2 · 12. Jänner 2023 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 79. Jg. · € 4,– Gefährliches Misstrauen Gerade für eine Gesellschaft im Krisenmodus ist Wissenschaftsskepsis fatal. Über eine zukunftsweisende Debatte. · Seite 18 Ungarn: Vegetarismus für Löwen Wohin geht die katholische Kirche weiter? Die verkörperte Vergangenheit Viktor Orbáns Regierungsstil ist geprägt von Nepotismus und Korruption. Über Brüssels Chancen, dem Einhalt zu gebieten. Seite 5 Dogmatiker Jan-Heiner Tück über den Streit um Benedikts XVI. Erbe und Szenarien für das weitere Pontifikat von Franziskus. · Seite 7 Annie Ernaux erhielt im Dezember 2022 den Nobelpreis für Literatur. Nun erscheint „Der junge Mann“ auf Deutsch. · Seite 14 Das Thema der Woche Seiten 2–4 Foto: iSotck/kyoshino (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Was die Welt satt macht 2023 ist das „Internationale Jahr der Hirse“. Können dieses „Supergetreide“ und Alternativen wie Algen den Hunger in Zeiten von Klimawandel und Krieg beenden? Foto: Imago/Allstar „Warum ist das Böse nicht überall?“ Sie war eine Schönheit, sie war ein Star. Vor allem aber war die Schriftstellerin und Regisseurin Susan Sontag eine kluge, eigensinnige Essayistin. Sie wurde vor 90 Jahren in New York geboren. Seite 13 Das Parlament erstrahlt in neuem Glanz – und setzt als „Sprachraum der Demokratie“ auf mehr Bürgerbeteiligung. Soll das mehr als Fassade sein, könnte man mit einer Klimadebatte beginnen. Öffnet das Hohe Haus! Von Doris Helmberger Es war das Lebenswerk des Theophil Hansen: Er konzipierte das Parlament als griechischen Tempel, stellte ihm die Göttin der Weisheit, Pallas Athene, voran, ergänzte vier „Rossebändiger“, die den politischen Furor der darin Tätigen zähmen sollten – und hob das Gebäude auch noch auf einen Sockel. Dass das Hohe Haus tatsächlich höher steht als alle anderen Bauwerke an der Wiener Ringstraße, war also keineswegs Zufall: Es sollte die nötige Distanz für Entscheidungen fernab emotionaler Aufwallung signalisieren – sowie Ehrerbietung für dieses Herzstück der Demokratie. Durchaus exklusiv war auch jener Festakt, mit dem das Parlament nach fünfjähriger Generalsanierung diesen Donnerstag eröffnet wurde. Dass im Vorfeld auch der Eindruck einer gewissen Abgehobenheit entstand, geht dabei auf das Konto des schillernden Hausherrn, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP): Dieser hatte nicht nur eigenmächtig jenen legendären vergoldeten Flügel für den Empfangssalon angemietet, rund um den sich eine aufgeregte Debatte entzündete – sondern auch eigenmächtig den Festredner, Wolfgang Schäuble, bestellt. „ Was hindert Abgeordnete, zu einer sachgeleiteten, nachhaltigen Klimadiskussion ins Parlament zu laden? “ Der eigentliche „Spirit“ des rundumerneuerten Parlaments soll freilich in eine ganz andere Richtung weisen – und sich spätestens am kommenden Wochenende entfalten: bei den Tagen der offenen Tür unter dem Motto „Parlament verbindet“. Auch das neue Besucherzentrum „Demokratikum“ sowie eine neue, zugänglichere Website verstehen sich als Zeichen für mehr Öffnung und Bürger(innen)beteiligung. Das Hohe Haus als „Sprachraum der Demokratie“: So lautet das neue Selbstverständnis, das sich in der gleichnamigen Ausstellung in der Parlamentsbibliothek verdichtet. Ins Rutschen gekommenes Vertrauen Signale wie diese sind hoch an der Zeit – gerade angesichts schwindenden Vertrauens in die demokratischen Institutionen. Wie sehr dieses Vertrauen ins Rutschen gekommen ist, zeigt sich nicht nur in Umfragen wie dem jüngsten „Demokratie-Monitor“ in Österreich, sondern auch in weltweit sich häufenden Attacken. Dass sich der mittlerweile zwei Jahre zurückliegende Angriff auf das US-Kapitol jüngst als Farce in der brasilianischen Hauptstadt wiederholte, gleichzeitig im Mutterland der Demokratie das Repräsentantenhaus beina- he lahmgelegt wurde und sich Phänomene wie „Reichsbürger“ oder „Staatsverweigerer“ hier wie dort häufen, muss aufrütteln. Einen Sturm auf das Parlament hat Österreich zum Glück noch nicht erlebt. Dennoch ist Wachsamkeit geboten – und Ehrlichkeit. Ist die Einladung „Beteiligen Sie sich!“ ernst gemeint und soll das nunmehr weiter geöffnete Hohe Haus mehr sein als bloße Fassade oder eine Touristenattraktion, dann sind konkrete Maßnahmen nötig. Ideen gäbe es viele: von einem neuen Umgang mit Bürgerinitiativen oder Bürger(innen)räten bis zur konkreten Einladung in den demokratischen „Sprachraum“ Parlament. Einen ersten Anlass könnte die aktuelle Debatte um den Umgang mit jungen Klimaaktivist(inn)en – vulgo „Klimaklebern“ – bieten. Derzeit ist von politischer Seite nicht viel mehr zu vernehmen als Scharfmacherei (wie bei der wahlkämpfenden niederösterreichischen Landeshauptfrau) oder Hilflosigkeit (wie bei den Grünen, die in puncto Klimaschutzgesetz gescheitert sind). Was aber hindert die Abgeordneten daran, die jungen Aktivisten sowie Expertinnen und Experten zu einer sachgeleiteten, nachhaltigen Debatte ins Hohe Haus einzuladen? Schritte wie diese könnten (neben einem „neuen Umgangston“, wie ihn auch Wolfgang Sobotka selbstkritisch fordert) das Fundament des Parlaments wesentlich stärken; und womöglich nachhaltiger wirken, als es jede Generalsanierung und jeder Rossebändiger vermag. doris.helmberger@furche.at @DorisHelmberger INTRO Vergangenen November hat die Welt bevölkerung die Grenze von acht Milliarden überschritten. All diese Menschen zu ernähren, wäre möglich. Warum es dennoch den Skandal des Hungers gibt und was im „UN-Jahr der Hirse“ dagegen unternommen werden muss, beschreibt Wolfgang Machreich im Fokus „Was die Welt satt macht“. Handlungsbedarf gibt es auch in Ungarn, wo Korruption und Nepotismus blühen; oder in der katholischen Kirche: Wie es hier nach dem Tod von Benedikt XVI. weitergehen könnte, analysieren Jan-Heiner Tück und FURCHE- Herausgeber Heinz Nußbaumer. Wolfgang Treitler reflektiert zum Tag des Judentums am 17. Jänner das jüdisch-christliche Verhältnis, Victoria Schmidt hat mit dem Philosophen Josef Estermann über Buen vivir („gutes Leben“) gesprochen – und Clemens Ableidinger von den Neos kontert Bildungsminister Polaschek. Mit einer Würdigung Susan Sontags, die am 16. Jänner 90 Jahre alt würde, beginnt Brigitte Schwens-Harrant das Feuilleton – und macht sich über die Essayistin zudem kommende Woche auf Ö1 „Gedanken für den Tag“. Ingeborg Waldinger hat schließlich das neue Buch von Annie Ernaux („Der junge Mann“) gelesen – und Adrian Lobe taucht in die Welt von Wikipedia ein. Diese bietet Infos ohne Ende; alle satt zu machen, daran scheitert aber auch sie.(dh) furche.at Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0
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