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DIE FURCHE 11.04.2024

DIE

DIE FURCHE · 15 24 Ausstellung 11. April 2024 Thimig × 4 Er probierte viel und hielt es auch fotografisch fest: Schauspieler Hugo Thimig, hier als „Der beschwipste Amtsvorstand“, Mehrfachbelichtung (alle Personen sind von Hugo Thimig dargestellt), 1911, Silbergelatinepapier, 9 × 14 cm (Postkarte). Von Wenzel Müller In Dresden 1854 geboren, kommt Hugo Thimig als Zwanzigjähriger ans Burgtheater nach Wien. Dort bleibt er fast ein halbes Jahrhundert, zuerst als Schauspieler, dann auch als Regisseur und schließlich als Direktor. Danach folgten noch Engagements am Theater in der Josefstadt, das sein Schwiegersohn, Max Reinhardt, leitete, bis er mit 90 Jahren starb. Thimig kam auf insgesamt 500 Schauspielrollen. Nun wird er in einer Ausstellung geehrt, die allerdings sein reiches Bühnenleben nicht in den Mittelpunkt rückt – oder nur mittelbar. Vielmehr wird gezeigt, wie die Fotografie, dieses zu jener Zeit noch recht junge Medium, den Aufstieg des Publikumslieblings begleitete – und auch förderte. „Theater für die Kamera“ heißt die Schau des Photoinstituts Bonartes (Kurator: Michael Ponstingl), jenes kleinen, feinen Instituts, das, von einer Privatstiftung finanziert, es sich zur Aufgabe gemacht hat, die historische Fotografie bis 1945 aufzuarbeiten. Die Paparazzifotografie kam in den 1950er Jahren auf, erklärte erst zuletzt das Fotomuseum Westlicht in einer Ausstellung. Erst Schauspieler, dann Regisseur und schließlich Burgtheaterdirektor. Die Fotografie begleitete nicht nur den Aufstieg von Hugo Thimig (1854– 1944), sondern förderte ihn auch, wie eine aktuelle Ausstellung zeigt. Den flüchtigen Moment festhalten Mit etwas gutem Willen kann man sie aber auch mit den „Beim- Bühnentürl-Fotografien“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts beginnen lassen. Damals lauerten Fotografen am Hinterausgang des Burgtheaters den gefeierten Mimen auf und lichteten sie beim Verlassen ihrer Arbeitsstätte ab. Diese frühen Starfotos, an „ Die Rollenbilder nutzten die Schauspieler zu Selbstvermarktungszwecken. Heute haben sie zeithistorischen Wert. “ der Schwelle zwischen Berufsund Privatleben, waren sehr beliebt – ihre Bedeutung kann man in etwa mit jener heutiger Panini- Sticker vergleichen, die das Konterfei von Fußballern führen. Thimig war ein gefeierter Komödiant. Zu jener Zeit – noch gab es das Regietheater nicht einmal als Begriff – waren die Schauspielerinnen und Schauspieler auf ein bestimmtes Rollenfach festgelegt. Thimigs Paraderolle: Truffaldino in Goldonis „Der Diener zweier Herren“. Von dieser Rolle gibt es auch ein gleichsam offizielles Foto. Aufgenommen nicht im Theater, denn dort herrschten ungenügende Lichtverhältnisse, sondern Foto: Photoinstitut Bonartes, Wien in einem Fotoatelier – hoch oben unter dem Dach eines Hauses, mit reichlich Glasfläche, durch die das Tageslicht in ausreichender Menge dringen konnte. Thimig präsentierte sich vor der Kamera im Theaterkostüm, in markanter Pose. Auf diesem Rollenfoto ist keine Dekoration im Hintergrund zu sehen. In anderen schon, da sieht man eine auf Leinwand gemalte Landschaft, mit einer Balustrade oder einer Säule – just das Arrangement, das für gewöhnliche Porträtaufnahmen verwendet wurde. Ab 1920, inzwischen waren die Theater elektrifiziert und lichtstärkere Kameraobjektive aufgekommen, war es möglich, auch im Theater zu fotografieren. Zunächst waren es nach wie vor Standbilder, von denen Abzüge im Kabinettformat (10 × 15 cm), später auch Postkarten angefertigt wurden. Die Rollenbilder nutzten die Schauspieler zu Selbstvermarktungszwecken. Heute haben sie zeithistorischen Wert, wir erhalten eine Ahnung von den damaligen Aufführungen. Die besondere Stärke der Fotografie besteht darin, flüchtige Momente festzuhalten – und gerade das Theater ist eine transitorische Kunstform. Diese Stärke nutzte Thimig auch dazu, eine Bildfolge mit unterschiedlichen Gemütsausdrücken anzufertigen, von „neugierig“ bis „stillvergnügt“, nicht zuletzt zu eigenen Zwecken, so konnte er sein Ausdrucksrepertoire wie in einem Spiegel begutachten. Mann des Mienenspiels Diese mit „Physiognomische Studien“ betitelte Serie machte der Schauspieler mit einem Fotografen. Er griff aber auch selbst zur Kamera, vorzugsweise im Sommer, in der spielfreien Zeit, die er gerne in den steirischen Wildalpen verbrachte. Genau genommen gab er die Kamera öfters seiner Frau, um auf den Auslöser zu drücken. So etwa für das Foto „Auf der IV. Galerie bei Iphigenie“: Vier Theaterbesucher sind darauf zu sehen, alle mit einem anderen Gesichtsausdruck, von blasiert bis fadisiert – dargestellt von einer einzigen Person: Thimig. Hier hat er mit Mehrfachbelichtung gearbeitet. Zusammen mit seinen Kindern, die mitunter ältere Herrschaften spielen mussten, schuf Thimig ausgesprochene „Juxbilder“. Auch hinter der Kamera blieb er ganz der Komödiant. Theater für die Kamera Fotografische Passionen des Hofschauspielers Hugo Thimig Ausstellung im Photoinstitut Bonartes Bis 31. Mai 2024 Eintritt nach telefonischer Voranmeldung: 01/2360293 Seilerstätte 22, 1010 Wien www.bonartes.org IN KÜRZE DIE FURCHE EMPFIEHLT LITERATUR ■ Andersen-Preis für Janisch Der internationale Hans-Christian-Andersen-Preis 2024 geht an den österreichischen Autor Heinz Janisch. Der Preis des „International Board on Books for Young People“ (IBBY) gilt als eine der höchsten internationalen Auszeichnung, die alle zwei Jahre an Autorinnen und Autoren sowie Illustratorinnen und Illustratoren von Kinderbüchern vergeben wird. Gewürdigt wird dabei das Lebenswerk von Personen, die einen wichtigen und nachhaltigen Beitrag zur Kinderund Jugendliteratur geleistet haben. Er sei „in den Olymp der Kinder- und Jugendliteratur aufgenommen worden“, so Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer. WISSEN ■ Peter Higgs (1929–2024) Der britische Physiknobelpreisträger Peter Higgs ist am 8. April im Alter von 94 Jahren verstorben, wie die Universität Edinburgh mitteilte. An der schottischen Hochschule hatte der Wissenschafter den Großteil seiner Karriere verbracht. Mit seiner Theorie zur Masse von Elementarteilchen wurde der Engländer weltberühmt. Grundlegend dafür war die Entdeckung des Higgs-Bosons – auch „Gottesteilchen“ genannt – am Forschungszentrum CERN in der Schweiz. Gemeinsam mit dem belgischen Physiker François Englert wurde Higgs 2013 für die Vorhersage des Masseteilchens mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. PHILOSOPHIE ■ Annemarie Pieper (1941–2024) Sie war eine der führenden Kierkegaard- Expertinnen – und eine der ersten Frauen, die sich im deutschsprachigen Raum in der Philosophie habilitierten und die auf einen philosophischen Lehrstuhl berufen wurden. Von 1981 bis 2001 war Annemarie Pieper Professorin für Philosophie an der Universität Basel auf dem Lehrstuhl von Karl Jaspers. Sie verließ mit 60 Jahren die Universität, um als freie Rednerin, Publizistin und Schriftstellerin tätig zu sein. Sie war in der Schweiz einem größeren Publikum durch Rundfunksendungen bekannt. Beim Schweizer Fernsehen moderierte sie die Sendung „Sternstunde Philosophie“. Was heißt hier Gerechtigkeit? In Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“ (1810) greift Kohlhaas gegen die Willkür der Herrschenden zur Selbstjustiz. In Ilse Aichingers 1948 erschienenen Roman hält „Die größere Hoffnung“ auf Gerechtigkeit eine Gruppe Kinder im nationalsozialistischen Wien vorerst am Leben. Stichwort: Gerechtigkeit Lydia Mischkulnig, Brigitte Schwens- Harrant und Christa Zöchling im Gespräch 16. 4. 2024, 19 Uhr, Alte Schmiede, Wien

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