18 · 4. Mai 2023 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 79. Jg. · € 4,– Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0 18 · 4. Mai 2023 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 79. Jg. · € 4,– kungen, was dessen Online-Angebot orf.at betrifft. Und eine Entparteipolitisierung des ORF? Fehlanzeige! Wieder einmal. Die Debatte über die „blaue Seite“ des ORF ist prototypisch fürs medienpolitische Desaster, in dem sich Österreich seit Jahr und Tag wiederfindet: Denn man darf den ORF Von Otto Friedrich nie ohne die Rahmenbedingungen für alle Medien betrachten. Die Transformationen, die Medien aller Art zurzeit erleben und erleiden, würden eine politische wie gesell- etzte Woche besiegelte die türkis-grüne Bundesregierung das Geldes, das sich die Republik mit der Einschaftliche Diskussion der Sonderklasse wand in den Wind schlagen: Ein Teil des Ende der Wiener Zeitung, genauer: stellung der Wiener Zeitung erspart, soll in verlangen. Denn Medien müssen existieren deren Ende als gedruckte Tageszeitung. Eva Blimlinger, grüne Medisteckt werden – ein Vorschlag, der weithin nen. Klassische Erlösmodelle sind jedoch eine staatliche Journalistenausbildung ge- und Journalist(inn)en von etwas leben könensprecherin, ließ ihren parlamentarischen kritisiert wurde. Der Respons der Politik, weggebrochen – die Werbung etwa wird Nekrolog auf die bald nicht mehr älteste Tageszeitung der Welt in einem skandalösen gen. Und das Geplante durchziehen. ten abgesaugt. Und von Medienkonsumen- von der Medienministerin abwärts: schwei- von den internationalen Technologiegigan- Bild gipfeln. Sie verglich den Neuanfang der t(inn)en Einnahmen zu lukrieren, wenn sie Republik Österreich am 27. April 1945 mit Weder Plan noch Vision für den ORF nicht dazu gezwungen sind (z. B. via Haushaltsabgabe), bleibt extrem herausfordernd. dem nunmehrigen „Neuanfang“ der Wiener Dabei dürfte das Elend der Wiener Zeitung Zeitung, als den sie die Einstellung verbrämte: Blimlingers Entgleisung mag als weite- Inferiorität bleiben. Denn die politische dien, die für ihre Inhalte Bezahlung be- nur eine Fußnote in der medienpolitischen Dass die „Kleinen“ im Konzert der Meres Indiz dafür herhalten, wie erbärmlich Nichtdiskussion rund um den ORF ist noch nötigen, dann aufschreien, wenn öffentlich finanzierte, gleichartige Angebote des sich die Medienpolitik im Land geriert. viel prekärer: Auch hier zeigt sich, dass von Es hätte viel zu reden gegeben rund um der zuständigen Politik weder ein Plan noch ORF „gratis“ sind, sollte nicht verwundern. die Wiener Zeitung. Und es lagen Vorschläge zu deren Überleben auf dem Tisch (in der lich-rechtliche Medien unter den Bedingun- (wirtschaftliche) Existenz von Qualitäts- eine Vision dazu zu haben war, wie öffent- Medienpolitik wäre gefordert, um die FURCHE hatte Medienwissenschafter Fritz gen der 2020er Jahre gestaltet sein sollten. medien und deren Vielfalt zu gewährleisten. Wenn ebendiese Politik nun die Wiener Hausjell bereits im April 2021 mit einem Das neue Gesetz zum ORF, das die Bundesregierung nun vorgelegt hat, ist mitnich- Zeitung einstellt, zeigt dies, dass ihr dieses Rettungsvorschlag aufhorchen lassen, vgl. S. 21). Wurde aber einer dieser Vorschläge ten ein Produkt des Diskurses über Medien Anliegen herzlich egal ist. Das empört auch öffentlich diskutiert? Nein. Ob in den Hinterstübchen der Politik irgendein Szenario gerichtshof, der eine Neuaufstellung der Fine vitale Demokratie bedarf lebender und im Land. Sondern es war der Verfassungs- in demokratiepolitischer Hinsicht: Denn ei- angekommen war, entzieht sich der Kenntnis auch des journalistischen Beobachters. langte: Und weil eben dies zu reparieren ist, chische Weg führt diesbezüglich in die Irre. nanzierung der größten Medienanstalt ver- lebendiger Medien. Der aktuelle österrei- Ja, so funktioniert Medienpolitik im Land: handelt die Regierung. Also kommen eine management by chaos. Oder einfach drüberfahren, sprich: zusperren. Oder jeden Einheiten für den ORF und einige Einschrän- Haushaltsabgabe sowie mehr digitale Frei- otto.friedrich@furche.at @ofri_ofriedrich Einer Vereinigung Zyperns stehen vor allem die Interessen Ankaras im Weg, sagt Niyazi Kızılyürek, türkisch-zypriotischer Abgeordneter im Europaparlament. Seite 8 Der Mai gilt als Marienmonat. Theresia Heimerl über die „Himmelskönigin“, deren Macht jene irdischer Royals weit übersteigt – und weibliche Selbstermächtigung. Seite 11 Sarah Kirsch gilt als eine der wichtigsten deutschen lyrischen Stimmen der Nachkriegszeit. Zum zehnten Todestag der Dichterin. Seite 19 Daniela Strigl über Alexander Van der Bellens Rede zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse: Sie unterlief „gfeanzt“ alle Vorgaben gewichtig- staatstragender Rhetorik. Seite 19 In Ulrich Seidls Film „Sparta“ setzt sich der Darsteller Georg Friedrich mit verbotenen Gefühlen auseinander. Ein Gespräch mit dem Regisseur zum Filmstart. Seite 20 Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0 DIE FURCHE · 19 16 Diskurs 11. Mai 2023 IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Zum Thema Pressefreiheit Das weiße Titelblatt der FURCHE und Politisches Irrlichtern Von Otto Friedrich Nr. 18, Seiten 1 und 3 Mit Spannung habe ich Ihren Beitrag zum Internationalen Tag der Pressefreiheit erwartet. Der Inhalt hat mich dann doch sehr verwundert. Gute Themen zum Thema Pressefreiheit in Österreich wären für mich beispielsweise gewesen: 1. Politiker sind davon abhängig, vom Boulevard positiv dargestellt zu werden und erkaufen sich die Zustimmung von diesem mit Inseraten. 2. Besitzverhältnisse privater Medien in Österreich sind sehr stark konzentriert. So ist DIE FURCHE zwar eine kleine Wochenzeitung, gehört aber zur großen Styria Group. 3. Reporter werden auf Demonstrationen in Österreich davon abgehalten zu berichten. 4. Onlineportale mit extrem rechten „Gratis-Inhalten“ (auf1.tv, exxpress.at) verbreiten Hass und Falschinformationen und stehen in direkter Konkurrenz zu Qualitätsmedien. 5. Medien orientieren sich zunehmend an „Social Media“-Inhalten. Es wird berichtet, wer gerade wen gecancelt, beschimpft oder sich gerade welche Entgleisung geleistet hat. Eine Auseinandersetzung mit Inhalten wird furche.at dadurch in den Hintergrund gedrängt. Stattdessen wurde im weißen Umschlag der Zeitung suggeriert, das größte Problem für die Pressefreiheit in Österreich sei, die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks so wie bisher fortzusetzen (inflationsbereinigt bleibt die Finanzierung in etwa gleich). Sie schreiben, dass die Politik „weder einen Plan noch Visionen hat, wie öffentlich-rechtliche Medien unter den Bedingungen des 2020 Jahrhunderts gestaltet sein sollten“. Was wäre Ihre Vision, um die Pressefreiheit in Österreich zu verbessern (abseits der Verschlechterung der Finanzierung des öffentlich rechtlichen Rundfunks)? Johannes Kastenhofer, via Mail Anmerkung: Auf das Thema Pressefreiheit wurde keineswegs nur in diesem Leitartikel eingegangen, sondern in derselben Ausgabe auch in einem Beitrag über das Pressefreiheits-Ranking von „Reporter ohne Grenzen“ (Seite 21) sowie in FURCHE Nr. 17 in einem vierseitigen Fokus. Alle von Ihnen erwähnten Aspekte werden immer wieder in der FURCHE aufgezeigt und analysiert. Genauso allerdings ist zu bemängeln, dass in Österreich seit Jahr und Tag ein medienpolitischer Plan fehlt. Dazu gehört auch, faire Rahmenbedingungen zu schaffen – das wäre die Aufgabe der Politik! (Otto Friedrich) Ende freier Mobilität Was uns bewegen wird Fokus von Wolfgang Machreich Nr. 18, Seiten 4–6 Die derzeitigen Diskussionen zum Thema Mobilität drehen sich meist nur um die Auswirkungen auf unser Klima. Wie in vielen anderen politischen Bereichen auch, fehlt eine Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Fragen. Da ist zuallererst die Frage: Ist freie Mobilität ein Menschenrecht? Auf den ersten Blick mag man dem zustimmen, aber es gibt sehr viele einschränkende Rahmenbedingungen. Dazu gehören auf der gesellschaftlichen Ebene die Grenzen des Ressourcen- und Flächenverbrauchs, die Verfügbarkeit und Wahlmöglichkeit von Alternativen, der Schutz vor Gefahren, die Umweltbeeinträchtigung und die Finanzierbarkeit. Auf der individuellen Ebene gilt es, die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Bewegung von Menschen und GLAUBENSFRAGE Pessimistisches im Optimismus Dingen sowie die Wahlmöglichkeiten zu berücksichtigen. Grundsätzlich gibt es vier Möglichkeiten, diese Einschränkungen durchzusetzen: erstens die persönlichen Verhaltensänderungen; zweitens Angebot und Verfügbarkeit von alternativen Technologien; drittens die ordnenden und gesetzlichen Maßnahmen der politischen Player; und viertens Preise und Finanzierbarkeit. Ohne das Zusammenwirken dieser vier Ebenen sind keine Änderungen sinnvoll. Zwei Beispiele dazu: Die momentane Diskussion zu E-Fuels zeigt ganz deutlich, dass aus dem Zusammenhang gerissene Argumente aufeinanderprallen. Anhand der obigen Kriterien wird schnell klar, dass E-Fuels keine Zukunft haben. Für die Konsumenten ändert sich nichts, Auto bleibt Auto, der Sprit wird bestimmt teurer. Ob das zu Verhaltensänderungen im Sinne von „weniger fahren“ führt, ist zweifelhaft. Der Gesetzgeber müsste aber SPÖ: Neuer Kurs oder neue Partei? Sixtus Beckmessers Deutschmatura Der Denker der Freiheit Während in Salzburg ÖVP und FPÖ verhandeln, Diesen Freitag ist Reifeprüfung in Deutsch. Christian John Stuart Mill plädierte für die Freiheit, das Leben ringen die Roten um ihre Richtung. Trautl Brandstaller rät zu einer Linkswende. · Seite 7 jede Kreativität torpedieren. · Seite 15 tag des Philosophen. · Seite Schacherreiter erklärt, warum ihre „Operatoren“ nach eigenen Maximen zu gestalten: zum 150. Todes- 17 Das Thema der Woche Seiten 4–6 Medienpolitik firmiert hierzulande weiter unter „ferner liefen“. Auch wenn es um die (künftige) Rolle des ORF geht. Breiter Diskurs über die Medien findet einfach nicht statt. Eine Empörung. Politisches Irrlichtern L „ Die Politik wäre gefordert, um die Existenz von Qualitätsmedien und deren Vielfalt zu gewährleisten. “ Der Streit über E-Fuels überdeckt die Grundsatzfrage, wie die Wende zu klimaschonender und leistbarer Mobilität für alle gelingen kann. Über Autos von morgen und Rohrpostreisen im „Hyperloop“. Was uns bewegen wird Foto links: iStock/srgktk; Bild rechts: imago / Heritage Images „Dialogwoche Alkohol“: Punktgenau verzichten Alkohol ist Kulturgut und Zellgift. Eine Präventionsinitiative dreht sich um eine zentrale Frage: Wie viel ist zu viel? · Seite 23 Nachruf auf einen Freund Am 2. Mai ist Helmut Krätzl im 92. Lebensjahr verstorben. Der emeritierte Wiener Weihbischof war die bischöfliche Stimme für die Konzilsbewegten – und ein langjähriger Wegbegleiter und Freund der FURCHE. Seite 9 AUS DEM INHALT „Erdoğan ist überall“ Die Macht der Queen Mary „Ich wollte meinen König töten“ Kaunertal global Böse Bubenspiele furche.at entsprechend seinem gesellschaftlichen Auftrag E-Fuels für Straßenfahrzeuge verbieten, denn sie emittieren weiterhin CO, HC, NOx und Feinstaub, bringen keine CO₂-Reduktion, verbrauchen deutlich mehr Ressourcen und sind extrem teuer in der Herstellung. Interesse könnte die Politik an E-Fuels haben, weil weiterhin die Mineralölsteuer eingehoben werden kann. Das heißt dann aber auch, dass der Strom für Elektrofahrzeuge in Zukunft deutlich höher besteuert werden wird. Die Fahrzeughersteller machen bekanntlich alles mit, was gesetzlich von ihnen verlangt wird, zahlen muss ohnehin der Konsument. Eine Technologieoffenheit ist grundsätzlich positiv zu bewerten, allerdings ist Von Asher D. Biemann eine parallele Entwicklung mehrerer Technologien (Elektroantrieb, Brennstoffzelle, E-Fuels) bis zur Serienreife schwer finanzierbar, zumal auch in die Produktion investiert werden müsste. Das zweite Beispiel: Die Diskussion um Geschwindigkeitsbeschränkungen. Wie immer die Vorschläge lauten – 30-80-100 oder 30-100-120 Kilometer pro Stunde –, fühlen sich die Autofahrer bevormundet und in ihrer Freiheit eingeschränkt. Was ja auch stimmt, denn bei guter Sicht und freier Autobahn kann man ja ohne weiteres 150 km/h oder mehr fahren. Was ganz klar fehlt, ist eine deutlich verstärkte Bewusstseinsbildung. Und vielleicht auch verstärkte Kontrollen mit null Toleranz und härteren Konsequenzen. Das Hauptproblem in der Diskussion ist allerdings, dass komplett ignoriert wird, dass die heutigen Fahrzeuge für die angeführten Geschwindigkeitsbeschränkungen ungeeignet sind. Machen Sie den Selbstversuch und fahren Sie konsequent in einem Ort, einer Stadt nicht mehr als 30 km/h. Sie sind dann im zweiten Gang unterwegs, können kaum eine konstante Geschwindigkeit einhalten und nerven alle anderen Straßenteilnehmer. Sie können auch einen Radfahrer in der Stadt kaum mehr überholen. Es ist offenbar ein Tabu, die Sinnhaftigkeit von Fahrzeugen zu diskutieren, die mehr als 200 km/h fahren können. Aus meiner Sicht wäre 40-80-120 sinnvoll – und dazu Fahrzeuge, die entsprechend ausgelegt und optimiert sind. In Summe muss allen Playern klar werden, dass die Freiheit der Mobilität ein Ende hat. Wir werden um weitere einschränkende gesetzliche Maßnahmen nicht herumkommen und eine deutlich verstärkte Bewusstseinsbildung betreiben müssen. Helmut Waltersdorfer pensionierter Manager in der Automobilindustrie, Neuhofen an der Krems Hervorragender Nachruf Nachruf auf einen Freund Von Otto Friedrich Nr. 18, Seite 9 Herzlichen Dank für den hervorragenden Nachruf auf meinen – und vor allem meines Bruders Josef (†2022) – Jugendfreund Bischof Helmut Krätzl. Seine geduldige und standhafte Loyalität zu seiner Kirche trotz wiederholter Kaltstellung, Enttäuschung und Intrige in Wien und in Rom war durchwegs bewundernswert. Ein gewisser Trost war ihm wohl der Zuspruch zu seinen wegweisenden Büchern im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils und die Hoffnung, die mit Papst Franziskus verbunden ist. Trotzdem bleibt der Schaden durch die Kränkung und eine leichtfertig vergebene Chance! Heribert Rahdjian, via Mail 196. Klassenlotterie überrascht mit neuer zusätzlicher Gewinnmöglichkeit „1 Jahr Luxus“ in der Klassenlotterie gewinnen Die „Montags-Million“ und die „Gold-Klasse“ sind seit Jahren etablierte Highlights in der Klassenlotterie. Mit der 196. Lotterie, die am 15. Mai 2023 startet, kommt jetzt eine weitere, attraktive Gewinnmöglichkeit dazu. Die „Luxus-Klasse“. In der „Luxus-Klasse“ kann man 10.000 Euro pro Monat, für ein ganzes Jahr lang, gewinnen. Insgesamt werden zehn derartige Gewinne ausgespielt. An der „Luxus-Klasse“ nimmt man mit einem einmaligen Einsatz von 150 Euro pro ganzem Los (bzw. 15 Euro pro Zehntel-Anteil) teil. Ansonsten bietet auch die 196. Klassenlotterie wieder alle Features der vorangegangenen Lotterie: Aus 250.000 Losen werden in sechs Klassen mehr als 278.000 Gewinne mit einer Gesamtsumme von 121,5 Millionen Euro gezogen, davon bringen 29 Treffer einen Millionengewinn. Der Haupttreffer am Ende der Lotterie bringt wieder einen Gewinn von 5 Millionen Euro. Lose für die 196. Lotterie sind bereits in allen Geschäftsstellen der Klassenlotterie zum Preis von 150 Euro pro Los und Klasse (15 Euro pro Zehntel-Anteil) erhältlich. Weitere Infos unter www.klassenlotterie.at. 10.000 Euro monatlich, ein Jahr lang: Das ist die neue „Luxus-Klasse“ Foto: Österreichische Lotterien Von Schopenhauer stammt bekanntlich der Ausspruch eines „ruchlosen Optimismus“, welcher angesichts des Leids in dieser Welt wie Hohn und Spott erscheinen muss. Wer darf heute noch „optimistisch“ denken, von einer besseren Zukunft reden oder überhaupt noch „hoffen“? Ist nicht schon das große Urteil gefallen über das Ableben der Demokratien, den Aufstieg der neuen Mächte, die Verarmung einer halben – beinah schon ganzen – Welt und den letzten Atemstoß der Erde selbst? Wer darf heute über die Grenzen blicken oder tief hinein ins Innerste unserer Gesellschaft und das unaussprechliche, höhnende, herzlose Wort des Optimismus mit gutem Gewissen noch gebrauchen? Und dennoch war es Immanuel Kant, der dieses Wort zur Pflicht erklärte, uns daran zu erinnern, dass „wir sind!“. Und so wurde es auch zu einer Art Schibboleth des modernen Judentums. Max Nordau sprach am Fin de siècle von einem „unentwurzelbaren“ Optimismus als „Bekräftigung der Tatsache des Seins“. Leo Baeck schrieb 1905 vom Optimismus als Anerkennung der Zukunft als Gebot. Hermann Cohen nannte nach dem Ersten Weltkrieg den Optimismus eine Weisheit im praktischen Sinn, nämlich die Anleitung zur „praktischen Reform der irdischen Lage“. Karl Popper sprach nach dem Zweiten Weltkrieg wieder von einem Optimismus als Pflicht, genau wie Kant, aber auch in einer jüdischen Denktradition, in der er vielleicht unbewusst verwurzelt war. Was diesen Denkern gemeinsam ist und auch für uns heute wieder relevant erscheint, ist ein Optimismus, der gerade in Zeiten der Krise nicht das Vertrauen verliert in die „Bestimmung“ des Menschen, sondern, im Gegenteil, eine Zuversicht bedeutet, die nicht hoffen darf, weil sie getan werden muss. Darin, schrieb Leo Baeck, hat der Optimismus auch sein Pessimistisches: Denn „in ihm spricht der Protest“. Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA. RELIGION IN KÜRZE ■ Nach Konflikten: Neuer Großmeister für die Malteser Nach den großen inneren Konflikten, in die auch Papst Franziskus immer wieder eingriff, und einer Organisationsreform wählte der Malteserorden den Kanadier John T. Dunlap zum neuen Großmeister des Ritterordens, der ein eigenes Völkerrechtssubjekt und etwa auch von Österreich diplomatisch anerkannt ist. Dunlap ist der erste Großmeister aus Übersee und der erste Nicht-Adelige an der Spitze der Malteser. RELIGION ■ Islamische Glaubensgemeinschaft will „Versöhnung“ Der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Ümit Vural, sucht den Dialog mit den politischen Entscheidungsträgern. In einem Interview mit der APA tritt er für einen „Akt der Versöhnung“ ein, um Konflikte wie der Verquickung von Kultus- und Sicherheitsfragen im Islamgesetz zu bereinigen. Ob er bei der IGGÖ-Wahl im Dezember wieder kandidiert, wird Vural im Juni bekanntgeben.
Minerva Cuevas, The Future was Yesterday, 2023, raising flags, museum in progress. Kooperationspartner: Universität für angewandte Kunst. Ermöglicht durch die Kunstsektion des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport (BMKÖS), Blue Mountain Contemporary Art (BMCA) und Fahnengärtner. Support: Barta & Partner Managing Art Insurance, Bildrecht und Zugkraft. Hotelpartner: Hotel Altstadt. Medienpartner: DIE FURCHE und wienlive. museum in progress
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE