gedichtzeile, die freie Übertragung des biblischen Psalm 4 und zu einer Melodie von Antoine Oomen zu singen, einem der drei niederländischen Komponisten – neben dem 2003 verstorbenen Bernard Hujibers und Tom Löwenthal –, die Oosterhuis’ Sprache mit Melodien versehen haben. In obigem Beispiel kulminiert auch das Sprach-, Glaubens- und Gebetsverständnis des Neuerers religiöser Sprache – ein Niederländer, der aber auch im deutschen und im englischen Sprachraum wirkmächtig war: Es gehe darum, bei den biblischen Dichtern „in die Lehre zu gehen“, solches hat Oosterhuis auch in seinen Interviews mit der FURCHE betont. Und er wolle dies in einer Sprache tun, die es auch heute möglich macht, von Gott zu sprechen – wobei im Lauf der Jahre das Wort „Gott“ in der Sprache von Oosterhuis immer mehr zurücktritt, obwohl er weiter ständig von einem, von einer wie Gott redet: Dennoch, dennoch klamm’re ich mich fest an dir, ob du willst oder nicht – so spricht er mit und über Gott in einer Paraphrase zu Psalm 13. Biblische Sprachschule Die biblische Sprachschule führte bei Oosterhuis zum Ceterum censeo, dass religiöse Rede ein dichterisches Sprechen ist: „Die Bibel spricht in der Sprache der Poesie und nicht in der Sprache der Zeitung“, so Oosterhuis 2008 im FURCHE-Gespräch. Und zuvorderst ging es ihm um das gemeinsame Sprechen, welches für ihn das Singen ist: „Singen ist die Weise, gemeinsam zu sprechen, wenn viele Menschen zusammen sind. Die Sprache der Schrift muss gesungen werden, um die größte Aussagekraft zu erhalten“, meinte Oosterhuis 1989 in einem Interview mit dem Verfasser. „Bis wohin gehst du mit mir?“ „ Ein fremder Naher ist Gott bei Oosterhuis, ein Namenloser wie ein Vielbenannter, einer, der Antworten in den Fragen finden lässt. “ Lesen Sie Huub Oosterhuis zum 80er: „Durch Singen die Schrift auslegen“ am 14.11.2003, nachzulesen auf furche.at. Es war die Zeit kurz vor dem II. Vatikanum, als der damalige Jesuit und Studentenseelsorger Huub Oosterhuis sozusagen mit der Nase darauf gestoßen wurde, Texte mit einem biblischen Hintergrund und für Menschen von heute zu entwickeln. Im katholischen Milieu der Niederlande gab es viel weniger landessprachliche religiöse Ausdrucksformen als im deutschsprachigen Raum. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass hier die Not nach religiöser Sprache so groß war, dass sich im Verein mit einem Genius wie Oosterhuis ein schier unerschöpfliches Œuvre religiöser Sprachkunst entwickelte. Das erste Lied – „Zolang er mensen zijn op aarde“ – ist heute noch auch im deutschsprachigen Kirchengesangsbuch „Gotteslob“ als „Solang es Menschen gibt auf Erden“ zu finden. Es entstand 1959, weil es für die jungen Leute nichts Adä quates zu singen gab. Oosterhuis hat das auch der FURCHE wiederholt erzählt. Die Initialzündung folgte eben im Verein mit dem Konzil, aber auch im gesellschaftlichen Aufbruch der 1960er, als Ooster huis Seelsorger in der Amsterdamer „Studentenekklesia“ war. Er und die Mitarbeitenden der Gemeinde entwickelten einen freien liturgischen Stil und eine Sprache, die aus katholischer Binnen- und auch Herrschaftssprache heraustrat. Wiewohl Oosterhuis also von seinen Wurzeln her durch und durch katholisch war, wurde das Verhältnis zu seiner Kirche eine Foto: © Julia Rathcke / KNA Konflikt- und Leidensgeschichte, die – wie so oft – auch mit der Zölibatsfrage einherging. 1969 trat Oosterhuis aus dem Jesuitenorden aus, er heiratete, die „Studentenekklesia“ (heute: „Ekklesia Amsterdam“) entwickelte sich zu einer freien christlichen Gemeinde, die in Verbindung mit der reformierten Kirche steht. Dennoch wurden Oosterhuis- Texte ab den 1960er Jahren auch im deutschen Sprachraum katholischerseits rezipiert; ein junger Wiener Mitarbeiter des Herder-Verlags, Peter Pawlowsky, der später prominenter Religionsjournalist werden sollte, gehörte zu den Oosterhuis-Übersetzern der ersten Stunde. In den Niederlanden dominierte Oosterhuis die liturgische und kirchenmusikalische Szene, er wurde auch im Königshaus geschätzt – für Johan Friso, den Zweitgeborenen der späteren Königin Beatrix, schrieb er 1968 ein Tauflied; 2002, beim Tod von Prinz Claus, dem Mann von Beatrix, war Oosterhuis der Prediger. 2014 wurde er auch in Deutschland geehrt – mit dem Predigtpreis. Während noch bis zur Jahrtausendwende auch die katholischen Gesangsbücher in den Niederlanden von Oosterhuis-Liedern dominiert waren, versuchten um 2010 die konservativen Bischöfe das Liedgut vom „Abtrünnigen“ Oosterhuis zu reinigen. Erst in den letzten Jahren kam es auch hier wieder zu gegenläufigen Entwicklungen. Dazu mag auch ein Brief von Papst Franziskus an Oosterhuis beigetragen haben, von dem die Tageszeitung Trouw berichtet. Für Oosterhuis war dieser Brief zu Weihnachten 2020 eine Art Versöhnung mit der katholischen Kirche, auch wenn er gegenüber Trouw hinzufügte: „Auf die Politik der Bischöfe bezüglich meiner Arbeit hat dies aber keinen Einfluss.“ „Für kleine Menschen erreichbar“ Im deutschen Sprachraum sind diese Konflikte zwischen Kirche und Oosterhuis bei weitem nicht so dramatisch verlaufen wie in den Niederlanden. Allerdings ist Oosterhuis’ Bekanntheit da vor allem auf Gruppen und Gemeinden fokussiert, die sich um eine angemessene religiöse Sprache mühen, und hat nicht dieselbe Breite wie in den Niederlanden erreicht. Huub Oosterhuis beschäftigte sich auch intensiv mit den jüdischen Wurzeln des Christentums, initiierte darob die liturgische Bewegung „Lehrhaus und Liturgie“. Darüber hinaus war er auch politisch aktiv: Neben der biblischen Poesie geht es in seinen Texten von Anfang an um Gerechtigkeit und um einen Gott, der für kleine Menschen erreichbar ist, wie er in einer Übertragung des Psalm 73 dichtete. Prophetisch auch sein „Lied gegen den letzten Krieg“, vier Jahrzehnte vor dem Überfall auf die Ukraine verfasst, wo Oosterhuis schreibt: Send den Engel, den Messias // der ihn aus der Hand der Herrscher / in den Abgrund schlägt hinab, / uns herauswinkt aus den Kellern / und uns zuruft: Friede nun! Ein fremder Naher ist Gott bei Huub Oosterhuis, ein Namenloser und gleichzeitig ein Vielbenannter, einer, der Antworten in den Fragen finden lässt. Oder, wie er im Gedicht „Freund“ schreibt: Nichts mir verschweigender, / winkend mir vorgehnder Fremder, / Licht, erschienen in Worten – / fremder bleibender Freund, / bis wohin gehst du mit mir. So ein Gottesredner fehlt jetzt.

DIE FURCHE · 15 13. April 2023 Religion 9 Die beiden Freiburger Theologen Helmut Hoping und Magnus Striet leben und vor allem: denken auf verschiedenen Planeten. Für ein „Streitbuch“ haben sie sich an einen Tisch gesetzt. Auf Augenhöhe gegeneinander Von Otto Friedrich Sie sind Fakultätskollegen an derselben Universität und stehen als theologische Protagonisten wie kaum jemand sonst für ihr jeweiliges „Lager“ in der katholischen Kirche: Der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet ist eine Galionsfigur des reformorientierten Katholizismus in Deutschland und selbstredend ein theologischer Bereiter des dortigen Synodalen Wegs. Helmut Hoping hingegen, Professor für Dogmatik ebendort, hält die Fahne der Konservativen hoch und leiht dieser Strömung immer wieder seine Wortmächtigkeit. Es ist Stefan Orth, dem Chefredakteur der Herder Korrespondenz, zu danken, dass er Striet und Hoping für ein „Streitbuch“ zusammenbrachte: Wer wissen will, wo die Gräben zwischen Vorwärtsstürmenden und Bewahrern in der katholischen Kirche zu finden sind, dem kann die Lektüre des Buchs „Gott, Freund der Freiheit. Ein Streitgespräch“ nachdrücklich empfohlen werden. Nicht dass da in den Positionierungen weltbewegend Neues zu erfahren war. Aber dass sich beide Vertreter so verschiedener Kirchenflügel an einen Tisch setzen und ihre Positionen einerseits aufeinanderprallen lassen und andererseits einen Austausch auf Augenhöhe wagen, kann man nicht genug würdigen. Von existenziell-theologischen Problemstellungen wie der Frage nach Gott ausgehend zeigen sich die Divergenzen, aber auch Konvergenzen zwischen beiden Positionen. Dass die Offenbarung sich weiterentwickelt, konzedierten Striet wie Hoping, wobei Ersterer vom Menschen und seiner Autonomie ausgeht, auf den hin sich Offenbarung entwickelt, ausgeht, während Hoping Offenbarung „in der Schöpfung“ vorausgesetzt sieht. Für Striet geht das so weit, dass auch Jesus „zeitgeistbedingt gedacht und gehandelt“ habe. Derartiger Radikalität widerspricht Hoping naturgemäß. Wichtig ist diese Aus- „ Gleichzeitig wird die herrschende kirchliche Polarisierung erst dann anzugehen sein, wenn beide Seiten einander argumentativ begegnen. “ GLAUBENSFRAGE Nackte Provokationen einandersetzung auch deswegen, weil beide einander nichts schenken (Hoping wirft Striet etwa vor, selbstreferenziell zu argumentieren, was dieser ebenso vehement bestreitet); gleichzeitig wird die herrschende kirchliche Polarisierung erst dann anzugehen sein, wenn beide Seiten einander argumentativ begegnen. Das leistet dieses Streitgespräch. Und dass Striet und Hoping einander beim Synodalen Weg weiter nicht grün sind, überrascht kaum. Aber auch dieser Dissens wird an- und ausgesprochen – und nicht durch Rückzug verhindert, wie dies zuletzt einige konservative Synodale in Deutschland taten. Gott, Freund der Freiheit Ein Streitgespräch Von Helmut Hoping und Magnus Striet Herder 2023 144 S., geb., € 18,60 Von Asher D. Biemann Wie nun? Michelangelos „David“ ein Renaissance-Porno? Im konservativen Florida offensichtlich schon. Dort gab es unlängst einen Aufstand, als diese Statue im Schulunterricht gezeigt wurde, und die Direktorin musste gehen. Das machte Schlagzeilen – sogar in Europa. Aber so ungewöhnlich ist diese Geschichte gar nicht. Als 1995 die Stadt Florenz ihrer Partnergemeinde Jerusalem zum 3000-jährigen Bestehen eine Kopie der Statue stiften wollte, wurde diese abgelehnt. Zu nackt, befand das Ministerium für Kultur. Den religiösen Bürgern Jerusalems nicht zumutbar. Ähnlich prüde urteilte bereits der große jüdische Historiker Heinrich Graetz, als er 1883 die „Schaustellung der Nuditäten“ in Museen und die alles „Schamgefühl tödtenden“ Kunstakademien beklagte, die dem wollüstigen „Cultus der Aphrodite“ anheimgefallen waren. Es gab immer schon jüdische Puritaner. Und genau um den Puritanismus – den „Neuen Puritanismus“, wie Kritiker heute sagen – geht es hier: ein moralischer Enthusiasmus, der ebenso humorlos ist wie arrogant und dem sowohl die ganz Konservativen als auch die ganz Progressiven auf ihre Weise nacheifern. Diese neue Reinheit fegt von rechts durch die Schulbibliotheken und von links durch die Universitätsfakultäten, denn überall will man ideologische Sauberkeit, Zensur im Denken und Fühlen, eine totale Tugend, die aber eigentlich nichts ist als totale Konformität. Anders als Graetz erkannte der jüdische Philosoph Hermann Cohen gerade in der ästhetischen Nacktheit ein Werkzeug der Menschenliebe: „Die Humanität ist die Frucht des Eros.“ Und anders als die neuen Puritaner erkannte er, dass Menschenliebe auch menschliche Schwächen lieben muss, so wie sie auch den Fernsten liebt. Denn er wusste, dass menschliche Kultur erst da entsteht, wo sie sich zur sozialen „Unreinheit“ bekennt. Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA. DAS ERWARTET SIE IN DEN NÄCHSTEN WOCHEN. Die FURCHE nimmt in den kommenden Ausgaben folgende Themen* in den Fokus: Pressefreiheit Nr. 17 • 27. April 2023 2022 stürzte Österreich in den Rankings der Pressefreiheit ab. Wie stellt sich die Lage ein Jahr später dar? Was tut die Politik, was machen die Medien, um die Presse freiheit im Land zu verbessern? Wahlen in der Türkei Nr. 19 • 11. Mai 2023 Die Folgen der Erdbeben werden auch die türkischen Präsidentschaftswahlen prägen. Steht das Ende der Ära Erdoğans bevor – oder schafft er es, die Krise für sich zu nutzen? Über ein Land im Schockzustand. Aufbruch – Abbruch Nr. 21 • 25. Mai 2023 Zu Pfingsten feiern die Christ(inn)en die „Geburt“ der Kirche. Was bedeutet dieses Fest, wenn die Kirchen leer und die Institution in der Krise ist wie selten zuvor? Welche Zukunftsszenarien gibt es? Vatertag Nr. 23 • 7. Juni 2023 Die Erwartungen an Väter haben sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Gleichzeitig werden Eltern mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Was bedeutet es heute, Vater zu sein? Meine Stadt Nr. 25 • 22. Juni 2023 Viele urbane Räume leben und gedeihen. Zwischen Hochhäusern und alter Leerstandsnutzung macht sich die Bevölkerung den (öffentlichen) Raum zu eigen. Wie funktioniert das, und was braucht eine zukunftsgerechte Stadt? Im Schatten Nr. 27 • 6. Juli 2023 Wenn es heiß wird, geht man vernünftigerweise aus der Sonne. Der Schatten steht freilich nicht nur für Schutz vor Hitze, sondern als Metapher für vielerlei. Eine kulturhistorische und literarische Erkundung. *Änderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten. Aus für das Auto? ALLES AUCH DIGITAL AUF FURCHE.AT Podcasts, Videos, E-Paper und alle FURCHE-Artikel seit 1945 JETZT 77 Jahre Zeitgeschichte im NAVIGATOR. Nr. 18 • 4. Mai 2023 Der Klimawandel ist der Motor für die größten Veränderungen der Autoindustrie seit Erfindung des Automobils. Gibt es grünen Individualverkehr? Und wie kann individuelle Mobilität ohne kollektive Schäden funktionieren? Psyche und Therapie Nr. 20 • 17. Mai 2023 Seit der Corona-Pandemie ist die psychische Gesundheit zum Megathema unserer Gesellschaft geworden. Wie steht es um die Versorgung – und was bringt das neue Psychotherapie- Gesetz? Böse Worte? Nr. 22 • 1. Juni 2023 Russisch ist die vierthäufigste Sprache, aus der Bücher in andere Sprachen übersetzt werden, sie ist die Originalsprache bedeutender Werke der Weltliteratur. Über die Folgen des Krieges für die Kultur des Russischen. Adam Smiths Erbe Nr. 24 • 15. Juni 2023 Vor 300 Jahren wurde der schottische Moralphilosoph Adam Smith geboren. Er gilt als der Begründer der klassischen Nationalökonomie. Sind seine Annahmen über wirtschaftliches Handeln bis heute maßgeblich? Aufeinander hören Nr. 26 • 29. Juni 2023 In der digitalen Umwelt ist eine visuell dominierte Kultur entstanden. Aktuelle Entwicklungen zeigen: Es besteht die Gefahr, dass wir das Lauschen und das Zuhören verlernen. Über den Schatz der akustischen Sinneswelt. Gutes Leben Nr. 28 • 13. Juli 2023 Zu einem zufriedenen Leben gehören viele Faktoren, die man nicht früh genug fördern kann. Die pädagogische Werktagung Salzburg will daher „Zuversicht stärken“, und DIE FURCHE fragt: „Wie gelingt gutes Leben?“

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