DIE FURCHE · 15 20 Architektur 13. April 2023 In allen Größen Was Architektur alles kann, das zeigt die runderneuerte Schausammlung des Architekturzentrum Wien, darunter Josef Lackner: Haus Jürgen Berger, Aldrans, Tirol, 1972–1973, Modell. Foto: Architekturzentrum Wien, Sammlung Von Isabella Marboe Wie erzählt man Architektur? Vor knapp einem Jahr hat das Architekturzentrum Wien (AzW) seine ständige Schausammlung völlig neu erfunden. „Hot Questions – Cold Storage“ heißt die von Angelika Fitz und Monika Platzer konzipierte Dauerausstellung, zu der nun auch der Katalog erschienen ist. Mit der Frage „Was kann Architektur?“ hatte Fitz ihre Direktion begonnen, jetzt stellt die Schau sieben „brennende“ Fragen an Schlüsselobjekte der Sammlung. Diese antworten mit Querverweisen und Denkanstößen. „Wir wollten multi perspektivisch sein“, sagt Kuratorin Monika Platzer. „Es geht auch um die Rolle der Architektur in der Gesellschaft.“ Wissensspeicher der Baukunst Das Thema Frauen in der Architektur zählt mit der Frage „Macher*innen: Wer spielt mit? dazu. Vor 1938 waren über 200 Architektinnen an Österreichs Hochschulen eingeschrieben, bekannt davon ist den meisten einzig Margarete Schütte-Lihotzky, vor allem aufgrund ihrer Frankfurter Küche. „Wenn ich gewusst hätte, dass alle immer nur davon reden, hätte ich diese verdammte Küche nie gebaut“, wird sie zitiert. Dass sie mit Adolf Loos für die Siedlerbewegung plante, als einzige Frau ein Haus in der Wiener Werkbundsiedlung realisierte und in der Sowjet union ganze sozialistische Noch nie war eine Dauerausstellung so inspirierend wie die aktuelle Schau des Architekturzentrum Wien. Nun gibt es zu „Hot Questions – Cold Storage“ einen ebenso anregenden Katalog. Kurzweilig mit Tiefgang „ Als Leiterin der Sammlung konnte Monika Platzer bei der Wahl der ausgestellten Objekte treffsicher aus dem Vollen schöpfen. “ Städte entwarf, hätte man sehr gern auch noch erfahren. Die Ausstellungsgestaltung von tracing spaces (Michael Hieslmair, Michael Zinganel) und seite zwei (Christoph Schörkhuber, Stefanie Wurnitsch) sprüht von Ideenreichtum. Sie löste die „a_Schau“ ab, eine chronologische Gesamterzählung über 150 Jahre österreichischen Baugeschehens, die dem Kanon von Friedrich Achleitner, dem Grandsegnieur hiesiger Architekturerforschung im 20. Jahrhundert folgte. Mit 17 Jahren Laufzeit erreichte die „a_Schau“ ein methusalemisches Alter. Seit ihrer Eröffnung war die Sammlung des AzW um über 100 Nachlässe sowie die Archive von Achleitner und Margherita Spiluttini angewachsen. Das Depot des AzW in Möllersdorf ist heute der größte und umfassendste Wissensspeicher zur österreichischen Architektur. Als Leiterin der Sammlung konnte Monika Platzer bei der Wahl der ausgestellten Objekte treffsicher aus dem Vollen schöpfen. Über 400 Exponate sind zu sehen, viel Überraschendes ist dabei. Architekturhistorikerin Despina Stratigakos und Architektin Kelly Hayes McAlonie beispielsweise initiierten 2011 die Barbie-Figur als Architektin, in Stiefeletten, mit rosa Planrolle und Baustellenhelm kess unter dem Arm. Das Barbie-Klischee traf hier auf das Klischee der schwarz gekleideten Architektenschaft. „Bausteine. Wie entsteht Architektur?“ dekliniert wesentliche Themen der Disziplin durch: Entwurfsprozesse, Materialien, Konstruktionen. Man begegnet den Zeichnungen von Bogdan Bogdanović, die ganze Welten aufspannen. Wie Seifenblasen hängen Kurvenlineale, Tuschestifte, Zirkel und Schablonen in durchsichtigen Plastikkugeln von der Decke. Längst wurden sie von Computerprogrammen abgelöst. „Habitat: Wie wollen wir leben?“ wartet mit einem zinnoberroten Paternoster auf. Nacheinander schieben sich die Modelle von Markstein-Wohnbauten in Augenhöhe. In ihnen spiegelt die faszinierende Vielfalt an Behausungsformen ‒ vom Einfamilienhaus über Megastrukturen bis hin zur Innenstadtverdichtung. Sehr amüsant ist es auch, den elektronischen Multiple-Choice- Test dazu zu beantworten, um die eigene präferierte Wohnform zu erfahren. „Planet: Wie überleben wir?“ schlägt die Brücke in die Zukunft, zu einem neuen Rollenverständnis der Architektur als Disziplin, die in der Lage ist, Fehlentwicklungen zu korrigieren. SPLITTER- WERK, Arup, B+G Ingenieure und Immosolar entwickelten für die IBA Hamburg eine Algenfassade, in der wachsende Algen ebenso vor Sonne schützen, wie sie Energie produzieren. Sie wurde tatsächlich realisiert. Anna Heringer machte traditionelle Bauweisen aus Lehm und Bambus im indischen Rudrapur wieder attraktiv und initiierte das Projekt Dipdii- Textiles, bei dem Frauen zerschlissene Saris verarbeiten und verkaufen. Mit Martin Rauch vertieft sie ständig das Wissen um den Lehmbau und gibt es an Studierende weiter. Das älteste Baumaterial der Welt hat noch viel Zukunft. Was Architektur kann, zeigt diese Dauerausstellung sehr gut. Hot Questions – Cold Storage Die Schausammlung des AzW www.azw.at Hot Questions – Cold Storage Herausgegeben von Angelika Fitz, Monika Platzer und dem Architekturzentrum Wien Park Books 2023 384 S., kart., € 59,70 DER CHANCEN PODCAST Utopien für eine neue Arbeitswelt Heute sehen wir eine von der digitalen Welt erschöpfte Bevölkerung, die sich statt mehr weniger Arbeit wünscht. Das neue FURCHE-Feature widmet sich in mehrteiligen Podcastfolgen den Themen Demografieschere, alterns gerechtes Arbeiten und Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt. Hören Sie rein! furche.at/chancen
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