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DIE FURCHE 12.10.2023

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DIE FURCHE · 41 20 Film & Medien 12. Oktober 2023 Von Mathias Greuling Der französische Regisseur Luc Besson ist sowohl Kultfigur als auch streitbarer Filmemacher: Als solcher hat er Meisterstücke wie „Das fünfte Element“, „Nikita“ oder „Leon – Der Profi“ vollbracht, doch im Zuge der „MeToo“-Debatte ist Besson auch der Vergewaltigung bezichtigt worden – wovon er kürzlich freigesprochen wurde. Ein Schatten aber bleibt, wenn es um die Rezeption seiner Werke geht. In Venedig stellte Besson seinen neuen Spielfilm „Dogman“ vor, die Geschichte um Douglas (Caleb Landry Jones), der schon als Kind von seinem Vater schwer misshandelt und von ihm zu den Kampfhunden in den Käfig gesperrt wurde. Die haben das Kind allerdings nicht zerfleischt, sondern verschont und beschützt. Heute lebt der im Rollstuhl sitzende Douglas mit einer Unzahl von Hunden zusammen, sie sind sozusagen seine Familie. Ein durchaus absurder Plot, jedoch ist es gerade bei Besson nicht selten der Fall, dass seine visuelle Vorstellungskraft seine oftmals bizarren Geschichten soweit überhöht, dass man ihm allerhand verzeiht. „Dogman“ wechselt von Slapstick zu Drama und zurück, und Caleb Landry Jones ist in jeder Phase mit vollem Einsatz dabei. „Es ist viel Persönliches in dem Film, ich liebe Hunde und hatte als Kind einen, der für mich eine Art bester Freund gewesen ist“, so Besson beim Interview in Venedig. „Dogman“ werden die Hardcore-Fans von Besson lieben, alle anderen werden eine Filmerfahrung mit nach Hause bringen, die ungewöhnlich ist, auch und gerade, weil sie von einem Regisseur stammt, der durchaus immer auch die Orgel des Mainstream zu bespielen wusste, diesmal aber in einer sehr schrägen Geschichte wenig Elemente des Blockbusterkinos verwebt. DIE FURCHE: Monsieur Besson, viele Leute schrieben, „Dogman“ sei das lang erwartete Comeback von Ihnen. Was denken Sie? Luc Besson: Es ist bestimmt kein Comeback, denn ich bin ja niemals weg gewesen. Während der Pandemie habe ich die Zeit genutzt, um vorwiegend zu schreiben und Projekte zu entwickeln. Jeder verarbeitet seine inneren Dämonen anders, manche trinken oder nehmen Drogen. Bei mir ist es das Schreiben, über das ich meine dunkle Seite verarbeite. FEDERSPIEL Eine bizarre Geschichte Psychiaterin Evelyn (Jojo T. Gibbs) versucht in die Abgründe von Douglas, dem „Dogman“ (Caleb Landry Jones) , vorzudringen. Schwitzkasten-Empörung Luc Besson im Gespräch über seinen neuen Film „Dogman“: Ein Regisseur, der sowohl als Kultfigur als auch als streitbarer Filmemacher bekannt ist, erfindet sich einmal mehr neu. „Emotionalen Ruf suchen“ DIE FURCHE: Hat die Pandemie für Sie also auch Vorteile gehabt? Die Konzentration auf die eigene Arbeit? Besson: Das kann man so sagen, ja. Aber man reflektiert in solchen Zeiten auch anders. Ich bin inzwischen 64 Jahre alt, und es schwirrt immer die Frage im Raum mit, wie viel Zeit einem noch bleibt. Und was man noch zu sagen hat. Ich fände es schlimm, wenn die Leute sagen: Ja, früher war der mal gut, aber jetzt? Dann würde ich lieber aufhören. Aber ich glaube, ich habe noch ein, zwei gute Ideen auf Lager. DIE FURCHE: Etwa die Idee, einen Mann unter Hunden aufwachsen zu lassen? Besson: Die Inspiration für diesen Film kam teilweise aus einem Artikel, den ich „ Jeder verarbeitet seine inneren Dämonen anders, manche trinken oder nehmen Drogen. Bei mir ist es das Schreiben, über das ich meine dunkle Seite verarbeite. “ Von Peter Plaikner über eine französische Familie las, die ihr eigenes Kind mit fünf Jahren in einen Käfig sperrte. Daraus ergab sich die Frage, was das mit einem Menschen macht - geistig wie sozial. Wie überlebt jemand so etwas und was macht er mit seinem Leid? Ich wollte diese Idee mit „Dogman“ erforschen. DIE FURCHE: Was war Ihr Ausgangspunkt? Besson: Das Leiden ist etwas, das wir alle gemeinsam haben, und das einzige Gegenmittel dagegen ist Liebe. Die Gesellschaft wird dir nicht helfen, aber die Liebe kann helfen, zu heilen. In diesem Fall ist es die Liebe einer Gemeinschaft von Hunden, die hier zum Tragen kommt; die Hauptfigur sozialisiert sich mit dem Rudel, und wird dann auch zu deren Heiler und Katalysator. Ich wollte mit dem Film so ehrlich sein, wie es mir möglich war. Ich möchte, dass man mit dem Protagonisten mitfühlt - die Handlungen, die er unternimmt, und die Handlungen, die er als Reaktion auf das Leid, das er erfahren hat, unternimmt. Man möchte mit ihm mitfiebern. DIE FURCHE: Dafür brauchten Sie aber große Authentizität, um das glaubhaft zu machen. Besson: Ja, diese Authentizität brauche ich immer, denn bei einem Spielfilm handelt es sich um eine fiktive Geschichte, die die Zuschauer aber am Ende doch auch irgendwie glauben müssen, um mitzugehen. Man will im Kino ja eine Wahrheit sehen, auch wenn es keine faktische Wahrheit ist, sondern eine, die man glauben kann. DIE FURCHE: Was uns direkt zu Ihrem Hauptdarsteller Caleb Landry Jones führt. Besson: Dogman wäre nicht der Film, der er ist, ohne Caleb Landry Jones. Diese komplizierte Figur brauchte jemanden, der die Herausforderungen, die Traurigkeit, die Sehnsucht, die Stärke und die Komplexität verkörpern konnte. Ich hoffe, dass die Zuschauer in ihrem eigenen Kopf nachempfinden können, was Dogman durchgemacht hat, den Schmerz, der wirklich schwer zu schlucken ist. Er hat mehr gelitten, als die meisten Menschen jemals erleiden werden, und doch hat er noch seine Würde behalten. DIE FURCHE: Was macht Caleb Landry Jones besonders? Besson: Er passt perfekt zu meinen Ansprüchen als Regisseur. Caleb ist ein unglaublich vielseitiger Schauspieler, und er kennt meine Filmografie gut, was niemals schaden kann. Ich habe schon etliche junge Schauspieler erlebt, die zu mir gesagt haben: „Ich kenne zwar deine Filme nicht, aber meine Eltern fanden sie ganz toll“. Man nimmt das dann mit einem Lächeln zur Kenntnis und sagt sich: So ist eben das Leben. DIE FURCHE: „Dogman“ ist ihr 20. Film. Ihre Filmografie ist voll von Sci-Fi, Action oder Animation. Was reizt Sie denn sonst noch? Besson: Ich kann eine solche Einteilung in Genres gar nicht vornehmen, denn mir geht es mehr um emotionale Impulse von Situationen und Figuren. Ich denke nicht: „Ich habe dieses Filmgenre schon einmal gemacht, also sollte ich es lieber nicht noch einmal tun“. Das Genre ist für mich zweitrangig - was wichtig ist, ist der emotionale Ruf einer Figur. Denn das ist es, was bleibt, nachdem man einen Film gesehen hat. Dogman F 2023. Regie: Luc Besson. Mit Caleb Landry Jones, Jojo T. Gibbs. Polyfilm. 113 Min. Foto: APA / AFP / Gabriel Bouys Luc Besson: Der 64-Jährige ist einer der Star- und Kultregisseure des französischen Kinos. Permanente Empörung braucht ständig neues Futter. Und sie erhält es. Peter Klien, der TV-Satiriker des ORF, wurde im Schwitzkasten weggezerrt, als er versuchte, FPÖ-Chef Herbert Kickl zu befragen. Dass der Sicherheitsmann überreagiert hat, steht außer Frage. Denn: „Es handelt sich hierbei um ein völlig inakzeptables Verhalten, das der ORF auf das Schärfste verurteilt.“ Der Protest war angemessen knapp und klar – samt Bewerbung der Sendung des auf Kamera festgehaltenen Vorfalls. Wie die FPÖ dies als „wehleidige Inszenierung“ abtat, konnte auch nicht überraschen. Das gehört zu ihrer Feindbildpflege. – Doch die folgende Aussendung „ORF-Redaktionsrat verurteilt Gewalt gegen Journalisten“ erweiterte die Kampfarena. Dabei wirkt es nachvollziehbar, vom Anlass-Schwitzkasten für Klien ins grundsätzliche Medienverhältnis der FPÖ zu gehen. Doch es ist Wasser auf die Mühlen aller, die vom Journalismus eine klare Abgrenzung zu Aktivismus und Satire verlangen. Die Grenzüberschreitungen zwischen diesen Bereichen häufen sich. Die Unterscheidbarkeit nimmt ab. Die Kritik daran ist zumindest eine Diskussion wert. Das gilt von Jan Böhmermann bis Klien – ohne damit den Übergriff auf ihn rechtfertigen zu wollen. Jeder Konzertreporter wird vom Bereich hinter der Bühne abgehalten. Es sei denn, er ist entsprechend akkreditiert. Künstler und Organisator bestimmen, wie weit Journalisten Zugang haben – fast immer deutlich mehr als Menschen, die diesen Beruf nicht ausüben. Das ist sinnvoll für beide Seiten und setzt Einverständnis über die grundsätzlichen Arbeitsbedingungen in diesem Areal voraus. Es ist aber auch ein Privileg für Journalisten, um ihre Berichterstattung zu erleichtern. Das gilt unabhängig davon, wie kritisch ein Kollege ist. Wird ein solcher benachteiligt, erhält er die volle Loyalität des Berufsstandes. Wohin dieser sich erweitern will, ist eine der spannendsten Zukunftsfragen an den Journalismus. Der Autor ist Medienberater und Politikanalyst. PRÄSENTIERT FILMMONTAG LORO – DIE VERFÜHRTEN Wie kein zweiter Politiker hat Silvio Berlusconi Italien deformiert: Der im Juni Verstorbene hat den Hedonismus zur politischen Maxime erhoben. Paolo Sorrentino „dokumentiert“ diesen Niedergang in „Loro – Die Verführten“, einem pittoresken filmischen Bilderbogen, der das Treiben Berlusconis illustriert. Christian Rathner/ORF und Otto Friedrich/ DIE FURCHE analysieren den Film. Montag, 16. Oktober, 19 Uhr, Otto-Mauer-Zentrum, 1090 Wien, Währinger Straße 2–4. Infos: www.kav-wien.at Foto: Filmladen

DIE FURCHE · 41 12. Oktober 2023 Film 21 In „The Zen Diary“ nähert sich der japanische Regisseur Yuji Nakae menschlicher Existenz über sinnlichen Genuss. Zen und Kochen Kenji Sawada spielt in „The Zen Diary“ den 2004 verstorbenen Schriftsteller Mizukami Tsutomu Wie können Menschen ressourcenschonender leben? Yuji Nakaes Spielfilm über die Küche japani - scher Mönche gibt ein ökologisch anschauliches Beispiel und weckt die Geschmacksgeister. Er beruht auf einer autobiografischen Erzählung des 2004 verstorbenen Schriftstellers Mizukami Tsutomu – mit wachem Spiel dargestellt von Kenji Sawada. Noch hat Tsutomu keinen rechten Plan für sein nächstes Buch. Zurückgezogen wohnt er in den Bergen, bestellt seinen Acker und versorgt sich zudem aus dem Garten der malerischen Natur. Als seine Lektorin erste Lese-Früchte ernten will, setzt er kurzentschlossen den Titel seines neuen Werks fest, der zugleich zum Namen des Filmes wird. DOKUMENTARFILM Begleiter des Raubtiers Mensch Sie sind über die ganze Welt verbreitet. Und sie sind immer auch dort zu finden, wo sich der Mensch herumtreibt. Und sie sind so Begleiter des Raubtiers Mensch von Anfang an. Auf diesen Nenner lässt sich das Ausgangsmotiv des Schweizer Dokumentarfilmers Martin Schilt für sein mehr als beeindruckendes Opus „Krähen“ bringen. Schilt ist für seine filmische Studie zu den Raben- und Krähenvögeln von der Arktis über Ostasien, Indien, Neuengland bis in den Wiener Prater gereist und hat mit den führenden Krähenforschern der Welt gesprochen. Etwa mit dem in Vermont lebenden Zoologen Bernd Heinrich, der mit seinen Büchern „Die Seele der Raben“ (Ravens in Winter) und „Die Weisheit der Raben“ (Mind of the Raven) international bekannt geworden ist. Heinrich bringt, wie die anderen in „Krähen“ Interviewten, das (Sozial-)Verhalten der oft als unheimlich verschrieenen Vögel näher, die auch äußerst gelehrige Wesen sind und sogar so etwas wie Werkzeuge entwickeln und anwenden können. John Marzluff, ein anderer US-amerikanischer Ornithologe, konnte nachweisen, dass Krähen Menschengesichter erkennen und auseinanderhalten können. Auch er kommt im Film zu Wort. Außerdem sind die Rabenvögel äußerst anpassungsfähig, sie werden vom Menschen nicht bedroht wie andere Tierarten, sondern können sich an die humane Lebensweise anpassen und davon sogar profitieren: Die Abfälle der Konsumgesellschaft wissen die schwarzen bis grauen „Das Zen-Tagebuch“ beschäftigt sich intensiv mit der Praxis und Philosophie der jahreszeitlichen Zen-Küche und erzählt dabei auch von der Entstehung seiner literarischen Vorlage. Monat für Monat malt es aus, welche Köstlichkeiten die Erde hervorbringt, wie Tsutomu sie erntet und zubereitet. Mit prägnanten Detailaufnahmen und unterstreichendem Lichtspiel macht der Film diese Schätze sinnlich erfahrbar, in einer Szene lässt er eingelegte Pflaumen wie gelb-orangene, purpurne Juwelen funkeln. Und die begeisterten Ausrufe der Lektorin bekräftigen, dass Tsutomu, der bereits als neunjähriger Novize das Kochen in einer Klosterküche lernte, wahre Gaumenfreuden kredenzt. Doch sein Umgang mit den Nahrungsmitteln zielt nicht auf opulenten Konsum, sondern strebt nach sorgfältigem, konzentriertem Tun, nach der Essenz. Er ist Ausdruck zelebrierter Religion. Denn Zen bemüht sich um eine genügsame Haltung, bei der sich der Mensch mit der Natur in Beziehung setzt und im Austausch bewegt, sie dankbar achtet, sich von der Erde ernährt und wiederum selbst die Erde nährt; so wirft Tsutomu die Haut eines Gemüses nicht weg, sondern isst sie oder nutzt sie als Düngemittel. Zen trachtet danach, die Vergänglichkeit anzunehmen, der sich schließlich auch der Autor stellen muss. Nakaes sehenswerter Film führt mit ruhigem, minimalistischem Strich und ästhetisch ansprechenden Bildern vom sinnlichen Genuss hin zu Fragen der menschlichen Existenz. (Heidi Strobel) Das Zen-Tagebuch (The Zen Diary, Tsuchi o kurau jûnika getsu) J 2022. Regie: Yuji Nakae. Mit Kenji Sawada, Takako Matsu, Toshinori Omi. Filmladen. 111 Min. Krähen sind nicht unheimlichen Vögel der Sagenwelt, sondern erstaunlich anpassungsfähige Tiere. Vögel für sich etwa zur Nahrungsaufnahme zu nutzen. All dem geht „Krähen“ nach, und Filmemacher Martin Schilt gelingt es, aus einer trockenen zoologischen Materie ein filmisches Dokument über erstaunliche Lebewesen zu machen, die dem Menschen öfter einen Spiegel vorhalten, als ihm lieb sein dürfte. Neben den Interviewten fungiert die deutsche Literaturkritikerin Elke Heidenreich als Erzählerin. „Krähen“ ist jedenfalls ein gelungenes Beispiel dafür, eine mythisch oft desavourierte Tierfamilie ins rechte Licht zu rücken und viel Überraschendes zu offenbaren. (Otto Friedrich) Krähen – Nature Is Watching Us CH/A 2023. Regie: Martin Schilt. Mit Bernd Heinrich, John Marzluff, Elke Heidenreich. Filmladen. 90 Min. Ab 20.10. im Kino. 1945 als österreichweite „kulturpolitische Wochenschrift“ gegründet, versteht sich DIE FURCHE als – digitale wie analoge – Plattform für anspruchsvolle Diskurse und Auseinandersetzungen mit den wesentlichen Fragen der Zeit. Unser kleines und vielfältiges Team arbeitet kontinuierlich an der Weiterentwicklung dieses besonderen Mediums und sucht zum sofortigen Eintritt Verstärkung: DIGITALCHEF:IN REDAKTION Vollzeit, m/w/x, Wien IHRE AUFGABEN • Gemeinsam mit der Redaktion gestalten und verantworten Sie alle digitalen FURCHE-Produkte sowie deren strategische Weiterentwicklung. • Mit Productmanagement und Marketing zusammen evaluieren Sie laufend die digitale Performance. • Sie entwickeln Ziele und sorgen für deren Umsetzung im Team. • Sie lieben Daten und beherrschen SE-Optimierung. • Durch Begeisterung für Neues stärken Sie das Bewusstsein für Digitales. • Sie erstellen eigenständig journalistische Best-Practice-Beispiele. • Sie sind verantwortlich für die Performance auf Social-Media-Kanälen. 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