DIE FURCHE · 19 6 International 11. Mai 2023 Von Ben Segenreich Vor ziemlich genau 40 Jahren bin ich aus Österreich nach Israel eingewandert. Ich kann also sagen, dass ich den größeren Teil der 75-jährigen Geschichte dieses Staates aus der Nähe miterlebt habe. Zum Leben in Israel gehört ein Satz, den ich mir in dieser Zeit beinahe täglich anhören musste: „Das wird nicht mehr lange weitergehen.“ Den Satz gibt es in verschiedenen Varianten, wie: „Was soll das für ein Land sein?“ oder „Wenn uns unsere Feinde nicht zerstören, dann werden wir uns selbst zerstören“ oder „Der Letzte, der weggeht, löscht das Licht“. Wenn die Israelis selbst schon so über sich reden, dann ist es nicht verwunderlich, dass Ansagen von außen ähnlich klingen. „Wird Israel im Jahr 2048 noch existieren?“, „Warum es Israel in 50 Jahren nicht mehr geben wird“ oder schlicht „Wird Israel überleben?“ – so und ähnlich lauten Titel von regelmäßig erscheinenden Artikeln, in denen der mögliche Untergang des jüdischen Staates erörtert oder gar herbeigesehnt wird. Irgendwie gilt Israel auch nach einem Dreivierteljahrhundert noch immer als Experiment, dessen Gelingen keineswegs feststeht. Gezweifelt wird dabei nicht nur an der Existenzfähigkeit, sondern am schieren Existenzrecht Israels. Es ist aufschlussreich, dass die deutschsprachige Wikipedia sogar einen Artikel „Existenzrecht Israels“ aufweist. Wandel zur Konsumgesellschaft Über Israel wird, auch in Israel selbst, viel Unsinn verbreitet. Es ist offensichtlich, dass nicht alles schlechter, sondern vieles viel besser geworden ist. Zum Beispiel das Essen. Als ich eingewandert bin, gab es in Tel Aviv nur zwei brauchbare Konditoreien („Kapulski“ und „London“), in den Bäckereien gab es nur Pita und Einheitsweißbrot, in den Restaurants nur Hummus und Schischlik. Heute gibt es landesweit unzählige Patisserien, Bäckereien, deren Schwarzbrot fast so gut duftet wie das in Österreich, und israelische Küchenchefs haben internationalen Ruf. Vor 40, 50 Jahren waren Auslandsreisen für die meisten Israelis unerschwinglich. Heute hört man überall auf der Welt hebräisches Geplapper, nicht nur auf der Kärntner Straße in Wien und auf den Schipisten in Tirol, sondern auch in den entlegensten Winkeln von Südamerika und Fernost. Das spiegelt Israels Wandlung von einer spartanischen Pionierkommune (noch bis 1959 waren Lebensmittel rationiert) zu einer Konsumgesellschaft westlichen Zuschnitts wider. Israel ist (seit 2010) das einzige OECD-Mitglied in der Region und wird als „Start-up-Nation“ bestaunt und nachgeahmt. Mit seinem BNP pro Kopf war Israel vor zehn Jahren noch nicht unter den Top 30 der Welt, liegt aber jetzt schon auf Platz 13, noch vor Kapazundern wie Schweden oder Deutschland. Seit Beginn des Jahrtausends meldet Israel fast durchgehend niedrige Arbeitslosenquoten, üppige Auslandsinvestitionen, eine harte Währung, Triumph der Hoffnung Am 14. Mai 1948 verkündete Premier Gurion vor der jüdischen Ratsversammlung die Gründung des Staates Israel. „Nie wich seine Hoffnung“, umriss er die Historie des jüdischen Volkes. Amir Fuchs, Rechtsstaatsexperte aus Jerusalem, erklärte im Interview: „Mit den Gerichten fängt alles an“ (P. Fritz ; 5.4. 2023), furche.at. Vor 75 Jahren wurde der Staat Israel ausgerufen. Ben Segenreich über das Experiment einer „Start-up“-Nation, die sich als robuster erweist, als viele glauben wollen. Der Letzte löscht das Licht aus die (im Verhältnis zum BNP) weltweit höchsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung und immer neue Tourismusrekorde. Außenpolitisch steht Israel heute besser da als je zuvor. Längst vergessen ist der berüchtigte „Arabische Boykott“, der Israel jahrzehntelang isoliert hat. Es gab einen „primären Boykott“ (gegen Israel), einen „sekundären Boykott“ (gegen Firmen, die mit Israel Geschäfte machten) und sogar einen „tertiären Boykott“ (gegen „ Um 1960 herum lebten hier nur zwei Millionen Juden, auf einem eingekapselten Landstrich ohne Wasser und Ressourcen. “ Firmen, die mit Firmen Geschäfte machten, die mit Israel Geschäfte machten). Insbesondere Japan, total von arabischem Öl abhängig, war gefügig. Noch in den 1980er Jahren war Subaru der einzige japanische Autoerzeuger, der es wagte, nach Israel zu exportieren. Heute sieht man auf Israels verstopften achtspurigen Autobahnen alle japanischen Marken und die anderen asiatischen dazu. Der Ostblock, der Israels Feinde bewaffnet und beschirmt hat, ist zerfallen, und seine früheren Mitglieder pflegen gute Beziehungen zu Israel. China, das bis 1992 Israel nicht einmal anerkannt hatte, ist heute nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner. Mit den europäischen Nachbarn Griechenland und Zypern, früher ziemlich unfreundlich zu Israel, schwelgt man seit gut zehn Jahren im „Honigmond“, natürlich nicht aus romantischen Motiven, sondern wegen handfester Interessen gegenüber der Türkei und bei der Erdgasförderung im östlichen Mittelmeer. Ein richtiger Game-Changer waren die „Abraham-Abkommen“, durch die 2020 kurz hintereinander vier arabische Staaten (die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, der Sudan und Marokko) ihr Verhältnis zu Israel normalisierten. Man musste sich die Augen reiben, wenn man sah, mit welcher Begeisterung die Menschen in Israel und speziell in den Emiraten plötzlich aufeinander zugingen. Allein schon etwas scheinbar so Selbstverständliches, aber bis dahin Undenkbares wie die Telefondurchwahl zwischen den beiden Ländern war ein winziges Indiz für einen gewaltigen Umbruch. Bei einer pompösen Technologiewoche im World Trade Center in Dubai, wo man sich über Cyber Security, künstliche Intelligenz, Blockchain-Anwendungen und andere Innovationen austauschte, war ganz offiziell eine israelische Delegation mit nicht weniger als 130 Ausstellern dabei, und man zelebrierte sogar einen eigenen Israel-Tag. Auf der Liste der aus Tel Aviv von den meisten Passagieren angeflogenen Destinationen liegt jetzt Dubai auf dem zweiten Platz. Auch militärisch war Israels Position noch nie so stark wie jetzt. Natürlich, wir können nicht in die Zukunft blicken und wissen nicht, ob und wann das iranische Mullah-Regime Kernwaffen haben wird. Aber wir erinnern uns an die Vergangenheit und Israels existenzielle Bedrohung durch „klassische“ Kriege, wie es sie heute nicht mehr gibt. In den ersten Jahrzehnten nach der Staatsgründung war die Frage, ob Israel überleben würde, ja wirklich berechtigt gewesen. Um 1960 herum lebten hier erst zwei Millionen Juden, auf einem winzigen, eingekapselten Landstrich ohne Wasser und Ressourcen, umgeben von Hunderten Millionen näheren und ferneren Nachbarn, für die Israel ein Fremdkörper war, den es zu entfernen galt. In der zermürbenden Wartezeit vor dem Krieg von 1967 wurden in Tel Aviver Parks Massengräber vorbereitet, weil man mit Zehntausenden Toten rechnete. Menschen trugen Giftpillen bei sich, um Selbstmord zu begehen, wenn Israel von ägyptischen Panzern überrannt werden sollte. Am zweiten Tag des Kriegs von 1973 rechnete der entnervte Verteidigungsminister Mosche Dayan mit der „Zerstörung des Dritten Tempels“, eine Metapher für den jüdischen Staat der Neuzeit. Heute können die Raketen der Hamas aus dem Gazastreifen und der Hisbollah aus dem Libanon zwar großes Unheil anrichten, aber natürlich Israel nicht ausradieren – auch deswegen, weil Israel einzigartige Illustration: Rainer Messerklinger Abwehrsysteme wie die „Eiserne Kuppel“ und „Davids Schleuder“ entwickelt hat. Ganz abgesehen von den Gefahren von außen – immer wieder ist die Rede davon, dass das Land im Inneren „tiefer gespalten ist als je zuvor“. Na ja, für ein Multikulti-Gemenge, in dem sich Juden verschiedener Hautfarben aus dutzenden Herkunftsländern, muslimische und christliche Palästinenser, Beduinen, Drusen, Tscherkessen, Samaritaner, Karäer, Maroniten, Armenier und Black Hebrews tummeln, funktioniert Israel recht gut. Gegensätze und Konflikte zwischen aschkenasischen und orientalischen Juden, Religiösen und Säkularen, Israelis und Palästinensern, Juden und Muslimen, Linken und Rechten, Neueinwanderern und Alteingesessenen, Jerusalem und Tel Aviv gehören gewissermaßen zur israelischen Identität. Und wenn mir jemand erzählt, früher sei Israel nicht gespalten und zerrissen gewesen, dann hat er oder sie ein kurzes Gedächtnis. Schwere innere Spannungen gab es etwa 2011 bei den Massen-Sozialprotesten, 2005 beim Gaza-Rückzug, 1995 nach der Ermordung von Premierminister Jitzchak Rabin, 1993 um das Oslo-Abkommen, 1982 während des Libanon-Kriegs, 1973 nach dem Jom-Kippur-Krieg, 1971 um die Aktionen der „Schwarzen Panther“. Im Januar 1952 wurde gar das damalige Parlamentsgebäude in Jerusalem von Tausenden Demonstranten belagert und mit Steinen beworfen. Sie waren empört, weil die Regierung sieben Jahre nach dem Holocaust Entschädigungszahlungen aus Deutschland – „Blutgeld“ – annehmen wollte. Nicht gewählte Richter- „Clique“ Die Proteste, die seit Anfang dieses Jahres Israel aufwühlen, haben ohne Zweifel eine noch nie dagewesene Dimension. An jedem Wochenende, oft auch an Wochentagen, demonstrierten Hunderttausende gegen die geplante Justizreform. Immer eindringlicher und aufgeregter wurden zugleich Warnungen aus der Elite der Gesellschaft – von Juristen, hohen Reserveoffizieren, früheren Leitern der Geheimdienste, Finanzexperten, Hightech-Unternehmern, Bürgermeistern bis hin zum Staatspräsidenten Jitzchak Herzog – vor dem „Ende der Demokratie“, einem „Putsch“ und einer „faschistischen Diktatur“. Das ist schon deswegen übertrieben, weil es in spätestens dreieinhalb Jahren, wahrscheinlich viel früher, wieder Parlamentswahlen geben wird, an denen nicht gerüttelt werden kann. Und nach jüngsten Umfragen würde das Lager von Premier Benjamin Netanjahu deutlich verlieren. Davon abgesehen ist die Justizreform eine komplexe Materie, und manche Aussagen darüber sind nur halb wahr oder ganz falsch. Richtig ist, dass die Reform darauf abzielt, den Obersten Gerichtshof (OGH) zu schwächen. Das klingt problematisch und ist es auch, aber hier fehlt der Kontext. Man muss dazusagen, dass der OGH von einer ungewöhnlich starken Ausgangs-
DIE FURCHE · 19 11. Mai 2023 International & Politik 7 Im SPÖ-Führungsstreit steht Wiens Bürgermeister Michael Ludwig hinter der Parteichefin. Ein Gespräch über die rote Orientierungskrise, das Phänomen Kickl, die KPÖ-Renaissance und den Wiener Corona-Weg. position her geschwächt werden soll. Von allen Ländern der Welt hat Israel wahrscheinlich den einflussreichsten, „aktivistischsten“ OGH. Er kann nicht nur vom Parlament beschlossene Gesetze kippen, sondern greift regelmäßig in die Tagespolitik ein, indem er Entscheidungen der Regierung, von Ministern oder von Gemeindepolitikern außer Kraft setzt. Der OGH muss seine Erkenntnisse dabei nicht unbedingt mit Gesetzen begründen, sondern kann eine „Angemessenheitsbegründung“ anführen – das heißt, eine Politikerentscheidung kann, auch wenn sie kein Gesetz verletzt, aufgehoben werden, bloß weil sie von der subjektiven Weltanschauung der Höchstrichter und -richterinnen her „extrem unangemessen“ ist. Eben das sei undemokratisch und müsse geändert werden, sagen die Befürworter der Justizreform. „ Weil es keine Verfassung gibt, braucht man den OGH – und weil es keine Verfassung gibt, kann der OGH machen, was er will. “ Hier spielt herein, dass Israel zwar dreizehn „Grundgesetze“, aber noch immer keine „komplette“ Verfassung hat. In der Unabhängigkeitserklärung vom 14. Mai 1948 steht, dass „spätestens am 1. Oktober 1948“ eine Verfassung verabschiedet werden sollte. Doch man lag im Krieg, hatte andere Prioritäten, konnte sich nicht einigen, und das Projekt ist steckengeblieben. Den Kern des Streits um die Justizreform bildet einfach das OGH-Dilemma. Einerseits: Der OGH füllt die Lücken beim Schutz von Menschen-, Freiheits- und Minderheitenrechten – er ist also eine Art „Verfassungs-Ersatz“, ein Schutzschild der Demokratie, und sollte daher nicht angetastet werden. Andererseits: Eine nicht absetzbare, nicht vom Volk gewählte Richter-„Clique“ kann das Fehlen klarer Verfassungsvorschriften ausnützen, um sich Autorität über demokratisch gewählte Organe anzumaßen. Mit anderen Worten: Weil es keine Verfassung gibt, braucht man den OGH – und weil es keine Verfassung gibt, kann der OGH machen, was er will. Ohne Zweifel hat Israel zuletzt das Bild eines zerrissenen und dadurch gefährdeten Landes geboten. Zugleich zeigte Israel der Welt ein großartiges Schauspiel von gelebter Demokratie. Hier hat eine selbstbewusste Zivilgesellschaft unter persönlichen Opfern unerschrocken ihre Werte verteidigt und eine ganz konkrete Wirkung erzielt. Ein bisschen überspitzt könnte man sagen: Die Parolen vom „Ende der Demokratie“ in Israel haben sich selbst widerlegt. Wenn man so frei, massiv und effizient für die Demokratie eintreten kann, dann kann von einem Ende der Demokratie keine Rede sein. Der Autor ist österreichischisraelischer Journalist und war bis 2018 Korrespondent des ORF. „Es hilft nicht, die FPÖ zu kopieren“ Foto: Inés Bacher Das Gespräch führten Doris Helmberger und Brigitte Quint Weiter so mit Pamela Rendi-Wagner? Oder rechts blinken mit Hans Peter Doskozil? Oder links mit Andreas Babler? Knapp 150.000 SPÖ-Mitglieder konnten bis 10. Mai abstimmen, wer die Sozialdemokratie künftig führen soll – und zwar idealerweise an der FPÖ vorbei an die Spitze. Am 22. Mai soll ihr Votum publik werden. Michael Ludwig hat von Anfang an der Parteichefin den Rücken gestärkt. Warum eigentlich? Und wie ist ein Kanzler Kickl zu verhindern? DIE FURCHE hat mit ihm darüber gesprochen – unmittelbar, nachdem er den 98-jährigen polnischen Zeitzeugen Stanisław Zalewski im Rathaus empfangen hatte. Dieser war als einer der letzten Überlebenden des KZ Gusen bei der Gedenkveranstaltung am 5. Mai im Parlament zu Gast, wo der deutsche Publizist Michel Friedman scharfe Kritik übte. DIE FURCHE: Herr Bürgermeister, Michel Friedman hat die FPÖ als „Antidemokraten“ bezeichnet und der ÖVP vorgeworfen, sie durch Regierungsbeteiligung „gekoschert“ zu haben. „Wehret den Anfängen!“, mahnte er. Eine Frage an den promovierten Historiker: Haben Sie tatsächlich Sorge, dass sich die Geschichte wiederholt? Michael Ludwig: Die Ereignisse der Dreißiger-Jahre lassen sich nicht einfach mit der Gegenwart vergleichen. Aber es ist schon so, dass in Österreich, aber auch in anderen Ländern Europas, rechtspopulistische Parteien vieles für ihre Zwecke zu nutzen wissen. Etwa die Verunsicherungen durch eine dreijährige Pandemie. Zudem tobt der russische Angriffskrieg in der Ukraine, der zu einer völligen Neuordnung der europäischen Friedenssituation geführt hat. Damit verbunden sind die steigenden Energiepreise, die Inflation, der wirtschaftliche Druck für viele Haushalte. Und in dieser Situation gelingt es radikalisierten politischen Gruppen zu punkten. Wir müssen aufpassen, dass das, was wir als liberale Demokratie verstehen, nicht in Diskussion gestellt wird. Es gibt ja europäische Länder, wo auch Regierungsvertreter davon sprechen, dass man andere Formen des Zusammenlebens finden soll, nämlich autoritäre. Hier sollte man den Anfängen wehren. DIE FURCHE: Laut jüngsten Umfragen liegt die FPÖ unter Herbert Kickl mit rund 28 Prozent an der Spitze, die SPÖ – trotz für sie günstiger Themenlage – nur auf Platz drei. Wie erklären Sie sich das Phänomen Kickl? Ludwig: Er ist aus seiner Sicht ein guter Stratege, weil er immer versucht, ein Alleinstellungsmerkmal in der politischen Landschaft – sozusagen gegen den „Mainstream“ – festzulegen. Das hat er bei Corona gemacht und auch bei der Nähe zum Putin-Regime. Und es gelingt ihm damit auch, einen Teil der Wählerschaft an die FPÖ zu binden. Aber das ist nicht neu: Die FPÖ hat seit Mitte der 1980er Jahre diese Politik betrieben. Damit muss man sich auseinandersetzen. Man kann sich ja nicht darauf verlassen, dass sich die Freiheitlichen immer wieder selbst zerstören, wie das in der Vergangenheit der Fall war. „ Ich verstehe nicht, was mit ,Rückbesinnung auf sozialdemokratische Werte‘ gemeint sein soll. Wir leben diese Werte bereits. “ Michael Ludwig gilt als starker Mann in der SPÖ – will aber nicht Bundesparteichef werden: „Das ist eine andere Liga. Umso mehr bewundere ich das Selbstvertrauen mancher Kollegen.“ DIE FURCHE: Umso mehr fragt man sich, warum bis heute niemand – auch nicht die SPÖ – ein Rezept gegen diese blaue Strategie gefunden hat. Ludwig: Es ist eben eine strategische Ausrichtung, die mit autoritären Strukturen liebäugelt. Und es gibt leider ein gewisses Potenzial in der Bevölkerung, das sich an solchen autoritären Strukturen orientiert. Dagegen muss man in der politischen Auseinandersetzung auftreten, auch durch Bildungsarbeit. Aber es ist auch notwendig, dass man hier klare Kante zeigt. Von daher gehöre ich nicht zu jenen, die glauben, man muss diese Politik kopieren, um diese Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Und ich glaube auch, dass das eine Fehleinschätzung vieler in der ÖVP ist. Es wird der ÖVP nicht helfen, die FPÖ zu kopieren. DIE FURCHE: Die aktuellere Frage ist, ob es der SPÖ helfen wird, die FPÖ zu kopieren. Hans Peter Doskozil versucht es beim Thema Migration. Auf der anderen Seite versucht Andreas Babler, sich auf alte sozialdemokratische Werte zu besinnen – und wird dafür von der Basis gefeiert. Warum glauben Sie, dass ausgerechnet Pamela Rendi-Wagner die beste Wahl ist und dem Siegeszug der FPÖ Einhalt gebieten kann? Ludwig: Was die von Ihnen angeführten Strategien der beiden Herausforderer betrifft, so teile ich sie nicht. Erstens verstehe ich nicht, was mit „Rückbesinnung auf die Werte der Sozialdemokratie“ eigentlich gemeint sein soll. Denn wir leben die Werte der Sozialdemokratie bereits, da bedarf es keiner Rückbesinnung. Und die zweite Strategie bedeutet nichts anderes, als dass man versuchen würde, FPÖ-Wähler mit einem Kurs zu gewinnen, der wenig mit der Sozialdemokratie zu tun hätte. Das hieße, wir müssten unsere Grundwerte überdenken – was ich entschieden ablehne. Pamela Rendi-Wagner ist demgegenüber eine glaubwürdige politische und personelle Alternative zu den rechtspopulistischen Strömungen. Es ist noch nicht lange her, dass die SPÖ unter ihrer Führung mit rund 30 Prozent deutlich auf dem ersten Platz in den Umfragen gelegen ist. Aufgrund von innerpar- FORTSETZUNG AUF DER NÄCHSTEN SEITE
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