DIE FURCHE · 41 8 Das Thema der Woche Slowenien – das nahe Fremde 12. Oktober 2023 Der große Romantiker Am Prešeren-Platz in Sloweniens Hauptstadt Ljubljana erinnert ein 1905 fertiggestelltes Denkmal an den bedeutendsten Dichter des Landes – über ihm eine Muse mit Lorbeerzweig. Von Erwin Köstler Mit dem Gastlandauftritt Sloweniens auf der Frankfurter Buchmesse richtet sich die Aufmerksamkeit heuer auf eine europäische Literatur, die vieles zu bieten hat – im deutschsprachigen Raum aber lange Zeit gar nicht oder nur am Rande wahrgenommen wurde. Sie begann sich erst spät als eigenständiges System zu formieren und gehört zur großen Mehrheit der Literaturen, die es im 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht zu Prestige und Bestsellern brachten. Heute verfügt sie über Namen, die im internationalen Kontext einen Klang haben; und wenn der in den letzten Jahren gewonnene Eindruck nicht täuscht, dann hat ein qualitativer Sprung in der Vermittlung und Wahrnehmung slowenischer Literatur stattgefunden. Es lohnt daher, einen kurzen Blick zurück in die Geschichte zu werfen, um die schon im Vorfeld des Gastlandauftritts beobachtbaren Änderungen auch in historischer Perspektive würdigen zu können. Prešeren: Aushängeschild ohne Werk Schon um 1800 wurde slowenische Volksdichtung durch Übersetzung den philologischen Diskursen der Zeit zugänglich gemacht. Früh wurde auch Kunstlyrik übersetzt, jedoch blieb ihre Wirkung auf das regionale Umfeld beschränkt, in dem die Übersetzungen erschienen. Dies gilt auch für den Romantiker France Prešeren, dem postum als einzigem slowenischen Dichter kurzzeitig so etwas wie eine weltliterarische Qualität zugestanden werden sollte, der außerhalb Krains aber gar nicht präsent war. Die einzige erfolgreiche Buchpublikation im 19. Jahrhundert, die slowenische Literatur exklusiv für ein breiteres Publikum aufbereitete, waren die Volkslieder aus Krain, die Anastasius Grün 1850 in Leipzig herausgab. Prešeren hingegen blieb ein Aushängeschild ohne Werk; die erste nennenswerte Buchausgabe mit einer Auswahl seiner Gedichte erschien 1936 in der Übersetzung Lili Novys in Ljubljana und blieb natürlich ohne Breitenwirkung. Mit Ivan Cankar rückte die Vermittlung slowenischer Prosa in den Vordergrund, auch wenn die ersten Bücher auf sich warten ließen. Diese beiden Auswahlbände, die Gusti Jirku 1929 und 1930 recht eigenwillig für einen Wiener Verleger „ Nach dem Krieg, im Jahr 1947, initiierte ausgerechnet die Ikone des Kärntner ,Abwehrkampfes‘, Josef Friedrich Perkonig, eine beachtliche Buchreihe mit slowenischer Prosa. “ Lesen Sie dazu Katja Gassers Laudatio auf Drago Jančar zum Erhalt des Österr. Staatspreises für Europäische Literatur (5.8.20). Lange führte die slowenische Literatur im deutschsprachigen Raum ein Schattendasein. Doch zuletzt ist ihre Wahrnehmung markant gestiegen. Eine Zeitreise. Namen mit Klang übersetzte, wurden, weil sie zu den ersten Buchübersetzungen slowenischer Prosa überhaupt zählen, lange als bahnbrechend angesehen. Ähnlich wie Prešeren für das 19. wurde Cankar zum Platzhalter für das frühe 20. Jahrhundert, in den jugoslawischen Prosa-Anthologien dieser Zeit war er als einziger slowenischer Autor vertreten. Eine slowenische Prosa-Sammlung in deutscher Sprache, die für den PEN-Kongress in Dubrovnik 1933 herausgegeben wurde, präsentierte immerhin auch zeitgenössische Autoren. Ansonsten sah es ziemlich düster aus. Insgesamt gab es vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nicht einmal 30 Buchübersetzungen slowenischer Literatur! Nach dem Krieg, im Jahr 1947, initiierte ausgerechnet die Ikone des Kärntner „Abwehrkampfes“, Josef Friedrich Perkonig, eine beachtliche Buchreihe mit slowenischer Prosa, die er 1953 sogar in einem Wiener Verlag weiterzuführen versuchte, die aber ein Torso blieb. Bemerkenswert waren ferner die ab 1958 vor allem bei deutschen Verlagen erschienenen Übersetzungen slowenischer Märchen und Kindergeschichten, aus denen bis Anfang der 1970er Jahre mehr als dreißig Titel hervorgingen; neben Else Byhan zeichnete James Krüss als Übersetzer mehrerer Bücher. In den 1960er Jahren verschob sich der Schwerpunkt wieder auf die Lyrik. Auf regionaler Ebene bahnte Alois Hergouth Kooperationen des Grazer Forum Stadtpark mit slowenischen Lyrikern an, aus denen ab 1963 mehrere Publikationen hervorgingen. In Anthologien zeitgenössischer jugoslawischer und slowenischer Lyrik waren Autoren wie Edvard Kocbek, Kajetan Kovič, Janez Menart, Ivan Minatti, Tone Pavček, Gregor Strniša und Dane Zajc vertreten. 1972 erschien eine erste Gedichtauswahl von Tomaž Šalamun in der Übersetzung von Peter Urban bei S. Fischer. Edvard Kocbek war bereits durch einen Gedichtband aus dem Jahr 1968 bekannt, die politische Verfolgung, die der Dichter 1975 in seiner Heimat erlitt, sowie dessen öffentlichkeitswirksame Verteidigung durch Heinrich Böll sorgten mittelbar für neue Publikationen. Mitte der 1970er Jahre erschienen die ersten Übersetzungen der avantgardistischen Dichtung Srečko Kosovels. Und nicht zuletzt begannen zu dieser Zeit Kärntner slowenische Lyriker (Andrej Kokot, Janko Ferk, siehe Seite 7) durch übersetzte und zweisprachige Gedichtbände auf sich aufmerksam zu machen. Durchbruch mit Florjan Lipuš Die 1981 bei Residenz erschienene Übersetzung von Florjan Lipuš’ Roman Der Zögling Tjaž durch Helga Mračnikar und Peter Handke bedeutete einen Durchbruch in der Wahrnehmung Kärntner slowenischer Literatur und wirkte sich insgesamt förderlich auf die Vermittlung slowenischer Li- Foto: IMAGO / Richard Wareham teratur aus. Bereits in den 1980er Jahren nahm der Drava Verlag auch slowenische Klassiker in sein Programm auf. Der Wieser Verlag erweiterte das Angebot an übersetzter Literatur auf den gesamten südosteuropäischen Raum; hier erschienen ab 1990 u.a. die ersten Bücher Drago Jančars in deutscher Übersetzung . Die zweisprachigen Kärntner Verlage Drava, Mohorjeva/Hermagoras und Wieser sorgten zusammengenommen noch bis etwa 2010 für rund 50 Prozent der Gesamtproduktion an Buchübersetzungen slowenischer Literatur. In ihrem Umfeld konnte auch ein Verlag wie Kitab gedeihen, der 1999 bis 2016 eine Vielzahl von Buchübersetzungen slowenischer Literatur besorgte. Die Bedeutung der zweisprachigen Verlage für die Wahrnehmung slowenischer Literatur im deutschsprachigen Raum ist unbestritten, auch wenn die Produktion neuer und Aufsehen erregender Titel mittlerweile eher woanders stattfindet. Erweiterte Verlagslandschaft Mit der Netzwerkarbeit und den Fördermöglichkeiten, die die Öffentliche Buchagentur Sloweniens im Hinblick auf Frankfurt ’23 für Übersetzungen ins Deutsche bot, wurde das Spektrum der Verlage, die auch slowenische Literatur programmieren, erheblich erweitert. Einige wie Folio, Edition Korrespondenzen, Thanhäuser oder Sisyphus sind schon länger dabei und werden es wohl auch bleiben. Bemerkenswertes hat sich vor allem in der deutschen Verlagslandschaft getan, in der sich einige Verlage der slowenischen Literatur geöffnet haben, so Wallstein, Verbrecher, Guggolz, Edition Converso, Schenk oder Axel Dielmann, aber auch S. Fischer, Hanser, Suhrkamp und Klett Cotta gehören dazu. In Österreich sind (neben den schon genannten) renommierte Verlage wie Zsolnay, der Otto Müller Verlag oder Residenz dabei, aber auch kleinere wie Hollitzer oder der Verlag Johannes Heyn. Mit Comic-Übersetzungen wird seit 2018 überhaupt ein neues Feld erschlossen, das derzeit die Verlage bahoe books, Stuart & Jacoby und Schaltzeit beackern. Und und und ... Es hat sich also viel getan, und man darf hoffen, dass der eingangs erwähnte qualitative Sprung in der Vermittlung und Wahrnehmung slowenischer Literatur tatsächlich stattgefunden hat. Die produktiven Kontakte, die in den letzten Jahren aufgebaut wurden, wollen jedenfalls auch nach Frankfurt gepflegt werden – und es wird, so viel ist absehbar, keinen Mangel an hervorragender Literatur aus Slowenien geben. Der Autor ist Literaturwissenschaftler und Übersetzer. Nächste Woche im Fokus: DIE FURCHE nimmt sich die nächste (politische) Himmelsrichtung vor: Diesmal steht der Süden im Mittelpunkt. Ein Fokus über philosophische Denktraditionen in Afrika, postkoloniale Literatur, die ökonomische Kraft des globalen Südens sowie Fremdversus Selbstbilder.
DIE FURCHE · 41 12. Oktober 2023 Religion 9 Acht Jahre nach seiner bahnbrechenden Ökologie-Enzyklika Laudato si’ legt Franzikus nach: Im Mahnschreiben Laudate Deum rüffelt er alle Verharmloser der Klimakrise. Ein Papst schreit auf Von Michael Rosenberger Über acht Jahre nach dem Erscheinen seiner Enzyklika Laudato si’ vom Juni 2015 hat Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben Laudate Deum das damalige Anliegen aufgegriffen, um es noch dringlicher einzuschärfen. Denn, so schreibt er, bei der Betrachtung der Entwicklungen der vergangenen Jahre „wird mir klar, dass wir nicht genügend reagieren, während die Welt, die uns umgibt, zerbröckelt“ (LD 2). Dieser grelle Kontrast zwischen dem zögerlichen Handeln der Menschheit und den immer dramatischeren Folgen der „Klimakrise“ (so nennt er sie wörtlich!) veranlasst ihn, sich erneut an alle Menschen zu wenden. In einem ersten Teil formuliert Franziskus eine klare Absage an alle Klimaleugner(innen) und jene, die die Krise verharmlosen (LD 5-8). Von ihnen gibt es genug, innerkirchlich sogar bis in die Kardinalsränge hinein, und man gewinnt den Eindruck, dass diese Papst Franziskus in den vergangenen Jahren immer wieder entgegengetreten sind. Geduldig, aber auch scharf fordert der Papst sie auf, sich an die Fakten zu halten, die die erdrückende Mehrheit der Naturwissenschaftler(innen) erarbeitet hat und von denen Franziskus einige der allerneuesten ausdrücklich benennt. So kann er gut begründet folgern: „Der menschliche – ‚anthropogene‘ – Ursprung des Klimawandels kann nicht mehr bezweifelt werden.“ (LD 11) Gleichzeitig positioniert sich Franziskus noch entschiedener als in Laudato si’ gegen jene, die die Ursache der Klimakrise vorrangig in der wachsenden Weltbevölkerung sehen. Denn in den Ländern mit wachsender Bevölkerung (v.a. in Afrika) werden pro Kopf am wenigsten Treibhausgase emittiert (LD 9), während gerade die reichen, kinderarmen Länder exorbitant hohe Treibhausgasemissionen verursachen. Das technokratische Paradigma An der Wurzel des Übels sieht Franziskus das immer noch mächtiger werdende technokratische Paradigma (LD 20-33), das er schon in Laudato si’ kritisiert hat: Dem technokratischen Denken gehe es nur um die Steigerung der menschlichen Macht und nicht um die dankbare Würdigung des Geschenks der Schöpfung (LD 22). Doch ein Zuwachs an Macht sei nicht immer ein Fortschritt (LD 24). Die Welt sei keine bloße Ressource, und wir Menschen seien nur ein kleiner Teil von ihr (LD 25). Deshalb müsse die Frage nach der Macht und ihrer Begrenzung neu gestellt werden (LD 28). Die Klimakrise lasse sich nicht allein mit technischen Maßnahmen entschärfen. Ausführlich geht Franziskus auf die Schwäche der internationalen Politik ein (LD 34-43). Politisch favorisiert er multilaterale Abkommen zwischen Staaten (LD 34) und nicht die Konzentration aller politischen Macht bei einer Weltautorität (LD 35). Allerdings müsse der Multilateralismus neu konfiguriert werden und dabei auch die Zivilgesellschaft (vor allem die NGOs) einbeziehen, denn das entspreche dem klassischen Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre (LD 37). Diese Einbeziehung müsse auch eine wirksame Kontrolle durch die Zivilgesellschaft ermöglichen (LD 38). Mithin gehe es um „neue Verfahren der Entscheidungsfindung und der Legitimation“ als „eine Art größere ‚Demokratisierung‘ auf Weltebene“ (LD 43). Umfangreich sind auch die Ausführungen über die bisherigen 27 Klimakonferenzen seit 1992 (LD 44-52). In ihnen gehe es zu Recht um drei Inhalte: 1. Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion; 2. Maßnahmen zur Anpassung an die Klimaerwärmung und deren Finanzierung durch die Hauptschädiger, also die reichen Länder, zugunsten der Hauptgeschädigten, der armen Länder; 3. Ausgleichszahlungen für bereits entstandene Schäden und Verluste wiederum durch die Verursacher an die Geschädigten. Insgesamt sieht Franziskus in den Klimakonferenzen mehr Misserfolge als Erfolge. Dennoch will er nicht in den Chor jener einstimmen, die von der 28. Klimakonferenz in Dubai Ende des Jahres nichts erwarten, denn das wäre kontraproduktiv (LD 53). Wir müssten notwendigerweise hoffen, dass die Anstrengungen zum Klimaschutz in Dubai entscheidend beschleunigt werden können (LD 54). Ein rein technisches Herangehen wäre jedoch „fataler Pragmatismus“, geleitet von der „ Franziskus formuliert eine klare Absage an alle Klimaleugner. Von ihnen gibt es genug, sogar bis in Kardinalsränge hinein. “ Foto: iStock / niyazi şahin Lesen Sie auch Michael Rosenbergers Analyse der Enzyklika „Laudato si̓̓̓̓'“ vom 25.6.2015, siehe „Mitfühlen mit jedem Geschöpf“ auf furche.at. „Logik des Ausbesserns, des Flickens und des Anbindens“ (LD 57). Erst ganz zum Schluss kommt der Papst auf jene Sichtweise zu sprechen, die er als Religionsführer genuin einzubringen hat: Die spirituelle Sicht auf die Klimakrise (LD 61-73). Sein Wunsch wäre es, dass alle Religionen ihre Beweggründe nennen, sich für eine lebenswertere Umwelt einzusetzen, um so einen bunten Strauß an Motivationen und Impulsen anzubieten (LD 61). Für das Christentum nennt Franziskus folgende Elemente: Die Erde gehört Gott (LD 62); der Reichtum der Schöpfung illustriert die Vielfalt und Fantasie des Schöpfers (LD 63); Jesus zeigt gegenüber den Geschöpfen „eine von Liebe und Staunen erfüllte Aufmerksamkeit“ (LD 64); alle Geschöpfe sind erfüllt von Gottes Gegenwart (LD 65). Der rote Faden durch das Schreiben ist derselbe wie schon in Laudato si’ : Es gibt „keine dauerhaften Veränderungen ohne kulturellen Wandel […], ohne eine Reifung im Lebensstil und der gesellschaftlichen Überzeugungen“ (LD 70). Die Abkehr von der gegenwärtigen zerstörerischen Lebensweise der Menschen ist durch technische Maßnahmen allein nicht zu bewältigen, sondern braucht eine Kehrtwende der Lebensweise und der Wertvorstellungen. Mit diesem Kerngedanken, in Laudato si’ „ökologische Umkehr“ genannt, trifft Franziskus ins Schwarze. Er markiert zugleich das größte Hindernis: Wenn wirksamer Klima- und Biodiversitätsschutz nicht ohne eine gesamtgesellschaftliche Neuorientierung zu haben sind, geht es in den westlichen Konsumgesellschaften ans Eingemachte. Wertvorstellungen der Jahrzehnte seit 1945 müssen auf den Kopf gestellt werden – und das ist extrem unbequem. Der Papst weiß das genau. Aber er ist eine der wenigen Persönlichkeiten weltweit, die so frei sind, dass sie davon klar und deutlich sprechen. Lebensstil nicht tabuisieren Weithin gilt noch der stillschweigende Konsens, dass man die Lebensstilfrage durch Tabuisieren außen vor halten kann. Diesen Konsens greift Franziskus in aller Deutlichkeit an. Das ist der erfrischendste und couragierteste Zug seines Schreibens. Ob er von den Ohren in die Herzen der Menschen sinkt und ob er zu einem neuen, alternativen Handeln führt, muss sich noch erweisen. Franziskus hat recht, dass wir gezwungen sind, von der Möglichkeit auszugehen und nicht das Scheitern schon im Vorhinein herbeizureden. Aber man wird doch sagen dürfen, dass die Herausforderung der Klima- und Biodiversitätskrise immens ist. Sie wird uns bis an die Grenzen unserer Kräfte fordern. Umso entschlossener sollten wir die spirituellen Kraftquellen nutzen, die uns seit Jahrtausenden zur Verfügung stehen. Am Beginn wird es mühsam sein, sie zu erschließen. Aber mit jedem getanen Schritt sprudeln sie lebhafter. Ob wir heute beginnen können, den zärtlichen Blick Jesu auf die kleinsten Geschöpfe zu üben? Der Autor ist Prof. für Moraltheologie an der Kath. Privatuni Linz. Zum Thema siehe auch Seite 14.
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