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DIE FURCHE 11.04.2024

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DIE FURCHE · 15 22 Wissen 11. April 2024 Christian Lehnerts geistlichliterarisches Werk „Das Haus und das Lamm“ wurde am 28.2.2024 von Otto Friedrich in der FURCHE vorgestellt („Krise – bi blisch produktiv“), nachzulesen auf furche.at. Illu: RM Foto: iStock / Ladislav Kubeš Von Manuela Tomic Ćeif MOZAIK Den Arabern haben wir Bosnier unseren ćeif zu verdanken. Er beschreibt den Zustand der Selbstvergessenheit, einen Moment der Seelenruhe. Ich ahnte ihn, wenn Großmutter auf dem Balkon rauchend in die Ferne blickte und ihren Diamantenring am kleinen Finger drehte. Ich beobachtete, wie sich Männer in der Altstadt von Sarajevo versammelten, um in der Nähe des Theaters Bodenschach zu spielen. Sie diskutierten laut, wirbelten die schwarzen und weißen Figuren in Übergröße über das Brett, als würden sie mit ihnen tanzen. Uhrzeiten, Arbeitspflichten, Alltagsprobleme existierten nicht mehr. Der ćeif ist so wichtig, dass man eine Geschichte erzählt: Eines Tages saßen fünf Taxifahrer um einen kleinen Kaffeetisch in der Baščaršija, der historischen Altstadt von Sarajevo, als ein Mann aufgeregt zu ihnen rannte. „Sie müssen meine Großmutter ins Krankenhaus fahren, sie hat etwas mit dem Herzen“, rief er. Die Männer rührten keinen Finger, blickten ihn an und antworteten: „Beruhige dich doch, du machst uns sonst noch unseren ćeif kaputt.“ Wenn ich heute im Augarten bosnischen Bocciaspielern zuschaue oder zum Kaffee zucker süße türkische Desserts genieße, denke ich manchmal an die Baščaršija. Ich blicke auf mein Smartphone. Mein Herz rast, und der ćeif ist längst mit dem Taxi davongefahren. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Die Kolumnen gibt es jetzt als Buch! Von Martin Tauss Zecken bevölkern die dunkle Seite der menschlichen Imagination. Sogar in zeitgenössischen Reflexionen über die Apokalypse tauchen sie auf. Im 2023 erschienenen Buch „Das Haus und das Lamm“ zählen sie zum symbolträchtigen Panoptikum der Naturbeobachtungen von Autor Christian Lehnert: „Sie schmarotzten, waren widerlich, übertrugen gefährliche Keime, sie glichen achtbeinigen Dämonen ohne erkennbaren Kopf, ein Böses im Wald.“ Wenn die Zecke auf der Lauer liege, so der deutsche Dichter und Pfarrer, dann sei „ihr ausdauerndes Tun, die wesentliche Erfüllung ihrer Zeit, das Warten (…)“. Das tun sie übrigens schon seit hundert Millionen Jahren, wie fossile Funde zeigen. Sorge wegen Krim-Kongo-Fieber „ 2023 waren fast zwei Drittel jener Personen, bei denen im Spital FSME diagnostiziert wurde, von einem schweren Verlauf betroffen. Eine Impfung schützt davor. “ Auch das „Alltagswissen“ über Zecken ist von Mythen durchdrungen. Dass die kleinen Blutsauger etwa von Bäumen springen, um ihre Wirte zu befallen, gehört dazu. Vielmehr warten die Zecken in Bodennähe, im Gebüsch, Unterholz oder im hohen Gras. Geht ein Mensch oder Tier an den Parasiten vorbei, lassen sich diese von der Pflanze abstreifen und klammern sich zunächst an. Dass man nur im Frühling bzw. in der warmen Jahreszeit aufpassen sollte, nicht von einer Zecke erwischt zu werden, gehört ebenfalls in den Bereich der Mythologie. Es reichen schon circa fünf Grad Celsius, damit die Spinnentiere aktiv werden und auf Wirtssuche gehen. Mit der Erderwärmung haben sich auch die Zecken ausgebreitet, die hierzulande bereits über das ganze Jahr zu finden sind. „Wir beobachten schon seit Jahren um die Weihnachtszeit bei ausreichend milden Temperaturen ein kurzfristiges Auftreten von Zecken“, berichtet Georg Duscher, Zeckenforscher bei der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), in einer Aussendung. Auch in die Gebirgsregionen sind die Parasiten vorgedrungen: Die früher beschriebene Grenze von 1000 Meter Seehöhe haben sie längst überschritten. Dass man beim Entfernen einer Zecke fetthaltige Stoffe wie Öl oder Wachs zu Hilfe nehmen sollte, ist ein weiterer Mythos. Dies würde das Tier nur unnötig reizen Österreich gehört weltweit zu den Ländern mit der höchsten Zeckenverbreitung. Die Klimakrise erhöht die Gefahren der dadurch bedingten Krankheiten. Stechen und speicheln und könnte dazu führen, dass es seinen Speichel und somit mögliche Infektionserreger abgibt, warnt die AGES. Fast jeder zweite gemeine Holzbock – die häufigste Zeckenart in Österreich – ist mit Erregern infiziert. So sind Zecken die Überträger eines Virus, das die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) auslöst; Österreich zählt dabei zu den am stärksten betroffenen Regionen in Europa. Bis heute kann diese Erkrankung des Gehirns und der Gehirnhäute nicht ursächlich behandelt werden. Im letzten Jahr waren fast zwei Drittel von 104 Personen, bei denen im Spital FSME diagnostiziert wurde, von einem schweren Verlauf betroffen. „Nach überstandener Infektion ist meist eine langwierige Rehabilitation notwendig, Schäden können dennoch bleiben“, sagt Jörg Weber, Primarius für Neurologie am Klinikum Klagenfurt. Durch die seit Jahrzehnten verfügbare FSME-Impfung kann die Erkrankung jedoch effektiv verhindert werden, betont Weber: „Wer Hirn hat, sollte es auch schützen.“ Gerade auch die fortlaufenden Auffrischungsimpfungen seien wichtig: Die erste sollte drei Jahre nach der Grundimmunisierung erfolgen; die weiteren alle fünf Jahre. Für über 60-Jährige wird alle drei Jahre eine Auffrischung empfohlen. Neben FSME zählt die Lyme-Borreliose zu den häufigsten durch Zecken übertragenen Krankheiten. Über 30 Prozent der Holzbock-Zecken haben Borrelia-Bakterien in sich. Die Infektion führt häufig zu einer typisch ringförmigen Hautrötung. Gegen die Borreliose gibt es noch keine Impfung, allerdings ist diese Erkrankung in der Frühphase gut mit Antibiotika behandelbar. Aber damit nicht genug: Auch eine Reihe anderer Erkrankungen wie Anaplasmose oder Tularämie (Hasenpest) werden durch Zecken übertragen. Derzeit sorgt das Krim-Kongo-Fieber für besondere Aufmerksamkeit. Aufgrund der globalen Erwärmung breitet sich das entsprechende Virus (CCHFV) auch in Europa stark aus. In der WHO-Liste der Infektionserreger, die eine Epidemie oder Pandemie verursachen können, zählt es zu den obersten Prioritäten. Die Erkrankung verläuft in 40 Prozent der Fälle tödlich, aktuell sind weder Impfung noch effektive Therapien verfügbar. Hoffnung verspricht ein neuer Ansatz, der kürzlich im Fachjournal Nature Microbiology vorgestellt wurde: Darin berichten Josef Penninger von der Med-Uni Wien und Ali Mirazimi vom Karolinska-Institut in Stockholm von einem Zellrezeptor, der eine entscheidende Rolle bei der Infektion spielt. Das könnte einen Weg für die Entwicklung antiviraler Mittel in Prävention und Therapie eröffnen, so die Forscher. Schwächung der Hautabwehr Warum Zecken so gefährliche Krankheitsüberträger sind, wurde vor zwei Jahren ebenfalls an der Med-Uni Wien aufgeklärt. Ein Forschungsteam zeigte, dass der Speichel der Parasiten die Abwehrfunktion der Haut hemmt und sich so Erreger wie Viren oder Bakterien leichter vermehren können. Um heimische und neu auftretende Zeckenarten besser zu beobachten, hat die AGES analog zum Gelsenmonitoring ein EU-Projekt zur „Mitmach-Wissenschaft“ gestartet. „Die Bevölkerung soll in Form eines Citizen-Science-Projektes in die Zeckenmeldung eingebunden werden“, so Georg Duscher. Die Website sei noch im Aufbau, vorläufig können Verdachtsbilder von tropischen Riesenzecken per E-Mail (zecken@ages.at) übermittelt werden.

DIE FURCHE · 15 11. April 2024 Wissen 23 Frösche, Kröten oder Salamander suchen derzeit ihre Laichplätze auf. Freiwillige helfen bei der Straßenquerung oder sammeln Gewässerproben – und tragen so zum Schutz der bedrohten Amphibien bei. Sex und Tod der Lurche Von Christof Mackinger Nicht nur die Marillen- und die Fliederblüte kamen heuer ungewöhnlich früh. In Niederösterreich mussten auch die Amphibienzäune zwei Wochen früher aufgestellt werden. Das meldet der Naturschutzbund Niederösterreich. Die Umweltschutzorganisation koordiniert die jährliche Amphibien schutz aktion im ganzen Bundesland. Mehr als 400 Freiwillige sammeln die an den Zäunen gestoppten Tiere täglich ein und tragen sie auf die andere Straßenseite, um sie vor den Verkehrsgefahren zu bewahren. Wohin aber wandern die Tiere im Frühling? Und warum machen sie das? Die Biologin Corinna Wallinger vom Institut für Zoologie an der Universität Innsbruck liefert im Gespräch mit der FURCHE die Antworten: „Sehr viele Tiere aus der Gruppe der Amphibien sind Bewohner zweier Welten – sie verbringen einen Teil ihres Lebens im Wasser, einen Teil am Land.“ So etwa die Kröten, aber auch Unken, Frösche und Salamander. Sie alle bewegen sich in der Paarungs- und Laichzeit, also jetzt im Frühling, an die Gewässer. Die brauchen sie für ihre Fortpflanzung. „Am auffälligsten bei der Amphibienwanderung sind die Erdkröten, weil es von denen noch am meisten gibt“, erklärt die Biologin. Auffällig sind sie vor allem dann, wenn sie ihre Laichwanderung über Straßen führt – ein potenziell todbringendes Unterfangen. Um das zu verhindern, kommen Amphibienzäune zum Einsatz. Hinter denen sammeln sich die Tiere oder fallen in einen der ins Erdreich versenkten Plastikkübel. Dort sammeln sie Freiwillige mit Arbeitshandschuhen ein und setzen sie auf der anderen Straßenseite ab. Um die Tiere auch auf ihrem Rückweg vor dem Autoverkehr zu schützen, wird auf der gegenüberliegenden Straßenseite ebenfalls ein Schutzzaun errichtet. Hinter diesem abgesetzt, bewegen sich die Amphibien in Richtung ihrer Laichgründe. Das kann ein Teich oder ein kleiner Bach sein. Im Wasser angekommen, paaren sich die Tiere und legen ihre Eier, den Laich, ab. Die daraus geschlüpften Nachkommen, etwa Kaulquappen, haben zu Beginn ihres Lebens noch Kiemen, um unter Wasser atmen zu können. „In der weiteren Entwicklung entwickeln sie Lungen und können so an der Luft atmen“, berichtet Wallinger. Da die Tiere standorttreu sind, kehren sie immer wieder zum Ort ihrer Geburt zurück. „Unken und Wechselkröten haben das Problem, dass sie Pioniergewässer brauchen“, so die Ökologin. Das können Baugruben sein oder vorübergehende, Foto: iStock/Animaflora Amphibienwanderung Amphibienzäune verhindern den Tod auf der Straße. Durch zugesandte Wasserproben erhalten Forschende mittels DNA-Analyse Hinweise auf den Bestand und die Gesundheit der gefährdeten Tiere. „ Amphibien sind gewohnt, in einer feuchten Umgebung zu leben. Die zunehmende Trockenheit, vor allem im Osten Österreichs, erhöht den Druck auf die Biodiversität. “ größere Pfützen. „Wegen der Trockenlegung landwirtschaftlicher Flächen sind solche Gewässer heute weniger häufig. Damit fehlt dieser wichtige Lebensraum.“ In voll entwickelten Teichen würden Kaulquappen damit kämpfen, ein willkommenes Futter für Fische oder große Käfer wie den Gelbrandkäfer zu sein. Pioniergewässer hingegen seien eine lebensfreundlichere Umgebung für die Jungtiere, weil dort keine Räuber vorhanden seien. „Durch den Klimawandel hatten wir dieses Jahr einen Februar, der um 2,8 Grad wärmer war als ein Durchschnittsfebruar der letzten 30 Jahre“, sagt Wallinger. Damit wandern die Amphibien früher. Für diese Tiere ist das aber kein Nachteil, da auch ihre Nahrungsgrundlage früher verfügbar ist. „Ein großes Problem für Amphibien aber sind die geringeren Niederschläge in den Wintermonaten.“ So können die Tiere oft nicht an ihre Laichplätze zurückkehren, weil diese ausgetrocknet sind. Die zunehmende Trockenheit, vor allem im Osten Österreichs, erhöht den Druck auf die Biodiversität. „Amphibien sind gewohnt, in einer feuchten Umgebung zu leben“, weiß Wallinger. Und diese schwindet. Heimtückischer Pilzbefall Insgesamt hat sich die Zahl der Amphibien in ihrer Gesamtheit stark dezimiert. „Alle Lurchenarten gehören zu den bedrohten Tierarten“, warnt die Expertin. Die Zersiedelung der Landschaft, Pestizideinsatz und Bodenversiedelung beschleunigen den Verlust der Artenvielfalt. Gesunken seien aber nicht nur die Artenzahlen, sondern auch die der einzelnen Tiere. Schließlich mache der Amphibienpilz (Batrachochytrium dendrobatidis) den Tieren das Leben schwer. Der Pilz befällt in Gewässern alle dort beheimateten Lebewesen (s. Artikel unten). Werden Fische in ein anderes Gewässer umgesiedelt, verbreitet sich so auch der Parasit. Der Amphibienpilz komme ursprünglich wohl aus Asien, so Wallinger. „Wegen ihm sind schon ganze Froscharten ausgestorben.“ In Europa sei er nicht immer tödlich, wirke sich aber negativ auf die Gesundheit der heimischen Frösche, Kröten oder Salamander aus. Um die Bestände in den heimischen Gewässer zu erforschen, hat Corinna Wallinger mit Kollegen und Kolleginnen das „Citizen Science“-Projekt „Der Frosch im Wassertropfen“ ins Leben gerufen. In Wasserproben kann mittels DNA-Analyse geprüft werden, welche Amphibienarten es in den jeweiligen Gewässern gibt. „Alle Lebewesen hinterlassen Spuren in Form von Schleim, Kot oder Zellresten. So lassen sich Organismen in Gewässern nachweisen.“ Noch bis circa Mitte April können sich Interessierte mit „ihrem“ Gewässer bewerben und erfahren, welche Frösche und andere Tiere dort zu finden sind. Mit dem gratis zugesendeten Testkit können die Bewerber Wasserproben entnehmen, die dann von Wallingers Team untersucht werden. „Der Frosch im Wassertropfen“ Anmeldung unter uibk.ac.at/projects/frosch-im-wassertropfen AMPHIBIEN-PANDEMIE Die Infektion infizieren: Mit einem Virus gegen den Pilz Foto: iStock/AlasdairJames Biologen sprechen bereits von einer wahren Pandemie: Der Pilz Batrachochytrium dendrobatidis (Bd) hat dazu beigetragen, dass über 500 Amphibien arten weltweit rückläufige Bestände aufweisen und dass 90 Arten vielleicht bald ausgestorben sind, darunter seltene Spezies wie der „Goldene Frosch“ in Panama oder der gelbbeinige Bergfrosch. Der Krankheitserreger wurde erstmals Ende der 1990er Jahre beobachtet. Der Bd-Pilz schädigt die Haut der Frösche und Kröten und führt schließlich zum Herzversagen. Eine neue Pu blikation im Fachjournal Current Biology beschreibt nun die Entdeckung eines Virus, der den Parasiten befällt und ihm den Garaus machen kann. Die Wissenschafter geben sich hoffnungsvoll und sehen in der labortechnischen Herstellung des Virus ein effektives Gegenmittel, um die Pilzkrankheit im großen Stil zurückzudrängen. „Frösche halten gefährliche Insekten, Pflanzenschädlinge und Moskitos in Schach. Wenn ihre Bestände weltweit einbrechen, könnte das verheerend sein“, so Studienautor Mark Yacoub von der University of California in den USA. „Außerdem reagieren Frösche auf klimatische Veränderungen wie wärmere Temperaturen und stärkeres UV-Licht. Wenn diese Tiere verschwinden, verlieren wir wichtige Signale aus der Umwelt.“ Die Entdeckung des Virus liest sich abenteuerlich: Die Forschenden untersuchten die Pilz- DNA in verschiedenen Weltregionen und stießen dabei auf manche Sequenzen, die nicht so recht dazu passten. Sie rätselten lange – bis sie realisierten, dass diese Extrasequenzen zusammengenommen auf ein virales Erbgut (Genom) hindeuteten. Infizierte Pilze verhalten sich anders als die nichtbefallenen Exemplare: Sie produzieren weniger Sporen und verbreiten sich dadurch langsamer. Doch viele Fragen bleiben noch offen. „Wir wissen nicht, wie der Virus in die Zellen des Pilzes gelangt“, sagt Mark Yacoub. „Wenn wir den Virus künstlich herstellen, um den Amphibien zu helfen, brauchen wir Antworten auf solche Fragen.“ (Martin Tauss)

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