DIE FURCHE · 41 10 Gesellschaft 12. Oktober 2023 Lesen Sie zu diesem Thema auch „Ein neuer Vertrag für Alt & Jung“ (29.8.2013) von Andreas Kresbach auf furche.at. Von Victoria Schwendenwein Im Supermarkt den Einkauf selbst kassieren, am Postamt den Brief an der Versandstation aufgeben oder das Bahn-Ticket online kaufen: Die technologiegestützte Selbstbedienung, auch als Self-Service bekannt, ist aus der modernen Dienstleistungswirtschaft nicht mehr wegzudenken. Doch der vermeintliche Fortschritt wird oft auch als lästige Notwendigkeit wahrgenommen. Tenor: „Wenn ich einkaufe, möchte ich nicht auch noch diese Arbeit selbst erledigen müssen.“ Ein Argument, das von immer mehr Menschen geäußert wird – in ganz unterschiedlichen Altersgruppen. Besonders ärgerlich empfinden viele dabei, dass Dienstleistungen an einem Personenschalter – etwa in der Bank – heute oft mit zusätzlichen Kosten verbunden sind. Das benachteiligt jene, die sich aus unterschiedlichen Gründen mit der Technik schwer tun. „Wir denken die Norm meistens als männlich, jung, iPad-tragend, in einer Firma arbeitend“, erklärt dazu Ulla Kriebernegg. Sie forscht am Grazer Zentrum für Alterns- und Careforschung zu den veränderten Bedürfnissen durch den soziodemografischen Wandel. Die aktuellen Entwicklungen in der Dienstleistungswirtschaft GLAUBENSFRAGE Nahostkonflikt vor unserer Tür Orte der Begegnung Der technologische Fortschritt ist für so manchen ein sozialer Rückschritt. Um eine sorgende Gesellschaft zu gestalten, muss auch die Infrastruktur barrierefrei werden. Unter dem Deckmantel der Modernisierung Bankomaten oder Supermärkte auszudünnen, führt zu Barrieren und verhindert Gemeinschaft – nicht nur bei bei den Alten. Eine Betrachtung. Infrastruktur für alle! sieht sie, wie ihr Kollege und Careforscher Klaus Wegleitner, durchaus kritisch. „Infrastruktur muss man barrierefreier Denken“, erklärt der Wissenschaftler. Der derzeitige Trend gehe aber in die entgegengesetzte Richtung. Self-Service hilft Unternehmen, Ressourcen zu sparen. Das bedeutet auch, dass Geschäftsstandorte zusammengelegt oder außerhalb des Ortskerns zu günstigeren Konditionen errichtet werden. Beispiel dafür sind etwa die zunehmenden Schließungen von Bankfilialen, Bankomaten oder Supermarktfilialen Von Mouhanad Khorchide Die Angriffe der Terrororganisation Hamas auf israelische Städte kamen überraschend. Niemand hatte damit gerechnet. Entsprechend laut waren und sind die Verurteilungen dieser Angriffe, was auch richtig und wichtig ist. Gewalt darf auf keinen Fall geduldet werden. Auffällig sind allerdings die Solidaritätsbekundungen mit der Hamas, sowohl in der arabischen und islamischen Welt als auch hier bei uns in Europa. Bilder, die Araber zeigen, wie sie die Angriffe der Hamas bejubeln und Süßigkeiten auf den Straßen verteilen, kursieren in den sozialen Medien. Sie stammen auch aus Wien, Berlin und anderen europäischen Städten. Man muss an dieser Stelle anmerken, dass die Vorgänge im Nahen Osten viel komplexer sind, und das Problem viel tiefer sitzt, als es sich in der Empörung vieler von uns über den brutalen Angriff der Hamas auf Israel zeigt. Für viele Palästinenser, Araber und Muslime ist der Angriff der Hamas kein Terroranschlag, sondern ein Akt der Selbstverteidigung. Sie betrachten Israel als Besatzungsmacht. Dabei spielen religiöse Emotionen, wie die vorgebliche Verteidigung der Al-Aksa- Moschee in Jerusalem, eine zentrale Rolle. Im Narrativ vieler Muslime ist Israel der Aggressor, die Hamas die Verteidigerin der heiligen Stätten des Islam. Auf der anderen Seite werden die Verbrechen des Holocaust in der arabischen Welt nicht ausreichend kommuniziert. Wir müssen zugeben, dass wir es in den letzten Jahrzehnten versäumt haben, diesen Konflikt, auch bei uns im Bildungssystem, offen anzugehen. Der Nahostkonflikt wird lieber tabuisiert, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. So bleiben tickende Bomben, die nur auf einen Anlass warten, um Frust und Schadenfreude freien Lauf zu lassen. – Es bleibt dennoch zu hoffen, dass es zu einer baldigen Einstellung aller Kampfhandlungen kommt und dass dieser Konflikt am Verhandlungstisch gelöst werden kann. Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster. in ländlichen Gemeinden. Wer nicht mobil ist, hat dann das Nachsehen. Das bestätigt die ungewöhnlich anmutende Aktion einer Senioren-Gruppe aus dem Burgenland. Sie leben in einem „Betreuten Wohnen“ in der 8000-Einwohner-Stadt Oberwart, demonstrierten vor Kurzem mit ihren Rollatoren für den Erhalt einer nahe gelegenen Supermarktfiliale und überreichten hunderte Unterschriften. Hans Robeischl, der die Demonstration anführte, kam im ORF zu Wort: „Uns geht es darum, dass wir eigenständig leben können“, sagte er. „Dieses Recht darf uns niemand verwehren. Zu den anderen Lebensmittelgeschäften kommen wir einfach nicht mehr hin.“ „ Es ist der Versuch, die kollektive Ernüchterung aufzubrechen, einen Sozialen Crash abzuwenden, Wohlstand zu sichern – und: Auch Digitalisierung kann dazu beitragen. “ Illustration: iStock/ SiberianArt (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Ulla Kriebernegg und Klaus Wegleitner vermissen in derartigen Entscheidungen von Konzernen ein gesamtgesellschaftliches Denken. „Vieles davon betrifft auch Familien mit Kindern“, erklärt Kriebernegg. Denn kurze Wegstrecken, für die es kein Auto braucht, seien beispielsweise auch mit Kinderwagen stressfreier zu bewältigen. Dorfstrukturen, sagt sie, haben außerdem einen weiteren Sinn: „Dass man persönlichen Kontakt halten kann.“ Wenn es um diese Kommunikationsund Beziehungsorte geht, sind laut Wegleitner raumplanerische Elemente stark mit Care verbunden. Das gelte für alle Altersgruppen, die man auch nicht voneinander getrennt sehen sollte. Das beginnt bei der Frage nach dem Standort eines Supermarktes und geht bis zur Gestaltung von Alten,- Wohn- und Pflegeheimen. „Denn alle sind Teil der Gesellschaft“, meint er. Aus Sicht der Sozialethik will er deshalb Mikrobeziehungen und Verständnis für den sozialen Zusammenhalt stärken. Derzeit strebe die Gesellschaft vielfach nach Gewinnorientierung. Die Aufgabe werde langfristig aber sein, Strukturen zu schaffen, die nicht polarisieren. „Strukturell politisch wird in Kategorien und Segregation gedacht. Auf Beziehungs-Ebene funktioniert das aber nicht.“ Die beiden Experten plädieren für ein generelles Umdenken. So wie sie die Alterns- und Careforschung nicht voneinander entkoppelt sehen, verwahren sie sich auch gegen die Einteilung in Jung und Alt. „In Wirklichkeit ist die Gesellschaft viel durchmischter, als wir glauben. Aber im Denken werden wir mit einer gewissen Brille ausgestattet“, meint Kriebernegg. Daher kritisiert sie auch, dass Menschen ab einem gewissen Alter gerne über einen Kamm geschert werden. Gegen die kollektive Unzufriedenheit Die Definition aus dem Bundes-Seniorengesetz lässt diesbezüglich kaum Spielraum. Demnach gelten in Österreich Menschen als Seniorin oder Senior, wenn sie „aus eigener Tätigkeit eine Pension, [...]beziehen“ oder „ein bestimmtes Alter erreicht haben; dieses ist bei Frauen die Vollendung des 55. Lebensjahres und bei Männern die Vollendung des 60. Lebensjahres“. Mit dieser Definition hadert auch Helwig Aubauer. Er leitet den Bereich Arbeit, Soziales und Gesundheit der Industriellenvereinigung. Im Rahmen der Denkwerkstatt St. Lambrecht sprach er sich zuletzt für mehr Nachhaltigkeit in der Pensionspolitik aus. Wenn Menschen, die noch nicht an das Ende ihres Berufsleben denken, bereits als Seniorin oder Senior bezeichnet werde, trage das auch zu einer allgemeinen Unzufriedenheit bei. Auf der einen Seite als „alt” abgestempelt zu werden, auf der anderen Seite aber noch den Beitrag im System leisten zu sollen – das passe für viele nicht zusammen. Nicht zuletzt deshalb plädierte der Generaldirektor der Pensionsversicherungsanstalt, Winfried Pinggera, im selben Rahmen dafür, dass der schon lange aufrechten Forderung von Teilpensionen nachgegangen werde. Umgesetzt werden können dieselbe ihmzufolge aber nur dann, wenn es auch grundlegende gesellschaftliche Veränderungen gäbe. „Muss man sich in die Invalidität arbeiten?”, stellt er in den Raum und spricht von einer „informellen Pflege“, die auch ein „soziales Lernen“ darstelle. Der Denkansatz dahinter: Wer im Berufsleben sorgsam mit sich umgeht, könne demnach in der Pension ein erfülltes Leben haben und gleichzeitig das Pflegesystem nicht überlasten. Aubauers und Pinggeras Ansätze mögen andere Motivationen haben als jene von Kriebernegg und Wegleitner. Was aber auch sie zeigen, ist der Versuch, die kollektive Ernüchterung aufzubrechen, einen Sozialen Crash abzuwenden, Wohlstand zu sichern – und, darin stimmen alle überein: Auch Digitalisierung kann dazu beitragen. In Summe brauche es aber einen Fokus auf das Wesentliche, auf Beziehung und Sorge füreinander, denn: „Das Leben ist keine Excel-Tabelle“, formuliert es etwa Klaus Wegleitner. Wenn man alles ausdünne, würden zwar privilegierte Inseln entstehen, in denen es einen sozialen Zusammenhalt und Wertschätzung gäbe. Aber die Breite der Gesellschaft würde weiterhin in anderen Realitäten leben. Das führt zurück ins Burgenland. Der Rollator-Protest hat dort dazu geführt, dass die Supermarktfiliale in Oberwart vorerst bestehen bleibt. Die Nähe zum „Betreuten Wohnen“ und die leichte Erreichbarkeit waren hier ein wesentlicher Faktor, denn viele der Betroffenen – davon ein großer Teil mit Pflegestufe – sind vor allem auch deswegen in diese Wohnungen gezogen. Für sie ging es darum, nicht abgeschottet zu sein, trotz ihres Alters weiter an der Gesellschaft teilhaben zu können. Und wo ginge das leichter als bei einem Plausch an der Supermarktkasse.
Entgeltliche Einschaltung SPEZIAL 11 Nachhaltig erfolgreich Im Wiener Gartenpalais Liechtenstein wurden die diesjährigen Preisträger:innen und Nominierten vor den Vorhang geholt. Mehr Infos unter trigos.at. Seit 20 Jahren zeichnet der TRIGOS Unternehmen aus, die ihrer unternehmerischen Verantwortung in besonderem Ausmaß nachkommen und damit Vorbildwirkung haben. Gefeiert wurde der 20. Geburtstag am 4. Oktober im wunderschönen Ambiente des Gartenpalais Liechtenstein in Wien – mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Unter den Gratulanten waren etwa auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen (mit einer Grußbotschaft), Vizekanzler Werner Kogler, Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, Sozialminister Johannes Rauch sowie Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher. Im Zentrum standen aber auch im Jubiläumsjahr die Preisträger. Sie reihen sich ein in insgesamt 2.745 Einreichungen, 808 Nominierungen und 289 Ausgezeichnete aus allen Regionen Österreichs. Von Ausbildungspartnerschaften an der Elfenbeinküste über klimafreundliches Investment bis hin zu wiederverwertbarer Abwärme – die Gewinner des TRIGOS 2023 spiegeln das breite Spektrum der Preisträger aus 20 Jahren TRI- GOS wider und konnten mit ihrer Vielfalt und ihrer sozialen, technischen und ökonomischen Innovationskraft überzeugen. Der Weg zur Energiewende führt über Wiederverwertung Immer mehr Betriebe zeigen vor, dass sich sozial und ökologisch nachhaltiges Wirtschaften auszahlt. Seit 2003 werden sie mit dem TRIGOS ausgezeichnet. Nun lud man zur Jubiläums-Gala. Seit 20 Jahren nachhaltig: der TRIGOS feiert Geburtstag Abwärme aus industriellen Prozessen ist eines der wichtigsten, bislang kaum genutzten Energiepotenziale – mit hoher Relevanz für die Energiewende. Die Rotation Heat Pump, eine innovative Großwärmepumpe der ECOP Technologies GmbH, kann Abwärme aus industriellen Prozessen direkt wiederwerten – und das mit hoher potenzieller Skalierbarkeit. Das Unternehmen aus Oberösterreich wird damit mit dem TRIGOS in der Kategorie Klimaschutz ausgezeichnet. Einen anderen Ansatz zur Erreichung der Energiewende verfolgt 10hoch4 in Kooperation mit Dachgold, Preisträger in der Kategorie Vorbildliche Projekte. Im Jahr 2014 setzte man sich das ambitionierte Ziel, 1.001 Photovoltaikanlagen auf den Dächern österreichischer Betriebe zu installieren. Was vor knapp zehn Jahren noch wie ein Märchen klang, ist mittlerweile gelungen. 2023 wurde das Ziel erreicht. Damit ist es gelungen, rund 8,7 Mio. kg an CO₂-Äquivalenten einzusparen. Dass Nachhaltigkeit über Landesgrenzen hinweg wirkt, beweist die Mondi AG. Das global agierende Verpackungsund Papierunternehmen mit Sitz in Wien hat gemeinsam mit der Austrian Development Agency ADA und der Entwicklungsorganisation ICEP in ihrem Markt Cote d’Ivoire ein Pilotprojekt zur dualen Ausbildung Jugendlicher zum Industrietechniker bzw. zur Industrietechnikerin initiiert. Die Ausbildungspartnerschaft schafft Zukunftsperspektiven und wirkt der Jugendarbeitslosigkeit in Westafrika entgegen. Die Mondi AG erhielt dafür den TRIGOS in der Kategorie Internationales Engagement. Nachhaltig von Westafrika bis ins Waldviertel Gleichstellung in der der Region voranzutreiben ist die Motivation der Waldviertler Frauenwirtschaft. FRAU iDA bietet nicht nur einen moderne Co-Working-Space, sondern ergänzt diesen um Betreuungsangebote für Kinder und Senioren. Die Vereinbarkeit von Familie und Privatem wird dadurch für Unternehmerinnen aus der Region möglich bzw. einfacher. Weiterbildungsmöglichkeiten und Netzwerkformate tragen außerdem zur Belebung der örtlichen Gemeinschaft „ Vor 20 Jahren war TRIGOS Vorreiter. Heute ist er, getragen von Industriellenvereinigung, Caritas, Rotem Kreuz, respACT, Umweltdachverband und Wirtschaftskammer, aktueller denn je. “ bei. Dafür gab es den TRIGOS in der Kategorie Regionale Wertschaffung . Der TRIGOS in der Kategorie Mitarbeiter:innen-Initiativen ging dieses Jahr in die Steiermark an die sozKom GmbH & Co KG aus Krottendorf. Das steirische Gemeinwohlunternehmen unterstützt Kinder, Jugendliche und Erwachsene Die Gala bot den Ausgezeichneten auch die Möglichkeit zur Vernetzung (im Bild unten etwa Klimaministerin Leonore Gewessler). beim Ausbau sozialer Kompetenzen und setzt dabei intern auf Mitgestaltung. Die partizipative Führungsstruktur schlägt sich nicht nur in der jährlichen Gemeinwohlbilanz, sondern auch bei Zufriedenheit, Transparenz und Identifikation der Mitarbeitenden durch. Etwas indirekter ist soziales Engagement dank der kostenlosen Bewertungsplattform cleanvest.org der ESG Plus GmbH möglich. Investoren können ihr Portfolio damit ganz einfach auf positive bzw. negative Auswirkungen auf Menschen, Umwelt und Gesellschaft prüfen und in Einklang mit ihren Werten in Bezug auf Nachhaltigkeit bringen. Die Finanzbranche als Hebel für die Erfüllung der ESG-Ziele: Dafür gibt es den TRIGOS in der Kategorie Innovation & Future Challenges. Vor 20 Jahren war der TRIGOS Vorreiter. Heute ist er, getragen von einer breiten Trägerschaft bestehend aus der Industriellenvereinigung, der Caritas, dem Roten Kreuz, respACT, dem Umweltdachverband und der Wirtschaftskammer Österreich, aktueller denn je. Die Motivation hinter dem Preis ist auch nach 20 Jahren mehr als spürbar. Neben veränderten Rahmenbedingungen, die stärker Richtung Compliance gehen, ist es vor allem auch der Eigenantrieb der Unternehmen, der dem TRIGOS seine Kraft gibt und Innovationen hervorbringt, die den Wirtschaftsstandort Österreich wettbewerbsfähig halten. < Fotos: TRIGOS / Alexander Gotter
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