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DIE FURCHE 12.09.2024

DIE

DIE FURCHE · 37 16 Film 12. September 2024 Gold in Venedig Regie-Altmeister Pedro Almodóvar freut sich über den Goldenen Löwen für sein Drama „The Room Next Door“, in dem Tilda Swinton nach einer Sterbebegleiterin sucht. Foto: Katharina Sartena Von Matthias Greuling Es war nicht Pedro Almodóvars erster Löwe. Schon vor fünf Jahren hat man dem 74-jährigen Spanier in Venedig einen Goldenen Löwen überreicht – für sein Lebenswerk. Mit „The Room Next Door“, seinem ersten englischsprachigen Film mit Tilda Swinton und Julianne Moore, hat er nun auch einen „regulären“ Goldenen Löwen gewonnen – und damit seinen ersten wichtigen Hauptpreis bei einem internationalen Festival überhaupt. Eigentlich hätte Almodóvar in Cannes schon 1999 für „Alles über meine Mutter“ die Palme holen sollen, oder auch für „Volver“ (2006). „The Room Next Door“ ist jetzt der Höhepunkt in seinem Schaffen – und das ausgerechnet bei einem Stoff, der so manche von Almodóvars Markenzeichen ausblendet. Da stehen die farbenfrohe Leichtigkeit vieler seiner Arbeiten, aber auch der konzentrierte Blick auf das Leben von Frauen gar nicht mehr so stark im Vordergrund wie gewohnt. Der Film ist ein herzerwärmendes Drama über eine ehemalige Kriegsberichterstatterin (Swinton), die unheilbar an Krebs erkrankt ist und sich wünscht, dass sie bei ihrem Tod, dessen Machart sie selbst bestimmen will, Gesellschaft hat. Dabei geht es nicht um „Sterbehilfe“ im eigentlichen Sinn, denn die tödliche Pille hat sie sich über Umwege längst aus dem Darknet beschafft. Nein, ihr geht es darum, dass eine Freundin im Zimmer nebenan, also im room next door, wartet, wenn sie sich selbst tötet. Nicht viele Menschen sind bereit, sich so einem Wunsch anzunehmen, Pedro Almodóvar gewann beim Filmfestival Venedig den Goldenen Löwen – aber nicht für seinen besten Film. Das Staraufgebot war Zeichen der Lebendigkeit des Kinos. Ikonen und Tod am Lido aber in ihrer Freundin, der Buchautorin Ingrid (Moore), findet sie diesen Menschen. Der Film verhandelt auf ganz eigensinnige Weise die Fragen von Glaube, Lebensliebe, Todesangst und Selbstbestimmung in Hinblick auf die Beendigung des eigenen Lebens. Ein durchaus untypischer Almodóvar, der sich starkmacht für Sterbebegleitung – wie auch für ein großes Maß an Autonomie in dieser Frage. Der Goldene Löwe wirkt vor dem Hintergrund des Umstandes, dass „The Room Next Door“ nicht „ Autorenfilmer drehen vermehrt im Ausland. Die Frage, die bleibt: Was passiert mit dem Reichtum des Kinos, wenn seine größten Namen uniform für den US-Markt arbeiten? “ Almodóvars Opus magnum ist, wie ein weiterer Preis für das Lebenswerk. Immerhin: Selten hat der spanische Regisseur die Bühne so sehr seinen Schauspielerinnen überlassen und so subtil stilistisch eingegriffen wie hier. Vielleicht musste er aber auch all das – und auch die sonst so ausufernden spanischen Dialoge – in ein Korsett pressen, um den Film tauglich für den US-Markt zu machen. Schaulaufen von Hollywood Generell boten die 81. Filmfestspiele von Venedig keine außergewöhnlichen Meisterwerke, was auch dem Umstand geschuldet war, dass man im Jahr nach dem Schauspielerstreik wieder die Stars hofierte. Von George Clooney und Brad Pitt über Angelina Jolie, Nicole Kidman, Cate Blanchett bis hin zu Joaquin Phoenix und Lady Gaga (im neuen Blockbuster „Joker: Folie à Deux“) gab es unzählige Starbesuche auf dem Lido; die dazugehörigen Filme waren aber nicht immer so hochkarätig wie ihre Besetzung. Dennoch gab es eine Reihe von Filmen, die bei der Kritik durchaus besser ankamen als Almodóvars Siegerfilm. Etwa „The Brutalist“ von Brady Corbet mit Adrian Brody als ungarischer Architekt Laszlo Toth. Für den fast vierstündigen Film erhielt Corbet den Regiepreis – und bedankte sich dafür, dass das der Lohn dafür sei, einen Film gegen alle Ratschläge in dieser Länge und auf 70 mm gedreht zu haben. „April“, Dea Kulumbegashvilis anspruchsvolles Abtreibungsdrama, bekam den Spezialpreis der Jury. Das Werk verhandelt nach allen (ziemlich ausgetretenen) Arthouse-Regeln das Schicksal einer Ärztin, die illegale Schwangerschaftsabbrüche für Bedürftige durchführt. „Babygirl“ von Halina Reijn wiederum zeigt Nicole Kidman als Geschäftsfrau, die mit ihrem jungen Praktikanten eine Affäre beginnt. Für Kidman gab es dafür den Preis als beste Schauspielerin, den sie aber nicht selbst abholen konnte. Auf dem Flughafen in Venedig ereilte sie die Nachricht vom Tod ihrer Mutter – sie bestieg das nächste Flugzeug zurück in die USA. Klassisches Kino schlägt Netflix Festivaldirektor Alberto Barbera hat heuer die französische Leinwandikone Isabelle Huppert mit der Leitung der Jury betraut. Sie zog am Ende eine zufriedene Bilanz: „Das Kino“, sagte sie, „ist in einem sehr guten Zustand.“ Mit dieser Analyse mag Huppert recht haben, vor allem vor dem Hintergrund der Entwicklungen der letzten Jahre. Auf dem Lido von Venedig manifestierte sich die Rückkehr des klassischen Kinos; die Präsenz von Netflix ist schwächer ausgefallen als in den letzten Jahren, im Kino sind von Streamern finanzierte Produktionen wieder etwas seltener geworden. Dafür gibt es große Namen bei den Serien, etwa mit Alfonso Cuarons „Disclaimer“. Auch die Ikonen sind zurück im Kino, zum Beispiel in Gestalt von Angelina Jolie, die in Pablo Larrains „Maria“ Opern diva Maria Callas spielt. Auffallend ist aber die Internationalisierung der Filmkunst. Neben Almodóvar zeigten mit Cuaron, Larrain, der Griechin Athina Rachel Tsangari oder dem Italiener Luca Guadagnino viele Autorenfilmer ihren Wechsel in englischsprachige Produktionen. Das bringt einerseits Autorenkino auf eine Weltbühne, andererseits ist es wie bei Almodóvar nicht unwahrscheinlich, dass sich auch die anderen Filmemacher außerhalb ihres bisherigen Kultur- und Wirkungskreises zu Kompromissen hinreißen lassen. Die Frage, die bleibt: Was passiert mit dem Reichtum des Kinos, wenn seine größten Namen uniform für den US-Markt arbeiten? Das ist – mit Sicherheit – eine Spätfolge der Streamingdienste, die viele Filmemacher mit dem Versprechen völliger künstlerischer Freiheit ins Ausland lockten. Jetzt anmelden! Lesen Sie schon die FURCHE-Newsletter? Unsere neuen Ressort-Newsletter verpacken aktuelle Geschichten aus Ihren Lieblingsressorts – und das noch vor Erscheinen der Zeitung. Das Beste: Jeder Tag ist einem fixen Thema gewidmet. 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DIE FURCHE · 37 12. September 2024 Film 17 Ein Comedian zieht wieder beim Vater ein, sein Sohn und seine Ex-Frau sind weg: „Ezra – Eine Familiengeschichte“ bietet emotionale Achterbahnfahrten, aber auch etliche Weisheiten. KURZKRITIKEN Herzensentscheidungen Von Rudolf Preyer nicht alles auf deine Mutter und mich“, redet Stan (Robert De Niro) seinem Sohn, dem Comedian Max Bernal „Schiebe (Bobby Cannavale) – seinerseits Vater des elfjährigen Ezra (William Fitzgerald), der autistische Züge an den Tag legt –, ins Gewissen. Einst Koch, bleibt er dabei: „Lerne erst einmal, ein anständiges Steak zu machen.“ Ezra spricht in obskuren Popkulturzitaten, hat Angst, dass Metallbesteck seinen Mund verletzen könnte – und weigert sich, anderen Menschen in die Augen zu schauen oder sich umarmen zu lassen. Weil er die Medikation seines „verhaltenskreativen“ Sohnes mit dem Antipsychotikum Risperdal anzweifelte und daraufhin handgreiflich wurde, holt ihn „Pop-Pop“ („Opapapa“) mürrisch mit dem Cabrio ab: „Das muss frustrierend für dich sein, dass dich ausgerechnet der neue Juristenfreund deiner Ex-Frau aus dem Gefängnis rausgeboxt hat.“ Um ihn, den in nur kleinen Kellerlokalen auftretenden Stand-up-Comedian, sogleich mit einem Kochwitz zu brüskieren: „Der Typ sagt: ,Da ist kein Blut auf meinem Steak-Teller!‘ Ich schlage ihm ins Gesicht – und sage: ,Jetzt ist Blut auf deinem Teller!‘“ Weil Ezra staatlicherseits in Hoboken (New Jersey) institutionalisiert werden soll, GESELLSCHAFTSSATIRE entzieht ihn Max kurzerhand der Obsorge der Mutter Jenna (Rose Byrne) – und macht sich mit ihm auf zu einem Roadtrip quer durch Amerika. Die letzte Station soll sie ins Herz von Hollywood führen, denn dort möchte der überforderte Vater und zynische Komiker – endlich! – den großen Karrieresprung schaffen: mit einem Live-Auftritt in der Show von Oscar-Gastgeber Jimmy Kimmel. Die herrlichen Vater-Sohn-Dialoge klingen etwa so: „Ein Dad hat die Aufgabe, seinen Sohn übers Football-Feld zu begleiten.“ „Aber Football führt doch zu Gehirnschäden.“ „Das ist wahr, aber in diesem Fall ist es nur eine Metapher. Was ich meine, ist: Ein Dad will, dass der Sohn den Ball dort aufnimmt, wo der Vater gestoppt worden ist – und ihn ins Ziel bringt. Touchdown!“ Unterwegs trifft der Vater „zufällig“ auf den Großvater, der sich mit der Mutter auf die Suche nach dem gekidnappten Sohn gemacht hat. Doch anstatt ihn zur Aufgabe zu überreden, gibt er ihm Weisheiten mit auf den Weg: „Ich habe mich stets in Küchen versteckt. Du aber, du kämpfst für etwas, Superreiche über dem Gesetz Wie kommt man einer Welt bei, die von Silicon-Valley-Tycoons à la Elon Musk am Nasenring vorgeführt wird? „The point is, who will stop me?“ Das Zitat von Ayn Rand (1905–82), der Altvorderen eines absoluten Libertarismus, steht am Anfang der bösen Gesellschaftssatire „Veni Vidi Vici“. Daniel Hoesl und Julia Niemann gelingt mit ihrer rabenschwarzen Komödie, die auch fürs Sundance Festival 2024 nominiert war, ein politischer Film, der auch die Skrupellosigkeit à la Trump entlarvt. Amon Maynard (Laurence Rupp), mit allen Wassern gewaschener Patriarch seines Familienunternehmens, hat ein Herz für Tiere. Aber kaum für Menschen. Das bekommt schon der Rennradfahrer in der ersten Sequenz zu spüren, der Serpentinen im Wienerwald hinabschießt und von einer ganz und gar nicht verirrten Kugel zur Strecke gebracht wird. Der Schütze, der seine Identität kaum versteckt, kümmert sich darum, das teure Bike mitzunehmen. Den Dahingestreckten kann man da schon liegen lassen. „Anything goes“ – so die Devise des treuen Familienvaters. Er ist mit Politik und Mächtigen vernetzt – was soll einem wie ihm schon passieren? Viktoria, die traute Gattin (Ursina Lardi), geht als Juristin auch bei den Einflussreichen aus und ein – und hilft gleichzeitig Geflüchteten, indem sie diese als Anwältin vertritt. Ihr braucht man moralisch nicht zu kommen. Sie zeigt auch mit ihren zwei Adoptivkindern aus dem globalen Süden, wo sie und Amon stehen. Das hindert Letzteren aber keineswegs daran, seinem blutigen Jagdgewehrhobby zu frönen. Und Paula, die ältere Tochter (Olivia Goschler), identifiziert sich mit dem Herrn Papa. Eine Familie hält da schon zusammen. (Otto Friedrich) „ Ezra spricht in obskuren Popkulturzitaten, hat Angst, dass Metallbesteck seinen Mund verletzen könnte – und weigert sich, anderen Menschen in die Augen zu schauen. “ (Groß-)Vater und Sohn Ein Film, drei Generationen: Robert De Niro, Bobby Cannavale und William Fitzgerald (v. li.) kämpfen in „Ezra“ mit jeder Menge Konflikten und gut gemeinten Ratschlägen. das Bedeutung hat. Ich hätte das bei deiner Mutter auch machen sollen.“ Kurz vor dem Ziel – schon in Kimmels Studio – wird Max vom FBI verhaftet. „Ich habe angerufen, das war ein Fehler, meinem Sohn geht es gut“, versucht die anwesende Mutter die Agenten zu beschwichtigen – schließlich sieht sie, dass ihr Sohn an der Seite seines Vaters Selbstsicherheit erlangt hat. „Wir müssen ihn mitnehmen. Wir haben keine andere Wahl.“ In der Familientherapie ist die „Delegation“ ein Konzept, in dem Kinder oft die nicht gelösten Konflikte der Eltern übernehmen (siehe auch „psychosoziales Arrangement“ oder „institutionelle Abwehr“). Alles steuert somit einem herzzerreißenden Ende zu – das dann doch überraschend ist. Wenngleich stellenweise etwas formelhaft, ist die zentrale Botschaft von „Ezra“ berührend: „Auf dem magischen Weg hat die Herzensentscheidung immer recht!“ Ezra: Eine Familiengeschichte (Ezra) USA 2024. Regie: Tony Goldwyn Mit William Fitzgerald, Bobby Cannavale, Rose Byrne, Robert De Niro. Constantin. 100 Min. Die Maynards: eine Familie, die wirklich zusammenhält – und dank ihrer Vernetzung wenig zu befürchten hat. Veni Vidi Vici A 2024. Regie: Daniel Hoesl, Julia Niemann. Mit Laurence Rupp, Ursina Lardi, Olivia Goschler. Stadtkino. 86 Min. Charmante Nostalgie ohne Überraschungen Nach über 30 Jahren kehrt Tim Burtons chaotischer Bio-Exorzist in „Beetle juice Beetlejuice“ zurück – und schafft es, den Charme des Originals von 1988 wieder aufleben zu lassen. Michael Keaton schlüpft erneut in seine ikonische Rolle und verkörpert den unberechenbaren Beetlejuice mit derselben anarchischen Energie, die ihn damals unsterblich machte. Die Fortsetzung, gerade in Venedig uraufgeführt, knüpft an die verrückte Welt zwischen Leben und Tod an, in der grotesker Humor und düstere Ästhetik aufeinandertreffen. Diesmal steht Beetlejuice einer neuen Herausforderung gegenüber, die erneut die Grenze zwischen den Welten verwischt. Unterstützt wird er von altbekannten Figuren (Sigourney Weaver) und frischen Gesichtern (Jenna Ortega), die neuen Schwung bringen. Burton kann seine markant-makabere Bildsprache und den typischen schwarzen Humor weiterführen. Doch trotz aller Nostalgie fehlen dem Film die Überraschungsmomente, die das Original so einzigartig machten. (Matthias Greuling) Beetlejuice, Beetlejuice USA 2024. Regie: Tim Burton. Mit Michael Keaton, Sigourney Weaver. Warner Bros. 104 Min. Verkorkste Vater- Tochter-Reise Nachdem Julia von Heinz im kraftvollen „Und morgen die ganze Welt“ (2020) nach den Grenzen im Kampf gegen den Rechtsextremismus fragte, schickt sie in „Treasure“ einen amerikanischen Holocaust-Überlebenden und dessen Tochter auf Spurensuche durchs postsozialistische Polen der frühen 90er Jahre. Konflikte sind vorprogrammiert, denn während die Tochter möglichst viel über die Familiengeschichte erfahren will, verdrängt der Vater die Erinnerungen an die NS-Zeit. Stephen Fry und Lena Dunham harmonieren zwar bestens als Vater und Tochter, doch der warmherzige Erzählton passt nicht zu den tiefsitzenden Traumata. Diese Unentschiedenheit kennzeichnet auch den Blick auf die Armut im postsozialistischen Polen: Die Angst der bettelarmen neuen Hausbewohner vor Vertreibung durch die Heimkehrer müsste Erschütterung auslösen, hat aber eher komödiantische Züge. Wie die Vater-Tochter- Beziehung ist auch der Film eine eher verkorkste Angelegenheit. (Walter Gasperi) Treasure D/F/PL 2022. Regie: Julia von Heinz. Mit Lena Dunham, Stephen Fry. Polyfilm. 112 Min.

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