RELIGION IN KÜRZE Der als „Cyber-Apostel“ bekannt gewordene Carlo Acutis (1991-2006) wird heiliggesprochen. Das entschieden der Papst und in Rom ansässige Kardinäle im Rahmen des Konsistoriums am 1. Juli im Vatikan. Der Termin der Heiligsprechung ist noch offen. Damit wird der erste Millennial – also ein Angehöriger der um die Jahrtausendwende geborenen Generation – zur weltweiten Verehrung freigegeben. Acutis starb mit 15 Jahren an Leukämie. Weltweite Bekanntheit erlangte er, weil er in seiner Freizeit religiöse Internetseiten erstellte. In der Versammlung wurden zudem die Heiligsprechung 14 weiterer Personen – darunter der Tiroler Missions-Franziskaner Engelbert Kolland (1827-1860) – beschlossen. RELIGION uerst das Fastentuch von Gottfried Helnwein im Stephansdom, dann Florentina Holzingers Tanzperfor- „Sancta“ bei den Wiener Festwochen – und nun Zmance eine gebärende Maria im Linzer Mariendom: Das Reibungsfeld „Kunst und Kirche“ produzierte in den vergangenen Monaten nicht wenig Empörung. Meist empörten sich gut vernetzte rechtskatholische bis fundamentalistische Kreise über die „Verletzung religiöser Gefühle“, manchmal – wie im Fall von „Sancta“ – konstatierten aber auch Kunstaffine wie Hermann Glettler mangelnde Qualität. Nun, im Mariendom, wurde die Empörung erstmals handgreiflich: Unbekannte sägten der hölzernen Skulptur „coronation“ (links) der Künstlerin Esther Strauß, die eine gebärende Maria mit entblößtem Unterleib und gespreizten Beinen zeigt, kurzerhand den Kopf ab. Auf Plattformen wie kath.net war zuvor gegen die „Skulptur der Hässlichkeit“ agitiert und zum Protest gegen Bischofsvikar Johann Hintermaier aufgerufen worden. Dieser zeigte sich bestürzt über den Gewaltakt, bedauerte aber, „wenn wir religiöse Gefühle von Menschen verletzt haben“. Künstlerisch füllt die Skulptur freilich eine ikonographische Leerstelle – und theologisch ist sie präzise: In der Geburt Jesu ist Gott ganz Mensch, ist das Wort Fleisch (Inkarnation) geworden. Ein Skandal – wie ein Gott am Kreuz. Esther Strauß’ nun kopflose Skulptur bringt dies provokant auf den Punkt. Als Stein und Schoß des Anstoßes. (Doris Helmberger) Nr. 26, Seite 13 schale wirft. Dort gibt es sogar ein besonders sei in diesem Artikel auf Ministerium für Digitalisierung, so als den Absatz „Variationen des G‘ttesnamens im Judentum“ hingewiesen, Nach Zustimmung der grünen Ministerin Gewessler zum Renaturierungs- sich der Bürger zu unterwerfen habe. welcher die mannigfaltigen Umschrei- ob diese ein Wert an sich sei, dem Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at gesetz ist die unerwartet heftige Trotz Klimawandels scheint darüber bungen des Tetragramms aufzählt. Reaktion der „christlichen“ ÖVP völlig hinaus der enorme Energieverbrauch Ich wünsche der FURCHE weiterhin unverständlich: Denn die sehr ökologisch gesinnten und auf Bewahrung Welt keine Rolle zu spielen. Ich habe gelingt, diesen Autor noch einmal zu in der Ideologie der digitalisierten viel Erfolg und hoffe, dass es Ihnen „Wiederkehr“ der Religions- der Schöpfung bedachten christlichen Kirchenführer (katholischer aktivisten gehört, der sich öffentlich Dr. med. Egon Alzner, 5020 Salzburg etwa noch niemals von einem Klima- einem Artikel zu animieren. unterrichtsdebatte Von Till Schönwälder, Nr. 26, S. 12 Papst und orthodoxer ökomenischer an einem Server festgeklebt hätte. Patriarch) hätten diesem Gesetz In meinem Freundeskreis wurde ein „Man sollte Engel nicht leiden lassen“ Sie schreiben: „Insbesondere sicherlich zugestimmt! Klimaschutz 80-Jähriger von einem selbstgerechten Verwaltungsapparat gezwun- Nr. 23 Seiten 22–23 Interview mit Thomas Metzinger wenn es um fundamentalistische ist nur mit fundiertem Sachverstand Vorstellungen geht, in denen etwa und nicht mit Hausverstand machbar. gen, seinen Förderantrag für eine Frauenrechte und der demokratische Letzterer bedeutet in der Regel, möglichst wenig bzw. nur populistische Gesetzgeber hat die Altersdiskrimi- einer neuen Bewusstseinskultur, tritt PV-Anlage digital einzubringen. Der Thomas Metzinger, der Vordenker Rechtsstaat infrage gestellt werden, müssen auch hierzulande alle Scheinlösungen umzusetzen, z.B. nierung explizit von diesem Verfahren für eine „wissenschaftlich fundierte Alarmglocken schrillen. Um solchen Megastraßen zwecks angeblicher ausgeschlossen. Wie tief ist die Spiritualität“ ein. Einen positiven Strömungen etwas entgegenzusetzen, Stauverminderung zu bauen anstatt Staatsmacht schon gesunken? Zugang dazu zu finden, hilft die braucht es künftig mehr, nicht weniger religiöse Bildung in der Schule.“ auszubauen; oder weiter zu ver- statt Und zwar, weil „in den organisierten richtigerweise Bahnen und Radwege Dr. Roland Rainer, Bad Hofgastein Religion „komischerweise nichts“. Meinen Sie damit den herkömmlichen Religionsunterricht? Ein Ethik- Peter Baalmann, 4890 Frankenmarkt Von Fritz Rubin-Bittmann schluss fehlt, „sich selbst gegenüber großflächig zu entsiegeln. Das Tabu des Tetragramms Religionen sowieso“ der feste Entunterricht, der alle Religionen miteinbezieht, wäre wohl notwendiger. Eine Wirklich „digital only“? Als regelmäßiger Leser der FURCHE aussage ist eines Wissenschafters Nr. 23, Seite 10 aufrichtig zu sein“! Diese Pauschal- „Talibanisierung“ der Religionen ist Von Rudolf Taschner, Nr. 24, S. 13 habe ich mit großem Interesse diesen unwürdig und verletzt. Noch dazu leider auf dem Vormarsch – wie sie Artikel gelesen. Das ist wahrhaft ein ist sie unrichtig. Sie deckt sich allerdings mit der – oft wiederholten – sich kürzlich in Linz mit der „Köpfung Es wäre couragiert, wenn der interreligiöser Diskurs und entspricht Mariens“ drastisch gezeigt hat. Autor seine Einsichten nicht nur der ganz dem Gründungsgedanken von Bezeichnung der Weltreligionen Johannes-Maria Lex, via Mail FURCHE-Leserschaft unterbreitet, Friedrich Funder für seine kulturpolitische Wochenschrift. Nicht alle Verdrängung“. Soll das zu der von als „Wahnsysteme mit organisierter sondern sein politisches Gewicht Der Zweck heiligt nicht die Mittel bei seinen Parteifreunden in der Glaubensgemeinschaften halten den Kant beschworenen „intellektuellen Von Paul Mychalewicz Regierungskoalition in die Waag- Gottesnamen für unsagbar. Ganz Redlichkeit“ passen? Dr. Alfred Racek, via Mail In Israel haben Tausende ultraorthodoxe Männer gegen die Verpflichtung zum Wehrdienst protestiert. Laut Medienberichten kam es am 30. Juni in Jerusalem zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei. Polizisten seien angegriffen und mit Steinen beworfen worden. Auslöser der Proteste war ein kürzlich ergangenes Urteil des höchsten Gerichts des Landes, wonach fortan auch ultraorthodoxe Männer zum Wehrdienst verpflichtet werden müssen. Jahrzehntelang galten Ausnahmen für ultraorthodoxe Männer bei der Wehrpflicht in Israel. Diese liefen aber vor drei Monaten aus. Das Urteil gilt als Rückschlag für die rechtsreligiöse Regierung des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Die bekannte und beliebte Rubbellos-Familie „Cash“ erhält Zuwachs: Heißt „Maximum Cash“ und bietet Gewinne bis zu 250.000 Euro. Das vierte und damit jüngste Mitglied der Rubbellos Familie „Cash“ ist gleichzeitig das größte und stärkste. • Sein Name: „Maximum Cash“. • Sein Format: Überragend, in Bezug auf die anderen Lose der Serie „Cash“. • Seine Qualität: Jedes einzelne Los bietet dank dreier unabhängiger Spiele mit unterschiedlicher Spielmechanik und einem Maximum Bonus gleich vier Gewinnchancen, und man kann auch bis zu viermal mit einem Los gewinnen. • Seine Stärke: Der Hauptgewinn, der 250.000 Euro beträgt. Das neue Rubbellos „Maximum Cash“ ist zum Preis von 10 Euro in allen Annahmestellen der Österreichischen Lotterien erhältlich. Eine Serie besteht aus 800.000 Losen. Die Ausschüttungsquote beträgt 63,5 Prozent, und die Chance auf einen Gewinn 1:2,27. „Maximum Cash“ bildet nun gemeinsam mit „Cash“, „Super Cash“ und „Mega Cash“ die „Cash Familie, wobei sich die einzelnen Spiele neben dem Format vor allem im Lospreis (von 2 Euro bis 10 Euro) und in der Höhe des Hauptgewinnes (von 50.000 Euro bis 250.000 Euro) unterscheiden. „Maximum Cash” ergänzt die Rubbellos „Cash-Familie“ mit Gewinnen von bis zu 250.000 Euro. © Österreichische Lotterien Krisenmanagement in Schulen, die gefährliche Rolle der Medien und die Irrglauben moderner Eltern: Andrea Richter, seit 1984 als Schulpsychologin tätig und spätere Leiterin der Abteilung Schulpsychologie in der Bildungsdirektion Niederösterreich, teilt im FURCHE-Interview (siehe QR-Code) Erkenntnisse aus ihrer jahrzehntelangen Arbeit mit Lehrkräften, Schulleitungen und Kindern. Bei der Internationalen Pädagogischen Werktagung, die von 10. bis 12. Juli in Salzburg stattfindet, informiert Richter über den professionellen Umgang mit schweren Krisen in Bildungsinstitutionen. Die Fachtagung, die sich an alle Menschen wendet, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, trägt dieses Jahr den Titel „Veränderungen gestalten, begleiten“. Input gibt es etwa zu Resilienz, Medien oder Extremismusprävention. Mehr Informationen zur Tagung: www.bildungskirche.at DIE FURCHE · 26 27. Juni 2024 Das Gespräch führte Philipp Fritz ichael Wolffsohn gilt als einer der renommiertesten deutschsprachigen Nahostexperten. 2018 wurde der Historiker und Publizist, der in Tel Aviv geboren wurde und in der israelischen Armee diente, mit dem Franz- Werfel-Menschenrechtspreis der „Stiftung Zen trum gegen Vertreibungen“ ausgezeichnet. Im Interview mit der FURCHE geht er mit der westlichen Berichterstattung über Israel hart ins Gericht, erklärt, warum der Krieg mit und ohne Benjamin Netanjahu weitergehen wird und inwiefern er die internationale Gemeinschaft in die Pflicht nehmen würde. DIE FURCHE: Herr Wolffsohn, der Krieg in Gaza, Unruhe im Westjordanland, ein aggressiver Iran und eine entlang unterschiedlicher Fragen zunehmend gespaltene Gesellschaft: Haben Sie den Staat Israel je in einer derart bedrohlichen Lage gesehen? Michael Wolffsohn: Man werfe die außen- und innenpolitischen Bedrohungen nicht in einen Topf. Beide sind existenziell, aber nur teilweise miteinander verwoben. Freilich behaupten viele, die Hamas und der Islamische Dschihad hätten am 7. Oktober 2023 ihre Mord- und Blutorgie gegen Israel gestartet, weil die innerisraelische Polarisierung so dramatisch war. Als ob jemand die Entscheidungsvorgänge der Hamas so genau kennt. Die innenpolitische Polarisierung zwischen Religiösen und Nichtreligiösen ist nicht neu. Weil die Religiösen inzwischen so zahlreich sind, greifen sie nach mehr Macht – und die Nichtreligiösen wehren sich. Ein normaler Vorgang in Demokratien. Der Kampf um oder gegen die starke Stellung des Obersten Gerichts ist auch kein allein israelisches Phänomen; Stichwort Polen, Ungarn oder auch die USA. Projiziert und personalisiert werden alle innen- und außenpolitischen Probleme Israels auf eine Person: Benjamin Netanjahu. Für die einen ist er der Teufel, für die anderen der „König Israels“. Beides ist gleichermaßen übertrieben, entfaltet aber eine Eigendynamik. Sobald Netanjahu durch Wahlen oder partei intern entmachtet ist, wird sich die innenpolitische Front beruhigen. Nicht aber die außenpolitische. Für die Hamas, den Islamischen Dschihad, die libanesische Hisbollah, Irans syrische Marionette Assad, die proiranischen Milizen im Irak und die Huthis im Jemen sowie vor allem deren Patron Iran ist jeder Israeli gleich verhasst. Israel kämpft daher derzeit an sieben Fronten: Gaza, Westjordanland, Libanon, Syrien, Irak, Jemen, Iran. Es geht um Sein oder Nichtsein. Ja, daher ist Israels Lage so bedrohlich wie 1948, zur Staatsgründung. Mit einem fundamentalen Unterscheid, den die Feinde Israels offenbar vergessen. DIE FURCHE: Worin liegt dieser Unterschied zu 1948? Wolffsohn: Israel besitzt Atomwaffen. Wenn Israel untergeht, geht der ganze Nahe Osten unter. Man nennt das den „Samson- Effekt“ – wie Samson im Alten Testament, der alle Philister mit in den Tod riss. DIE FURCHE: Jetzt hat die Hisbollah im Libanon Israel auch noch mit großflächigen Raketenangriffen gedroht. Die israelische Armee hat ihrerseits einen Einsatzplan für eine mögliche Offensive im Libanon genehmigt. Droht eine weitere Eskalation an Israels Nordgrenze? Wolffsohn: Ja, wenn die im Auftrag des Iran angreifende Hisbollah nicht sehr bald die Bombardierungen Nordisraels einstellt. Der Norden Israels ist nämlich Der Historiker Michael Wolffsohn lehrte bis 2012 an der Universität der Bundeswehr in München. fast vollständig evakuiert. Es gibt ihn nur noch geografisch. DIE FURCHE: Sie sprachen bereits das Massaker vom 7. Oktober 2023 an. Wie wirkt dieses Pogrom in der israelischen Gesellschaft nach? Wolffsohn: Erstens herrscht wieder ein Fundamentalkonsens: Es gehe ums nackte Überleben. Oder zumindest um die Wiederherstellung eines ganz normalen, gewaltfreien Alltags. Vergessen wir nicht, dass ungefähr 120.000 Israelis aus dem Norden des Landes sowie knapp 100.000 am Gazastreifen seit Oktober 2023 ihre Ortschaften verlassen haben. Zweitens erkennt man in allen Lagern gleichermaßen erschreckt: Man hat die Hamas militärisch dramatisch unterschätzt und sich selbst ebenso dramatisch überschätzt. Krieg gegen Partisanen und Terroristen, die aus dem eigenen Zivil heraus kämpfen und sich dorthin wieder zurückziehen ist militärisch, „handwerklich“ am schwierigsten. Es kommt hinzu, dass Partisanen, wie die Hamas, scheinbar Zivilisten sind. Also aussehen wie Zivilisten, ohne dass sie Zivilisten sind. Daher ist jeder tote Palästinenser scheinbar ein Zivilist. Der echte ist vom scheinbaren Zivilisten nicht unterscheidbar. Dadurch ist der politische Schaden riesig. Für denjenigen, der solche Partisanen bekämpft, um das eigene Zivil zu schützen. Vor neuerlichen Blutorgien und vor dem Hamas- Raketenhagel. Das bedeutet jenseits des Traumas und der dadurch bedingten fundamentalen Verunsicherung: Israel muss seine Militärdoktrin erweitern. DIE FURCHE: Was heißt das konkret? Wolffsohn: Es gilt, ein Konzept zu entwickeln, wie man die Mischform von Antipartisanen- und Antiterrorkrieg mit einem Krieg gegen den Protektor der Partisa- Lesen Sie die Analyse des Völkerrechtlers Ralph Janik, der auf die „doppelte Verhältnismäßigkeit“ hinweist (6.12.23), auf furche.at. Der israelitische Held Samson gewinnt seine Kraft zurück und bringt den Tempel von Dagon zum Einsturz – und geht letztlich mit seinen Gegnern unter. Die israelische Bezeichnung für ein nukleares Abschreckungsszenario im Sinne einer massiven Vergeltung lautet daher „Samson- Effekt“. nenterroristen – den Iran – gleichzeitig führen und gewinnen kann. DIE FURCHE: Israel wurde überfallen. Doch aufgrund der Art und Weise des Gegenschlages hält sich in westlichen Gesellschaften, in Europa und Nordamerika, die Solidarität mit Israel mehr und mehr in Grenzen. An Universitäten gibt es sogar antisemitische Ausbrüche, auf den Straßen Massenproteste. Wie erklären Sie sich das? Wolffsohn: Es herrscht eine abgrundtiefe Ahnungslosigkeit über den Kern des Konfliktes zwischen Palästinensern und Israel. Wer behauptet, Israels Existenz sei dem westlichen Kolonialismus geschuldet, hat von Geschichte und der Politik des Zionismus und des Westens keine Ahnung. Die Paarung von Ignoranz – auch wissenschaftlich verkleidet – und Arroganz ist überall und immer hochgefährlich. Und selbst mehr Wissen bedeutet nicht automatisch besseres Verstehen. Viele sammeln nämlich Wissen, um es à la carte wie im Gasthaus zu FORTSETZUNG AUF DER NÄCHSTEN SEITE DIE FURCHE · 28 12 Diskurs 11. Juli 2024 IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Erstaunt über Empörung Schoß des Anstoßes Von Doris Helmberger Nr. 27, Seite 16 Ich bin katholisch und regelmäßiger Kirchgänger. Aber es erstaunt mich, welche Welle an Empörung die gebärende Maria im Linzer Dom ausgelöst hat. Die Empörung kam primär von konservativer Seite. Mich wundert, warum wir uns eigentlich noch nie empört haben über die blutrünstigen Darstellungen des gegeißelten, leidenden Christus mit Dornenkrone, dem das Blut über Gesicht und Körper rinnt. Wir hängen einen gekreuzigten, toten Menschen in unseren Bauernstuben in den Herrgottswinkel. Wir singen blutrünstige Kirchenlieder wie „Nun ist das Lamm geschlachtet, das Opfer ist vollbracht“ oder „O Haupt voll Blut und Wunden“ und viele ähnliche. Kann es sein, dass wir uns an diese „Grauslichkeiten“ einfach gewöhnt haben, weil man sie in unserer Kirche zu „Glaubenswahrheiten“ gemacht hat? Die gebärende Maria ist bei weitem nicht blutrünstig, aber wir sind sie einfach nicht gewohnt. Wir sind nur das liebe Kind in der Krippe gewohnt, nicht das, was davor sein musste. DIE FURCHE · 27 16 Diskurs 4. Juli 2024 Foto: Esther Strauß ZEITBILD IHRE MEINUNG ■ „Cyber-Apostel“ wird Heiliger ■ Proteste gegen Wehrpflicht Schoß des Anstoßes Wolfgang Ortner 4600 Wels Scandalon dieser Geburt Schoß des Anstoßes siehe oben Der Akt des Kopfabschneidens, das „um einen Kopf kürzer machen“, steht in einer langen Tradition. Pharao- „Maximum“ als neues Familien- Mitglied DIE FURCHE EMPFIEHLT Pädagogische Werktagung Salzburg nen, Caesaren wurden die Nasen abgeschlagen, damit ihnen die „Luft ausgeht“, ihr Atem, ihr Geist, also ihr Leben ausgelöscht werde. Dazu fällt mir immer das wunderbare Trostwort ein: Man wird um nichts kleiner, wenn man um einen Kopf kürzer gemacht wird. Für das Künstlerduo Strauß/ Limberger ist dies wahrscheinlich eine unerwünschte, aber umso breitenwirksamere Publicity. In konservativen, mit moderner Kunst nicht oder wenig befassten Kreisen mag diese Mariendarstellung unerhört und ungehörig erscheinen. Umso mehr ist der Mut der zuständigen Kirchenstellen, im Besonderen Dompfarrer Max Strasser, zu loben, mit dieser Mariendarstellung ein höchst wichtiges, ja elementares Glaubensgeheimnis in den Blick zu nehmen: die Menschwerdung Gottes im sarx, im Fleisch, wie der Evangelist Johannes betont. Offenbar war diese Fleischwerdung Gottes von allem Anfang für die Gläubigen ein Anstoß, ein scandalon. Von meinem theologischen Lehrer Gottfried Bachl und dem theologischen Kunstexperten Günther Rombold ist mir noch in guter Erinnerung, dass wir in der Kunstgeschichte zwar Bilder einer Maria lactans (einer das Jesuskind stillenden Gottesmutter) kennen, es die schwangere Gottesmutter nur in sehr zarten Andeutungen gibt, aber niemand sich der gebärenden Maria anzunehmen getraut. Wenn es Menschen gibt, denen die Geburtsschmerzen Mariens gegen ihren Glaubenssinn gehen (die ohne Makel der Erbsünde geborene Maria muss ja aus Gründen der Sündenlosigkeit schmerzfrei geboren haben!), dann ist der Weg nicht mehr weit zum Gedanken, dass Jesus am Kreuz seine Schmerzen wohl nur gespielt hat und gar nicht gestorben ist, sondern nach Indien oder sonst wohin „enthoben“ wurde. So geht es bei dieser „marianischen Köpfung“ im Mariendom eigentlich um alles in unserem Glauben: dass Gott in unbegreiflicher Weise mit dem Leiden, Sterben, den Schmerzen und den Verfehlungen von uns Menschen solidarisch ist. Wir nennen das: Erlösung. Mag. Dr. Manfred Holzleitner via Mail „Geheimnis der Person“ Aus-Zeit für Demokratie Von Christoph Konrath und Marianne Schulze Nr. 27, Seite 2 Im o. a. Artikel heißt es: „Vieles davon, wie Demokratie seit langem erklärt wird (...), baut auf die Erzählung einer Erfolgsgeschichte auf. Es geht um Wohlstand und um effiziente M Bild: Getty Images / ClassicStock / Sipley (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Foto: Privat International Ein direkter Krieg mit dem Iran ist unausweichlich, sagt der jüdische Historiker Michael Wolffsohn. Ein Gespräch über die „grölende Scheinelite“ an US-Unis, antiisraelische Medien und Gazas Zukunft. „Es ist die Feigheit der Liberalen“ „ Wenn Israel untergeht, geht der ganze Nahe Osten unter. Denn Israel hat Atombomben – man nennt das den ‚Samson Effekt‘. “ 5 Massive Vergeltung Politik (...). Wenn Menschen aufhören, sich als Teil dieser Erzählung zu begreifen, wird Demokratie schnell zu einer Abstraktion (...).“ Ergänzen darf ich einen Gedanken des Philosophen Emmanuel Lévinas, wenn er gemäß unserem abendländischen Menschenbild erinnert, dass es einen irreduziblen Unterschied gibt zwischen dem Lebensverlauf eines Menschen und dem staatlich Gemeinsamen. Wenn Menschen aufhören, sich gegenseitig als „Geheimnisse“ zu sehen und stattdessen nur noch als Individuen („Teile“) eines politischen Gemeinwesens, nur noch als „Bürger“, dann würde Demokratie zur „Statistik“. Und wenn hier „Demokratie“ als „organisierte Unsicherheit“ definiert wird, dann hat diese unaufhebbare (!) „Unsicherheit“ ihren tiefsten Grund eben im Geheimnis der Person, d. h. in ihrer persönlichen Verantwortung und Freiheit. Das Gelingen (was nicht ein „Funktionieren“ ist!) des demokratischen Gemeinwesens setzt die freie Verantwortung der Person für sich selbst und die anderen voraus. Daher ist auch der Pluralismus einer Gesellschaft nur auf Grundlage dieser Anerkennung des ethisch-spirituellen „Geheimnisses“ einer Person möglich. So gesehen dürfte Demokratie nicht allein auf die „Erzählung einer Erfolgsgeschichte gebaut“ sein, mit dem Ziel der Erhaltung des Wohlstands. Denn dann würde es genügen, nachzuweisen, dass eine nicht liberal-demokratische Organisation in ökonomischer und sicherheitspolitischer Hinsicht die größere Effizienz bewirken könnte, was dann ausreichend Grund gäbe, die Anerkennung der Freiheit des Bürgers („Ameisen-Staat“) zurückzunehmen, so Lévinas. Peter Mathei via Mail Wer ist hier „Dissident“? Interview mit Othmar Karas: „Die Mitte hat versagt“ Von Doris Helmberger Nr. 27, Seiten 6–7 Othmar Karas, scheidender Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments, wird im FURCHE-Interview als „ÖVP-Dissident“ bezeichnet. Aus meiner Sicht wäre es durchaus glaubhaft, die aktuellen ÖVP-Entscheidungsträger in EU-Fragen als „Dissidenten“ zu benennen. Dr. Wolfgang Himmler 8010 Graz Iran entnuklearisieren? Interview mit Michael Wolffsohn: „Es ist die Feigheit der Liberalen“ Von Philipp Fritz Nr. 26, Seiten 5–6 Im FURCHE-Interview bringt der israelische Historiker Michael Wolffsohn zum Gazakrieg mit der Hamas sehr gewagt zum Ausdruck, dass der Krieg mit oder ohne Netanjahu weitergehen werde – ohne zu erwähnen, dass der israelische Ministerpräsident wegen seiner Korruptionsdelikte mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bedroht ist und das ein wesentlicher Grund sein könnte, warum er den Krieg offensichtlich bei einer schon 30-fachen Vergeltung des brutalen Hamas-Überfalles in die Länge zieht. Die fast täglichen Großdemonstrationen in israelischen Städten für einen Waffenstillstand, Verhandlungen und die Rücktrittsaufforderungen an Netanjahu sind für ihn auch kein Thema. Vielmehr setzt er darauf, dass Israel Atomwaffen hat und erwartet, „dass Israel – mit oder ohne die Hilfe der USA, der Saudis, der Emirate, eventuell Aserbaidschans – den Iran angreifen und entnuklearisieren wird“. Will Wolffsohn seinen Optimismus aus dem iranischen Raketenangriff beziehen, den Israel mit Hilfe der USA, Jordanien und Saudi-Arabien abwehren konnte – nicht zuletzt, weil dieser vom Iran bewusst 72 Stunden vorher den USA angekündigt worden war, um damit eine echte Eskalation zu vermeiden? Die Einstellung von Michael Wolffsohn – „Wenn Israel untergeht, geht der ganze Nahe Osten unter. Denn Israel hat Atombomben; man nennt das den Samson Effekt“ – entspricht eher der Einstellung eines Kriegshasardeurs als der eines Historikers. Doch der Regierungschef wie der Historiker könnten einer Fehleinschätzung unterliegen: Was wäre, hätten die Mullahs sich die vielen Drohnen von Putin nicht mit Rubel bezahlen, sondern dafür Atomraketen liefern lassen? Karl Semmler 8283 Bad Blumau Am Freitag, den 12. Juli bringt die nächste Lotto Bonus-Ziehung wieder 300.000 Euro extra Bonus-Ziehung mit Corinna Kamper am Freitag im Lotto Studio Motorsport-Expertin, Moderatorin und Dancing Star Corinna Kamper ist als Multitalent in vielen Bereichen erfolgreich. Kommenden Freitag, den 12. Juli 2024, wird sie nun erstmals auch die Lotto Bonus-Ziehung moderieren, nachdem sie in dieser Woche auch als Gast-Trainerin morgens bei Fit mit Stars für einen sportlichen Tagesanfang sorgt. Bei der Lotto Bonus-Ziehung geht es wieder um einen Extra- Gewinn von 300.000 Euro, der gleich im Anschluss an die Bonus-Ziehung unter allen mitspielenden Tipps verlost wird. Die Regeln der Bonus-Ziehung sind die gleichen wie bei den Ziehungen am Mittwoch und Sonntag: Als Spielrunde gliedert sie sich in den Ziehungsrhythmus ein, gleichzeitig finden die Ziehungen von LottoPlus und Joker statt. Auch eventuelle Jackpots werden in die Runde mitgenommen. Annahmeschluss für die Bonus- Ziehung ist am Freitag, den 12. Juli 2024 um 18.30 Uhr, die Ziehung gibt es um 18.47 Uhr live in ORF 2 zu sehen. Corinna Kamper moderiert die Lotto Bonus Ziehung im Juli Foto: ORF Günther Pichlkostne IN KÜRZE RELIGION ■ Arbeitspapier veröffentlicht POLITIK ■ Kritik am Integrationsbericht GESELLSCHAFT ■ Ertrinken bei Kindern BILDUNG/WISSEN ■ Grundsicherung an Unis? Am 9. Juli hat der Vatikan das Arbeits papier für die zweite Session der Weltsynode in Rom (2. bis 27. Oktober) veröffentlicht. Das in fünf Abschnitte mit 112 Punkten gegliederte sogenannte Instrumentum laboris enthält dabei konkrete Vorschläge etwa für eine veränderte Rechtsordnung und Funktionsweise der weltweiten katholischen Kirche. In der Kirchenhierarchie soll es demnach künftig mehr Mitbestimmung, Transparenz und Rechenschaftspflicht geben. Auch der Vatikan soll künftig Rechenschaft vor den Ortskirchen ablegen. Mit dem Treffen im Oktober biegt der synodale Prozess nach drei Jahren in die Zielgerade ein. Die Caritas übt Kritik am diesjährigen Integrationsbericht, den die zuständige Ministerin Susanne Raab (ÖVP) am 8. Juli präsentiert hat. Den Angaben zufolge haben unter den in Österreich lebenden Menschen 1,8 Millionen – somit jeder Fünfte – keine österreichische Staatsbürgerschaft. „Staatsbürgerschaft bedeutet aber Teilhaberechte an der Gesellschaft, die Migrantinnen und Migranten so nicht haben“, kritisierte Caritas-Präsidentin Nora Tödtling-Musenbichler. Es sei durch Studien hinreichend belegt, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Integration von Zugewanderten beschleunige. In Österreich ist Ertrinken die häufigste tödliche Unfallursache bei Kindern unter fünf Jahren. Das berichtet das Österreichische Komitee für Unfallverhütung im Kindesalter. 90 Prozent der Ertrinkungsunfälle geschehen, während eine erwachsene Aufsichtsperson in der Nähe ist. Daher empfiehlt der Verein, Kinder im und am Wasser permanent und aufmerksam zu beaufsichtigen. Auch Schwimmhilfen schützten nicht zuverlässig. Außerdem sei das Durchschnittsalter der Unfallopfer in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen, weshalb auch die Schwimmkompetenz früh und umfassend gefördert werden müsse. Die Universitätenkonferenz (uniko) schlägt die Einführung einer Grundsicherung für Studierende vor, die eine bestimmte Mindeststudienleistung erreichen. Als Höhe schwebt uniko-Präsident Oliver Vitouch die Ausgleichszulage (ca. 1200 Euro) vor – in ihr sollen dafür Familien- und Studienbeihilfe aufgehen. Erhalten sollen sie alle Studierende, die 40 ECTS-Punkte pro Studienjahr erreichen. Von Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) gab es dazu eine Absage: Der Minister verwies u. a. auf Statements der ÖH, „die ein solches System eindeutig abgelehnt haben, weil es eigentlich eine Gießkanne ist, die keine Differenzierung bedeutet“.
DIE FURCHE · 28 11. Juli 2024 Kultur 13 Von Lydia Mischkulnig Die Höhen und Tiefen meiner sportlichen Leidenschaft ließen sich auf den 5. Februar 1976 zusammenschieben, als der Kärntner Franz Klammer, 22 Jahre alt, auf dem Innsbrucker Hausberg Patscherkofel, der vor hunderten Millionen Jahren entstanden war, seinen olympischen Abfahrtslauf hinlegte und „uns“ – wir waren schon dreizehn Jahre auf der Welt in Kärnten – den Atem stocken machte. Der Abfahrtsläufer setzte über die Kante, flog über das Pistenfeld und hockte die Mühen des unebenen Steilhangs durch, bis er ins Ziel bretterte und im Bruchteil der Sekunde mit der Verkündung der Bestzeit den Triumph begriff und die Arme hochriss. Das Mitfiebern, die Mitfreude, die plötzliche Entspannung, an einem Ziel der Unbesiegbarkeit angekommen zu sein, versetzten die johlende Horde in ein Stimmungshoch, das unter „uns“ die Distanz der Klassenstrukturen vergessen ließ. Wir waren Kaiser mitten auf dem Hauptplatz in Villach vor einer Elektrohandlung, deren Auslage mit Fernsehgeräten gekachelt war. Der Abfahrtslauf wurde auf den verschieden großen Schirmen übertragen und zeigte das Ereignis aufgesplittert und Franz Klammers Triumph als ein großes fraktales Muster. Der Held wurde gleich darauf von Reportern umringt und bedrängt, und ein Riese mit Teleobjektiv appellierte flehend an seine Kollegen: „Zerreißts eam do net.“ Held im fraktalen Muster Der Bursche im gelben Trikot stand eingequetscht zwischen enthusiasmierten Männern und keuchte über seine objektiv messbare Leistung freudige Emotion ins Mikrofon. Waren ihm die Umarmungsbestien zu viel des Guten, hätte er für sich allein den Augenblick des Triumphes länger genossen, anstatt seine Ausdruckskraft den Fans zum Fraße vorzuwerfen und sie mit seiner vollbrachten Leistung zu nähren? Irgendwie wurde der Held in meinen Augen zu einer sublimierten Art des Menschenopfers, vielleicht durch das fraktale Muster der Fernsehgeräte. Die eigenen Grenzen auszureizen und in den Ring mit sich selber zu treten, erkenne ich als das Kräftemessen mit dem leeren weißen Blatt wie auch des Skifahrers mit der weißen Piste an. Der Vergleich hinkt. Deshalb weise ich jede Sportlichkeit aus mir hinaus. Da ich den Punkt der Identifikation mit einem Hochleistungssportler zur Markierung meiner Fantauglichkeit einsehe, bedeutet das für mich, ein Stückchen Unbesiegbarkeit mitschneiden zu wollen. Im Glanz des Erfolges ein Stimmungshoch zu erfahren und mich fremdstolz fühlen zu dürfen, hebt meinen Selbstwert und tut gut. Fan sein ist gesund. Fans zu haben, ist auch gesund. Niemand sitzt bei mir zu Hause und macht die Welle, wenn ich das Runde in das Eckige befördere, alles in extremer Zeitlupe, dabei spielt sich äußerlich nichts ab beim Schreiben als das Sitzen und Tippen. Bevor der Ball abgegeben wird, nicht gleich der Löffel, sind Jahre vergangen, und dann können die gedruckten Sätze ihre Mitspieler im Betrieb und eventuelle Fans in den Arenen erst ansprechen. Die Foto: APA / Eva Manhart Zeiten der Schöpfung und Rezeption sind weit auseinandergeschoben. Je kürzer die Distanz zwischen diesen Polen, umso mehr Fans bei Erbringung der Hochleistung, umso mehr ist Arena, der Ort der Gleichzeitigkeit. Ilija Trojanow und Klaus Zeyringer haben ein Buch über die Beziehung von Sport und Fans geschrieben, denn die Covid-Pandemiezeit rückte die Abhängigkeit sportlicher Ereignisse von der Befeuerung durch das Publikum in den Fokus. Die Fans beweisen Treue, in guten wie in schlechten Zeiten, auch über den Tod des Idols hinaus, und sie spendieren das Fluidum des Ansporns, welches das Spielgeschehen etwa beim Fußball beeinflusst. Die Untersuchung des Fantums bringt systemische Mängel des Profisportes zutage, deckt die Machtverhältnisse von parasitären Machenschaften der Verbände auf und bietet eine Kulturgeschichte des „Fanomens“ mit einem Fundament aus Fakten und persönlichen Beobachtungen, verwoben mit Witz durch sprachliches Feingefühl, sodass man sich an der Lektüre über die Unsportlichkeiten, die zur Sportwelt gehören wie das Amen im Gebet, literarisch nähren kann – die Fans von Frauenfußball werden jubeln. Das Schaffen im Verborgenen ist ein körperlicher Kraftakt Jubelnde Gruppen, vielleicht sogar angezogen wie ihre Idole, ziehen wieder durch die Straßen: Das Fantum ist ein Phänomen. Wofür ist es gut, wo lauern Gefahren? Fremdstolz der Fans und verlangt wie im Sport Wiederholung und Übung, um weiter zu kommen. So kehre ich ins Fantum zurück. Ich wohnte dem Achtel finale der EM bei. Umgeben von Villacherinnen. Wer hielt zu wem, es war uns egal. Wer waren die Underdogs? Das Kräftemessen, der Patriotismus als Zugehörigkeit, der das Team zusammenschweißt, darauf konnten wir verzichten. Ilija Trojanow und Klaus Zeyringer berichten aus persönlicher Erfahrung über die Wertschätzung von Mannschaftsgeist und zeigen über die Kulturgeschichte der Bewirtschaftung des Sports und der Kapitalisierung des Spieltriebs die Macht der Fans auf, nicht nur passiv bis zur Berauschung und zum Ausrasten blind zu folgen, sondern durch politische Bewusstheit und Verantwortung der Instrumentalisierung der Verbände und Fernsehrechteinhaber zu entsagen. Vorteile im Alltag Die triumphale Rückkehr in die Routine des Alltags besorgt dem Fan nachhaltige Vorteile gegenüber dem Nichtfan: Sinn, Beheimatung, erhöhter Selbstwert. Gemeinschaftserlebnis und Identifikation mit dem Idol, der Mannschaft oder der Schönheit des Zusammenspiels als Schule für die Solidarität. Der Nutzen scheint also groß, aber schützt nicht vor der Bestialität eines entgrenzenden Vernichtungswunsches der Fanatisierten, die ihre rechtsradikalen Ausschreitungen in ihrer Vermassung entladen. Die Macht der Fans zum Wohle des Kollektivs und seiner Individuen, die sich „ Im Glanz des Erfolges ein Stimmungshoch zu erfahren und mich fremdstolz fühlen zu dürfen, hebt meinen Selbstwert und tut gut. “ gegen Vereinnahmung zur Wehr setzen und der Sucht nicht erliegen, birgt auch eine Schule dialektischen Denkens, immer im Kopf zu haben, das Spiel ernst zu nehmen, es für die Wirklichkeit zu halten und zugleich zu wissen, dass es nur ein Spiel bleibt. Die Autoren schreiben, Sport biete eine Ersatzreligion, sei aber kein Religionsersatz. Die spirituelle Erfüllung ist nicht zu haben, denn nach wie vor dem Spiel ist das Leben endlich. Aber: Die Idee von der Überwindung des Todes reicht uns Menschen, die größten Gruppen unter den Säugetieren zu einen. „Auf dem Literatur- und Fussballfeld“: Brigitte Schwens-Harrant sprach am 5.7.2018 mit Stefan Gmündner, furche.at. Public Viewing Man richtet ihnen „Meilen“ ein, wo sie gemeinsam sportliche Leistungen feiern oder Niederlagen verschmerzen können. So auch am 2. Juli 2024 beim Fußball-EM-Spiel Österreich gegen die Türkei auf dem Rathausplatz in Wien. Franz Klammer, der in Gelb über das Weiß des Patscherkofels flitzte, erzeugte ein Gefühl von Patriotismus. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Franz Klammer zu fragen, ob er auch Slowenisch versteht. Die Zweisprachigen zu Hause waren zu alt für Sport, aber sie wünschten uns Siegesrauschigen einen guten Tag, der niemandem schadete. Der schwelende Stolz in der Brust meines Gemeinschaftskörpers verwandelte sich in Respekt für den leistungsstarken Sportler und reicherte sich trotzdem mit ein wenig Verachtung an, da er mehr Zeit auf der Piste anstatt in der Schule verbrachte: Ja, was soll denn aus einem Skifahrer schon werden? Mein herablassendes Mitleid mit Franz Klammer lässt mich heute lächeln darüber, wenn ich meinen Kontostand anschaue und mir seinen ausmale. Die Dimension großer Zahlen ist für meine Verhältnisse schwer vorstellbar. Die Verkommenheit in Form riesiger Kopfgeldsummen und Teameinkäufe für menschenrechtsverbrecherische Systeme, um ihren Diktatoren eine Bühne zur Selbstrepräsentation zu geben, wird in den Essays schonungslos analysiert und kritisiert. Ich gehörte mit meiner Klassenstruktur zum Kollektiv einer Klammer-Fan-Schülergruppe, durch einen Sieger geeint und nicht durch einen Feind. Gegen Fanatisierte, die von Hetze und Faschismus besessen sind, dagegen gilt es Haltung zu bewahren, wie französische Fußballer und der Trainer unseres Nationalteams kürzlich bewiesen. Die Autorin ist Schriftstellerin. Zuletzt erschienen: „Die Gemochten“, „Die Richterin“. Fans Von den Höhen und Tiefen sportlicher Leidenschaft Von Ilija Trojanow und Klaus Zeyringer S. Fischer 2024 272 S., geb., € 26,80
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