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DIE FURCHE 11.07.2024

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DIE FURCHE · 28 4 Das Thema der Woche Sind Großeltern die besseren Eltern? 11. Juli 2024 Locker lassen Kinder brauchen Bewegung, Freiheit und Abenteuer – und Eltern, die mit Problemen gelassen umgehen. Das Gespräch führte Magdalena Schwarz Vier Jahrzehnte lang war An drea Richter in der Schulpsychologie tätig, zuletzt in leitender Funktion in der Bildungsdirektion Niederösterreich. Mit der FURCHE sprach sie über Veränderungen in Familien und Schulen und teilte außerdem ihre Expertise zur Krisenbewältigung in Schulen. DIE FURCHE: Sie haben viel Erfahrung in der Arbeit mit Kindern, Lehrkräften und Eltern. Welchen Irrglauben haben Eltern? Andrea Richter: Manche Eltern glauben, dass ihre Kinder ihnen alles erzählen. Das stimmt nicht und hat noch nie gestimmt. Auch wir haben unseren Eltern damals nur die Dinge erzählt, bei denen wir sie gebraucht haben oder für die wir gelobt werden wollten. Gerade im digitalen Raum erleben die Kinder sehr viel, was sie ihrer Mutter nicht berichten, „weil sonst verbietet sie mir das Internet“. Eigentlich möchten sie frei erzählen, ohne sofort eine Reaktion zu bekommen, geschimpft zu werden oder die Eltern zu alarmieren. DIE FURCHE: Zum Beispiel? Richter: Manche Kinder erzählen ihren Eltern nicht, dass sie in der Schule von anderen Kindern gequält werden, weil sie befürchten, dass die Eltern sofort in die Schule rennen und alles schlimmer machen. Eltern sollten es schaffen, auf die Bremse zu steigen, auch wenn sie betroffen und wütend sind. Ich muss mich zurücknehmen, meinem Kind zuhören und ihm helfen, selbst eine Lösung zu finden. Manchmal fehlt Eltern heute das nötige Mittelmaß oder das Fingerspitzengefühl. DIE FURCHE: Warum, glauben Sie, ist das so? Richter: Das hat unter anderem mit der Kinderanzahl zu tun. Habe ich ein oder maximal zwei Kinder, dann kann ich mich sehr auf den Einzelnen oder die Einzelne konzentrieren und habe gleichzeitig wenig Erfahrung. Habe ich mehrere Kinder, dann erziehen die älteren Geschwister die jüngeren mit, und ich bin meist gelassener. Ich weiß: Dasselbe hatten wir doch schon vor zehn Jahren, mit dem Buben! DIE FURCHE: Wenn Sie eine Änderung sofort umsetzen könnten, um die Welt für Kinder zu verbessern, welche wäre es? Richter: Wir, als Gesellschaft, sollten kinderfreundlicher werden. Das heißt, mehr Platz für Kinder als für Autos. Kinder brauchen Auslauf, Bewegung, Freiheit. Natürlich ist das in der Stadt fast nicht durchführbar, aber zumindest auf dem Land wäre Platz für große Schulgärten. In jeder freien Minute sollten Kinder raus in die Natur! Alle Initiativen sind gut, die dazu führen, dass der Schulweg entspannter wird, eine Zeit, in der man Abenteuer erleben kann, allein und nicht dauernd kontrolliert von den Eltern. Wir brauchen mehr Platz für Kinder. Und damit kriegen wir auch mehr Platz für Menschen überhaupt. DIE FURCHE: Mehr Freiheit ist also die Antwort? Richter: Nicht nur. Kinder wollen auch Regeln, und zwar Regeln, bei denen sie sich auskennen. Sie wollen nicht gegängelt werden oder das Gefühl haben: Das ist keine Das Interview in voller Länge finden Sie online unter „Krisen passieren selten, aber wenn, dann mit voller Wucht“ auf furche.at. Heute fehle Eltern der Mut zum Mittelmaß, so die erfahrene Schulpsychologin Andrea Richter. Sie vermittelt ihr Wissen an die nächste Generation, aktuell zum Thema Schulkrisen. „Eltern, nehmt euch zurück“ Leine, sondern ein Würgehalsband. Sie wollen nicht für jede Verfehlung massiv sanktioniert werden. Sie brauchen Platz, um zu spielen und Abenteuer zu erleben. Je enger die Struktur wird, desto stärker werden die Kinder dagegenlaufen. Die Buben wehren sich aktiv gegen die Einengung, deshalb zeigen sie auch häufiger Verhaltensauffälligkeiten. Die Mädchen neigen dazu, alles in sich hineinzufressen, was zu einem niedrigen Selbstwertgefühl führt. DIE FURCHE: Sie geben Ihr in Jahrzehnten gesammeltes Wissen gerade weiter. Aktuell beschäftigen Sie sich mit dem Umgang mit Krisen in Schulen. Was ist eine Krise? Richter: Der Begriff wird inflationär gebraucht. Ich definiere ihn so: Eine Krise passiert von jetzt auf gleich, sie ist beängstigend, und ich war nicht auf sie vorbereitet. Im Hinterkopf wissen wir, dass immer etwas passieren kann. Krisen haben eine geringe Auftretenswahrscheinlichkeit, aber wenn sie eintreten, dann mit voller Wucht. DIE FURCHE: Welche Krisen können in Schulen passieren? Richter: Ein Beispiel ist eine Bombendrohung. Das Schulteam alarmiert die Polizei und räumt das Gebäude, so wie bei einem Feueralarm. Aber die Sammelplätze für „ Habe ich ein oder maximal zwei Kinder, dann kann ich mich sehr auf den Einzelnen oder die Einzelne konzentrieren und habe gleichzeitig wenig Erfahrung. “ die Schülerinnen und Schüler sind meist viel zu nah am Gebäude. Außerdem dauert es nach einer Bombendrohung meist Stunden, bis Lehrkräfte und Kinder wieder in die Schule können. DIE FURCHE: Warum sind so wenige Schulteams auf Krisen vorbereitet? Richter: In kleinen Schulen heißt es oft: So einen Vorfall hatten wir noch nie, das wird uns auch nie betreffen. Natürlich fehlen auch oft die zeitlichen Ressourcen für die Krisenvorbereitung. Außerdem sind die Themen – Krankheiten, Gewalt, Unfälle – unangenehm. Damit wollen wir Menschen uns nicht beschäftigen. Dabei geben Krisenpläne Sicherheit. DIE FURCHE: Es heißt ja, Krisen seien Chancen. Wie können Schulteams gestärkt aus Krisen hervorgehen? Richter: Gut läuft es, wenn sich die Schule gemeinsam vorbereitet hat. Das bedeutet, dass Lehrkörper, Schulleitung, Sekretariat, Schulwart oder Schulwartin, Schularzt oder Schulärztin wissen, welche Rollen sie in der Krise haben. DIE FURCHE: Und wenn die Krisenbewältigung nicht gelingt? Foto: iStock / Morsa Images Andrea Richter leitete die Schulpsychologie in der Bildungsdirektion Niederösterreich. Richter: Dann folgen rasch Schuldzuweisungen, oder es bricht Panik aus. Einzelne Lehrkräfte erfinden spontan Maßnahmen für ihre Klassen, ohne die ganze Schulgemeinschaft mitzudenken. Häufig gibt es auch Vorwürfe von Eltern. Im schlimmsten Fall haben Kinder Schaden genommen oder sind nicht rechtzeitig ins Krankenhaus gekommen. Wenn es schiefgeht, dann geht es meistens ordentlich schief. DIE FURCHE: Zur misslungenen Krisenbewältigung tragen häufig auch Medien bei. Richter: Ich möchte keine Bösartigkeit unterstellen, aber Journalisten wissen genau, wie sie Informationen entlocken. Sie fragen: „Ich habe gehört, der Thomas aus der 3a hat ein anderes Kind angegriffen.“ Und die Lehrkraft antwortet: „Das war nicht der Thomas, sondern der Friedrich.“ Und schon ist der Name publik. Das Sekretariat und die Lehrkräfte müssen zum Beispiel wissen, dass sie nicht mit den Medien sprechen dürfen. Für die Schule spricht maximal die Schulleitung, sonst niemand. Außerdem unterliegen sie der Verschwiegenheitspflicht. So werden die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch geschützt. DIE FURCHE: Sie waren ab 1984 als Schulpsychologin tätig. Gibt es heute mehr Herausforderungen für Lehrkräfte als früher? Richter: Nicht nur Schulen haben sich verändert, sondern die Gesellschaft. Wir können nicht erwarten, dass die Schule von vor 40 Jahren im Heute bestehen würde. Vieles war damals gut, vieles aber auch nicht. Dasselbe gilt heute. Die sprachliche Vielfalt vor allem im urbanen Raum ist eine Herausforderung. Kinder haben ein Recht auf ihre Muttersprache, in ihr drücken sie ihre Gefühle aus. Aber natürlich sind Lehrkräfte gefordert, weil sie den Kindern parallel noch Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen, Computer, Finanzerziehung, Klimaschutz und so weiter beibringen sollen. DIE FURCHE: Die Anforderungen sind hoch. Richter: Als Gesellschaft spielen wir jedes neue Thema über die Schule. Auch die richtige Mülltrennung haben wir damals den Schülerinnen und Schülern beigebracht, in der Hoffnung, dass sie ihre Eltern unter Druck setzten, auch Müll zu trennen. Foto: Andrea Richter DIE FURCHE: Welche Rolle spielen hier Medien und vor allem soziale Medien? Richter: Die Berichterstattung und die ständigen Wiederholungen traumatisierender Bilder bringen die Katastrophen der Welt ins Wohnzimmer. So bekommen wir das Gefühl, dass die eigene Welt total unsicher geworden ist. Informationen aus sozialen Medien kann ich auch schwer einschätzen, weil ich den Menschen dahinter nicht kenne. Wenn mir Person X aus meinem Dorf eine Geschichte erzählt, dann nehme ich das mit einer Tonne – nicht nur einem Körnchen – Salz, weil sie eine bekannte Tratschtante ist. Aber die Person hinter dem YouTube- Kanal kenne ich nicht. Nächste Woche im Fokus: Am 25. Juli 1934 um 12.53 Uhr stürmen 150 SS-Männer das Bundeskanzleramt in Wien. Der beim Angriff schwer verletzte Kanzler Engelbert Dollfuß stirbt, wird zum Märtyrer und ideologischen Reibebaum bis heute. Welche Lehren zieht man heute daraus? Ein Fokus auf 90 Jahre Juli-Putsch.

DIE FURCHE · 28 11. Juli 2024 Politik 5 Sie gehören zur Demokratie und können zugleich ihr größtes Problem werden: politische Parteien. Sollten sie wie soziale Bewegungen aussehen – oder auf charismatische Köpfe zugeschnitten sein? Folge 2 der FURCHE-Serie „Sommer der Demokratie“. Was erwarten wir von Parteien? Von Fabio Wolkenstein Selbsttäuschung oder Heu - chelei kann vermeinen, dass De- „Nur mokratie ohne politische Parteien möglich sei. Die Demokratie ist notwendig und unvermeidlich ein Parteienstaat.“ So heißt es in Hans Kelsens großer Demokratieschrift „Vom Wesen und Wert der Demokratie“ (1929). Der Architekt der österreichischen Verfassung sah Parteien als die Möglichkeitsbedingung kollektiven politischen Handelns. Nur wenn wir uns in Parteien organisieren, so Kelsens Überzeugung, können wir im Sinne des demokratischen Prinzips der Volksherrschaft „Richtung gebend in das Verfahren der Gemeinschaftswillensbildung eingreifen“. Eine Leserin aus dem Jahr 2024 wird vermutlich den Kopf schütteln. Gewiss sind Parteien aus Demokratien nicht wegzudenken – aber stehen sie der Volksherrschaft nicht eher im Wege? Parteien scheinen heute in erster Linie professionalisierte Dauerwahlkampfmaschinen zu sein. Leicht entsteht der Eindruck, sie wollten lieber den medialen Spin kontrollieren und den Machterhalt sichern, als tatsächlich zu gestalten. Zudem haben unzählige Koalitionen und taktische Kompromisse ihre Programmatik verwässert. Insbesondere ehemaligen Großparteien fehlt es an einem konturierten ideologischen Profil. Die organisationale Verankerung in der Gesellschaft ist auch bestenfalls nur noch punktuell gegeben. Nicht zuletzt deshalb monieren viele, Parteien seien von den Lebensrealitäten der Mehrheitsgesellschaft abgekoppelt. Professionell, aber inhaltsleer All dies sind keine bloßen Gemeinplätze. Es gibt reichlich empirische Evidenz für die fortschreitende Professionalisierung der Parteipolitik, die Ausdünnung der politischen Programmatik und den schwindenden gesellschaftlichen Rückhalt politischer Parteien. Diese Tendenzen lassen sich in ganz Westeuropa – und weit darüber hinaus – beobachten. Aus diesem Grund zeichnen führende Wissenschafter ein düsteres Bild von der Zukunft der Demokratie. Der Ire Peter Mair, zu Lebzeiten einer der weltweit wichtigsten Parteienforscher, rief sogar das Ende der Parteiendemokratie aus. „Die Parteien existieren zwar weiterhin“, schrieb Mair in einer 2013 veröffentlichen Werkschau, „aber sie haben sich so sehr von der Gesellschaft abgekapselt und betreiben einen so sinnentleerten politischen Wettbewerb, dass sie nicht mehr in der Lage zu sein scheinen, Collage: R M (unter Verwendung von Bildern von iStock/spastonov, /sasar, /JacobH, /Luftklick, / Ralf Geithe, /Alfonso Sangiao und /D-Keine) die Demokratie in ihrer heutigen Form zu stützen.“ Zu dieser dramatischen Einschätzung gelangt man, wenn man wie Mair (und Kelsen) ein bestimmtes Idealbild politischer Parteien als Ausgangspunkt nimmt. Dem zufolge sollen Parteien in erster Linie der politische Arm einer mehr oder weniger homogenen Gesellschaftsschicht – etwa der Arbeiterklasse oder der Landbevölkerung – sein. Weil sie durch Vorfeldorganisationen mit den lokalen Milieus verflochten sind, können sie die jeweiligen Schichten effektiv im politischen Prozess repräsentieren. Aus den materiellen Interessen der Anhängerschaft werden konkrete politische Forderungen abgeleitet und in eine größere politische Vision destilliert, die ihrerseits für ihre Klientel identitätsstiftend wirkt. Sicherlich gab es eine Zeit, in der politische Parteien diesem Ideal entsprachen. Kelsen entwarf seine Demokratietheorie im Roten Wien der 1920er Jahre, als die Sozialdemokratie tatsächlich die Partei der Arbeiterschaft und die Christlichsoziale Partei die Partei der Bauern und Kleinbürger war. Für Mair gelten wiederum die westeuropäischen Nachkriegsjahrzehnte als das „goldene Zeitalter“ der Parteiendemokratie. Dies war die Ära starker christund sozialdemokratischer Parteien, die den überwiegenden Großteil der Wählerschaft auf sich vereinen konnten und für stabile Regierungen sorgten. Österreich war hier bei weitem keine Ausnahme. Bei der Nationalratswahl 1949 entfielen ganze 82,7 Prozent der Stimmen auf ÖVP und SPÖ, vier Jahre später waren es sogar 83,4 Prozent. Bis 1965 regierten ÖVP und SPÖ dementsprechend durchgehend. Ähnliche Machtverhältnisse waren damals in ganz Europa vorzufinden. Diese Zeiten sind vorbei. Das Idealbild politischer Parteien, das wir aus der Mitte des 20. Jahrhunderts kennen, hält sich jedoch weiterhin hartnäckig. Einerseits stützen sich einflussreiche Zeitdiagnosen wie jene von Peter Mair (oder Colin Crouchs berühmte „Postdemokratie“-These) auf diese spezifische Vorstellung politischer Parteien. Andererseits erinnern ehemalige Großparteien wie ÖVP und SPÖ in Wahlkämpfen und auf Parteitagen selbst gerne an ihre glorreiche Vergangenheit als Massenparteien. Das erschwert es zusätzlich, sie als etwas anderes als einen Schatten ihres früheren Selbst zu sehen. Dabei wäre es absurd, von Parteien heute zu verlangen, die Parteien der Nachkriegszeit zu imitieren. Selbst wenn sie es wollten, es würde nicht gelingen. Sozialdemokratie stark betroffen Dafür gibt es vielerlei Gründe. Allem voran sind zeitgenössische Gesellschaften viel differenzierter als noch vor siebzig Jahren. Dass Parteien mehr oder weniger geschlossen ein bestimmtes Segment der Gesellschaft repräsentieren, ist unter heutigen Bedingungen undenkbar. Sozialdemokratische Parteien sind von diesem Wandel besonders stark betroffen. Es gibt nicht mehr eine Arbeiterklasse mit relativ ähnlichen Lebenslagen und Sorgen (falls es diese je gab). Die Arbeiterinnen und Arbeiten von heute sind teils prekär angestellt, teils in relativ sicheren Anstellungsverhältnissen und gewerkschaftlich organisiert. Viele leisten wichtige Sorgearbeit, aber sind aufgrund ihrer Herkunft nicht wahlberechtigt – oder sind überhaupt komplett outsourced. Für wen sollen ehemalige Arbeiterparteien dann eigentlich sprechen? Und vor allem: wie? „Unsere Leute“ verfehlt das Ziel jedenfalls klar und klingt bestenfalls nach altroter Klientelismusromantik. Vielleicht sollten wir ein für alle Mal Abstand nehmen von einem Wunschbild politischer Parteien, das von real existierenden Parteien nicht eingelöst werden kann. Wenn eine nicht wiederherstellbare Vergangenheit zum Maß der Gegenwart wird, ist Enttäuschung nämlich vorprogrammiert. Dann darf es niemanden wundern, dass Parteien immer unbeliebter werden. Oder dass gerade Parteien, die sich nicht als Parteien, sondern als „Bewegungen“ – und damit als Bruch mit einer Organisationsform, die unsere Erwartungen offenkundig Neue Diversität 1953 entfielen noch 83,4 Prozent der Stimmen auf die damaligen Großparteien ÖVP und SPÖ. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. „ Es wäre absurd, von Parteien heute zu verlangen, die Parteien der Nachkriegszeit zu imitieren. Selbst wenn sie es wollten, es würde nicht gelingen. “ Um Fabio Wolkensteins Buch „Die dunkle Seite der Christdemokratie“ (2022) geht es in „Jede Zeit hat ihre Hühneraugen“ (21.12.2022). nicht mehr erfüllt – inszenieren, heute besonders erfolgreich sind. Vom Rassemblement National über die Liste Kurz oder das Movimento 5 Stelle – egal wie kurzlebig manche dieser movement parties waren, sie erschienen vielen als Versprechen einer besseren, vitaleren Parteipolitik. „Aristokratisch-autokratisch“? Es mag verkopft klingen, aber eine breite gesellschaftliche Diskussion darüber, was Parteien heute leisten sollen, ist für das weitere Gelingen der Demokratie zentral. Fest steht: Wir werden Parteien nicht los. Aber was erwarten wir uns von Parteien als Organisationen? Sollen sie wie soziale Bewegungen aussehen und zum Mitmachen einladen? Sollen sie ganz auf eine einzelne, charismatische Persönlichkeit à la Kurz, Wilders oder Netanjahu zugeschnitten sein? Unserem Verfassungsarchitekten Kelsen ist anzurechnen, dass er sich bereits in der Zwischenkriegszeit mit diesen Fragen auseinandersetzte. Für ihn waren die Parteien der Zukunft stärker demokratisch organisiert. Den „aristokratisch-autokratischen Charakter“ interner Entscheidungsstrukturen sah er als demokratiepolitisches Problem. Vielleicht steckt darin auch eine Lehre für die Gegenwart. Über mehr Demokratie innerhalb politischer Parteien könnte man jedenfalls gewinnbringend diskutieren. Der Autor ist Inhaber der Professur für Transformationen der Demokratie an der Universität Wien. Er forscht zur Theorie der Demokratie und der Geschichte politischer Ideologien.

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