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DIE FURCHE 11.07.2024

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DIE FURCHE · 28 2 Das Thema der Woche Sind Großeltern die besseren Eltern? 11. Juli 2024 AUS DER REDAKTION Die Nachrichten vom russischen Angriff auf die Kinderklinik in Kiew erschüttern zutiefst. Wenn Raketen auf Kinder gerichtet werden, die gerade lebenswichtige Behandlungen bekommen, dann ist jedes Maß verloren. Just in dieser Woche hatten wir eine Ausgabe der FURCHE in Vorbereitung, die auf unterschiedliche Weisen Blicke auf das Leben von Kindern wirft. Magdalena Schwarz hat einen Fokus gestaltet, der sich auch kritisch der Frage widmet, ob Großeltern die besseren Eltern sind. Maria Katharina Moser denkt über die Würde der Geburt nach: Anlass war die Köpfung einer Skulptur einer gebärenden Maria. Und Theresa Steininger hat mit Nina Blum über den Märchensommer in Poysbrunn gesprochen, der die Kinder einlädt, die Welt der Fantasie zu betreten – ganz ohne Handy. Bedeutet so viel Blick auf Kinder ein Abwenden von politischen Wirklichkeiten? Nein, ganz im Gegenteil. Gerade bei der Frage nach der richtigen Erziehung zeigt sich das Selbstverständnis von Gesellschaften, ihre Ideale, Normen, Ideologien. Gerade im Spiel, wie es das Theater auch ist, bearbeiten Kinder ihre Rollen. Nicht nur Kinder spielen übrigens, sondern auch Erwachsene: Das zeigt sich dieser Tage wieder auffällig in der Fankultur, die Lydia Mischkulnig mit gewohnter Präzision unter die Lupe genommen hat. Und wenn wir schon von der Würde des Menschen sprechen: Am Ende lässt der Psychotherapeut Arnold Mettnitzer auch noch den Lebensherbst leuchten. (bsh) Von Sandra Lobnig In Österreich sind Großeltern, was die Betreuung ihrer Enkel betrifft, schwer beschäftigt. Der Anteil an großelterlicher Unterstützung liegt hierzulande über dem europäischen Durchschnitt. Viele Eltern sind auf die Hilfe ihrer eigenen Eltern angewiesen. Sie sind dankbar – und tun sich gleichzeitig schwer damit, wenn Oma und Opa an in ihren Augen überholten Erziehungsmaßnahmen festhalten. Etwa wenn die Oma ihre Liebe an Bedingungen knüpft, indem sie sagt, sie sei ganz traurig, weil das Kind nicht brav sei. Oder wenn der Opa findet, dass heutzutage viel zu viel Aufsehen um die Bedürfnisse von Kindern gemacht werde. Die Frage, ob sich ein solches Verhalten negativ auf die emotionale Entwicklung von Kindern auswirkt, ist eine, die der Autorin und Erziehungsexpertin Nora Imlau häufig gestellt wird. Sie kann beruhigen: „Viele Großeltern können diesbezüglich nicht aus ihrer Haut, sie können aber trotzdem liebevolle Großeltern sein.“ Normalerweise gelingt es emotional ausgeglichenen Kindern, gut damit umzugehen, wenn Oma oder Opa in manchen Situationen autoritärer reagieren als ihre Eltern. Dass es zwischen der Eltern- und der Großelterngeneration Konfliktpotenzial gebe, sei kein modernes Phänomen, sagt auch Eva- Maria Schmidt, Soziologin am Institut für Familienforschung. Was aber neu ist: In ihren Vorstellungen von Erziehung derartig unterschieden haben sich die Generationen früher nicht. Der Wandel von einer stark asymmetrisch geprägten Eltern-Kind-Beziehung hin zu einer Beziehung auf Augenhöhe, wie er sich in den vergangenen zwei bis drei Generationen vollzogen hat, ist ein echter Paradigmenwechsel. Lass das Kind schreien! Lesen Sie hierzu auch „Familientherapeut Jesper Juul über Nähe, Grenzen und Respekt in der Familie“ (28.6.21) auf furche.at. Die Bedeutung sicherer früher Bindungen ist mehr ins Bewusstsein gerückt. Über einen Paradigmenwechsel in der Erziehung und unperfekte Großeltern. Übereifrige Eltern? Kein Wunder also, dass Mütter und Väter heute über so manche frühere Erziehungsratschläge nur den Kopf schütteln können: Einem Baby sollte auf keinen Fall zu viel Aufmerksamkeit geschenkt werden. Man könne es ruhig schreien lassen, das würde die Lungen stärken. Oder: Kinder sollten angehalten werden, möglichst still zu sein, damit sie Erwachsene nicht stören. Davon, wie wichtig es ist, ein Kind liebevoll zu begleiten, redete damals kaum jemand. Genauso wenig war allgemein bekannt, dass Zuwendung und Körperkontakt die Bindung zu einem Baby und damit dessen gesunde psychische Entwicklung fördern. Im Gegenteil, vor sechzig Jahren waren die Tipps zum Umgang mit Kindern mitunter sogar bindungsfeindlich. Heute weiß man, dass sichere Bindungserfahrungen das Fundament für ein gelingendes Leben sind. Es war der britische Kinderarzt und Psychoanalytiker John Bowlby, der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Bedeutung von Bindung erkannte. Bowlby, Begründer der Bindungstheorie, fand heraus, dass es nicht ausreicht, Babys zu füttern und sie hygienisch einwandfrei zu versorgen. Wenn sie nicht auch liebevoll umsorgt werden und mit nahen Bezugspersonen eine Bindung aufbauen, werden sie depressiv und verkümmern emotional. Die moderne Bindungsforschung, die auf Bowlbys Erkenntnissen aufbaut, zeigt auf, dass „ Emotional ausgeglichenen Kindern gelingt es, gut damit umzugehen, wenn Oma und Opa in manchen Situationen autoritärer reagieren als die Eltern. “ sicher gebundene Kinder mehr Selbstvertrauen haben, sozial kompetenter und weniger gefährdet sind, psychisch zu erkranken. Immer schon kamen Kinder mit dem Bedürfnis, sich an nahe Bezugspersonen zu binden, auf die Welt. Dass diese Tatsache in den vergangenen Jahrzehnten viel stärker in den Fokus gerückt wurde, ist neben John Bowlby und der Bindungsforschung auch jenen Expertinnen und Experten zu verdanken, die vor rund zwanzig Jahren damit begannen, die Idee einer bindungsorientierten Erziehung durch Bücher, Artikel und Elternarbeit in die breite Masse zu tragen. Der USamerikanische Kinderarzt William Sears zum Beispiel stellte die Bedürfnisse von Babys in den Mittelpunkt, auf die deren Bezugspersonen prompt reagieren sollten. Der dänische Familientherapeut Jesper Juul betonte den Vorrang der Beziehung zwischen Eltern und Kind vor jeglicher anderer Erziehungsarbeit. Damit Foto: iStock/ Nikada Performancedruck in der Kinderbetreuung Mütter und Väter wollten schon immer die Fehler ihrer Eltern vermeiden. Doch der Perfektionismus nimmt überhand. grenzte er sich deutlich vom Erziehungskonzept der Generationen davor ab. „Bis vor zwanzig Jahren galt Erziehung vor allem als Projekt mit dem Ziel, Kinder zu formen. Kinder zu beschämen und zu bestrafen, war gang und gäbe“, sagt Nora Imlau. „Die Idee der bindungsorientierten Erziehung hat das auf den Kopf gestellt.“ Imlau und andere haben die Prinzipien bindungsorientierter Erziehung im deutschen Sprachraum bekanntgemacht. Der Wandel hin zu einem neuen Erziehungsparadigma, sagt Imlau, sei immer noch im Gange. Die heutige Elterngeneration sieht sie als eine Art Zwischengeneration. Viele Mütter und Väter wollen es heute anders machen als ihre eigenen Eltern oder Großeltern. Sie möchten ihrem Kind auf Augenhöhe begegnen, ihm ihre unbedingte Zuneigung zeigen, auch wenn es sich nicht so verhält, wie sie es sich wünschen. Sie wollen erziehen, ohne zu strafen, und die Bedürfnisse des Kindes ernst nehmen. Wissen – und Halbwissen – darüber, wie all das gelingen kann, holen sie sich aus dem Internet, aus Erziehungsratgebern oder Elterngruppen. In der Umsetzung sind sie oft mehr als eifrig. „Eltern wollen es unbedingt richtig machen“, sagt Nora Imlau. Dabei laufen sie aber Gefahr, sich zu überfordern. Die ideale Mutter Für die Soziologin Eva-Maria Schmidt ist das typisch für die Leistungsgesellschaft, in der die heutige Elterngeneration aufgewachsen ist. „Die Ansprüche von Eltern sind massiv gestiegen. Das betrifft in erster Linie die Mütter. Es herrscht ein Fokus auf intensives Muttersein.“ Frauen identifizieren sich stark mit ihrer Mutterrolle und meinen, sich für ihre Kinder aufopfern zu müssen. Sie fühlen sich dafür verantwortlich, wie ihr Kind sich emotional, psychisch und physisch entwickelt. Elternsein wird zum großen Projekt, in dem man sich kein Scheitern erlauben kann. Das ist ein relativ neues Phänomen. In den Generationen davor war in Sachen Erziehung vieles selbstverständlich und gesellschaftlich vorgegeben. „Heute gibt es viele Optionen. Das führt einerseits zu großer Unsicherheit, aber auch dazu, sich ständig mit anderen zu vergleichen“, sagt Schmidt. Dazu kommt die Angst von Eltern, die Bindung zum Kind nachhaltig zu stören, weil sie diesem nicht permanent verständnisvoll zugewandt sind. Etwa weil sie ihr Kind auch mal anschreien oder in die autoritären Erziehungsmuster zurückfallen, die sie selbst erlebt haben. In ihrem Buch „Bindung ohne Burnout“ zeigt Nora Imlau auf, dass diese Sorge zumeist unbegründet ist. Kinder, die ihre Eltern grundsätzlich als zugewandt erleben, tragen nicht so leicht einen emotionalen Schaden davon, wenn diese einmal nicht vorbildlich handeln. Denn Bindung, dieses besondere Band zwischen Eltern und ihrem Kind, hält einiges aus. Sie kann wachsen oder heilen, wenn sie einmal gelitten hat. Negative Bindungserfahrungen können durch positive überschrieben werden. Eltern müssen ohnehin akzeptieren, dass ihr Kind auch außerhalb des Elternhauses Bindungserfahrungen macht. Im Kindergarten, in der Schule, auf besonders intensive Weise bei den Großeltern. Diese sind für viele Kinder nach den Eltern die wichtigsten Bezugspersonen.

DIE FURCHE · 28 11. Juli 2024 Das Thema der Woche Sind Großeltern die besseren Eltern? 3 Süßigkeiten, stundenlanges Basteln und ganz viel Liebe: Die Hälfte aller unter Sechsjährigen wird von Oma und Opa mitbetreut. Drei Mütter erzählen von Konflikten, Grenzen und der Notwendigkeit, dann und wann ein Auge zuzudrücken. „Meine Mama war furchtbar“ Von Magdalena Schwarz Opa denkt, die Süßigkeiten sind sein Geheimnis mit den „Der Kindern. Aber die berichten mir später stolz, dass sie vorm Fernseher Schokolade gegessen haben“, erzählt Verena Greilinger lachend. Die 33-jährige Mutter von drei Kindern nimmt den Laissez-faire-Stil ihres Vaters mit Humor. Er reist für ein Wochenende aus Tirol an, da kann sie schon einmal ein Auge zudrücken. Würde er die drei Burschen im Baby- bis Vorschulalter regelmäßiger betreuen, dann müssten sie und ihr Mann aber härter durchgreifen, meint die Niederösterreicherin. Wird ein Kind geboren, dann entsteht nicht nur eine Familie, sondern auch eine neue Großfamilie. Aus Töchtern werden Mamas, aus Müttern Omas, aus Brüdern Onkel. Die neuen Rollen, unterschiedlichen Meinungen und hohen Erwartungen sind der perfekte Nährboden für Konflikte. „Meine Mama war anfangs furchtbar“, erzählt Verena. Nach der Geburt ihres ersten Kindes hagelte es gutgemeinte Ratschläge: Das Baby braucht eine Haube! Das Baby hat geniest, es wird krank! Warum wird das Baby nicht jede Woche gewogen? Ich habe dich damals jeden Tag gewogen! „Ich war fertig mit den Nerven“, erzählt Verena. „Ich als neue Mama, sie als neue Oma – Katastrophe.“ Schlussendlich erteilte die Mittelschullehrerin in unbezahlter Karenz und jetzige Content-Creatorin ihrer Mutter ein zweiwöchiges Hausverbot. „Ich habe ihr erklärt, dass ihr Verhalten übergriffig ist. Ich will meine eigenen Fehler machen. Oder ich entscheide manches anders, weil mein Gefühl mir das sagt.“ Es sei für Mutter und Tochter ein Lernprozess gewesen, und im Nachhinein war Verena glücklich, die Grenze gezogen zu haben. „Ich kenne viele Geschichten, wo neue Mamas das nicht schaffen oder können.“ „Will meine eigenen Fehler machen“ Der Streit half. Wenn Verena heute die Decke auf den Kopf fällt, dann ruft sie Mama zu Hilfe, die zum Glück ganz in der Nähe wohnt. Damit ist sie nicht allein. Großeltern sind eine zentrale Säule der Kinderbetreuung in Österreich. Laut Studien werden etwa 50 Prozent aller un- „ Ich will meine eigenen Fehler machen. Oder ich entscheide manches anders, weil mein Gefühl mir das sagt. Für meine Mama und mich war das ein Lernprozess. “ Verena Greilinger „ Mein Vater ist mit meiner Tochter zum Spielplatz gelaufen, und sie haben dabei die Schritte gezählt. Es waren 1300! Für solche Aktivitäten haben wir Eltern selten Zeit. “ Franziska Fiedler ter Sechsjährigen, nach Bedarf oder regelmäßig, von Großeltern beaufsichtigt. Über wenige Themen lässt es sich so gut diskutieren wie über Erziehung. Und jede und jeder erzieht anders. Verena verrät, dass die Kinder ihrer Mama öfter auf der Nase herumtanzen. „Aber von ihr gibt es auch viel Liebe.“ Mit Opa wird gebastelt oder Fußball gespielt. Die jungen Eltern sind mit dem Hausumbau beschäftigt, da bleibe für Nachmittage, an denen sie sich nur den Kindern widmen, wenig Zeit. Umso besser, dass die ältere Generation einspringt. „Es ist wichtig für Kinder, viele stabile Bezugspersonen zu haben, die konstant im Leben sind“, sagt Verena. Auch die Eltern ihres Ehemanns wohnen nur 20 Minuten entfernt. Heuer werden sie zum neunten Mal Großeltern. „Manchmal nehmen sie fünf Kinder über Nacht. Keine Ahnung, wie sie das schaffen. Die Kinder lieben das: Sie laufen barfuß herum und kommen dreckig nach Hause. Mittlerweile haben wir ein eigenes Omi-Gewand.“ Auch die 38-jährige Franziska Fiedler aus Bayern, Mutter einer siebenjährigen Tochter und eines vierjährigen Sohnes, weiß es zu schätzen, dass ihre Eltern den Alltag ihrer Kinder entschleunigen. „Mein Vater ist mit meiner Tochter zum Spielplatz gelaufen, und sie haben dabei die Schritte gezählt. Es waren 1300! Kaum zu glauben, wie langsam man dafür gehen muss.“ Für solche Aktionen fehle Eltern häufig die Energie. Verständlich, wenn man berufstätig ist oder den Haushalt führen muss. Neulich habe Franziskas Tochter es auf den Punkt gebracht: „Oma-Opa-Zeit ist Spaßzeit!“ „Mama, was ist eine Ohrfeige?“ Dem – rückblickend schon recht feministischen – Erziehungsstil ihrer Eltern kann Franziska viel abgewinnen. „Wir haben nie gehört, dass etwas nur oder nicht für Mädchen ist. Und mit Papa habe ich in der Werkstatt gebastelt“, erzählt die ehemalige Rechtsanwältin, die heute ein Institut für Stillen, Schlaf und Beikost leitet. Trotzdem sieht sie Unterschiede zwischen ihren Methoden und jenen ihrer Eltern. Die hätten in den 80er Jahren ja auch völlig andere Informationsquellen gehabt: Bücher, Ärzte – hier gendert Franziska bewusst nicht – und Verwandte. Auch die Bindungsforschung war noch nicht auf dem heutigen Stand. „Ich kommuniziere klarer mit meinen Kindern und gehe mit ihnen aktiver durch Konflikte“, sagt Franziska. Im Vergleich mit der Jugend ihrer eigenen Oma wird noch deutlicher, wie viel sich im Umgang mit Kindern verändert hat. Zu hören, wie diese im Zweiten Weltkrieg erzogen worden sei, sei „spannend und schrecklich“. Zugleich ist es schön, die Entwicklung zu sehen, die passiert ist. „Wenn meine Oma erzählt, dass sie als kleines Mädchen eine Ohrfeige bekommen hat, Foto: Privat Franziska Fiedler hat eine siebenjährige Tochter und einen vierjährigen Sohn. Auf Instagram (@mami.hat.recht) spricht sie über Stillen, Beikost und Familie. Dominique Reimer aus Baden-Württemberg: Unter @geborgengebunden informiert sie über authentische Elternschaft. Verena Greilinger mit ihren drei Kindern. Auf Instagram gibt sie unter @ena.maria.b Einblicke in ihren Familienalltag. dann fragen meine Kinder: Mama, was ist eine Ohrfeige?“ Ihre Erklärung habe die Kinder entsetzt. Die Eltern von Dominique Reimer waren Anfang zwanzig, als sie auf die Welt kam. Liebevoll, entspannt, ohne viele feste Regeln, so beschreibt sie deren Erziehungsstil. Heute lebt die 37-jährige Still-, Schlaf- und Beikostberaterin und Expertin für bindungsorientierte Familienbegleitung mit ihrem Mann und ihrer siebenjährigen Tochter in Heilbronn, Baden-Württemberg. Erziehungsberechtigte würden mittlerweile noch mehr auf Augenhöhe mit den Kindern kommunizieren. Ihre Bedürfnisse und Wünsche ernster nehmen, sie mehr miteinbeziehen, den Nachwuchs fragen, was er zu Mittag essen will – in Dominiques Haus ganz selbstverständlich. „Ich wäre als Kind mit meinen Gefühlen nicht immer direkt zu meinen Eltern gegangen. Aber meine Tochter spricht mit mir sehr viel über ihre Ängste und Sorgen“, sagt sie. „ Meine Oma musste während des Kriegs wochenlang Graupensuppe essen. Für sie war es schwer, mitanzusehen, wie wir unsere Tochter spielerisch an das Essen heranführten. “ Dominique Reimer Die Großeltern und sogar die Urgroßmutter spielen eine wichtige Rolle im Leben ihrer Tochter. Dominiques Mutter, die selbst Erzieherin war, gehe im Oma-Sein auf, gerade weil sie das Kind nach ein paar Stunden wieder abgeben kann. „Das ist so schön zu beobachten, wie sie und meine Tochter stundenlang basteln, malen und kleben“, erzählt Dominique. Im Gegensatz zu den Eltern kann Oma sich voll und ganz auf das Mädchen konzentrieren, ihm fast alle Wünsche erfüllen – und sich danach erholen. „Für meine Oma war Foto: Privat Foto: Privat natürlich vieles ungewohnt“, sagt Dominique. Zum Beispiel führten sie und ihr Mann die Tochter spielerisch an die erste feste Nahrung heran. Das bedeutete tapsige Babyhändchen, die die weichgekochten Karotten in den Mund nahmen, runterwarfen oder zermatschten. „Das konnte meine Oma natürlich schwer nachvollziehen und mitanschauen. Sie musste während des Kriegs wochenlang Graupensuppe essen. Hunger war damals ein großes Thema. Wenn sie sagt: ‚Mit Essen spielt man nicht‘ oder ‚Iss den Teller doch bitte auf‘, dann meint sie das nicht böse. Mit ihrer Lebenserfahrung macht das viel mehr Sinn“, erklärt Dominique. „In früheren Generationen gab es einfach andere Gegebenheiten“, so Dominique. Findet sich trotz Kommunikation keine gute Lösung, dann rät sie Eltern dazu, Grenzen zu ziehen. Anderes Haus, andere Regeln Verena aus Niederösterreich hört auch die eine oder andere kritische Bemerkung aus der Familie. „Einmal wollte mein Dreijähriger, dass ich ihn aus dem Auto ins Haus trage, weil er gerade geschlafen hat. Und dann kommt die Meldung von der Seite: Na, kann er nicht gehen? Dann sage ich: Natürlich kann er, aber ich trage ihn, wenn er das gerade braucht.“ Die Großeltern hätten teilweise noch Sätze im Sprachgebraucht, die ihr nie über die Lippen kommen würden. „Hör auf zu weinen“, zum Beispiel – oder „Du bist ja kein Mädchen“. So mache eben jede Generation ihre Fehler in der Erziehung, sagt Verena und nimmt sich dabei selbst nicht aus. Sie findet, dass Eltern die wichtigen Entscheidungen bezüglich ihrer Kinder treffen sollten, aber sie sieht eine Beteiligung von Oma und Opa als großen Luxus. Auch Franziska sagt, dass „Kinder schnell checken, wenn woanders andere Regeln gelten“. Eine Freundin habe ihr von einer Diskussion mit der Schwiegermutter über eine Erziehungsfrage erzählt. Der Einwurf der vierjährigen Tochter: „Mama zu Hause machen wir es doch sowieso so, wie wir wollen!“ Lesen Sie schon FURCHE-Newsletter? Ihre ausgewählten Lieblingsthemen ab sofort täglich in Ihrer Mailbox. Jetzt anmelden: furche.at/newsletter Jetzt neu: tägliche Ressort- Newsletter Journalismus mit Sinn.

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