DIE FURCHE · 5014 Diskurs12. Dezember 2024Den gesamten Briefwechselzwischen Hubert Gaisbauerund Johanna Hirzberger könnenSie auf furche.at bzw. unterdiesem QR-Code nachlesen.ERKLÄRMIR DEINEWELTWer bitte istAndré Heller?Hubert Gaisbauerist Publizist. Er leitete dieAbteilungen Gesellschaft-Jugend-Familie sowieReligion im ORF-Radio.„ Wo nur sind heuteGeister und Künstler,die so wirksamgegen frechesAnsinnen von Politrabaukenauftreten!Mir fehlen sie. “Es steht mir natürlich in keiner Weise zu, Sie zu loben,aber meiner Freude darf ich wohl Ausdruck verleihen,dass Sie auf mein Stichwort Labsal davon berichten,dass Sie Wienerlieder lernen, um sie Frauen imAltersheim vorzusingen. Und Ihre Recherche über dieVolkssängerinnen hat mir auch Neues gebracht. Mit denWienerliedern habe ich es ja sonst nicht so sehr, was manaber einem bekennenden Oberösterreicher verzeihen möge.Dem sind weniger melodiöse, aber dafür gepfefferteGstanzln lieber. Zu den rabbit holes darf ich anmerken,dass sie meine Lieblingsaufenthaltesind. Kaum tut sich eines auf, verschwindeich schon darin – und wunderemich dann, wo wir, ich und dieZeit, geblieben sind. Von Effizienznatürlich keine Spur, und die Liefergeschwindigkeitvon eigentlich Gesuchtemist durch diese Aufenthalteerheblich verzögert.Apropos „liefern“: ein Wort, dasich im Politdiskurs einfach nichtmehr hören kann. Als bestünde Politikaus einem merkantilen Wechselspielzwischen bestellt und geliefert! Und mir fallen sofortLiefer„schein“ und Lieferschwierigkeiten ein. Nein, raschzurück ins Wunderland der rabbit holes! Für mich ist jadas Erinnern an längst Vergangenes auch so ein „Hasenloch“(obwohl es bei Alice natürlich ein Kaninchenlochist). Zum Beispiel, als ich in den späten achtziger Jahrenim Radio eine schöne Lesung von „Alice im Wunderland“mit André Heller produziert habe. Liebe Frau Hirzberger,Sie wissen sicher, wer André Heller ist. Ich habe ihn schoneinmal in unserem Briefwechsel erwähnt, als ich erstauntzur Kenntnis nehmen musste, dass junge Menschen fragen:Wer bitte ist André Heller? Er ist doch zu einer Legendegeworden! Zauberer in allen Disziplinen, Redner aufpolitischen Kundgebungen, Multi mediakünstler, vomWienerlied angefangen über den Zirkus bis zum möglichenKunstfälscher. Ich habe mit ihm um 1968 sehr gutzusammengearbeitet und bin traurig, dass ich meiner Enkelgenerationnicht mehr damit imponieren kann, dassich, wie Heller einmal in einem Interview gesagt hat, sein„erster und einziger Chef“ war! Er war – und ist hoffentlichnoch immer – ein homo politicus von feiner Eloquenz,der sich natürlich auch einmal gewaltig irren kann. SeinenBasquiat-Kunstschwindel verzeihich ihm, obwohl er damit inder Öffentlichkeit viel Kredit verspielthat. Das ist schade, denn erwar für viele eine moralische Instanz!Etwa als er das legendäre Lichtermeergegen Ausländerfeindlichkeitmiterfunden hat. Oft denke ichmir: Wo nur sind heute Geister undKünstler, die so wirksam gegen frechesAnsinnen von Polit rabaukenauftreten! Mir fehlen sie.Ach, ich seufze schon wieder undstecke fest im Retro-Hasenloch. Ich bin Ihnen aber dankbar,dass Sie mich da hineingelockt haben, denn beim Erinnernist mir wieder ein schmales Buch eingefallen, dasich vor etwa sieben Jahren während einer längeren Zugfahrtgelesen habe, ohne es auch nur einmal aus der Handzu legen: „Uhren gibt es nicht mehr: Gespräche mit meinerMutter in ihrem 102. Lebensjahr“. Der Autor: André Heller.Da spürte ich Wärme. Liebe. Ich habe das schmale Bändchenoft verschenkt. Und mein Exemplar wahrscheinlichverliehen. Heute habe ich es gleich in der Buchhandlungbestellt. Zum Wiederlesen.Mit herzlichen adventlichen Grüßen bleibe ichKOMMENTARÜber neue Hegemonen, Papiertiger und die Hoffnung als TriebfederDer Sturz des 54-jährigen Regimes der Familie Assad bedeutetweit mehr als die Befreiung der Bevölkerung voneiner mörderischen Diktatur. Das Assad-Regime war dasletzte nahöstliche Erbe der Ordnung des Kalten Krieges, der es seineMacht verdankte. Seine enge Bindung an Russland ist die logischeFortsetzung der Bindung Syriens an die UdSSR seit 1946. DieUdSSR trug entscheidend zum Aufbau der Armee bei und überließdie Organisation der Polizei- und Sicherheitsdiensten der DDR.Mit Ausnahme des Jemen überlebten die im Kalten Krieg entstandenenpolitischen Regime im Nahen Osten zwar den Fall derBerliner Mauer und behielten dendiktatorischen Status, den sie im„ Der Arabische Frühling wurdenach 13 Jahren vollendet, indemnun auch das Regime in Syrienwankte, dann zusammenbrachund schließlich verdampfte. “Kalten Krieg erlangt hatten – doch20 Jahre später brach ihre Ordnungim Zuge des Arabischen Frühlingszusammen. Nur das syrische Regimeund seine Oligarchie überlebten,weil Assad seiner eigenen Bevölkerungden Krieg erklärte.Dreizehn Jahre später wurde derArabische Frühling schließlich vollendet, indem nun auch das Regimein Syrien innerhalb von elf Tagen erst wankte, dann zusammenbrachund schließlich verdampfte. Entscheidend waren nichtnur die neu aufgestellten und reorganisierten Milizen der dreiwichtigsten Oppositionsbündnisse, sondern der Mobilisierungseffekt,den die Anfangserfolge westlich von Aleppo auslösten. Mitjedem Tag wuchs die Zahl der Städte und Dörfer, die sich bewaffnetenund lokale Stellungen der regimetreuen Armee und ihrer Milizenübernahmen. Armeeangehörige ergaben sich und zogen Zivilkleidungan. Aus dem blutigen Beginn der Offensive wurde eineerstaunlich friedliche Machtübernahme. Am 8. Dezember umfünf Uhr morgens war das 54-jährige Assad-Regime Geschichte.Der Umbruch bringt nun auch die bisherige Ordnung in der Konfliktlandschaftdes Nahen Ostens ins Wanken. Die Achse des islamischenWiderstands scheint zu zerbrechen. Die Hisbollah hat mitihrer Zustimmung zu einem Waffenstillstand mit Israel deutlichgemacht, dass ihr die nationale Politik derzeit wichtiger ist als diemilitante Solidarität mit der Hamas und die Rolle als Stellvertreterder iranischen Revolutionsgarden. Nun hat der Iran auch noch seineBastion Syrien verloren, in die das Regime seit 2012 massiv militärischinvestiert hatte.Noch härter trifft es Russland. EsVon ReinhardSchulzeverliert nicht nur seine Militärbasenin Syrien, die Hafiz al-Assad 1971der UdSSR geschenkt hatte, sondernauch einen strategischen Pfeiler seinernoch aus Sowjetzeiten stammendenNahostpolitik. Die Idee einer südlichenEinkreisung der NATO überIran, Irak und Syrien, die schon zuZeiten des Bagdad-Paktes an Bedeutung gewann, war innerhalbkürzester Zeit aufgelöst worden. Das militärische Desasterder russischen Truppen, die trotz Lufthoheit die Offensive nichtaufhalten konnten, ist mehr als eine Blamage. Die Atommachtscheint in Syrien zum Papiertiger geschrumpft zu sein.Gewinner sind Israel und die Türkei, die sich künftig die Hegemoniein der Levante teilen werden. Mit der Besetzung desHermon, eines 2814 Meter hohen Bergmassivs an der syrischlibanesischenGrenze im Bereich der 1974 vereinbarten Waffenstillstandszone,hat Israel ein Zeichen gesetzt. Die Grenzsicherungwird damit begründet, dass man vomHermon aus mit Radar weit ins libanesischeund syrische Hinterland blicken undgegebenenfalls sogar Artillerie bis nachDamaskus einsetzen könne.Mit dem neuen Regime hat sich die Türkeieinen alten Traum erfüllt, nämlich wiederein Machtfaktor in der Levante zu werden. Gestützt auf einemislamisch fundierten, aktiven Bürgertum, ähnlich denTrägergruppen der AKP in der Türkei, soll Syrien mit der Türkeizu einer großen Wirtschaftszone verschmelzen. Wie sich diesauf die Situation der kurdischen Gemeinschaften auswirkenwird, ist nicht absehbar. Nordsyrische Milizen gehen mit türkischerUnterstützung vor allem gegen Stellungen der YPG, dessyrischen Ablegers der PKK, vor. Sollten die SDF im NordostenSyriens aufseiten der YPG verstärkt in die Kämpfe eingreifen,droht eine dramatische Ausweitung des Konflikts.Der Umbruch in Syrien hat damit den Arabischen Frühlingvollendet. Mancher in der arabischen Welt hofft, dass mit demUmbruch auch die Ideale des Arabischen Frühlings neue Wirkungentfalten und die Macht des neuen Autoritarismus gebrochenwird. Viel wird davon abhängen, ob der politische und gesellschaftlicheNeuaufbau in Syrien gelingt oder ob sich dasLand wieder zu einem autoritären ideologischen Staat entwickelt.Noch überwiegt auch in Syrien die Hoffnung, dass es diesmalgelingt und Syrien mit Verspätung das verwirklicht, wofürdie Menschen im Arabischen Frühling gekämpft haben.Der Autor ist Nahost-Experte und leitete bis 2023 das „ForumIslam und Naher Osten“ an der Universität Bern.Medieninhaber, Herausgeberund Verlag:Die Furche – Zeitschriften-Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KGHainburger Straße 33, 1030 Wienwww.furche.atGeschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner,Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-FlecklChefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-FlecklRedaktion: Philipp Axmann BA, MMaga. AstridGöttche, Viktoria Kapp BA, Dipl.-Soz. (Univ.)Brigitte Quint (CvD), Magdalena Schwarz MA MSc,Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Mag. Till Schönwälder,Dr. Martin Tauss, Astrid Wenz-Theriault MAArtdirector/Layout: Rainer MesserklingerAboservice: +43 1 512 52 61-52aboservice@furche.atJahresabo (inkl. Digital): € 298,–Digitalabo: € 180,–; Uniabo (inkl. Digital): € 120,–Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende derMindestbezugsdauer bzw. des vereinbartenZeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist.Anzeigen: Georg Klausinger+43 664 88140777; georg.klausinger@furche.atDruck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 GrazOffenlegung gem. § 25 Mediengesetz:www.furche.at/offenlegungAlle Rechte, auch die Übernahme vonBeiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten.Art Copyright ©Bildrecht, Wien.Dem Ehrenkodex der österreichischenPresse verpflichtet.Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling.Produziert nachden Richtlinien desÖsterreichischenUmweltzeichens,Druck Styria,UW-NR. 1417
DIE FURCHE · 5012. Dezember 2024Diskurs15Warum die Regierungsverhandler im Bereich Bildung selbst ein gutes Buch lesen, Praktika an„Brennpunktschulen“ absolvieren und in die Wirklichkeit investieren sollten. Eine Wunsch-Epistel.Sie wünscht sicheinen PferdLiebe künftige Regierung! Dieser Tageist der Nikolaus in vielen Kindergärtenaufgetreten (obwohl manche Kreiseraunten, dass solche Engagementsverboten seien). Auch das Versendenweihnachtlicher Wunsch-Episteln ist Teil europäischenBrauchtums. Hier nun meine an Sie.Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Siesich über die Weihnachtstage mit einem gutenBuch entspannen können. Zum Beispielmit dem Sachbuch „Die Entscheidung. Deutschland1929 bis 1934“ von Jens Bisky, frisch erschienen.Oder mit einem der vielen guten Romanevon österreichischen Autorinnen undAutoren. Ich wünsche mir, dass Sie sich als lesendzeigen, nicht nur als postend (obwohl meineHoffnung nach Ihrem Lob, Herr Nehammer,für Elon Musks wüste Plattform X als Hort der„Meinungsfreiheit“ recht klein ist). Zeigen Siesich nicht als Reaktionsmaschinen, die ihreWortmeldungen von Spindoktoren maßschneidernlassen, sondern als fühlende, denkendeWesen, die signalisieren, dass sie das geschriebeneWort als Produkt von Denkarbeit inIhr Handeln einbauen. Fußnote: Um dieses geschriebeneWort zu schützen, behalten Sie bittedie Buchpreisbindung bei und senken Sie dieMehrwertsteuer auf Bücher. Das ist Basisprogrammfür eine dringend notwendige Kehrtwendeweg vom Phrasengeschrei hin zu einervielstimmigen, öffentlichen Debatte.Damit wir alle auch in zwanzig Jahren in eineroffenen, debatten- und leistungsfähigen Gesellschaftleben können anstatt in verfeindetenGruppen, ist es nötig, auch in Zeiten von Sparpaketendort zu investieren, wo die Zukunft heranwächst:in Kindergärten und Schulen.Sie sind eingeladen – zum HandanlegenIch bin Lehrerin an einer Mittelschule, dieman wohl als Brennpunktschule bezeichnenkann, und ich bin das gerne. Sie sind herzlicheingeladen, bei uns ein mehrtägiges Praktikumzu machen, aber bitte nicht zum Händeschütteln,sondern zum Handanlegen. LassenSie Ihre Stöckelschuhe im Schrank. Lassen Siesich von Zehnjährigen Geschichten vorlesenund erzählen. Werfen Sie einen Blick in verschiedeneHefte. Übernehmen Sie Unterrichtsstundenund ein paar Gangaufsichten.Foto: PrivatDIESSEITSVON GUTUND BÖSEVonKatharina Tiwald„ Das populistischeGeschrei, das alles,was schiefläuft, ‚denAusländern‘ umhängt,ist hochgradigunterkomplex.“Manche von Ihnen sprechen davon, dass wirden Kindern „die Flügel heben“ sollen. Sie werdenmerken, dass wir damit beschäftigt sind,viele Flügel zuerst zu schienen (allerdings könnenwir nur mit einer Hand den Schraubenzieherhalten, mit der anderen müssen wir ununterbrochenirgendwelche Formulare ausfüllenoder standardisierte Tests durchführen).Ich hoffe, Ihnen sind die Zahlen bekannt,was die Deutschkenntnisse von Kindern beimSchuleintritt in Wien betrifft. Besonders frappantsind sie dort, wo sie sich auf in Wien geboreneKinder beziehen: Auf sie entfällt fast dieHälfte des Anteils jener Schüler, die als „außerordentlich“eingestuft werden, das heißt, dassihre Deutschkenntnisse nicht ausreichen, umdem Unterricht zu folgen.Leider bieten viele öffentliche Schulen undKindergärten in städtischen Ballungsräumenkein Umfeld, in dem man durch den Umgangmit anderen Kindern automatisch Deutsch lernenkann, wie das in diesem Alter leicht möglichist. Das populistische Geschrei, das in primitiverManier alles, was schiefläuft, „denAusländern“ umhängt, ist hochgradig unterkomplexund negiert die vielen erfüllenden Momenteund positiven Entwicklungen, die wirgemeinsam mit den Kindern und ihren Elternerreichen können. Natürlich gibt es viele Kindermit Migrationshintergrund, die fehlerfreiesDeutsch sprechen und schreiben. Es wäreallerdings Schönfärberei, wenn wir uns nichteingestünden, dass gleichzeitig sehr vieleein Deutsch sprechen, das diese Bezeichnungkaum verdient. Artikel, Präpositionen, Fällewerden falsch eingesetzt: die Baum, bei Schule,sie wünscht sich einen Pferd. Es kommt vor,dass ein in Wien geborenes Kind im Alter vonzwölf, 13 Jahren auf den Satz „Du hast was amKinn“ mit der Gegenfrage „Was ist das, Kinn?“reagiert. Manche Kinder sprechen schlechteresDeutsch als ihre Eltern.Freies Schreiben statt TextsortengefängnisErliegen Sie nicht der Versuchung, deswegendie Schulen nach einem utilitaristischenWeltbild umzumodeln: mehr Wirtschaft, mehrZweck, mehr Aussortieren. Wir brauchen kreativenGeist, gerade jetzt. Also brauchen wirauch Kunst, Musik, freies Schreiben unddas Erleben von Literatur als Forschungsfeldmenschlichen Seins (und nicht als Anlass fürdie Errichtung von Textsortengefängnissen).Kontrolle brauchen wir dort, wo Entfaltunggefährdet ist: im Kleinen in privaten Kindergärten,damit Sprachförderung wirklich stattfindet– das dürfte mancherorts völlig unterden Tisch fallen –, und im Großen in der Manipulationsmühle,in die manche Kinder (undwir alle) durch die Nutzung sozialer Medien geraten.Es wird nicht reichen, nach dem BeispielAustraliens einfach ein Verbot auszusprechenoder Kinder in der Hoffnung, dass Wissen genügt,über die Schattenseiten von TikTok undCo zu informieren. Es kann doch nicht sein,dass wir es automatisch für eine Utopie halten,Algorithmen unter Kontrolle zu bringen.Sie werden Geld in die Hand nehmen müssen.Wir brauchen Platz und Personal. SparenSie bei kosmetischen Maßnahmen (unerklärlich,warum aus den Stadt- und Landesschulrätenunbedingt „Bildungsdirektionen“ werdenmussten, samt Umgestaltung allerDrucksorten und Schilder). Investieren Sie indie Wirklichkeit.Die Autorin ist Mittelschullehrerin undSchriftstellerin in Wien.ZUGESPITZTNulllohnrunde inder StraßenbahnBenedikt fährt mit seinem Papa inder Linzer Straßenbahn. Zwei Herrenin feinstem Zwirn steigen ein.Sie scheinen aufgebracht zu seinund unterhalten sich aufgeregt. DasWort „Nulllohnrunde“ fällt. Der Ältereder beiden poltert: „Das ist docheine Selbstentwertung des Politikerberufs.“Der Jüngere nickt und meint,in Wien habe man den gesundenMenschenverstand verloren. SeinGefährte klopft ihm auf die Schulter,sagt: „Der ist in Österreich seitjeher in der Landespolitik beheimatet.“An der Haltestelle Taubenmarktsteigen die Männer aus. Sie gehen inRichtung Landhauspark. Benediktwill von seinem Papa wissen, werdie vornehmen Personen waren undwarum sie so wütend sind. Währendder Vater nach einer kindgerechtenErklärung sucht, übernimmt dasAntworten ein anderer Fahrgast. Vonihm erfährt Benedikt, dass in Österreichgespart werden müsse. Dochdie, die das Sparen übernehmen sollen,wollten bei anderen sparen undnicht bei sich selbst. Benedikt ist empört,erklärt bestimmt: „Das findeich ungerecht.“ Nun mischt sich eineältere Dame ein, sagt zu Benedikt:„Dann wirst du später mal ein guterPolitiker und machst es besser.“ Nunäußert sich endlich Benedikts Papa:„Denen neidet man doch jeden Cent.Meinem Buben wünsche ich einebessere Zukunft.“Brigitte QuintPORTRÄTIERTErste Frau an der Spitze NamibiasDer Name ist nicht nur europäischen Leserinnenund Lesern ein Stolperstein: Netumbo Nandi-Ndaitwah hat im politischen Betrieb Namibiasden Spitznamen „NNN“ erhalten. Lesen dürfte man ihnnun aber öfter. Denn die 72-Jährige wurde zur PräsidentinNamibias gewählt – als erste Frau in der Geschichte.Geboren wurde NNN als neuntes von 13 Kindern einesanglikanischen Geistlichen. Schon als Schülerin –während das Land noch unter der Herrschaft Südafrikasstand – engagierte sie sich in der BefreiungsbewegungSWAPO (Südwestafrikanische Volksorganisation).Auch noch als Schülerin wurde sie deshalb einmalfestgenommen. Sie verließ das Land, studierte in GroßbritannienInternationale Beziehungen und engagiertesich weiter vom Ausland aus in der SWAPO.1990 wurde Namibia unabhängig – und mit der erstenWahl wurde Nandi-Ndaitwah Abgeordnete der Nationalversammlung.Aus der SWAPO wurde die staatstragendeRegierungspartei. Und aus Nandi-Ndaitwah wurdeeine Berufspolitikerin: Ab 2000 war sie Ministerin, unteranderem für Frauen, Kinder, Tourismus, Umwelt undInternationale Beziehungen. Als am 4. Februar 2024 derPräsident Hage Geingob verstarb und sein Vize NangoloMbumba ihm nachfolgte, wurde Nandi-Ndaitwah Vizepräsidentin.Die Präsidentschaftswahlen am 27. Novembergewann sie mit 57 Prozent der Stimmen.Für Kritik sorgte die Logistik der Wahl: Es kam zu langenSchlangen vor Wahllokalen, manche Menschen sollenstundenlang gewartet haben. Und das zum Teil sogarerfolglos: Denn den Wahllokalen gingen die Stimmzettelaus. Die Wahl wurde um drei Tage verlängert – dochnur in ausgewählten Regionen. Und zwar just in Gebieten,in denen die Regierungspartei die besten Ergebnisseeinfährt. Die Opposition will die Wahl nun anfechten.Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlenmusste die SWAPO zwölf Prozentpunkte einbüßen,erreichte aber immer noch 53 Prozent. Die Unzufriedenheitmit der Regierungspartei liegt unter anderem ander hohen Jugendarbeitslosigkeit (38 Prozent) und derWohnungsnot: 300.000 Wohneinheiten sollen dem Landmit 2,6 Millionen Einwohnern fehlen.Am 21. März wird Nandi-Ndaitwah ihr Amt antreten.An den ökonomischen wie an den demokratischen Problemenwird sie von Tag eins an arbeiten müssen: Eineweitere derart chaotische Wahl kann sich die noch jungeDemokratie nicht leisten. (Philipp Axmann)Foto: APA / AFP / SImon MainaNetumboNandi-Ndaitwah(72) wird im Märzals erste PräsidentinNamibias vereidigt.Die Wahllief nicht ohneProbleme ab.
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