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DIE FURCHE 12.09.2024

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DIE FURCHE · 37 8 Religion 12. September 2024 Von Matthias Geist Der erste evangelische Märtyrertod auf Wiener Boden zeigt in diesem Gedenkjahr vieles auf, was dieses Land und seine Menschen bis heute betrifft. Es war ein Skandal. Am 17. September 1524 wurde der aufstrebende und reformatorisch aufgeschlossene Tuchhändler Caspar Tauber Opfer seines Mutes, seiner Wahrhaftigkeit und solcher Machtverhältnisse, die keinen Widerspruch zur Dominanz des habsburgischen Regimes erlaubten. Warum aber ein „Skandal“? Einige aktuelle Bezüge sollen der Geschichte eines wahrhaft wirkmächtigen Zeugen protestantischen Glaubens vorangehen. Wenn in diesen Tagen an vier Orten Wiens – in der Lutherischen Stadtkirche, der Pauluskirche, nahe dem Ort der Hinrichtung in Erdberg und in der Unterkirche des Stephansdoms – der Person und der Haltung dieses Mannes gedacht wird, ist dies kein Zeichen einer Aufrechnung von Geschichte. Es geht nicht darum, Parteien und Streitgenossen von damals in heutiger Zeit neu zu identifizieren. Vielmehr reflektiert dieser Schritt eines Gedenkens die längst vollzogene Aussöhnung mit vergangenen Machtverhältnissen im Bewusstsein so mancher Aktualität. Die Gastfreundschaft des Domkapitels zu St. Stephan unterstreicht die vielschichtigen und engen Beziehungen der katholischen und der evangelischen Kirche in Wien. Das zugesagte Wort von Kardinal Christoph Schönborn wird mehr als eine Geste sein, vielmehr wahrhaftiger Ausdruck ökumenischer Verbundenheit. Und die politische Verantwortung der Stadt Wien sieht in der Einrichtung des „Rats der Religionen“ einen wesentlichen Auftrag im friedenspolitischen Diskurs einer Weltstadt. Zeugnis davon wird der angekündigte Besuch des Bürgermeisters Michael Ludwig in der Lutherischen Stadtkirche am Sonntag, dem 15. September, geben. Wiener Blutzeuge Woran erinnert und wozu mahnt uns der reformatorisch pointierte Auftritt des renommierten Wiener Bürgers Caspar Tauber vor 500 Jahren nun konkret? Zunächst an einen „Skandal“, der wie gemeinhin anerkannt, drei Dimensionen aufzeigt: eine – tatsächliche oder vermutete – Normüberschreitung, die öffentlich gemacht wird und eine wie immer geartete Reaktion, meistens Entrüstung, hervorruft. b Mehr Infos unter www.bibelpfad.at Freitag 27. 9. 2024 14–21 Uhr in der Wiener Innenstadt b www.bibelpfad.at b b Enthauptet Am 17. September 1524 wurde der Wiener Tuchhändler Caspar Tauber in Wien als Ketzer hingerichtet. Es folgte eine Periode blutiger Protestantenverfolgung. 500 Jahre nach der Hinrichtung des ersten evangelischen Märtyrers geht es nicht um ein „Aufrechnen der Geschichte“, sondern um die Reflexion vergangener, aber auch aktueller Machtverhältnisse. Der Skandal der Glaubensfreiheit Der Tuchhändler Tauber war zweifellos nach seiner Ankunft 1511 in Wien im kirchlichen Glauben beheimatet. Spätestens Mitte 1522 deklarierte er sich aber zur reformatorischen Bewegung. Das später während seiner Gefangenschaft gefundene, aber verloren gegangene Büchlein dürfte zwar keine Veröffentlichung Taubers gewesen sein. Doch bezieht sich in der Märtyrerflugschrift „Eyn erbermlich geschicht“ b b b „ Die Hinrichtung bCaspar b Taubers verbot auf symbolische Weise den öffentlichen Widerspruch, der damit für Jahrzehnte erstickt war. “ seine Rechtfertigung gegen den Vorwurf der Ketzerei auf eine bestimmte schriftliche Glaubensäußerung. Tauber beruft sich nicht auf menschliche Obrigkeit, sondern auf seine eigene Gewissensüberzeugung. Und diese bezieht er direkt aus biblischer Schrift und nicht aus der Tradition der Kirche. Sichtlich hat Tauber nicht davon abgelassen, sondern dürfte seinen Stand als einer der seit 1521 „Genannten“ in der Stadtregierung genutzt haben, um aus seinem neuen Glauben keinen Hehl zu machen. Er verkündete freimütig in Wort und Tat, vor allem in Kritik an Ohrenbeichte und Heiligenfürbitte sowie einer sogar auf Zwingli hindeutenden symbolischen Deutung des Abendmahls. Die Offenherzigkeit solchen Glaubens wurde spätestens nach der Verschärfung des Wormser Foto: Getty Images / Universal Images Group / Florilegius Edikts (1521) im März 1523 durch Erzherzog Ferdinand zum allgemeinen Problem. Erst ab 7. Juli 1524 war aber nach einem Treffen mit den Herzögen von Bayern, Erzbischof Matthäus Lang von Salzburg und anderen das Maß voll: Die Durchführung des Wormser Edikts wurde in den betreffenden Gebieten, so auch in Wien, vereinbart, und noch eine Woche vor Aufnahme des Prozesses gegen Tauber wurden die Beschlüsse Ferdinands hierorts wiederverlautbart. Echte Öffentlichkeit bekam das Verfahren, als einige der Ketzerei verdächtigte Personen in Wien verhaftet wurden und man ein Exempel eines hervorragenden Widerrufs statuieren wollte. Doch in dem „prominenten“ Häftling im Kärntner Turm täuschte man sich. Es kam nicht zum Widerruf, sondern zur Sensation. Im Schauprozess mutmaßte man, dass die vorgelegte Version eines öffentlichen Widerrufs den Angeklagten und die Schaulustigen zur Vernunft bringen würde. Doch Tauber entschied sich gegen ein Scheinbekenntnis – ein Ringen des Menschen zwischen Selbstachtung und Lebenszukunft. Die Entscheidung zum Bekenntnis ohne den erwarteten Widerruf lässt viele Fragen offen: menschliche, psychologische und politische. Eine rechtshistorische Analyse betrifft die auch für damalige Zeiten äußerst bedenkliche Verfahrensführung. Freilich konnte das Maß der Empörung durch generalpräventive Strategie rasch eingedämmt werden. Denn das Exempel der Hinrichtung durch den Henker auf der Gänseweide in Erdberg am 17. September 1524 forderte zur Räson, der staatlichen und theologischen Obrigkeit nichts entgegenzuhalten. Die anschließende Verbrennung des Ketzers verbot auf symbolische Weise den öffentlichen Widerspruch, dessen glaubensgewisser Lebensatem Taubers für viele Jahrzehnte in Österreichs Landen im Keim erstickt war. Der Glaube, der frei macht, bestand bei Caspar Tauber nicht in bedingungsloser Unterwerfung, sondern im Gebet – auch um Frieden. Er beichtete keinem anderen (Priester) mehr, sondern seinem himmlischen Vater. Er bat da rum, dass jene, die an seinem Tod schuldig waren, „nicht hessig noch feindt sein / wann also hat es got gefallen“. Wenn einer wie er in solcher Not „gantz willig vnd girig zusterben“ bereit war, gibt dies ein beredtes Zeugnis, wie dankbar wir in heutiger Zeit sein dürfen: In Achtung vor Gott und Mensch gelten Glaubens-, Gewissens- und Meinungsfreiheit als hohes Gut. Dies sollte nie mehr auf ein leichtes Spiel gesetzt werden – in den autoritären Ansagen unserer Zeit zur Mahnung. Der Autor ist evangelischer Theo loge. Seit 2018 ist er Superintendent der evangelischen Diözese Wien. RELIGIONSGESCHICHTE Protestantische Hochburg Im 16. Jahrhundert waren etwa 70 Prozent der Wiener Stadtbevölkerung protestantisch. Luthers Thesen wurden in Wien rasch aufgegriffen. Mehrere Geistliche begannen unter dem Eindruck der Flugschriften evangelisch zu predigen und wurden selbst evangelisch. Auch im Stephansdom, in der Michaelerkirche und in der Burgkapelle gab es reformatorische Predigten. Im Alltagsleben kam es bis 1600 zwischen Protestanten und Katholiken nur selten zu Konflikten. Mit der Gegenreformation Ende des 16. Jahrhunderts wurde die religiöse Gewissensfreiheit im ganzen Habsburgerreich deutlich eingeschränkt. In den folgenden Jahrhunderten setzte eine beispiellos blutige Protestantenverfolgung ein.

DIE FURCHE · 37 12. September 2024 Religion 9 Franziskus besucht innerhalb von zwölf Tagen Indonesien, Papua-Neuguinea, Osttimor und Singapur. Die Reise, die dem gesundheitlich angeschlagenen 87-Jährigen noch vor einem Jahr kaum einer zugetraut hätte, fokussiert bewusst auf den Dialog mit dem Islam. Eine Analyse. Der Papst umarmt Südostasien Von Till Schönwälder Wenn am 13. September die bislang längste Reise seines Pontifikats endet, wird Papst Franziskus ganze 33.000 Kilometer zurückgelegt haben. Zwölf Tage lang war der 87-Jährige in Indonesien, Papua-Neuguinea, Osttimor und Singapur unterwegs, auf einer Reise, die ihm noch vor einem Jahr aufgrund seines Gesundheitszustands kaum ein Beobachter zugetraut hätte. Derzeit wirkt Franziskus – kurz vor dem Start der Weltbischofssyno de im Oktober in Rom – hingegen so fit wie lange nicht mehr. Neben Begegnungen mit den jeweiligen Staats- und Kirchenspitzen und Menschen am Rande der Gesellschaft standen die Beziehungen zum Islam im Fokus – vor allem im größten muslimischen Staat der Welt, Indonesien. Etwa 87 Prozent der Bevölkerung sind dort Muslime, also mehr als 191 Millionen Menschen. Wie kein anderer Papst zuvor setzt sich Franziskus für eine intensive Verständigung mit der islamischen Welt ein. Seit Jahren gilt etwa Großscheich Ahmed al- Tayyeb als einer der wichtigsten Ansprechpartner für den Papst in der islamischen Welt. Mit dem ägyptischen Islamgelehrten unterzeichnete Franziskus 2021 das vielbeachtete Dokument „Über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“, kurz auch als „Abu- Dhabi-Abkommen“ bekannt. Auf seine Pastoralreise nach Südostasien stand er gleich zum Beginn einem gemeinsamen Friedensgebet mit Vertretern aller staatlich anerkannten Glaubensrichtungen in der Istiqlal-Moschee in Jakarta, dem größten muslimischen Gotteshaus Südostasiens, vor. Die 1975 errichtete Moschee bietet mehr als 120.000 Menschen Platz. Moderater Islam Der Zeitpunkt des Besuchs scheint dabei nicht zufällig gewählt: Aufgrund geopolitischer Entwicklungen, insbesondere des Aufflammens des Konflikts im Nahen Osten, ist das Gespräch mit dem Islam auch in Indonesien nicht leichter geworden. Dieser gilt in dem Inselstaat zwar als gemäßigt, und unter dem Credo „Einheit in der Vielfalt“ erkennt der Staat neben dem Katholizismus auch den Protestantismus, Buddhismus, Hinduismus und Konfuzianismus an. Das Judentum zählt aber nicht dazu, Antisemitismus ist weitverbreitet. In den vergangenen Jahren haben auch in dem Inselstaat radikalislamische Gruppierungen an Einfluss gewonnen, was auch die Politik beeinflusst. Regelmäßig kommt es zu Verurteilungen wegen angeblicher Gotteslästerung. Eine Verschärfung des Anti-Blasphemie-Gesetzes soll 2026 in Kraft treten. Der neugewählte Präsident Prabowo Subianto sucht gezielt die Nähe zu konservativen Islamlehrern, aus Zeiten der Suharto-Diktatur werden ihm Mitverantwortung für schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Zusammengetroffen ist Franziskus aber mit dem noch bis Oktober amtierenden Staatsoberhaupt Joko Widodo. Der dankte dem Papst jedenfalls öffentlich für dessen Aufmerksamkeit für Palästina. Christen sind in Indonesien in der Minderheit, Katholiken machen mit etwa acht Millionen Gläubigen nur etwa 2,9 Prozent der 275 Millionen Einwohner aus. Trotzdem nimmt Südostasien für die katholischen Kirche heute den Stellenwert ein, den der afrikanische Kontinent über Jahrzehnte innehatte: Es gilt als wichtigster „Wachstumsmarkt“ für den Vatikan. Die Zuwächse von Katholiken sind weltweit nirgends so groß wie hier. Rund jeder neunte Katholik lebt heute in Asien – dabei stellen die geschätzt rund 150 Millionen Katholiken nur etwa drei Prozent der Milliardenbevölkerung Asiens. Diese Zahlen unterstreichen die gigantischen Potenziale der Region. Als für die katholische Kirche positives Beispiel gilt etwa das Wachstum der katholischen Kirche in Südkorea. Nach dem Koreakrieg (1950–1953) stieg die Zahl der Katholiken von rund 200.000 auf heute mehr als vier Millionen. Während der Militärherrschaft in den 1970er und 1980er Jahren gehörte die Kirchenleitung zu den schärfsten Kritikern an politischen Missständen im Land. Ähnliches gilt für die katholisch geprägten Philippinen, wo Kardinal Jaime Sin (1928–2005) die gewaltlose „Rosenkranzrevolution“ gegen die Marcos-Diktatur 1986 mitbegründete. Bis heute ist die katholische Kirche in dem Inselstaat eine nicht zu vernachlässigende politische Kraft. Ähnliches gilt für Osttimor. Dort spielten kirchliche Führer bei der Überwindung der indonesischen Besatzung (1976–2002) eine entscheidende Rolle. China ist ein schwieriges Pflaster Schwieriger ist die Position der katholischen Kirche freilich im schwergewichtigen China. Der Vatikan verfolgt seit Jahren eine Politik der Annäherung an die kommunistische Volksrepublik, welche mitunter harter Kritik ausgesetzt ist. Bis heute gibt es keine regulären diplomatischen Beziehungen. Seit 2018 regelt ein vorläufiges und höchst umstrittenes Geheimabkommen zwischen den beiden Staaten die Ernennung von katholischen Bischöfen in China. Religionsfreiheit, etwa die Erlaubnis, Geistliche auszubilden oder Kirchen zu bauen, ist essenziell für den Erfolg der Kirche. Letzteres war etwa in Indonesien lange Zeit aufgrund komplizierter staatlicher Regulierungen und finanzieller Hürden nur sehr eingeschränkt möglich. Auch vor Männerfreundschaft Die Begegnung mit dem indonesischen Großimam Nasaruddin war von Herzlichkeit geprägt. Wie kein Papst zuvor setzt Franziskus auf die Macht der Bilder. diesem Hintergrund lässt sich der Besuch des Papstes interpretieren: einerseits um für die Anliegen der Kirche zu werben; andererseits als Zeichen für die Gläubigen, die unter Repressionen zu leiden haben. Ganz anders als sein direkter Vorgänger, Benedikt XVI., geht Franziskus jedenfalls den Dialog mit der islamischen Welt an. So näherte sich Benedikt dem Islam vor allem auf einer analytischen und theologischen Ebene, freilich nicht ohne dabei in kleinere oder größere Fettnäpfchen zu treten – in negativer Erinnerung bleibt etwa seine Rede an der Universität Regensburg aus dem Jahr 2006. „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden, wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten“, „ Asien hat für die katholische Kirche heute den Stellenwert, den Afrika über Jahrzehnte innehatte: Es gilt als wichtigster Wachstumsmarkt mit gigantischem Potenzial. “ Foto: APA / AFP / POOL / Yasuyoshi Chiba dieses Zitat reichte, um die Beziehungen des Vatikans zum Islam schwer zu beschädigen. Aus dem Munde des aktuellen Papstes wären solche Worte undenkbar, nicht nur weil universitäre Vorträge eher nicht die Sache Franziskus’ sind. Der Argentinier setzt vielmehr auf die Macht der Symbole und Bilder. So war die Stimmung bei seinem Zusammentreffen in der Istiqlal- Moschee mit dem indonesischen Großimam Nasaruddin sichtlich gelöst – inklusive Wangenküssen zur Begrüßung. In einer gemeinsamen Erklärung riefen sie zum Einsatz gegen Gewalt und Umweltzerstörung auf. Kriege und Konflikte würden leider in vielen Fällen durch eine Instrumentalisierung von Religion genährt. Auch die weltweite Umweltkrise sei zu einem Hindernis für das Zusammenleben der Völker geworden. Religion müsse vor diesem Hintergrund die Würde jedes Menschen fördern und schützen. „Da es eine einzige globale Menschheitsfamilie gibt, sollte der interreligiöse Dialog als wirksames Instrument zur Lösung lokaler, regionaler und internationaler Konflikte anerkannt werden“, heißt es in dem Dokument. Symbolträchtig ist auch das Faktum, dass die Istiqlal-Moschee über einen Tunnel mit der katholischen Kathedrale Jakartas verbunden ist. Franziskus, der seit einigen Jahren aufgrund eines Knieleidens auf einen Rollstuhl angewiesen ist, beließ es bei der Besichtigung allerdings bei einem Blick auf den sogenannten Tunnel der Freundschaft. Lesen Sie dazu auch den Beitrag „Benedikts Vernunft“ (28.9.2006) von Christoph Fleischmann über die Folgen der „Regensburger Rede“ auf furche.at. VORSORGE & BESTATTUNG 11 x in Wien Vertrauen im Leben, Vertrauen beim Abschied 01 361 5000 www.bestattung-himmelblau.at wien@bestattung-himmelblau.at

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