DIE FURCHE · 5010 Religion12. Dezember 2024FORTSETZUNG VON SEITE 9„ Warum sollte die Papstwahl in der Hand von Kardinälen,die der Papst selbst auswählt, liegen? Bei allem Respekt,aber ich glaube, das ist ein altes Spiel, das nicht mehrin unsere synodale Kirche passt. “schauen. Verschärfend kommtder Kirchenumbau dazu. Die Diözesensind permanent damit beschäftigt,Pastoralkonzepte zuschreiben und Gemeinden zusammenzulegen.Man dreht sichnur im Kreis. Es ist genau das eingetreten,was Papst Franziskusmassiv kritisiert, wenn er sagt,eine Kirche, die um sich selbstkreist, ist krank. Mein theologischerAlbtraum wäre eine Kirche,die strukturell durchreformiertist und in der Frauen ordiniertwerden, aber vor unseren Augenkollabiert eine taumelnde Welt.Wir müssten dann sagen, wir habenals Kirche in dieser Welt vonheute versagt.DIE FURCHE: Viele junge Menschenhaben aktuell ob der vielen Kriseneine sehr pessimistische Sichtauf die Zukunft. Aber kann nichtgerade die Botschaft des Evangeliumszu mehr gesellschaftlicherResilienz beitragen?Zulehner: Ja, das sagen ja auchdurchaus renommierte Leute wieder deutsche Soziologe HartmutRosa oder der ehemalige Präsidentdes Deutschen Bundestags,Wolfgang Thierse. Wer heute dieKirchen kritisiert und sich womöglichhämisch an ihrem Niedergangfreut, ist in dieser Hinsichteinfach unklug, weil ermeint, in der heutigen Welt, die soangstgetrieben ist, braucht es dasGegengewicht von Vertrauen undHoffnung und Zuversicht nicht.In dieser Hinsicht können Christen– ich sage es mal bewusst martialisch– Hoffnungspartisanensein.DIE FURCHE: Stattdessen sinddie Menschen für die Botschaftenrechtsextremer Parteien umsoempfänglicher. Hat die KircheIhrer Meinung nach in Österreicheinen guten Umgang mit der FPÖgefunden?Zulehner: Die Frage ist, ob es mitden Worten allein getan ist. IchGLAUBENSFRAGEschätze die Stellungnahme vonGeorg Bätzing und der DeutschenBischofskonferenz sehr, was dieAfD betrifft. Auch in Österreichgab es ähnliche Worte. Wir müssenaber auch darüber, was dierechtspopulistischen Bewegungenso stark macht, nachdenken.Es geht darum, den Ängsten einepositive, attraktive Vision entgegenzustellen.„ Mein theologischer Albtraumwäre eine durchreformierteKirche, aber vor unseren Augenkollabiert eine taumelnde Welt.Wir müssten dann sagen,wir haben als Kirche in dieserWelt von heute versagt. “Lesen Siedazu „ChristophSchönborn: Derletzte Kardinal“(16.1.2020) vonOtto Friedrichauf furche.at.Syrien: Zu früh gejubelt?Nicht nur in Syrien, sondern auch bei uns in Österreichund anderen europäischen Ländern herrschenJubelszenen nach dem Sturz von SyriensDiktator Baschar al-Assad. Bedenkt man, dass das Landmehr als 50 Jahre Diktatur und 13 Jahre Bürgerkrieg hintersich hat, versteht man die Euphorie der Menschen.Millionen Syrer mussten flüchten und leben nun auf derganzen Welt, viele auch in Österreich. Ist diese Freudeallerdings nicht verfrüht? Auch andere Diktatoren, wieSaddam Hussein und Gaddafi, wurden gestürzt. Anfangshaben fast alle gejubelt, aber bald nicht mehr. Heuteerzählen mir viele Iraker: „Ja, Saddam Hussein war eingrausamer Diktator, aber unser Land war zu seiner Zeitviel stabiler als nach seinem Sturz.“ In Libyen ist es auchnicht anders. Denn das eigentliche Problem sind nichtallein die Diktatoren selbst, sondern die diktatorischenStrukturen, die in diesen Ländern herrschen.Auch wenn Personen kommen und gehen – woraufes ankommt, ist die Schaffung von stabilen, demokratischenStrukturen. Die Lage in Syrien scheint davon,DIE FURCHE: Im Jänner wird KardinalSchönborn in den Ruhestandtreten. Wie beurteilen Sie die „ÄraSchönborn“ nach Jahrzehnten imBischofsdienst?Zulehner: Schönborn hat dasAmt in einer wirklich prekärenSituation übernommen, nach derGroër-Krise. Wenn ich mit Leutenspreche, egal aus welchemHintergrund, bekomme ich oft zuhören, dass er der Kirche danachwieder ein positives Gesicht gegebenhat. Er ist ja in der Tat ein sehrfreundlicher, besonderer Mensch,in den Worten sehr bedacht. Ichdenke, dass er in dieser Zeit dochein gutes Stück zur Heilung derprekären Lage der österreichischenKirche beigetragen hat.Die andere Seite, die im Hintergrundgeblieben ist, aber innerkirchlichnicht völlig belanglosist, ist etwa die, wenn er bei seinerPredigt bei der Beerdigungvon Helmut Krätzl öffentlich vordem offenen Sarg sagt, für ihnsei das Konzil ein Abbruch gewesenund kein Aufbruch. Also waser kirchenpolitisch und gesellschaftspolitischgeleistet hat, dasscheint nicht ganz miteinanderin Einklang gebracht werden zukönnen. Aber wahrscheinlich istes das Schicksal jedes Menschen,dass er helle und dunkle Seitenhat. Und ich finde, auch KardinalSchönborn hat das Recht, nichtnur stark gewesen zu sein.Manche Leute sagen ihm ja auchnach, er sei nicht der mutigste allerBischöfe gewesen. Innerkirchlichhätte er manchmal mehr Einflussetwa auch auf Benedikt XVI. nehmenkönnen, der ihm ja vertrauthat. Franziskus hat er aber wirklichgut gedient in der Frage desZugangs geschiedener Wiederverheirateterzu den Sakramenten etwa,da hat er die viel früher schonbegonnene Praxis der österreichischenKirche praktisch weltkirchlichsalonfähig gemacht.DIE FURCHE: Braucht es in Wien einenkirchenpolitisch mutigerenNachfolger?Zulehner: Ich glaube, das brauchtdie gesamte Weltkirche. Mit derHoffnung, dass der Mut sich auchlohnt. Erwin Kräutler war nachder Amazoniensynode (2019, Anm.d. Red.) sehr grantig auf den Papst,weil Franziskus zu ihm gekommensei und gesagt habe, „machtmutige Vorschläge“, sie dann aberletztlich nicht umgesetzt habe(Kräutler bezog sich auf die Zulassungvon „viri probati“ als Priester,Anm. d. Red.). Vielleicht brauchtes aber auch mehr Bischöfe wieKräutler, die sich vom Papst nichtirritieren lassen, mutig zu sein.DIE FURCHE: Franziskus ist seit elfJahren auf dem Stuhl Petri. Inwieweitunterscheidet sich sein Pontifikatvon dem seiner Vorgänger?Zulehner: Seine direkten Vorgänger,also Benedikt XVI., aber auchJohannes Paul II., haben die Realisierungdes Konzils abgebremst,sage ich jetzt einmal vorsichtig.Sie waren der Meinung, dass sichder kirchliche Niedergang in Europaoder Amerika dem Konzilnüchtern gesehen, weit entfernt zusein. Die Rebellen haben einen islamistischenHintergrund. Sie scheinenallerdings, anders als der IS,pragmatischer zu sein. Deshalbhaben sie schnell signalisiert, dass sie keine terroristischenAnschläge in westlichen Ländern verüben wollen.Aber wie geht es mit der innersyrischen Vielfalt weiter?In Syrien leben nicht nur sunnitische Muslime, sondernauch Schiiten und Alawiten, die zum Teil dem Iran nahestehen.Der Iran wiederum gilt als Feindbild der Rebellen,nicht zuletzt deshalb, weil er das Assad-Regimeam Leben erhalten hat. Hisbollah wird nun auch in Syrienmassiv geschwächt. Bedeutet dies eventuell, dasssich die Rebellen Israel und den USA annähern werden?Vieles bleibt ungewiss, aber vielleicht ist irgendwo Lichtam Ende des Tunnels.Der Autor leitet das Zentrum fürIslamische Theologie an der Uni Münster.Von Mouhanad Khorchideverdankt. Aber wir wissen ja garnicht, wie die Kirche ohne Konzilaussehen würde. Franziskusist hingegen entschlossen, die Beschlüssedes Konzils weiter voranzutreiben.Der Schlüssel ist fürihn die Synodalisierung, weil erder Überzeugung ist, sie bringtdas Ende der Stagnation der Weltkirche.Die Kirche mit ihren verschiedenenKulturen und Vorbedingungenkann sich durchUniformismus nicht weiterentwickeln.Deswegen braucht sie unterschiedlicheGeschwindigkeiten,das zu verwirklichen, ist imSynodenpapier grundgelegt. Deswegenist es wirklich ein Durchbruchfür die Kontinentalkirchen,die Bischofskonferenzen undOrtskirchen.Ich hoffe aber, dass die Beschlüsseder Synode nicht auf demadministrativen Weg wieder eingefangenwerden, wie das schonim Codex von 1983 der Fall war.Es stellt sich beispielsweise dieFrage, in welchen Bereichen dieBischofskonferenzen mehr Handlungsspielraumerhalten werden.Da steht in dem Dokument auchdrinnen, dass wesentliche dogmatische,moralische, aber auchpastorale Fragen, wie Priestermangel,Frauenordination usw.,nicht auf diesem Weg gelöst werdenkönnen. Diese Art der Dezentralisierungbringt dann nichtviel, weil man sagt: „Ihr könntbei euch entscheiden, aber es gibtnichts zu entscheiden.“ Das halteich für eine Schlüsselfrage für dieUmsetzung jetzt nach der Synode.DIE FURCHE: Bei Franziskus hatman öfters das Gefühl, er machteinen Schritt nach vorn und danndoch zwei wieder zurück und enttäuschtdamit viele reformorientierteKräfte in der Kirche. Ist dasnicht im Endeffekt das Gleichewie etwa bei Benedikt, nur dassder von vornherein gesagt hat, eswird nichts geändert?Zulehner: Nein, das sehe ich tatsächlichanders, weil der Papstletztendlich gar keine andereMöglichkeit hat, wenn er versuchenwill, die Kirche zusammenzuhalten.Indem er Schritte nachvorn macht, versucht er, abzuschätzen,wie belastbar die Kircheund ihre einzelnen Regionen sind.Organisationsentwicklerisch findeich das sehr klug, zu schauen,wie weit er gehen kann, ohnedie Einheit zu brechen, weil alsPapst ist er für beide Seiten derKirche verantwortlich, für denFortschritt und für die Einheit.Das schaut dann von außen vielleichtmanchmal danach aus, alssei der Papst zögerlich, aber eigentlichist das eine sehr moderneVorgehensweise.„ Benedikt undJohannes Paul habendie Realisierung desKonzils abgebremst,weil sie meinten,dass sich der Niedergangin Europa demKonzil verdankt. “DIE FURCHE: Manche Beobachtersagen, die Synode und auch seineletzte Enzyklika ‚Delexit nos‘ seienbereits so etwas wie das Vermächtnisdes Franziskus-Pontifikats,das sich auf der Zielgeradebefinde. Sehen Sie das ähnlich,und wie, denken Sie, könnte esnach Franziskus mit der Weltkircheweitergehen?Zulehner: Ich wünsche mir, dassFranziskus die kirchenrechtlichenLösungen, die aus der Synodeerwachsen sind, noch auf denWeg bringt. Dann ist es von dieserWarte her ganz egal, welcher Papstihm nachfolgt. Franziskus selbstsagt, auch das Amt des Papstesmüsse künftig synodal ausgeübtwerden. Das bedeutet, wir müssenuns von dem im Ersten VatikanischenKonzil (1869–1870, Anm.d. Red.) entworfenen absolutistischen,monarchistischen Papstverständnisverabschieden. Ichbin der Überzeugung, dass sichauch die kommenden Päpste keineunsynodale Amtsführung mehrleisten können, das wäre unvorstellbar.DIE FURCHE: Was sollte sich dakonkret ändern?Zulehner: Zuerst sollte die Papstwahlan sich reformiert werden.Warum sollte diese in der Handvon Kardinälen liegen, die derPapst selbst frei auswählt? Ichglaube, dass das Konklave ins Mittelaltergehört, auch wenn es natürlichfür Faszination sorgt und dieFantasie der Menschen im Kino anregt.Aber meines Erachtens müsstendie verschiedenen kontinentalenBischofskonferenzen wählen,welche Leute sie nach Rom zurWahl eines neuen Papstes delegieren.Das wäre synodal. Bei allemRespekt vor Kardinälen und ihrenErnennungen. Aber das ist ein altesSpiel, das nicht mehr in unseresynodale Kirche passt.DIE FURCHE: Ist ein solches Szenariodenn realistisch?Zulehner: Nicht bald, aber eswird sich eines Tages ändern.Wenn sich die nationalen Bischofskonferenzenals erneuerteKirchenversammlungen auf dieFüße stellen, was sie ja laut Synodenpapier könnten, dann kannich mir nicht vorstellen, dass siealle einfach stillhalten und sagen,wir machen weiter wie bisher.Man kann auch nicht weitermachenwie bisher, wenn die Sy nodalisierungder Kirche tatsächlichernst genommen wird.DIE FURCHE: Haben Sie Sorge, einneuer Papst könnte die Synodenergebnissemit einem Federstrichwieder revidieren?Zulehner: Nein, diese Zeit istvorbei, in der ein Papst monarchistischund absolutistisch soetwas macht. Es geht um einenPetrusdienst, der ökumenefähigist, das war ja auch schon das Anliegenvon Johannes Paul II. undBenedikt XVI. Das bedeutet aber,dass der Petrusdienst auch innerkirchlichsynodal ausgeübt werdenmuss und man eben nicht wieein absolutistischer Fürst Kirchenpolitikmachen kann.
DIE FURCHE · 5012. Dezember 2024Religion11Der Journalist Tobias Haberl hat mit „Unter Heiden“ ein emotionales Plädoyer für dasChristsein vorgelegt. Sein Bild von Kirche hinterlässt aber einen fahlen Beigeschmack.Trotzdem Christ seinTHEOLOGISCHE BÜCHERGeheimnisvollerVatikanVon Otto FriedrichVon Andreas R. Batlogg SJDie einen fallen unter dieRäuber, die anderen unterdie Heiden. So fühlt es sichjedenfalls für Tobias Haberlan, Redakteur bei derSüddeutschen Zeitung. „Unter Heiden“heißt sein aktuell gehyptes Buch – ein„persönlicher Essay darüber“, wie er eingangsschreibt, „dass ich mich als gläubigerChrist zunehmend unverstandenfühle, wie eine seltene Affenart, dieman lieber von der anderen Seite einesGitters aus bestaunt“. Der gebürtige Niederbayeroutet sich darin als regelmäßigerMessbesucher. „Man muss es nichtverstehen, man muss es einfach nurtun“, sagt er zu Gebet und Gottesdienst.Gleichwohl fühle er sich „isoliert“, weildie Christenheit in Westeuropa dramatischschrumpfe: „Rational weiß ich,dass ich einer weltumspannenden Gemeinschaftangehöre, emotional fühleich mich übriggeblieben, ein Eisbär aufschrumpfender Scholle.“Kirche als Geisterfahrerin2023 veröffentlichte Haberl seinenArtikel „Unter Heiden“, in dem er darüberklagte, dass der christliche Glaubein der deutschen Gesellschaft zunehmendverschwinde. Wegen der großenResonanz, die er auslöste, machte er darausein Buch. Weil er „das Reden über,aber auch die Kritik an meinem Glaubennicht denen überlassen will, die beimWort ‚Kirche‘ reflexhaft an übergriffigePriester denken“, sagte er kürzlich dazuin einem Interview. Das ist ein edles Motiv.Weinerlich kommt die Bemerkungdaher, „dass ich mich als Christ zunehmendrechtfertigen muss, als hätte ichden Sprung in die Gegenwart verpasstoder irgendetwas nicht ganz verstanden“.Kirche werde hingestellt als „Geisterfahrerinder modernen Gesellschaft,über die alles gesagt werden darf, nurnichts Gutes. Seit Jahren saust der moralischeVorschlaghammer herab.“ „Diemeisten Medien“, so Haberl, „haben beschlossen,die metaphysische Seite desGlaubens zu ignorieren.“„Ich bin weder Traditionalist noch Reformer,gehöre keinemLager an, habekeine Peergroup undbin mindestens sozerrissen wie meineKirche, weil ich aufbeiden Seiten Gutesund Schlechtes entdecke“,sagt Haberl.„Ich möchte keineKirche, die sich, umniemanden zu verprellen,nur noch alsunanstößige Light-Version präsentiert.Eine Kirche, die sichbei ihren Mitgliedern dafür entschuldigt,was sie ihnen abverlangt, machtsich nicht nur lächerlich, sondern überflüssig“,ist er überzeugt. Was nicht seinemIdeal entspricht, wird als gefallsüchtige„Servicekirche“ abgetan. Wofindet er Heimat und wie? Es klingt soehrlich wie kokett: „Gerade weil ich einmittelmäßiger Christ und unverbesserlicherGenussmensch bin, weil ich zwanglosvor mich hin lebe, heute hierhin undmorgen dorthin reise und dauernd überZiele und Grenzen hinausschieße, ziehtmich die strenge, die traditionelle Seitedes Christentums an, nicht weltanschaulich,aber liturgisch und ästhetisch: dieAlte Messe, der Gregorianische Choral,Foto: iStock/clickhere (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)mittelalterliche Mystiker, kontemplativeOrden, jahrhundertealte Riten. DerGlaube als radikales Gegenmodell zu einerdurchökonomisierten Wirklichkeit,die mir oft deprimierend geheimnisloserscheint, der Glaube als letztes Abenteuerin einer entzauberten Welt.“Ein eindeutiges Bekenntnis. Deswegenirritiert das Buch auch so. Haberlhadert mit Auflösungserscheinungenund baut eine Gegenwelt auf: eine Jenseitswelt.Er findet sie in der „Alten Messe“,die zwar auch „instrumentalisiert“werde. Aber darin fühlt er sich wohl.Wird Liturgie (auf Latein) damit nichtzur Flucht in eine andere, „mystische“,vermeintlich „heile“ Welt?Haberl lebt in München und besuchteoft die Messen des republikbekanntenPriesters Rainer Maria Schießler, dener durchaus schätze: „Ich bin aus jedemseiner Gottesdienste verändert herausgekommen,mal getröstet,mal wachgestoßen,aber immer„ Im Grunde hatHaberl eine Aversiongegen jede Art vonKirche, die auchnur den Anscheinerweckt, aufBedürfnisse der Zeitund ihre Frageneinzugehen. “wild entschlossen,anders zu leben undnicht aufzuhören,von Jesus Christuszu erzählen.“ Heuteziehe es ihn abermeistens in die TheatinerkircheSt. Kajetan,zum lateinischenGottesdienst:„Diese Messe war dasGegenteil, nicht charmant,nicht liebenswert,nicht kurzweilig, sondern spröde,unverständlich, unerbittlich.“ Man lande„auf einem fremden Planeten in einerfernen Galaxie“, so Haberl. „Der Glaubenicht (nur) als pragmatische Lebenshilfe,sondern als Mysterium, das einenaus der Logik des Likens, Hatens undSwipens heraus in die Sphäre des Ewigen,Wahren und Heiligen katapultiert.“Dort findet Haberl Gott und ist ihm „sonahe wie nirgendwo sonst“. Das fasziniertihn auch an der französischen BenediktinerabteiSainte-Madeleine duBarroux unweit von Avignon, wo er Exerzitienmachte, in einem durch und durchtraditionalistischen Milieu. Dass sie mitLefebvre zu tun hatte, erfährt man nicht.Manchen zivilisations- und kirchenkritischenÜberlegungen Haberls stimmeich vorbehaltlos zu. Wer würdebestreiten, dass die schnell ausgesprochenenWorte „Alles wird gut“ oft „eineTrostformel“ bleiben, „die ohne Gott leerbleibt“? Bei vielen Wahrnehmungen undWertungen spüre ich indes einen fahlenNachgeschmack. Nicht nur weil bei mirklingelt, wenn ich Autoren wie AlexanderKissler, Martin Mosebach, Peter Seewald,Robert Spaemann oder den erzkonservativenUS-Bischof Robert Barronzitiert sehe. Zugegeben: Auch EdithStein, Hans Küng und Karl Rahner, DorotheeSölle und Johann Baptist Metzkommen zu Wort. „Bigotte Kleriker“ werdenzwar kritisiert, auch äußert er sichdifferenziert zum „Pflichtzölibat“ undbegrüßt einen neuen Umgang mit Homosexuellen.Dafür ist seine Kritik amdeutschen Synodalen Weg leider die Wiederholungklischeehafter Narrative.Im Grunde genommen hat Haberl eineAversion gegen jede Art von Kirche, dieauch nur den Anschein erweckt, auf Bedürfnisseder Zeit und ihre Fragen einzugehen.Wozu wiederum das starke letzteKapitel „Im Zweifel für den Zweifel“ inauffälligem Kontrast steht. Darin zitierter Hans Küng: „Wer zugibt, dass er nichthinter den Vorhang gucken kann, darfnicht behaupten, es sei nichts dahinter.“Allerdings fragte ich mich wiederholt:Hinter welchen Vorhang schaut TobiasHaberl? Hat nicht Andrea Riccardi, derGründer von Sant’Egidio, jeglichem liturgischenund theologischen Nostal giedenkeneine Absage erteilt mit seinemPlädoyer, Christsein sei „eine Perspektive,keine Retrospektive“?Der Autor ist katholischer Theologeund Publizist in München.Unter HeidenWarum ich trotzdemChrist bleibeVon Tobias Haberlbtb 2024288 S., geb.,€ 23,50Er ist im deutschen Sprachraum gewiss der aktuellmeistgelesene Kirchenhistoriker. Das hat nichtnur mit seinem großen Wissensschatz und ebensolcherForscherleidenschaft zu tun: Sondern HubertWolf, Professor für Kirchengeschichte an der UniversitätMünster, kann sein Fachgebiet und seine Erkenntnisseso spannend präsentieren, dass seine Lektüre eine Freudeist. Das gilt auch für sein neues Buch „Die geheimenArchive des Vatikan“, dem Wolf den vielsagenden Untertitel„Und was sie über die Kirche verraten“ beigegeben hat.Wolf forscht bekanntlich seit Langem in den vatikanischenArchiven, eine spannende, aber auch akribischeund mühsame Tätigkeit. Und mit Schlüsselwörtern wie„geheim“ und „Vatikan“ hat der Verlag wohl ein gutes Publikationsgeschäftim Blick. Dennoch löst der Band nichtganz das ein, was der Titel erwarten ließe. Vielmehr handeltes sich um ein – wiederum kurzweilig geschriebenes– Hubert-Wolf-Lesebuch, das die Erkenntnisse desKirchenhistorikers komprimiert wiederholt und für einneues Publikum aufbereitet. Das hat auch mit der Genesedes Buches zu tun, das auf einer Vorlesungsreihe beruht,die Wolf im Vorjahr an der Uni Mainz gehalten hat.Wer, wie der Rezensent, seit Jahren ein begeisterterHubert-Wolf-Leser ist, wird daher in diesem Buch nichtviel Neues erfahren. Wolf greift auf sein bereits 2006in Buchform ausgebreitetes Wissen über den Index derverbotenen Bücher, also jener Schriftwerke, die bis Mitteder 1960er Jahre von Katholiken nicht gelesen werdendurften, ebenso zurück wie auf seine gleichfallsäußerst gelungene Biografie Pius’ IX., des Papstes, der1870 das Unfehlbarkeitsdogma durchsetzte. Auch den(Missbrauchs-)Skandal um das römische NonnenklosterSant’Ambrogio im 19. Jahrhundert hat Wolf längstin einer exzeptionellen Monografie (2014) aufgedeckt.Dennoch tut eine Auffrischung von Wolfs Erkenntnissengut. Und wer das Werk des Kirchenhistorikers nochnicht kennt, der wird mit der kompakten Kompilationseiner Forschungen in einen kirchlichen Kosmos geworfen,dem kaum etwas Menschliches fremd war.Dass die Historie Anhaltspunkte für eine Kirchenreformbietet, enthüllt dieser Autor ebenso wie die, heutewürde man sagen, ultrakonservativen Parteiungen,welche im 19. Jahrhundert die Kirche übernahmen und,so eine der Thesen Wolfs, den Katholizismus (neu) erfanden.Auch über Papstwahlen oder die Untiefen derZölibatsdebatte im Lauf der Jahrhunderte erfährt manExemplarisches.Ausgangspunkt von Wolfs erzählterKirchengeschichte sind, datrifft der Buchtitel voll zu, die vatikanischenArchive, in denen erseit Jahrzehnten aufregenden Spurennachgeht. Wolf gehörte auchzur ersten Forschergruppe, die2020 in die eben geöffneten Archiveder Amtszeit Pius’ XII. Einblicknehmen durfte. Der Pacelli-Papstwird ja bis heute wegen seines (vermeintlichen)Schweigens zur Schoakontrovers bewertet. Wolf steuertseine Erkenntnisse, nicht zuletztnach den Funden zahlreicher Bittbriefevon verfolgten Juden an denPapst, bei, ohne bereits ein endgültigesUrteil fällen zu können.Sinnvolles SchenkenEin Geschenk, das lange Freude macht:Laden Sie Ihre Liebsten ein zu einer Entdeckungsreise.Gemeinsam mit alten und neuen Wegbegleiter:innen –digital zurück bis 1945!JETZT GESCHENKABO BESTELLEN:www.furche.at/abo/schenkenaboservice@furche.at+43 1 512 52 61 52Die geheimenArchive desVatikanVon Hubert WolfC.H. Beck 2024240 S., geb.,€ 27,50
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