15 · 13. April 2023 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 79. Jg. · € 4,– „Nicht mit gesenktem Kopf sterben“ Vor 80 Jahren begann der Aufstand im Warschauer Ghetto. Erinnerungen an den Ex-Kommandeur Marek Edelman. · Seite 16 Hans Kelsen – Architekt der Verfassung „Bis wohin gehst du mit mir?“ Der versprengte Wolf Zum 50. Todestag des Rechtsphilosophen sind seine Ansichten und Haltungen in puncto Demo kratie aktueller denn je. · Seite 5 Zum Tod von Huub Oosterhuis: Der Erneuerer religiöser und liturgischer Sprache ging bei den biblischen Dichtern in die Schule. · Seite 8 Am 22. April wäre der Künstler Florian Jakowitsch hundert Jahre alt geworden. Eine Hommage von Hubert Arnim-Ellissen. · Seite 13 Das Thema der Woche Seiten 2–4 Foto: iStock/PeopleImages Frühlingsgefühle machen auch vor reiferen Menschen nicht halt. Was bedeutet es, spät im Leben zu lieben? Und wie gelingt im Alter eine Partnerschaft? Durch die altrosa Brille „Svazek hat Kickl im Gepäck“ Am 23. April wählt Salzburg. Landeshauptmann Wilfried Haslauer über die neue/alte Volkspartei, „rote Linien“ gegenüber der FPÖ, Lehren aus der Pandemie, seine Kritik an „moralisierendem Klimaschutz“ – und seinen Vater, der ebenfalls Landeshauptmann war. Seiten 6–7 Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will Europa aus dem Taiwan-Konflikt heraushalten und fordert mehr Autonomie. Für seine Rhetorik muss er viele Prügel einstecken. Zu Unrecht. Mission à la de Gaulle Von Brigitte Quint „ Im Falle einer Eskalation mit China würden sich die Prioritäten in Washington, D.C. binnen Stunden verschieben. “ nen Aussagen auch innenpolitisches Kapital schlagen wollte, ist selbstredend. Mithilfe des Sonderartikels 49.3 der Verfassung hatte er seine umstrittene Pensionsreform durchgebracht – ohne Parlamentsabstimmung. Die französische Bevölkerung tobt. Regelmäßige landesweite Demonstrationen und Streiks sind die Folge. Atommacht am Zug Die Rolle als vorausdenkender Strippenzieher auf der weltpolitischen Bühne kommt ihm daher zupass. Im Grunde richtete er seinen Landsleuten durch die Medien aus: „Ich sehe zu, dass ich euch die nächste Katastrophe vom Hals halte.“ Und auch ein Hauch rendre à la France sa grandeur – die französische Version von Trumps „MAGA“ („Make America Great Again“) – schwang bei seinen Aussagen mit. Denn eine militärische Autonomie Europas ist nur unter der Führung der einzigen Atommacht in der EU bzw. Kontinentaleuropas – also Frankreichs – denkbar. Es ist also nicht zu übersehen, dass sich Emmanuel Macron als eine Art neuer Charles de Gaulle zu inszenieren versucht und wie sein Vorbild an eine historische Mission Frankreichs glaubt. Mit ihm an Die Empörung ist wieder einmal riesig. Und sie kam so schnell, dass man geneigt ist zu bezweifeln, ob alle Kritikerinnen und Kritiker die Zeit fanden, Emmanuel Macrons Interview mit Les Echos in Gänze zu lesen, bevor sie wütend in die Twitter-Tasten hauten. Doch das ist einerlei. Der ehemalige Investmentbanker Macron ist längst für viele das Feindbild par excellence – zu wirtschaftsliberal, zu abgehoben, zu ehrgeizig. Nun scheint er auch noch „von allen guten Geistern verlassen“, wie es der deutsche Christdemokrat Norbert Röttgen (der, der einst Angela Merkel beerben wollte) via Tweet verlautbaren ließ. Was genau brachte die Empörungsmaschinerie in Gang? Macron hatte angemerkt, dass es Europa tunlichst vermeiden sollte, sich in den Taiwan-Konflikt mit hineinziehen zu lassen: „Irgendwann müssen wir uns die Frage nach unserem Interesse stellen. […] Unsere Priorität ist es nicht, uns in allen Regionen der Welt der Agenda anderer anzupassen.“ Andernfalls mutiere die EU zum Vasallen (der USA). Anzustreben sei das Gegenteil: die strategische und militärische Autonomie. Damit hat er recht. Dass der französische Präsident mit seider Spitze, versteht sich. Es ist aber auch nicht zu übersehen, dass er (im Gegensatz zu den meisten seiner Amtskollegen) das Zeug zu dieser Führungsfigur hat. Nun aber sieht sich Macron mit dem Vorwurf konfrontiert, durch seine Rhetorik die guten transatlantischen Beziehungen ernsthaft zu gefährden. Weiter wirft man ihm vor, Wasser auf die Mühlen jener zu leiten, die Europa gespalten sehen wollen. Hier werden Tatsachen verdreht. Spätestens seit Trump wird in den USA laut darüber nachgedacht, ob es noch zeitgemäß (und finanzierbar) sei, weiter als Europas Schutzmacht aufzutreten. Auch die militärische Hilfe, die in Richtung Ukraine fließt, – vor allem das Ausmaß – ist längst ein Zankapfel. Gesetzt den Fall, der Konflikt um Taiwan eskaliert – die Prioritäten in Washington, D.C. würden sich binnen Stunden zuungunsten Europas verschieben. Auf Joe Biden angesprochen, meinte Macron übrigens: „Er liebt Europa. Andererseits ist er Teil einer amerikanischen überparteilichen Logik […]. Ist es zu beanstanden? Nein. Aber wir müssen es integrieren.“ Was daran soll falsch sein? Macron hat ein paar unangenehme Wahrheiten ausgesprochen, die so mancher nicht hören will. Zuvörderst in Osteuropa ist man auf diesem Ohr taub. In der Praxis sind es mitunter genau diese unterschiedlichen Sichten auf die Welt, die den europäischen Zusammenhalt gefährden. Ein starkes Europa würde die USA eher binden als vergraulen. Es wäre eine Beziehung auf Augenhöhe. Etwas, das auf Twitter nicht vorgesehen ist. brigitte.quint@furche.at INTRO Die Realität ist dazu angetan, nach Beschönigung zu schreien. Sonst ist sie schwer zu ertragen. Im Zustand der Verliebtheit stellt sich dieser verklärende Blick freilich von selbst ein. Dass das in jedem Alter passieren kann, beschreiben Jana Reininger und Victoria Schwendenwein in ihrem Fokus „Durch die altrosa Brille“. Eine solche hatte Hans Kelsen wohl nicht auf der Nase, als er Österreichs Verfassung entwarf. Christoph Konrath und Robert Schütt würdigen ihn zum 50. Todestag. Welche Perspektiven sich heute in Salzburg auftun, zeigt das FURCHE-Interview mit Landeshauptmann Wilfried Haslauer. Spoiler: Rosarot findet man auch dort wenig. Ebenso wenig im „Klartext“ von Julia Mourão Permoser über Asylpolitik. Weichzeichnerei war auch Huub Oosterhuis fremd: Otto Friedrich hat einen Nachruf auf den Erneuerer religiöser Sprache verfasst. Auch das Feuilleton beginnt mit einer Würdigung, diesfalls von Florian Jakowitsch, der als Künstler noch immer ein Geheimtipp ist. Und Heidi Lexe bespricht ein bezauberndes Gebetsbuch für Kinder. An Abgründe erinnert schließlich Otmar Lahodynsky anlässlich des 80. Jahrestags des Aufstands im Warschauer Ghetto – und Adrian Lobe befasst sich mit abgründiger Künstlicher Intelligenz. Nicht jede Realitätsbeschönigung ist schließlich erträglich. (dh) furche.at Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0
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