DIE FURCHE · 2 10 Diskurs 12. Jänner 2023 NACHRUF ALSO SPRACH „ Diese Leute, diese Vandalen, die wir als fanatische Faschisten bezeichnen könnten, haben etwas getan, was es in der Geschichte des Landes noch nie gegeben hat. “ Brasiliens Präsident Lula da Silva in seiner Ansprache, nachdem Hunderte, viele davon Anhänger des Ex-Präsidenten Bolsonaro, den Nationalkongress, den Präsidentschaftspalast und Brasiliens Obersten Gerichtshof in Brasília gestürmt hatten. AUS DEM FURCHE-NAVIGATOR Von Herbert Kohlmaier Nr. 2/12. Jänner 1995 Parlament ist unersetzbar „The Voice“ ist verstummt wo immer du bist, ich begrüße dich als neuen Hörfunkintendanten. Du bist schon durch. Ich habe mit Kreisky gesprochen, der einige Reserven dir „Ernstl, gegenüber hatte, aber du bist es!“ So zitiert Alfred Treiber in seiner immer noch kurzweilig zu lesenden Radiogeschichte „Ö1 gehört gehört“ aus dem Jahr 2007 die kolportierte Benachrichtigung von Ernst Grissemann anno 1979, der gerade auf einer Skihütte in Tirol urlaubte. Von wegen unpolitischer ORF – der Kanzler persönlich war involviert. Aber dann doch unabhängig, denn als Parteisoldat, ja nicht einmal Parteigänger konnte und wollte man sich Ernst Grissemann nicht vorstellen. Von 1979 bis 1990 war der gebürtige Tiroler Radio-Chef im ORF – länger als jeder zuvor und danach, und seine derzeitige Nachnach...folgerin hätte gewiss bei Ernst Grissemann in die Schule gehen sollen. Dabei war Grissemann schon 1967 von Gerd Bacher zum zu reformierenden ORF nach Wien geholt worden – ergründete mit einem jungen wilden Team den Sender Ö3, der damals dem heutigen Ö1 (und natürlich FM4) weit näher war als dem gegenwärtigen Formatradio namens OE3. Ab 1954 war Grissemann eine bekannte Radiostimme – zunächst bei der französischen Sendergruppe West, ab 1955 beim Tiroler ORF, bis er in der Bundeshauptstadt zum Radiopionier wurde. 1990 kehrte Grissemann vier Jahre als ORF-Landesintendant nach Tirol zurück, bevor er ab 1994 wieder von Wien aus mit seiner Radiostimme präsent war. „The Voice“– der anerkennende Titel, unter dem er landauf, landab firmierte, gebührte ihm wie keinem anderen Radiomann im Land. Sohn Christoph, Comedian und Late-Night-Talker, erklärte den Titel so: „… er verleiht mit seiner Stimme dem Ereignis eine Würde, wo es normalerweise keine Würde gibt.“ Ernst Grissemanns audiophone Tätigkeiten überschritten in der Tat viele Grenzen – er kommentierte zwischen 1970 und 1990 den „Eurovisions Song Contest“, 1983 bis 2007 begleitete er die TV-Ausstrahlung des Neujahrskonzertes, nach 1988 moderierte er viele Jahre den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt und noch viel mehr. Am 6. Jänner ist Ernst Grissemann in Wien verstorben. Er wurde 88 Jahre alt. (Otto Friedrich) Foto: APA / ORF / Günther Pichlkostner Ernst Grissemann (1934–2023), geboren in Imst, 1967–79 Ö3-Chef, 1979–90 ORF-Hörfunkintendant, 1990–94 Intendant von ORF Tirol – Stimme Österreichs. Zum Jahresbeginn 1995 beherrscht Jörg Haiders Konzept einer „Dritten Republik“ die Debatte. Der ehem. ÖVP-Nationalratsabgeordnete und damalige Volksanwalt, Herbert Kohlmaier, warnt – bei allen notwendigen Korrekturen – vor einer Aushöhlung der repräsentativen Demokratie. Wie die Geschichte lehrt, finden Systemveränderungen meist nicht in Form einer gleichmäßigen Entwicklung statt. Es zeigt sich uns vielmehr immer wieder das Bild einer typischen, Brüche aufweisenden Aufeinanderfolge von bestimmten Phasen des Geschehens. Zunächst wächst ein Unbehagen am Bestehenden, dem nur unzulänglich Rechnung getragen wird. Ablehnung staut sich auf. Dann kommt es sozusagen zu einem Brechen der Dämme und überschießenden Veränderungen. [...] Unser Staatswesen ist derzeit eindeutig einer solchen Veränderungssituation ausgesetzt, in der Fehlentwicklungen drohen. Die sogenannte Politikverdrossenheit hat sich mit zunehmender Intensität in eine massive Ablehnung der politischen Parteien und anderer Institutionen, die wichtige Aufgaben wahrzunehmen haben, gewandelt. Es treten starke Kräfte auf, welche diese Stimmung bewußt schüren und das Beschreiten ganz neuer Wege fordern. [...] Immer wieder wird als schlampige Chiffre für verlangte Reformen der Begriff einer „dritten Republik“ verwendet. [...] Im Vordergrund stehen dabei allerdings plebiszitäre Elemente. Sie haben gemeinsam, daß Parteien und Interessenverbände hinkünftig sozusagen übersprungen werden sollen. [...] Führen wir uns die Gefahr vor Augen, daß angesichts der Krise des Verbändestaates Demagogen die Oberhand gewinnen. Damit wird erkennbar, daß nun die Stunde der Bewährung des Parlamentarismus gekommen ist. [...] Man wird alles daran setzen müssen, von Regierung, Wählern und Medien wieder ernster genommen zu werden. Lesen Sie hier den ganzen Text: In Sorge um die Kirche NUSSBAUMERS WELT Heinz Nußbaumer Herausgeber Natürlich, da wären auch andere wichtige Themen, allen voran die akuten „Wasserschäden“ in vielen Demokratien – in Washington, Jerusalem, Brasília, Wien und anderswo. Und doch: Auch nach Ende des „Doppel-Papsttums“ fällt mein besorgter Blick zunächst auf das Zentrum der katholischen Christenheit. Denn weit früher als erwartet scheint Joseph Ratzingers „Schattenfraktion“ entschlossen zu sein, der starken Symbolkraft vom dreifach versiegelten Sarg Benedikts rasch ihre ungebrochene Dynamik entgegenzusetzen. Und das zu einer Zeit, die nicht brisanter sein könnte. Steht doch die (noch immer) weltgrößte Religionsgemeinschaft vor Entscheidungen von historischer Sprengkraft. Dabei ist klar: Wenn die römische Kirche nicht ihren totalen Niedergang riskieren will, muss jetzt gehandelt werden. Nur: Wie – und wohin? Das Zeitfenster für Reformen – bis zu den Weltbischofssynoden 2023/24 – ist klein geworden. Kurz zur Ausgangslage: • Ja, es gibt wieder den einen Papst, gut so. Doch er ist geschwächt und hat – auch aus Rücksichtnahme – viel an Magie eingebüßt. Mit dem Reformgeist der Konzilsgeneration kann er – 60 Jahre nach dem Zweiten Vatikanum – nicht mehr rechnen. Und der Appell von Kardinal König und Co, mehr überzeugende lebensnahe Laien in den Vordergrund zu stellen, ist überhört worden. Mauern und Spaltung • Wo sich zwei Päpste zuletzt um ein gepflegtes Nebeneinander mühten, macht der aktuelle Synodale Prozess („Miteinander-Gehen und Aufeinander-Hören“) die intern bestehenden Differenzen und Brüche überdeutlich. Und er zeigt auch, wie hoch die Mauern sind, die innerkirchlich niederzureißen wären: Mauern im Leben von Priestern und gläubigem Volk; Mauern der Ungleichheit von Frauen und Männern; „ Ich fürchte, der Blick der Menschen auf die Kirche fällt zu nehmend von außen auf etwas fremd Gewordenes. Wie fatal, sollten am Ende ‚nur noch die Steine vom Christentum reden‘. “ Mauern im Bereich von Partnerschaft und Sexualität usw. Wer aber hat die Kraft zur Meinungsführerschaft: Der karge junge Klerus? Die frustrierten Laien? Die gespaltene Hierarchie? • Angesichts der Menschenmenge um den toten Altpapst habe ich mich jüngst gefragt, wie sehr „Religion“ mit ihren Riten und Ritualen heute primär als „Event“ empfunden wird und medial durchaus noch „Quote“ macht – und wie viel an geistig-geistlichem Interesse und Wissen noch vermutet werden darf. Ich fürchte, der Blick der Menschen fällt zunehmend von außen auf etwas fremd Gewordenes. Warum ich diese Entwicklung persönlich als zutiefst tragisch empfinde? Weil das Christentum nach dem Scheitern aller großen Ideologien für mich die einzige globale Bewegung ist, die in ihr Fundament alle großen Zukunfts- und Sehnsuchtswerte der Menschheit eingeschrieben hat: Frieden, Solidarität und Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, soziale Verantwortung und Bewahrung der Schöpfung … Und: Weil uns „Religion“ heute vor der wachsenden Verlockung bewahrt, uns „in fröhlicher Gottlosigkeit“ (Adolf Holl) immer mehr selbst zu „vergöttlichen“. Wie fatal, sollte uns dieser gewaltige Schatz verlorengehen, sodass am Ende „nur noch die Steine vom Christentum reden“ würden! Medieninhaber (Verleger): Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Herausgeber: Prof. Heinz Nußbaumer, Dr. Wilfried Stadler Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Jana Reininger BA MA, Victoria Schwendenwein BA, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Anzeigen: Georg Klausinger (01) 512 52 61-30; georg.klausinger@furche.at Aboservice: (01) 512 52 61-52 aboservice@furche.at Alle: 1030 Wien, Hainburger Straße 33 (01) 512 52 61-0; vorname.nachname@furche.at Druck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 Graz Jahresabo: € 181,– Uniabo (Print und Digital): € 108,– Das Abonnement kann frühestens zum Ende der Mindestbezugs dauer – unter Einhaltung einer sechswöchigen Kündigungsfrist – jederzeit schriftlich abbestellt werden. Wenn keine entsprechende Kündigung erfolgt, dauert das Abonnement ein weiteres Jahr bzw. im Falle eines Halbjahresabos weitere sechs Monate. Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz: www.furche.at/offenlegung Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Art Copyright ©Bildrecht, Wien. www.furche.at
DIE FURCHE · 2 12. Jänner 2023 Diskurs 11 Eine neue Erzählung von Schule, wie sie Minister Polaschek in der FURCHE forderte, ist wichtig. Doch zur Attraktivierung des Lehrberufs muss an vielen Schrauben gedreht werden. Ein Gastkommentar. Bildungspolitik braucht mehr als Marketing Österreich steuert auf einen verschärften Lehrerinnenmangel zu. Knapp die Hälfte aller Lehrer ist über 50 Jahre alt. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Schülerinnen bis 2030 um fünf Prozent. Um dem Mangel beizukommen, rief Bildungsminister Martin Polaschek die Kampagne „Klasse Job“ ins Leben, die Erleichterungen für Lehramtsquereinsteiger umfasst. Gleichzeitig suggeriert er im letztwöchigen FURCHE-Interview, dass sich viele Probleme mit einer „Imagepolitur“ des Lehrer(innen)standes lösen ließen. So wichtig Wertschätzung gegenüber Pädagogen ist: Das Bildungssystem hat gewiss nicht nur ein Marketingproblem. Die Kampagne „Klasse Job“ ist dafür ein gutes Beispiel. Die vielzitierte Hattie-Studie hat gezeigt, was Praktiker längst wussten: Auf die Personen, die unterrichten, kommt es an. PISA-High-Performer wie Finnland und Singapur eint ein hoher Anspruch an angehende Lehrerinnen, der sich auch in strengen, an sozialen Kompetenzen orientierten Aufnahmeverfahren äußert. Das korreliert mit einem deutlich höheren beruflichen Ansehen des Lehramts in der Bevölkerung. Während in Singapur 72 Prozent und in Finnland 58 Prozent der Lehrer ihren Beruf für hoch angesehen halten, empfinden das nur 16 Prozent der österreichischen Lehrerinnen so. „Quereinstieg“ kann nicht alles lösen Eine nun öffentlichkeitswirksame Erleichterung von Quereinstiegen suggeriert, dass pädagogische und didaktische Berufe „von jedem“ ausgeführt werden können. Kaum jemand käme aber auf die Idee, den Ärztinnenmangel auf vergleichbare Art zu bekämpfen. Zu groß – und berechtigt – wäre die Angst vor Qualitätseinbußen. Das soll den Wert guter Quereinsteigerinnen im Lehrerberuf nicht in Abrede stellen, sondern nur verdeutlichen, dass die Politik in puncto Lehramt mixed signals aussendet. Die nun umworbenen Quereinsteiger können in der Schule freilich sehr wertvoll sein. Ihre berufliche Erfahrung ist eine sinnvolle Ergänzung zur klassischen Lehrerkarriere, ihre Motivation ist Studien zufolge sehr hoch, und lineare Erwerbsbiografien werden heutzutage immer seltener. Der neue Quereinstiegsmaster NACHRUF Der Antisemitismus-„Aufblattler“ Er war schon ein alter Herr, aber voll ewig junger Kampfeslust, als er am 1. Februar 2000 einen damals auch nicht mehr Jungen, aber Ewiggestrigen, wie man in Wien sagt, „aufblattelte“: Drei Tage vor der Angelobung der ersten schwarz-blauen Koalition fragte Karl Pfeifer bei einer Pressekonferenz Jörg Haider mit der ihm eigenen Stimmlage in der Art einer Sirene, ob und wie dieser denn die Nabelschnur, die ihn mit Antisemiten und Holocaustverharmlosern verbinde, kappen könne. Der Moment Stille, der Pfeifers Frage folgte, war beredter als Haiders Wortschwall, mit dem er die Präambel zur damaligen Regierungserklärung vorwegnahm, und sein Versprechen, für ein Österreich zu arbeiten, „in dem Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus keinen Platz finden“. Heute lässt sich sagen, dass es Karl Pfeifer war, der zeit seines Lebens, mit seiner ganzen Existenz für ein solches Österreich gearbeitet hat. Im August 1928 als Sohn ungarischer Eltern in Baden bei Wien geboren, erlebte er als Neunjähriger furchtbare Angst vor der nationalsozialistischen Massenhysterie im Gefolge des „Anschluss“, der für ihn und seine Familie den Ausschluss bedeutete. Pfeifers fliehen nach Budapest. Dort versuchen sich mit dem „noch gemütlichen Antisemitismus“ zu arrangieren: „Die Zeichen waren an der Wand, aber man wollte oder konnte sie nicht sehen“, beschrieb Pfeifer das schwere Loslassen der Heimat in seinem Buch „Einmal Palästina und zurück“. Foto: NEOSLab DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Clemens Ableidinger „ Damit Lehrer ein ,klasse Job‘ wird, sind bessere Arbeitsbedingungen und diversere Karrierepfade nötig. “ ermöglicht daher neue berufliche Perspektiven jenseits des erlernten Quellberufs. Die grundsätzliche Frage aber bleibt: Wie wird der Lehrerinnenberuf tatsächlich professionalisiert? Gemeint ist damit stets nicht nur die Praxis der Lehre und Entwicklung von Routinen, sondern auch eine wissenschaftliche Fundierung. Die österreichische Politik steht damit vor einem Dilemma. Einerseits muss sie rasch Pädagoginnen hervorbringen, um den akuten Mangel zu entschärfen, andererseits sollte sie auch die Ausbildungsqualität erhöhen. Konsequente Selektionsverfahren sind jedoch keine realistische Option, denn was eine zusätzliche Hürde in Zeiten des Mangels bedeuten würde, ist offensichtlich. Was könnten also Maßnahmen sein, die den Lehrerinnenberuf sowohl qualitativ aufwerten als auch attraktiver machen? Die oft schlechten Arbeitsbedingungen und die mangelnde – digitale und analoge – Infrastruktur werden in der öffentlichen Debatte zu Recht häufig erwähnt. Die Coronakrise hat beides schonungslos offengelegt. Damit ist nicht nur der bürokratische Aufwand des Lehrerinnenberufs gemeint, sondern auch fehlende Arbeitsplätze, fehlendes psychologisches Personal und fehlende Supervisionsmöglichkeiten. All das wirkt sich auf das Wohlergehen Foto: APA / Hans Punz Karl Pfeifer (1928–2023): Österreicher, Jude, Flüchtling, Kibbuz-Arbeiter, Soldat, Heimkehrer, Journalist. und damit die Unterrichtskapazitäten der Lehrerinnen aus und ist darüber hinaus nicht geeignet, um Einsteiger lange im Beruf zu halten. Darüber hinaus werden lineare Karrierepfade seltener und Berufswechsel häufiger. Der Lehrerberuf ist darauf nur bedingt vorbereitet und wird so zu einer Karriere ohne Karriere. Eine Maßnahme könnte also auch die Diversifizierung von Berufsperspektiven sein. In Singapur eröffnet eine Lehrerausbildung – je nach Schwerpunktsetzung – zusätzlich zur pädagogischen Arbeit Karrierepfade in den Bereichen Fachdidaktik, Schulmanagement und Lehrerbildung, wodurch professionsinterne Auf- und Umstiegsmöglichkeiten gegeben sind. Über pädagogische Haltungen nachdenken In den vergangenen Wochen wurde die Struktur des Lehramtsstudien wieder einmal Thema. Ob eine Verkürzung allein – möglicherweise bei gleichbleibenden ECTS – jedoch den gewünschten Attraktivierungseffekt haben wird, muss offen bleiben. Zu führen wären viel eher Grundsatzdebatten: Sind schulische Einzelfächer und die Doppelfächerstruktur an den Hochschulen noch zeitgemäß? Wo ist im Rahmen des Studiums der Raum, um über pädagogische Haltungen – humanistisch, psychoanalytisch, etc. – nachzudenken? Es braucht daher viele auch strukturelle Maßnahmen, um den Lehrerinnenberuf zu einem „klasse Job“ zu machen. Dazu zählen verbesserte Arbeitsbedingungen, diversifizierte Karrierepfade und eine stärkere Personenorientierung in der Ausbildung. Die Erleichterung von Quereinstiegen ist nur ein Element und keines, das den Lehrermangel im großen Stil beheben kann, zumal man sich die Frage stellen muss, wie nachhaltig Reformen sind, die vor allem der Mängelverwaltung dienen. Was fehlt, ist eine strategische Planung, die auch das Verhältnis von Quereinsteigern und ausgebildeten Lehrerinnen berücksichtigt. Eine Inseratenkampagne ändert nichts daran, dass wir auf einen verschärften Lehrerinnenmangel zusteuern. Der Autor ist Projektleiter Bildung im Neos Lab (Parteiakademie und Thinktank von Neos). Er hat gerade an einer Studie zum Lehrkräftemangel mitgearbeitet. Pfeifers Text „Bruno Kreisky und das Judentum“ vom 6.12.2022 ist auf furche.at nachzulesen: 1943 gelang ihm die Flucht nach Israel. 36 andere Familienangehörige überlebten die Schoa nicht. Er arbeitete in einem Kibbuz, kämpfte in einer Elitetruppe der Armee. 1951 kehrte er nach Österreich zurück, willkommen war er nicht. Mehrere Brotberufe folgten, bis er seine Berufung als Journalist und „Aufblattler“ des Antisemitismus fand. Regelmäßig schrieb Pfeifer auch in der FURCHE; zuletzt am 6. Dezember 2022 über „Bruno Kreisky und das Judentum“ (siehe oben). Quer durch seine Artikel zieht sich die Überzeugung: „Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sind nicht nur Probleme der Politik oder der Justiz, sondern auch der Moral. Wer dazu schweigt, der stimmt zu.“ Karl Pfeifer hat dazu nie geschwiegen. (W. Machreich) ZUGESPITZT QUINT- ESSENZ Von Brigitte Quint Hörl für Außerirdische Der alte, weiße Mann. Auf ihn darf man hinhauen – und wird dafür gefeiert. Seine Denke ist von vorgestern. Gesegnet ist er mit einem außerordentlichen Selbstbewusstsein, einer offenkundigen Präsenz. Nonverbal teilt er einem mit: „Schaut sie euch an, meine unermessliche Großartigkeit. Ich bin da – und das mehr als zu Recht.“ Eine Gestalt, die groß, breit und Raum einnehmend ist. Meistens zumindest. Müsste ich einem Außerirdischen erklären, was man im Woke-Mainstream mit „weißer, alter Mann“ meint, würde ich ihm Franz Hörl vorstellen. Sie wissen schon, den Tiroler Seilbahnsprecher, Edelhotelier, Politiker und Schafbauer. Sein So-Sein ist mir erstmals so richtig in der Pandemie aufgefallen. Mit breiter Brust erklärte er im Fernsehen, warum die Seilbahncommunity das wahre Corona-Opfer sei. Dass er trotz eines Millionengewinnes für sein Hotel Hilfsgelder kassierte, rechtfertigte er in gleicher Manier. Und nun schießt er sich auf die Klimadebatte ein: Den Wintertourismus im Allgemeinen und Tirols Seilbahnen im Besonderen sieht er schon wieder als hauptbetroffen. Würde man aufhören, für Städte reisen zu werben, könnte man in Tirol wieder in aller Seelenruhe Seilbahn fahren – so Hörl. Rege ich mich über Hörl auf, zuckt mein Umfeld nurmehr mit den Schultern und murmeln etwas von „alter, weißer Mann“. Echt jetzt? Früher musste man Argumente und Begründungen suchen, wenn man glaubte, eine gewisse Person müsse für ein Problem (und ja, Hörl verkörpert eines) geradestehen. Das Vorgestrige, Anmaßende, Dünkelhafte, Sich-Aufmandelnde vom Seilbahnen-Hörl gehört doch in Worte gefasst. Es ist mir zu billig, Hörls So-Sein nur auf dessen Alter, Geschlecht und Hautfarbe zurückzuführen. Schneekleberei Jetzt ist schon wieder was passiert. Die Seilbahn will eine Sondersteuer auf die Bewerbung „besonders umweltschädlicher Urlaubsformen“. Etwa auf alle Flugreisen, also auch auf jene in die Städte, von denen aus die Skifahrer in Scharen zu Seilbahn und Kunstschnee gefahren werden. Oder überhaupt ein Werbeverbot dafür. Man könne doch auch diese „besonders CO₂-relevanten Urlaubsformen“ entsprechend kennzeichnen – „wie bei der Tabakwerbung“ – und deutlich darauf hinweisen, wie umweltschädlich sie seien. Die Reaktion der amtierenden Staatssekretärin für Jugendangelegenheiten ließ nicht lange auf sich warten: „völlig daneben und respektlos“. Und: „Dass wir weniger mit Verboten arbeiten müssen, sondern an den ganz großen Schrauben drehen müssen. Es braucht eine Energiewende (...), da nehmen wir sechs Milliarden in die Hand, allein für die Klima- und Transformationsoffensive ...“ Die letzte Generation atmete auf. Endlich würde zumindest diese Politikerin die Gegebenheiten zur Kenntnis nehmen und helfen, den Tourismus der Zukunft umzudenken. Zu früh gefreut. Ihre Aussagen richteten sich nicht gegen „Schneekleberei“, sondern gegen „Klimakleberei“. Brigitte Schwens-Harrant
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE