DIE FURCHE · 15 10 Diskurs 13. April 2023 ALSO SPRACH „ Eine Person, auch wenn sie eine unschuldige Absicht hat, muss Verantwortung für die Wirkung der Handlung übernehmen. “ Tenzin Peljor, Ratsmitglied der Deutschen Buddhistischen Union (DBU), übte auf BR24 Kritik an der Entschuldigung des Dalai Lama, nachdem das geistliche Oberhaupt der Tibeter einen Buben aufgefordert hatte, seine Zunge zu lutschen. Der Dalai Lama entschuldigte sich für den Vorfall, begründete ihn aber mit seiner neckischen Art, Menschen zu begegnen. AUS DEM FURCHE-NAVIGATOR Von Peter Gosztony Nr. 30/28. Juli 1994 Hitlers schreckliche Rache Heuer jährt sich zum 80. Mal der Aufstand des Warschauer Ghettos. Die dort gefangenen Juden konnten dem Tod nicht entrinnen (siehe auch Seite 16). Ebenso wenig wie jene, die 1944 hofften, Warschau befreien zu können. Dem Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto im Frühjahr 1943 fielen mehr als 50.000 Menschen zum Opfer. Nachher wurde das Ghetto von den Deutschen liquidiert: ganze Stadtviertel wurden systematisch zerstört und die Überlebenden in Vernichtungslager gebracht. Und dann kam das Schicksalsjahr für Hitlers „neues Europa“, das Jahr 1944. [...] Ende Juli 1944 näherte sich die Rote Armee Warschau. Die Deutschen beabsichtigten, weil ihnen zu einer Stadtverteidigung die Kräfte fehlten, Warschau zu verlassen. [...] Polen, die bis jetzt mit den Deutschen „gute Geschäfte“ machten und sich mit Becht Rache befürchteten, versuchten rechtzeitig nach Westen zu entkommen. [...] Diese Situation vor Augen und in der Gewißheit, daß ein offener Widerstand Warschaus Befreiung nur vorantreiben könnte, entschloß sich die Leitung der polnischen Heimatarmee, einen bewaffneten Aufstand in der Stadt zu inszenieren. [...] Die Rote Armee sei auf Warschau angesetzt, die Befreiung stehe vor der Tür. [...] Die West-Alliierten wollten kein Blutbad in Warschau: helfen konnten sie kaum, sie waren vollends mit den Kämpfen in Frankreich gebunden. Was nachher kam, war mehr als ein Kriegsdrama. Es war das Preludium zum Kalten Krieg zwischen Ost und West in der Nachkriegszeit. In Warschau begann sich der nationale polnische Widerstand zu rühren. [...] Der 63 Tage dauernde Aufstand kostete die Heimat-Armee etwa 22.000 Gefallene und Verwundete. [...] Als am 18. Jänner 1945 die Rote Armee die Weichsel überschritt, war die Stadt zu 90 Prozent zerstört. Lesen Sie hier den ganzen Text: ZEITBILDER Wahlkampf in dreierlei Rot Es wurde doch nichts mit der Giraffe: Wie die rund 70 anderen (Jux?-)Bewerber scheiterte auch sie an den 30 nötigen Unterstützungserklärungen für den SPÖ-Vorsitz. Am Ende blieben wie durch ein Wunder nur die drei Favorit(inn)en übrig: die bisherige Frontfrau Pamela Rendi-Wagner, der burgenländische Herausforderer Hans Peter Doskozil – und der überraschend in den Ring gestiegene Traiskirchener Bürgermeister Andreas Babler. Letzterer sieht das „Momentum“ auf seiner Seite. Tatsächlich hat Babler dem lähmenden Machtkampf um die Ausrichtung der österreichischen Sozialdemokratie Foto: APA / Robert Jaeger Weitergeben, was gut gedacht ist ERKLÄR MIR DEINE WELT Liebe Frau Hirzberger! Hubert Gaisbauer Publizist Ich hoffe, dass Sie nicht mehr verschnupft sind und der Welt auch wieder ein paar lichte Aspekte abgewinnen können. Wir sind ja in der Osterwoche. Da möchte ich gerne eine Freude mit Ihnen teilen, die bei mir aufgekommen ist, als ich im TV die Geschichte von Ryyan Alshebl hörte. Vor acht Jahren war der junge Syrer mit dem Boot nach Europa gekommen – und vor ein paar Tagen wurde er zum Bürgermeister von Ostels heim im Schwarzwald gewählt. Sicher: Freude darüber, dass es einer „geschafft“ hat, aber noch viel mehr Freude über das Vertrauen der Ostelsheimer Bevölkerung. Und über einen Chef, der den heute 29-jährigen Ryyan ermutigt hat zu kandidieren. Es ist ein Charisma, Begabungen zu erkennen. In derselben Sendung dann auch der Bericht über unmenschliche Arbeitsbedingungen im Botendienstwesen, der mir vor Augen geführt hat, worüber Sie empört geschrieben haben. Es bleibt dabei: lieber zweimal in die Buchhandlung gehen als einmal bei Amazon bestellen. Anfang als „Stenotypistin“ Sie haben mich gefragt, wie „die Situation“ bei mir war. Damals, 1962/63, als ich im Journalismus angefangen hatte. Sie ist nicht zu vergleichen mit dem, was Sie so authentisch über Ihre Situation und über die häufige Selbstausbeutung in der Medienarbeit vermitteln. Ich bekenne: Ich hatte einen glücklichen Start auf meiner Laufbahn, nicht zuletzt dank eines Chefs, dem Förderung vor Forderung gegangen war. Und learn ing by doing. Ich war ein junger Familienvater – und er sorgte dafür, dass ich mit einer Anstellung eine minimale soziale Absicherung hatte. Mein Anstellungsvertrag lautete zwar „als Stenotypistin“, das „-in“ auf dem Formular war nicht einmal in Klammer. Ich war stolz, im größten Kulturmedium des Landes, dem Radioprogramm des Österreichischen Rundfunks, einem Auftrag verpflichtet zu sein, der – angeblich noch immer – Bildungsauftrag heißt. In einem Unternehmen, „ Ich war stolz, als Journalist einem Auftrag verpflichtet zu sein, der – angeblich noch immer – Bildungsauftrag heißt. Und die ,Staatskunst‘ (=Regierung?) hätte dafür zu sorgen. “ Foto: APA / Eva Manhart ungeahnte Dynamik verliehen. Unter dem Motto „Holen wir uns die SPÖ zurück“ fordert Babler u. a. eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, ein Recht auf Pflege, eine humanistische Asylpolitik und das Verständnis von Klimapolitik als sozialer Frage. Sowohl die FPÖ wie die „radikalisierte ÖVP“ schließt er als Koalitionspartner aus – und hält im „ZiB2“-Interview bis zu 40 Prozent für die SPÖ für denkbar. Kritiker halten das ebenso für utopisch wie die Finanzierbarkeit seiner Forderungen. Dass über rote Inhalte und nicht nur über Querschüsse diskutiert wird, ist jedenfalls ein Fortschritt. (Doris Helmberger) das unabhängig und öffentlich ist. Für ein Gemeinwohl ist Bildung erforderlich, und die „Staatskunst“ (=Regierung?) hätte – zumindest nach Aristoteles – dafür zu sorgen. Heute: mit lebens fähigen Qualitätsmedien. Und das, liebe Frau Hirzberger, ist mir noch immer der Hippokratische Eid für alle publizistisch Tätigen: Wissen bereitzustellen. Den Begriff „Medium“ kann man – wie mein Latein-Wörterbuch aus dem Jahr 1907 noch weiß – auch mit „gemeinschaftlichem Wissen“ übersetzen. Und wir, die es unter die Leut’ bringen, sind Bot(inn)en, das ist doch schön! Rückübersetzt ins Lateinische: angeli, Engel. Ich halte unseren Beruf (ich fühle mich ja noch zugehörig, liebe Frau Kollegin) für einen qualifizierten Botendienst, der ohne Narzissmus weitergibt, was gut gedacht, erforscht und hinterfragt ist – und wofür uns die „Staatskunst“ die nötige Zeit und den angemessenen Lebensunterhalt zu verschaffen hat. Und deshalb freut es mich, wenn Sie schreiben, dass Sie Ihren Beruf „trotzdem“ lieben. Denn wenn nicht mehr Funken von Zustimmung das Feuer der Begeisterung zünden, wird sich niemand wärmen können am Feuer eines „guten Lebens aller“. Ihr Hubert Gaisbauer Foto: Christian Lendl Den gesamten Briefwechsel zwischen Herrn Gaisbauer und Johanna Hirzberger können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Jana Reininger BA MA, Victoria Schwendenwein BA, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Aboservice: 01 512 52 61-52 aboservice@furche.at Jahresabo: € 181,– Uniabo (Print und Digital): € 108,– Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. Anzeigen: Georg Klausinger 01 512 52 61-30; georg.klausinger@furche.at Druck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 Graz Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz: www.furche.at/offenlegung Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Art Copyright ©Bildrecht, Wien. Dem Ehrenkodex der österreichischen Presse verpflichtet. Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling. Produziert nach den Richtlinien des Österreichischen Umweltzeichens, Druck Styria, UW-NR. 1417
DIE FURCHE · 15 13. April 2023 Diskurs 11 Am 16. April wäre Joseph Ratzinger 96 Jahre alt geworden. Als Benedikt XVI. zum Jahreswechsel starb, gab es Rufe nach einer schnellen Heiligsprechung. Dazu besteht kein Anlass. Ein Gastkommentar. Keine Voraussetzungen für ein santo subito Benedikt XVI. war ein kluger, wortgewandter Theologe und Schöngeist. Alle, die ihn näher kannten, beschreiben ihn als liebenswürdigen, bescheidenen, ja sanften Mann. Er mag ein frommer und in den letzten Lebensjahren im Gebet versunkener Priester gewesen sein. Aber die kritische Frage stellt sich, ob das ausreicht, ihn in das Register der Heiligen der Kirche aufzunehmen. Im Grunde ist dieser brillante Denker und Theologe kulturell und politisch in der Rolle als Präfekt der Glaubenskongregation und als Papst gescheitert. Er hat bei seinem Rücktritt 2013 die Kirche jedenfalls in einem schlechteren Zustand übergeben als zum Zeitpunkt seiner Ankunft im Vatikan als Kardinalpräfekt im Jahr 1982: In (West-)Europa erleben wir eine so noch nie dagewesene Abstimmung der Gläubigen mit den Füßen raus aus der katholischen Kirche. In anderen Regionen ist es nicht besser: In Lateinamerika wachsen die evangelikalen Kirchen dem traditionellen Katholizismus über den Kopf; Aufbrüche, wie die Option für die Armen in einer Theologie der Befreiung, sind von Kardinal Ratzinger gründlich unterdrückt worden. In Afrika haben Johannes Paul II. und Benedikt XVI., mit ihrer strikten Weigerung, Kondome als Mittel der sexuellen Verhütung und damit auch als Schutz vor Ansteckung mit HIV/Aids zu erlauben, zum Tod hunderttausender Menschen mit beigetragen. Vatikan blieb ein „Männerbund“ Gescheitert ist Benedikt XVI. daran, dass er weder im Denken noch im Handeln aus dem „Männerbund“ des Vatikans ausgebrochen ist: Diese Versammlung alter Männer ist in ihrer Binnensicht nicht in der Lage, die Gegebenheiten und Veränderungen in der Welt außerhalb der Mauern des Vatikans zu dechiffrieren. Am schwerwiegendsten ist wohl die Frage, wie diese Kirchenleitung zu einem der Komplexität der Gegebenheiten entsprechenden Sitz im Leben finden kann, wenn sie zur Gänze (!!) auf die Hälfte der Menschen, nämlich die Frauen, verzichtet. Das Frauenpriestertum wäre nicht allein eine Selbstverständlichkeit der Geschlechtergerechtigkeit im Sinne einer Inklusion in Führungs- und Leitungsfunktionen. Mindes- PORTRÄTIERT Pragmatiker, General, Hardliner Foto: Privat tens so wichtig ist aber der Umstand, dass Lebenserfahrungen von Frauen keinen Eingang in ein zeitgemäßes theologisches Verständnis von Glauben und Religion finden. Der kuriale Männerbund hat die Verheiratung von Priestern verschlafen. Das führt im Kern zu diesem ausschließlich auf Männer konzentrierten „Klerikalismus“, der sowohl das Weibliche als auch das Sexuelle aus dem Priesterleben verdrängt. Die zölibatäre Lebenshaltung kippt zwar nicht zwingend, aber trotzdem nicht selten in ein deformiertes Verhalten der erzwungenen Unreife, was im Extremfall bis zum Kindesmissbrauch führen kann. DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Clemens Martin Auer „ Dieser brillante Theo loge ist kulturell und politisch als Präfekt der Glaubenskongregation und als Papst gescheitert. “ Benedikt XVI. hatte als Präfekt der Glaubenskongregation und als Papst detaillierte Kenntnis vom Ausmaß dieser Missbrauchsfälle. Er hat auch erste zwingend notwendige Schritte der Aufarbeitung dieses durch männliche Priester verursachten Leides gesetzt. In seinen Worten war er deutlich. Er hat aber die Ursachen dieser Pervertierung, die in der psychosozialen Verfasstheit dieses Männerbundes angelegt ist, trotz seiner analytischen Intelligenz auf die Homosexualität eines Teils der Priester zurückgeführt. Damit hat er den Kern des Problems nicht getroffen. Die blutende Wunde der Missbrauchsfälle sitzt tief im Körper der Kirche. Foto: imago / zuma Press Das letzte quere Problem der Ära Johannes Paul II. und seines Glaubenspräfekten und petrinischen Nachfolgers ist die Fixation auf eine enggeführte Sexualmoral, die nur im reinen Zeugungsakt des Lebens kein sündhaftes Verhalten sehen will. Daraus abgeleitet, wurde in beiden Pontifikaten der Kampf gegen Homosexualität zum Schwerpunktthema erklärt. Doppelmoral in Fragen der Homosexualität Das wiederum wirft ein Bild auf die Doppelmoral in Fragen der Homosexualität innerhalb des Klerus. Benedikts Verständnis von Homosexualität ist im Katechismus der katholischen Kirche (1992) dargelegt. Man müsste Kardinal Schönborn als einen der Redakteure des Katechismus fragen, ob diese Textpassage von Joseph Ratzinger persönlich stammt. Dort heißt es, verkürzt, homosexuelle Veranlagung ist dann Sünde, wenn sie zu sexuellen Handlungen führt. Homosexuelle seien zur Keuschheit gerufen und sollen sich mittels der Tugend der Selbstbeherrschung, des Gebets und Sakraments schrittweise der „christlichen Vollkommenheit“ annähern. Die Ära der beiden Päpste ist jedenfalls gekennzeichnet von einer tiefen Homophobie: Die Nuntiaturen hatten weltweit den Auftrag, gegen die Verteilung von Kondomen zur Bekämpfung von HIV/Aids und jegliche Gesetzesinitiativen zur Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften oder Ehen zu intervenieren. Hier hat der Vatikan krachende politische Niederlagen erlitten. Unabhängig von der Würdigung Benedikts als großen Theologen bleibt kirchenpolitisch von dieser Ära, dass die männerbündische vatikanische Kirchenleitung den Anschluss an die Gesellschaft von heute in den hier angesprochenen Themen verloren hat. Wobei ein Kardinalversagen am schwersten wiegt: Kindesmissbrauch durch Priester ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das das Verlangen der Menschen, den Himmel zum Sprechen zu bringen, verstummen lässt. Das ist keine Voraussetzung, Benedikt XVI. zum Heiligen zu erklären. Der Autor ist praktizierender Katholik und war Sektionschef im Gesundheits ministerium, für das er als Konsulent tätig ist. Joaw Galant gilt als Politiker mit harter Linie, aber auch als fähig, Kompromisse zu schließen. Seine Kritik an Netanjahu hat ihm bereits viel Unterstützung eingebracht. Angelobung, (verbaler) Rauswurf, Comeback – die Laufbahn des israelischen Verteidigungsministers Joaw Galant im rechts-religiösen Kabinett Netanjahu VI lässt sich grob mit diesen drei Wörtern zusammenfassen. Was war geschehen? Der 64-jährige Generalmajor der Reserve hatte Netanjahus umstrittene Justizreformpläne als Gefahr für die nationale Sicherheit bezeichnet, da sie die Gesellschaft spalteten. Tatsächlich würde eine Realisierung der Pläne bedeuten, dass künftig religiöse Fundamentalisten und ultrarechte Nationalisten eine effektive Kontrolle über die Ernennung von Richtern des obersten Gerichtshofs haben. Auch Entscheidungen des Gerichts könnten mit der Reform leichter überstimmt werden. Mit seiner Kritik an Netanjahus Vorhaben ist Galant nicht allein. Seit mehreren Monaten befindet sich Israel in der schärfsten innenpolitischen Krise seit Jahren. Der Unmut im Militär wächst. Hunderttausende Israelis gehen täglich auf die Straße, um gegen den Gesetzesentwurf zu demonstrieren. Dass der Verteidigungsminister vor wenigen Tagen entlassen wurde, verschärfte die Aufregung zusätzlich. Dass Joaw Galant, einst Holzfäller und wie Netanjahu Angehöriger der nationalkonservativen Likud-Partei, einen weicheren politischen Kurs vertritt als sein Regierungschef, ist ein Irrglaube. Tatsächlich tritt er für eine militärische Großoffensive gegen die Hamas im Gazastreifen ein und forderte 2017 die Ermordung des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad. Gleichzeitig gilt er als pragmatischer Politiker, der bereits 2011 zum Generalstabchef ernannt werden sollte, auf diese Chance wegen Verdachts der Vorteilsnahme bei Grundstücksverkäufen jedoch verzichten musste. Seine Kritik an Netanjahu brachte Galant indes zahlreiche Unterstützer(innen) ein. Das ist auch der Grund, weshalb ihn der Ministerpräsident nach seinem angekündigten Rauswurf kleinlaut wieder zurückholen musste (offiziell war Galant nie des Amtes enthoben). Netanjahu hält allerdings weiter an den Justizreformplänen fest – nur partiell, etwa bei den Minderheitenrechten, will er einlenken. Ein deutliches Zeichen dafür, dass sich in Israel Machtverhältnisse verschoben haben. (Jana Reininger) ZUGESPITZT QUINT- ESSENZ Vergoldetes Ego Von Brigitte Quint Eine zentrale Gestalt in der österreichischen Politlandschaft lässt mich regelmäßig erschaudern. Es handelt sich um Wolfgang Sobotka. Den Nationalratspräsidenten. Er ist für mich die Personifizierung der Präpotenz. Dass er für das neue Parlament ein vergoldetes Klavier angemietet hat, das die Steuerzahler(innen) 3000 Euro im Monat kostet, wundert mich genau überhaupt nicht. Dass er es jetzt sogar kaufen will – auf Steuerkosten versteht sich –, wundert mich noch weniger. Meine Antipathie Sobotka gegenüber hat weniger mit ihm als mit mir zu tun. So viel Küchenpsychologie muss sein. Dass ich mich breitbeinig auf eine Bühne stelle und anderen erkläre, ich wäre das Beste, was ihnen passieren kann – so bringt es der Gute zumindest nonverbal rüber –, ist undenkbar. Oder nur mit harten Drogen zu realisieren. Ich bin Meisterin darin, mich selbst niederzumachen. Deshalb triggert es mich, wenn sich mein Gegenüber in seiner (selbstdiagnostizierten) Großartigkeit suhlt. Einerseits geht mir diese Art auf den Senkel. Andererseits würde ich mir gerne ein Stück davon abschneiden. Ich bin ja nicht die Einzige, die Sobotka angreift. Gibt es ein Ranking der unbeliebtesten Politiker Österreichs? Jede Wette, dass es Sobotka unter die Top drei schaffte. Während ich mich darob bis ins Mark kränken würde, stolziert er mit stolzgeschwellter Brust Tag für Tag an „seinem“ vergoldeten Klavier vorbei. Ich höre immer wieder, dass er das Herz am rechten Fleck habe, ein guter Christ sei usw. Dann soll er sich bitte schön besser vermarkten. Wir schreiben schließlich das Jahr 2023. Ich höre ihn fast, was er mir hierauf kontert: „Kehren Sie doch vor Ihrer eigenen Tür, Frau Quint.“ Damit hätte er mich. Was ihn aber keinen Deut sympathischer macht. „Lieber Wladimir!“ Dass der Mensch den Mitmenschen zur Bestie werden kann, wussten schon die alten Römer: „Homo homini lupus est“, so die nüchterne Einsicht. Wladimir Putin führt der Welt vor Augen, dass der Menschenwolf im 21. Jahrhundert noch nicht ausgedient hat. Der Mann gilt jetzt auch amtlich als „mutmaßlicher Kriegsverbrecher“ und weckt seit Längerem das Interesse von Psychiatern, die sich mit Paranoia und pathologischem Starrsinn beschäftigen. Kognitive Flexibilität und die Kunst des Loslassens zählen nicht mehr zu seinen Stärken – das treibt Hunderttausende in den Tod. Der Krieg hinderte einen heimischen Industrie-Wolf nicht daran, weiterhin Liebesgrüße nach Moskau zu schicken, wie der deutsche Spiegel berichtet. Sein höfliches Begehr an den „lieben Wladimir Wladimirowitsch“: Putins Liebkind wieder aufzubauen. Logisch, liegt doch die russische Autoindustrie seit den garstigen Sanktionen auf dem Boden! Und mit Autos kennt sich der Sigi aus. Das eigene Reich auszuweiten, indem man sich mit den richtigen Leuten ins Bett legt, ist hierzulande ein altes Motto. Das weiß auch eine ehemalige Außenministerin, die sich vor Putin gern zu Boden wirft: Andere mögen Kriege führen – „Tu felix Austria nube“! Martin Tauss
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE