DIE FURCHE · 41 12 Bildung 12. Oktober 2023 Gefangen in einer prekären Situation: Häufig ist mangelnde Finanzbildung ein Grund für das Abrutschen ans Existenzminimum. Hilfe gibt es bei der Schuldnerberatung. Von Regina Magdalena Smrcka Es sind bezeichnende Zahlen: 1.555.000 Menschen in Österreich gelten derzeit als „armutsoder ausgrenzungsgefährdet“. Sie leben in Haushalten mit keiner Erwerbsintensität, einem Einkommen unter der Armutsschwelle oder sind materiell eingeschränkt. Betroffen sind vor allem Jugendliche und ältere Menschen. Kommen noch Schulden dazu, erhöht sich der Druck. Häufig ist auch eine mangelnde Finanzbildung einer der Gründe für den Abrutsch ans Existenzminimum. Um dem Phänomen entgegenzuwirken, müssen viele Stellschrauben gedreht werden, denn Schulden und Armut können jeden treffen. Das zeigt unter anderen eine Erhebung der Statistik Austria im Auftrag der Arbeiterkammer Wien aus dem Jahr 2022. Dabei wurden die Referenzbudgets der Schuldenberatungen und nicht das Haushaltseinkommen als Maßstab für das Erreichen der Armutsschwelle herangezogen. Bei einem Ein-Personen-Haushalt beträgt der gängige Grenzwert für Armutsgefährdung 1392 Euro. Die Referenzschwelle der Schuldnerberatungen liegt jedoch bei 1593 Euro. Ein Zwei-Personen-Haushalt mit einem Kind muss demnach mit Ausgaben von 2474 Euro rechnen, die Referenzschwelle liegt hier bei 2506 Euro. Bis das Kartenhaus zusammenfällt „Die tatsächlichen Lebenskosten liegen weit über dem definierten Grenzwert für eine Armutsgefährdung“, erklärt Clemens Mitterlehner. Er ist Geschäftsführer der ASB Schuldnerberatungen GmbH, der Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen in Österreich. Er plädiert dafür, dass die aktuellen Referenzbudgets bei Maßnahmenpaketen gegen die Teuerungen als Maßstab herangezogen werden – und dass das staatliche Existenzminimum erhöht wird. Das fordert auch Gudrun Steinmann, die Leiterin der Abteilung Finanzbildung im Lesen Sie dazu auch das Gespräch mit Schuldnerberater Ferdinand Herndler: „Es ist normal, liquid zu sein“ (30.1.03) auf furche.at. Immer mehr Menschen nehmen Schuldnerberatung in Anspruch. Dort bemüht man sich mit Maßnahmen wie dem Finanzführerschein, dass es gar nicht so weit kommen muss. Wissen statt Schuldencrash „ Schulden entstehen selten durch plötzliche Teuerungen oder kurzfristig getätigte Ausgaben, sie bauen sich über einen längeren Zeitraum hinweg auf. “ Illustration: iStock/ Denis Novikov (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Fonds Soziales Wien. Zur Ursachenbekämpfung brauche es tiefgreifende Maßnahmen. Denn Schulden entstehen ihrer Meinung nach selten durch plötzliche Teuerungen oder kurzfristig getätigte Ausgaben, sie bauen sich über einen längeren Zeitraum hinweg auf. „Die Schicksale, denen wir in der Schuldnerberatung begegnen, sind sehr unterschiedlich“, erzählt sie, „die Konstante ist jedoch eine plötzlich erfolgte Veränderung. Lebensereignisse, die sich nicht planen lassen, die einfach das Leben schreibt.“ Kommt zu einer finanziell ohnehin angespannten Situation noch ein unvorhersehbarer Schicksalsschlag wie der Verlust des Arbeitsplatzes, gefolgt von Einkommenseinbußen, eine gescheiterte Selbstständigkeit, Scheidung mit Unterhaltszahlungen oder eine Erkrankung hinzu, fällt das Kartenhaus in sich zusammen. Bei älteren Menschen ist meist der Tod des Partners ein Faktor, durch den sie Gefahr laufen, in die Altersarmut zu rutschen. „33 Prozent unserer Kundinnen und Kunden im ersten Halbjahr 2023 waren über 50 Jahre alt“, erklärt Steinmann. Auf der anderen Seite sind mehr als zehn Prozent der Klienten zwischen 20 und 29 Jahre alt und kämpfen mit Schulden zwischen 10.000 und 50.000 Euro. Die Schuldnerberaterin nennt beispielhaft den Fall einer jungen Frau: An eine gemeinsame Zukunft glaubend übernahm sie kurz nach Beendigung ihrer Ausbildung einen stattlichen Geldbetrag für ihren Partner und zog mit ihm in eine große Wohnung. Kurz danach wurde sie von ihrem Arbeitgeber gekündigt, es folgte die Trennung vom Partner. Nun kann sie mit dem Arbeitslosengeld die Kosten der Wohnung nicht mehr stemmen und sitzt auf dem Schuldenberg fest. In der Bewältigung der finanziellen Schieflage setze man in allen Fällen auf die Eigenverantwortung der Betroffenen, erklärt Steinmann. Dazu würden in der Beratung Möglichkeiten und Wege aufgezeigt. Die Erstattung der Schulden lasse sich meist auch noch gut regeln; schwierig sei dann aber die Umstellung der Lebensweise, um mit dem geringfügigen Geld auszukommen und keine neuen Schulden anzuhäufen. Um solchen Schwierigkeiten von vorneherein zu vermeiden, soll Finanzbildung Abhilfe schaffen. Die ersten modularen Finanzbildungsprogramme wurden bereits in den 1990er-Jahren ausgearbeitet. 2006 entwickelte die „ifs Schuldenberatung“ im Auftrag der Vorarlberger Landesregierung gemeinsam mit weiteren Partnern den Finanzführerschein. Dieser wird als finanzielle Basis-Bildung verstanden, der Kompetenzen für ein gesundes Geld-Leben vermittelt. Seit 2008 wird er auch in Oberösterreich angeboten. Im Frühjahr 2020 stieg Wien im Zuge einer Kooperation der Arbeiterkammer mit der Bildungsdirektion ein. Seither wurden mehr als 500 Finanzführerscheine ausgestellt, österreichweit sind es inzwischen mehr als 71.000. Inhaltlich richtet sich das Angebot an Schülerinnen und Schüler ab der neunten Schulstufe. In Polytechnischen Schulen oder Fachschulen wird am Übergang von Ausbildung zu Berufsleben beispielsweise über Verkaufstricks in der Werbung sowie Risiken bei Internetbestellungen informiert. In den weiteren Ausprägungen in höheren Altersstufen, etwa an Berufsschulen oder für junge, arbeitssuchende Erwachsene ab 18 Jahren, geht es dann auch um Nebenkosten von PKW und Wohnung, Versicherungen, Bürgschaft oder Mithaftung. Ziel des Finanzführerscheins ist unter anderem, dass die Schülerinnen und Schüler Multiplikatoren in ihren Altersgruppen werden. Steinmann verweist auch auf vermeintlich unbedeutende Situationen, etwa jene, in der eine ehemalige Kursteilnehmerin ihren Freund vom Kauf überteuerter Turnschuhe abraten konnte. „Der Gedanke geht auf, die erworbenen Kompetenzen werden im Alltag umgesetzt und weitergetragen“, resümiert die Schuldnerberaterin. Zudem ergibt eine Begleitstudie der Studienrichtung Soziologie an der Universität Wien von Gerald Hutterer positive Ergebnisse. Demnach gehen Besitzerinnen und Besitzer eines Finanzführerscheins bewusster mit ihrem Konsumverhalten um. Die Evaluierung empfahl aber auch, die Referenzthemen für die Schulungen möglichst breit aufzustellen, um so auf die unterschiedlichsten Finanzfallen für junge Menschen hinweisen zu können. Gegen Vereinsamung Um derartige Projekte aber langfristig aufrechtzuerhalten, sei die finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand wichtig – auch um zu gewährleisten, dass private Anbieter präventiver Finanzbildung nicht ihre Eigeninteressen in den Vordergrund rücken, meint Steinmann. Deshalb sei es auch wichtig Finanz- und Wirtschaftsbildung generell in die Lehrpläne zu integrieren (siehe auch Seite 13). Letztlich führt die Bewältigung von Geldfragen zu einer besseren gesellschaftlichen Teilhabe – das zeigt sich laut Arbeiterkammer derzeit in den Lebensumständen der zahlreichen armutsgefährdeten Menschen in Österreich. Drei von vier Österreicher(inne)n verzichten demnach auf Freizeitaktivitäten, um Kosten zu sparen. Nach den Entbehrungen der Corona-Jahre würden auch in diesem Zusammenhang vor allem junge und ältere Menschen Gefahr laufen, sozial weiter abgeschottet zu werden. Für ältere führe das oft zur Einsamkeit im Lebensabend. Deshalb verweist Steinmann auf einen Schlüsselanhänger, der in ihren Finanzbildungskursen verteilt wird – eine Ampel mit drei Kugeln, grün, gelb und rot: „So wie im Straßenverkehr sollte man auch seine Finanzen im grünen Bereich halten.“
DIE FURCHE · 41 12. Oktober 2023 Bildung 13 Das Wissen rund um Geldfragen ist Studien zufolge in Österreich bescheiden. Die Leiterin des Wiener Instituts für Wirtschaftspädagogik nimmt im Gastkommentar das Bildungssystem in die Pflicht. Ein Plädoyer für die schulische Vermittlung grundlegenden Finanzwissens. Von der Schule bis zur Pension Von Bettina Fuhrmann Finanzbildung – ein Thema, das derzeit Hochkonjunktur feiert: Österreich hat endlich eine Nationale Finanzbildungsstrategie, man zählt bereits über 130 Finanzbildungsmaßnahmen und die PISA-Tests enthielten auch einen Teilbereich zur financial literacy der Jugendlichen. In Anbetracht von hoher Inflation, steigenden Zinsen, Schuldenproblemen und steigenden Lebenshaltungskosten hört man aer immer wieder die Forderung: „Wir brauchen mehr Finanzbildung.“ Studienergebnisse stützen diese Forderung: Inflation und ihre Auswirkung auf die Kaufkraft erklären? Zu schwer für rund ein Drittel der rund 1500 in Österreich lebenden Menschen, die für eine Studie der Oesterreichischen Nationalbank befragt worden sind. Aber auch das Thema Zinsen ist nicht jedermanns Sache, vor allem beim Konzept der Zinseszinsen ist jede zweite befragte Person überfordert – dabei ist dieses Konzept nicht nur bei Finanzierungen, sondern besonders bei langfristiger Kapitalanlage hoch relevant. Es „hapert“ also im Schnitt bei jeder vierten oder sogar jeder dritten Person bereits an sehr grundlegenden Themen wie Zinsen, Geldwert und Risiko(streuung). Bei etwas anspruchsvolleren Fragen zu Anlageformen, Kursentwicklungen und Zinseszinsen, die auch noch kein Expertenwissen darstellen, weiß nur mehr jeder Zweite Bescheid – schlechte Voraussetzungen für das Bewältigen der finanziellen Herausforderung im Laufe eines Lebens. Nicht nur in Zeiten der Inflation Finanzbildung ist aber immer bedeutend, denn finanzielle Herausforderungen begleiten uns unser ganzes Leben. Schon Kinder und Jugendliche treffen Konsum- und Sparentscheidungen, aber auch die Wahl des Bildungsweges und des späteren Berufs sind finanziell relevant. Wer ab 16 wählen geht, entscheidet mit seiner Stimmabgabe zumindest Illustration: iStock/ Denis Novikov (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Ungeliebte Zahlen Im Schnitt „hapert“ es bei jeder dritten bis vierten Person an grundlegendem Wissen zu Zinsen, Geldwert und Risiko- (streuung). Kindern mangelt es in der Familie daher oft an Vorbildern im Umgang mit Geld. indirekt auch über den weiteren wirtschaftspolitischen Kurs einer Regierung und sollte daher wirtschaftliche Größen und Zusammenhänge, ja das Finanzund Wirtschaftssystem verstehen und diskutieren können. Ab dem ersten selbst verdienten Geld und dem ersten eigenen Haushalt stellen sich rasch weitere wirtschaftliche Fragen. Nun stehen auch Investitions- und Finanzierungs- sowie Vorsorge- und Versicherungsentscheidungen an. Eine finanziell gebildete Person weiß, dass sie nicht nur an das Heute, sondern auch an die Zukunft denken muss. Und sie versteht, dass ihre Entscheidungen auch Auswirkungen auf andere, ja die ganze Gesellschaft haben. Finanzbildung beruht nicht nur auf Wissen, sondern auf einem tiefgehenden Verständnis und vielen Fähigkeiten und Verhaltensweisen, bei denen es vor allem um das Planen, das sorgfältige Haushalten, das Einholen und Auswerten von Informationen, das Einschätzen von Chancen und Risiken und das verantwortungsvolle Entscheiden und das Reflektieren über diese Entscheidungen geht. Die Forschung zeigt, dass Personen, die über mehr Finanzwissen verfügen, in der Regel auch bessere finanzielle Entscheidungen treffen, mehr Finanzprodukte kennen, schlechte Konditionen meiden und günstigere nutzen, eher vorausschauend planen, mehr sparen und vorsorgen. Sie haben allerdings insgesamt meist ein höheres Bildungsniveau und damit auch eine bessere Einkommenssituation. Das WU-Institut für Wirtschaftspädagogik hat für einen besseren Überblick einen inhaltlichen Rahmen entwickelt. Einnahmen und Ausgaben managen zu können, ist die notwendige Grundlage. Wer nicht weiß, wie viel Geld noch am Konto ist und wofür man wie viel ausgibt, hat schlechte Voraussetzungen, seine Finanzen im Griff zu haben. Ein finanzieller Polster ist wichtig für Unvorhergesehenes, aber auch die Voraussetzung für Investitionen und für die leistbare Finanzierung von größeren Anschaffungen. Wer glaubt, dass der eigene Einnahmenüberschuss dafür nicht ausreicht, sollte noch einmal genau seine Ausgaben prüfen. Entscheidend ist nicht nur die Höhe des Betrags, der monatlich übrigbleibt, sondern auch, mit welchem Alter man beginnt, ihn auf die Seite zu legen und was man damit macht. Bei Anlageformen mit höheren Renditen scheuen viele wegen des vermuteten Risikos zurück. Finanzwissen hilft, das Risiko (und die Nutzung von Chancen) realistisch einzuschätzen – vor allem, wenn man nicht kurzfristig denkt und über viele Jahre vom Zinseszinseffekt profitiert. Leider ist nicht gewährleistet, dass Kinder und Jugendliche zu Hause gute Vorbilder im Umgang mit Geld erleben und mit Erwachsenen über ihre Fragen rund um Geld sprechen können. Umso Wieso Finanzbildung besonders für Frauen wicht ist, lesen Sie in „Ist doch nur Geld?!“ (4.3.2021) von Barbara Haas auf furche.at. „ Sich mit bestimmten Finanzthemen nur einmal in der Schullaufbahn zu beschäftigen, ist für einen langfristig anhaltenden Lernerfolg zu wenig. “ wichtiger ist es, in der Schule ein Mindestmaß an Finanzbildung zu entwickeln, um Bildungsunterschiede zumindest ein Stück weit ausgleichen zu können. Da Kinder schon sehr früh eine Reihe von finanziellen Entscheidungen treffen und sich Gedanken über Geld machen, sollte die schulische Finanzbildung bereits in der Grundschule kindgerecht an den Alltagserfahrungen der Kinder anknüpfen und kontinuierlich bis zum Ende der Schulpflicht weiterentwickelt und vertieft werden. Sich mit bestimmten Finanzthemen nur einmal in der Schullaufbahn zu beschäftigen, ist für einen langfristig anhaltenden Lernerfolg zu wenig. Es braucht praxisorientierte Beispiele und Aufgaben, bei denen die Schülerinnen und Schüler „ins Tun kommen“. Darum unterstützt das Institut für Wirtschaftspädagogik auch Lehrpersonen in der Sekundarstufe mit ihren dafür ausgebildeten Finanzbildungscoaches und qualitätsgeprüften Unterrichtskonzepten. Für jedes Thema des erwähnten Rahmenmodells für Finanzbildung kann online ein Finanzbildungscoach angefragt werden, der dieses Thema dann in der jeweiligen Klasse der Lehrperson unterrichtet. Eine lange Hochkonjunktur Auch im Erwachsenenalter braucht es weitere Möglichkeiten, sich sachgerecht informieren zu können – besonders in Lebenssituationen, in denen große finanzielle Entscheidungen anstehen: beim ersten Job, bei Kauf oder Miete von Immobilien, bei der Gründung einer Familie, bei der Finanzierung der Mobilität, bei großen beruflichen Schritten (etwa einer Unternehmensgründung) und bei der Vorsorge für die Pension. Die Nationale Finanzbildungsstrategie wird hier gemeinsam mit allen Organisationen, die ihre Maßnahmen in die Strategie einbringen und an ihr mitwirken, eine wichtige Rolle spielen. Die Hochkonjunkturphase des Themas Finanzbildung wird eine lange sein. Die Autorin ist Leiterin des Instituts für Wirtschaftspädagogik an der Wirtschaftsuniversität Wien. Buchpräsentation »Unsere Energieküche« mit Sr. Teresa Zukic Freitag, 13. Oktober, 19:00 Uhr Thalia Wien-Mitte/W3 Landstraßer Hauptstraße 2a/2b 1030 Wien Eintritt frei! Heilende Worte, medizinische Tipps und 45 stärkende Gerichte sind die ideale Therapie – denn Essen hat mehr Kraft als tausend Worte! 144 Seiten / € 29,– Erhältlich in Ihrer Lieblingsbuchhandlung und unter styriabooks.at
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