Aufrufe
vor 8 Monaten

DIE FURCHE 11.04.2024

DIE

DIE FURCHE · 15 20 Film 11. April 2024 Zufällige Begegnung Fanny (Lou de Laâge), wohlbestallte Ehefrau eines erfolgreichen Pariser Geschäftsmannes, trifft im Vorübergehen auf Alain (Niels Schneider), den sie seit Schultagen nicht mehr gesehen hat. Von Otto Friedrich Er ist mittlerweile 88, und die Zeit, in der er pro Jahr einen Film drehte, ist längst vorbei. Das liegt aber nicht nur am Alter der Filmlegende, sondern auch daran, dass Woody Allen in den USA zur verfemten Gestalt wurde: Der Rosenkrieg mit Mia Farrow, die Beziehung und Ehe mit deren Adoptivtochter Soon-Yi Prévin sowie bis heute nicht aufgeklärte Missbrauchsvorwürfe seiner und Mia Farrows Adoptivtochter Dylan Farrow ließen ihn zu einer persona non grata werden. In der #MeToo-Debatte wurden die Vorwürfe erneut öffentlich diskutiert, in seiner Autobiografie „Ganz nebenbei“ (2020) widersprach Woody Allen diesen einmal mehr. Seit damals werden Woody-Allen-Filme in den USA nicht mehr aufgeführt oder finanziert. Für „A Rainy Day in New York“ (2019) spendete Hauptdarsteller Timothée Chalamet seine Gage an Missbrauchsopferorganisationen. Die beiden nachfolgenden Filme drehte und finanzierte Allen daher in Europa. Gar dunkle Schatten Die späten Unbilden werfen gar dunkle Schatten auf das Allen’sche Œuvre, das dennoch stilbildend fürs Kino diesseits und jenseits des Atlantiks blieb. Der 1935 als Allan Stewart Konigsberg in der Bronx geborene jüdische Tunichtgut mauserte sich über Stationen als Gagschreiber und Stand-up-Comedian ab Mitte der 1960er Jahre zum Filmemacher, wobei auch dabei eine Entwicklung von Situationskomik und Sprachwitz zu – einmal mehr, einmal weniger – tiefschürfenden Beziehungsdiagnosen sichtbar ist. Seit dem Oscar-prämierten „Stadtneurotiker“ (1977), in dem er sich mit Diane Keaton befetzt und wiederfindet und in dem nonchalant autobiografische Anspielungen eingewoben sind, kann Woody Allen als gleichzeitiger Adoptivnachfahre von Sigmund Freud, Franz Kafka und Ingmar Lesen Sie die Rezension „To Mia Without Love“ zu Woody Allens Autobiografie am 9.4.2020, nachzulesen auf furche.at. Er – Adoptivnachfahre von Sigmund Freud, Franz Kafka, Ingmar Bergman – ist 88. Mit „Ein Glücksfall“ kommt sein 50. Film ins Kino. Woody Allen hat filmisch seine Zeit geprägt wie kaum ein anderer Regisseur. Ein Abgesang. Letztes Geschenk des Filmemachers Bergman herhalten – ein Alleinstellungsmerkmal, das ihn aus der US-amerikanischen wie europäischen Filmlandschaft bis heute heraushebt. Dabei mangelte es auch in Allen-Filmen kaum an dramaturgischen wie technischen Novitäten: Im „Stadtneurotiker“ war es etwa der Split-Screen, in „Zelig“ (1983) über einen Schlemihl par excellence montierte er sein Konterfei in Wochenschau-Ausschnitte aus der Zwischenkriegszeit. In „The Purple Rose of Kairo“ (1985) steigt der Westernschauspieler Baxter aus der Leinwand ins Kino hinein, um der ihn verehrenden Cecilia im Publikum zu begegnen. „ Wenn die Pfeile Amors schwirren (oder die Hormone einschießen), dann ist es auch zu den Adrena linstößen eines gehörnten Ehemannes (sprich: Rachedurst aus Eifersucht) nicht mehr weit. “ Schließlich verliert sich Woody Allen in „Harry außer sich“ (1997) als neurotischer Schriftsteller so zwischen seiner Innen- und Außenwelt, dass das Publikum dabei zuschaut, wie er aus dem Bild auf der Kinoleinwand allmählich verschwindet. Und in „Melinda und Melinda“ (2004) erzählt er die gleiche Geschichte – eine Frau platzt in eine Dinner-Party, und das hat Folgen – als Komödie wie als Tragödie. Aber auch Fragen nach der Gerechtigkeit angesichts eines möglichen Siegs des Bösen ziehen sich als ein roter Faden durch Allen- Filme: In „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ (1989) lässt er Martin Landau als Augenarzt Judah einen Mord begehen und ihn ungesühnt davonkommen, während der erblindende Rabbi Ben, ein Gerechter, sein Augenlicht komplett verliert. Selbiges Motiv spinnt er 2004 in „Match Point“, dem ersten in England gedrehten Woody-Allen-Film weiter, wo ein aus einfachen Verhältnissen stammender Tennisprofi in eine Upper-Class- Familie einheiratet und seine Geliebte ermordet, weil sie von ihm schwanger ist. Auch „Match Point“ verhandelt die Frage, was ist, wenn der Mörder ungeschoren davonkommt. Woody Allen auf Französisch In einem vergleichbaren Kosmos spielt auch Woody Allens 50. und mutmaßlich letztes Kino- Opus „Ein Glücksfall“. Wie bereits zwölf Jahre zuvor („Midnight in Paris“) spielt der Film in Frankreich, dass er aber ganz auf Französisch und mit frankophonen Schauspielern gedreht wurde, ist für Allen eine späte Premiere. Woody Allens außerhalb New Yorks spielende Filme eint ein wenig der städtetouristische Look, und auch in „Ein Glücksfall“ kann der Amerikaner in Paris es nicht lassen, Postkartenmotive – die Prunk-Boulevards, Mont martre, der Jardin du Luxembourg etc. – stoßen einen schon mit der Nase drauf, wo man sich befindet. Auch der Beginn des „Glücksfalls“ deutet auf eine Konversationskomödie hin, wie man sie bei Woody Allen schon zigfach gesehen hat. Aber dann ist man im Nu gefangen in einer Geschichte zwischen schönen Kindern aus haute volée und/oder bohème, die zu spät zusammenkommen und daher einander nicht finden dürfen, es aber dennoch tun. Wenn die Pfeile Amors schwirren (oder die Hormone einschießen), dann ist es gleichzeitig zu den gefährlichen Adrenalinstößen eines gehörnten Ehemannes (sprich: Rachedurst aus Eifersucht) nicht mehr weit. Überhaupt verbirgt sich hinter der bourgeoisen Fassade von Jean ein Kontrollfreak, wenn nicht gar – wie es Darsteller Mevil Poupard in einen Interview ausdrückte – ein „narzisstischer Perversling“. Mord und Totschlag dräuen da bald. Und das Publikum delektiert sich einmal mehr an der Frage, ob der Göttergatte damit nun durchkommt oder nicht. Eine Variation des „Match Point“-Problems also. Fanny (Lou de Laâge) und Jean (Melvil Poupad) sind ein Vorzeigepaar – erfolgreich, verliebt und ausgeglichen. Doch da begegnet Fanny auf der Straße zufällig ihrem ehemaligen Mitschüler Alain (Niels Schneider). Man hat sich Jahre nicht gesehen – und doch knistert es, was das Zeug hält. Alain und Fanny beschließen, einander wiederzutreffen. Nicht einmal. Und ohne Jean etwas zu sagen. Doch in einem Woody-Allen-Film ist es klar, dass die Heimlichtuerei nicht verborgen bleibt. Wie wird Jean, der souveräne Mondäne, reagieren? Ein pittoreskes Drama nimmt so seinen Lauf, und es gelingt Woody Allen mit einem pittoresken Setting – wie kann man Paris denn sonst auf die Leinwand bringen? –, Kurzweil, Suspense und Romantik in diesen letzten Film hineinzubändigen. Auch ein Augenschmaus ist „Ein Glücksfall“. Und die Musik – Jazz, wie man ihn mit Woody Allen seit vielen Jahren verbindet – konterkariert den Lokalkolorit ganz und gar nicht. Wer außerdem Herbie Hancocks „Cantaloupe Island“ im Ohr hat, der wird in diesem Film erst recht gebührend bedient. Film gewordene Neurosen „Ein Glücksfall“ ist sozusagen ein letztes Geschenk von Woody Allen an seine Fan-Gemeinde. Es ist frappierend, wie oft es in seinen Filmen um ähnliche Thematiken, Verwirrungen, geht: Film gewordene Neurosen – so könnte der eine Strang dabei lauten. Die Liebe, die nicht nur zu Glück, sondern auch ins Drama führt – wie drastisch das dann jeweils auch ausgeführt wird –, der andere. Dass dies diesem Filmemacher aus der Bronx im Lauf seines Lebens so oft gelungen ist, ohne dass dem Publikum dabei fad wurde, ist eine Lebensleistung, die kaum hoch genug einzuschätzen ist. Woody Allen ist auf diese Weise schon zu Lebzeiten ein Denkmal seiner selbst. Ein Glücksfall (Coup de Change) F 2023. Regie: Woody Allen Mit Lou de Laâge, Mevil Poupard, Niels Schneider, Valérie Lemercier Filmladen. 93 Min. Regisseur Woody Allen am Set von „Ein Glücksfall“ mit Lou de Laâge (Fanny) und Niels Schneider (Alain).

DIE FURCHE · 15 11. April 2024 Film & Medien 21 Wie Jimi Hendrix oder Janis Joplin verstarb Amy Winehouse, Superstar, mit 27 Jahren. Das Biopic „Back to Black“ holt sie – von Marisa Abel großartig gespielt – ins Gedächtnis zurück. „Mitglied“ im Klub 27 Von Michael Kraßnitzer Die typische Bienenkorbfrisur, der dicke Lidstrich und die zahlreichen Tätowierungen verliehen ihr ein unverwechselbares Aussehen, ihr einzigartiger Gesangsstil machte jeden ihrer selbst getexteten Songs zu einem musikalischen Juwel: Amy Winehouse verkaufte über 33 Millionen Tonträger und wurde mit sechs Grammy Awards ausgezeichnet. Fünf Jahre nach dem Durchbruch mit ihrem legendären Soul-Album „Back to Black“ verstarb die Sängerin im Jahr 2011 an einer Alkoholvergiftung. Ihr tragischer Tod im Alter von 27 Jahren katapultierte sie endgültig in den Olymp der modernen Pop- und Rockmusik: Zusammen mit Musikern wie Brian Jones, Jimi Hendrix, Jim Morrison, Janis Joplin und Kurt Cobain, die allesamt im selben Alter zu Tode kamen, wird Amy Winehouse zum sogenannten Klub 27 gezählt. „Back to Black“ nennt sich auch die Filmbiografie der englischen Musikerin, die nun in die Kinos kommt. Unter der Regie von Sam Taylor-Johnson („Fifty Shades of Grey“) erzählt das Biopic die Geschichte der Sängerin mit starkem Fokus auf das Private: die Jugend in einer jüdischen Familie im Londoner Stadtteil Camden, erste Auftritte in lokalen Musikclubs, die Amour fou mit ihrem späteren Ehemann „ Es handelt sich um eine ziemlich wohlwollende filmische Biografie. Die echte Amy Winehouse war möglicherweise nicht die allerangenehmste Zeitgenossin. “ Marisa Abel spielt Amy Winehouse: Die Stimme ist toll, der Sixties-Soul- Sound perfekt, die Bilder fangen den Retroglamour von Winehouse’ Auftritten sehr gut ein. Blake Fielder-Civil, Drogenmissbrauch, die allgegenwärtigen Paparazzi, der Karrierehöhepunkt mit dem titelgebenden Album. Der Film endet einige Zeit vor Amys Tod, nachdem sie eine Entziehungskur hinter sich gebracht und zumindest den illegalen Drogen den Rücken gekehrt hatte – ein Moment, in dem es mit ihrem Leben auch wieder hätte aufwärts gehen können. Schmerzliche Tiefpunkte, wie etwa die zahlreichen missglückten Konzertauftritte im Rauschzustand, werden dem Zuseher glücklicherweise erspart. Es handelt sich um eine ziemlich wohlwollende filmische Biografie. Die echte Amy Winehouse mit ihrem losen Mundwerk war möglicherweise nicht die allerangenehmste Zeitgenossin. Ihr Hang zur Gewalttätigkeit beispielsweise wird im Film zwar thematisiert, insgesamt bleibt die Figur aber eine Sympathieträgerin. Auch ihr Umfeld wird durch eine wesentlich freundlichere Brille betrachtet, als dies etwa die zeitgenössische Presse tat. Ehemann Blake (Jack O’Connell), der Amy in die Welt der harten Drogen einführte, wird im Film als charmanter Typ gezeichnet, Mitch Winehouse (Eddie Marsan), dessen Wirken von vielen eher kritisch gesehen wird, als liebevoller Vater, der stets nur ihr Bestes wollte. Der Zuschauer wird Zeuge Was „Back to Black“ wirklich sehenswert macht, ist die großartige Hauptdarstellerin Marisa Abela. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt gelingt es ihr mehr als glaubhaft, Amy als im Herzen gutes Mädchen zu zeichnen, dessen Schattenseiten entweder schützende Fassade oder Folgen von Drogenmissbrauch sind. Absolute Highlights sind die musikalischen Darbietungen. Abela singt alle Songs im Film selbst und wird dabei von Amy Winehouse’ originaler Band begleitet. Die Stimme ist toll, der typische Sixties-Soul-Sound ist perfekt, und auch die Bilder, die mehr auf Intimität als auf Massenbegeisterung setzen, fangen den Retroglamour von Amys Auftritten sehr gut ein. Obwohl die Musik in diesem Biopic klarerweise eine große Rolle spielt, bleibt sie in einem gewissen Sinn unterbelichtet. Der Zuseher wird zwar Zeuge, wie Amy ihre stets aus dem eigenen Leben gegriffenen Texte („They tried to make me go to rehab / But I said no, no, no“!) dichtet, aber die Einbettung der Musik in den zeitlichen Kontext oder auch die Entstehung der Aufnahmen im Studio kommen zu kurz. Trotzdem: eine Empfehlung. Back to Black USA/GB 2024. Regie: Sam Taylor-Johnson Mit Marisa Abela, Jack O’Connell, Eddie Marsan, Lesley Manville. Constantin. 122 Min. HORRORFILM Ganz und gar kein schlechtes Omen Eigentlich stehen die Zeichen für einen neuen Teil der „Omen“-Reihe denkbar schlecht. Nicht nur bleibt das Original von 1976 unerreicht, das überflüssige Remake von 2006 hat Fans auch kaum Hoffnungen gemacht, dem Horrordrama über die Geburt des Antichristen neue Aspekte abzugewinnen. Zwar bot insbesondere der dritte Teil (1981) interessante Einblicke in das theologische Parusie-Konzept, diese Ansätze wurden dann aber von dem furchtbaren „Omen IV“ (1991) wieder zunichtegemacht. Wie steht es also um „Das erste Omen“, der die Vorgeschichte zu Teil eins erzählt? Zunächst sticht der Retro-Look hervor: Helikopteraufnahmen statt Drohnen, eine penible historische Ausstattung für das Rom der 70er Jahre und eine Musik, die behutsam Jerry Goldsmiths originalen Score zitiert. Dieser Eindruck verstellt aber Langfilm-Regiedebütantin Arkasha Stevensons eigentliche Leistung, ihre Geschichte abseits billiger Nostalgie zu erzählen. Anders als im Original besticht „Das erste Omen“ aufgrund seiner stilisierten Bildsprache (Kamera: Aaron Morton) mit geradezu poetischen Momenten. Der Film bewahrt durch den Fokus auf eine Novizin (intensiv: Nell Tiger Free), die einer kirchenpolitischen Verschwörung auf der Spur ist, sein eigenes Profil, und das obwohl mit „Immaculate“ derzeit ein Horrorfilm ähnlichen Zuschnitts bei uns im Kino läuft. Beide Filme handeln von einer Amerikanerin, die sich in Italien in den Dienst der Kirche stellt, dort aber lernen muss, dass hinter der Fassade des wohlmeinenden Klerus Abgründe lauern. Sowohl „Immaculate“ als auch „Das erste Omen“ müssen im Kontext des gegenwärtigen Abtreibungsdiskurses in den USA gesehen werden, da beide Heldinnen dazu gezwungen sind, ein ungewolltes Kind auszutragen. Für den Horror, die Selbstbestimmung über den eigenen Körper zu verlieren, findet gerade das aktuelle Genrekino den richtigen Ton. (Philip Waldner) Das erste Omen (The First Omen) USA/I/GB/SRB 2024. Regie: Arkasha Stevenson Mit Nell Tiger Free, Ralph Ineson, Sonia Braga, Maria Caballero, Charles Dance, Bill Nighy. Disney. 120 Min. Nicole Sorace und Nell Tiger Free spielen Ordensfrau und Novizin im Prequel „Das erste Omen“. DIAGONALE 2024 Die Preise der Diagonale Bei der Diagonale, dem Festival des österreichischen Films, wurden am 8. April die Preise vergeben. Den Großen Diagonale-Preis im Bereich Spielfilm erhielt „Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin“ von Martha Mechow. Der ebenfalls mit 15.000 Euro dotierte Preis in der Kategorie Dokumentarfilm ging an „Anqa“ von Helin Cleik. Die Schauspielpreise (je 3000 Euro) gingen an Birgit Minichmayr („Mit einem Tiger schlafen“) bzw. Voodoo Jürgens („Rickerl“). Der Gewinner des Publikumspreises ist die Dokumentation „Caravan“ von Lucy Ashton. MEDIEN IN DER KRISE Medien brauchen das Medienprivileg In Zeiten, in denen Spitzengehälter bei öffentlich-rechtlichen Medien Tagesgespräch sind (vgl. Seite 15 dieser FURCHE), macht der Vorstoß für ein „Privileg“ der Medien keinen guten Eindruck. Dabei handelt es sich beim „Medienprivileg“ nicht um eine unziemliche Bevorzugung, sondern um eine sehr komplexe Vorkehrung für die Medien, die „ Wenn Betroffene Auskunft darüber bekommen dürfen, ob und was über sie recherchiert wird, hört sich investigative Berichterstattung auf. “ freie Berichterstattung ermöglicht. Kurz gesagt: Fällt das Medienprivileg, ist die Existenz unabhängiger Medien und damit die Pressefreiheit bedroht. Das, was „Medienprivileg“ meint, ist eine Ausnahme von den Datenschutzgesetzen. Insbesondere die EU-weit geltende Datenschutzgrundverordnung DSGVO definiert Rechte der Bürger in Bezug auf die Verwendung ihrer Daten. Man kann daher von Institutionen Auskunft über die Verwendung seiner Daten und auch Löschungen verlangen. Im Fall von Medien kann das aber zur Gefahr für den Journalismus werden. Denn wenn Betroffene Auskunft darüber bekommen dürfen, ob und was über sie recherchiert wird, hört sich investigative Berichterstattung auf. Es gibt auch Fälle, in denen eine große Zahl von Anfragen die journalistische Arbeit lähmt, weil die Bearbeitung der Anfragen die Möglichkeiten insbesondere kleiner Medien übersteigt und so die Berichterstattung schlicht und einfach lahmlegt: Wer investigativen Journalismus fürchten muss, wird zu derartigen Mitteln greifen. In Österreich hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) das bislang geltende absolute Medienprivileg aufgehoben und bis Ende Juni seine Reparatur verlangt. Kurz gesagt geht es darum, bis zur Jahresmitte ein Gesetz zu verabschieden, das den skizzierten Grundbedürfnissen der Medien gerecht wird und gleichzeitig die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen im Sinn der DSGVO im Blick hat. Die Erhaltung des Medienprivilegs ist essenziell fürs Funktionieren der Medien – und damit auch der Demokratie. Bis vor Kurzem spießte es sich bei der ÖVP, die die Novellierung des Medienprivilegs, welche den Vorgaben des VfGHs entspricht, mit einem Zitierverbot für Medien aus Ermittlungsakten junktimieren wollte. Ein politischer Kuhhandel, von dem sich die ÖVP nun doch wieder verabschieden dürfte. Eine Neufassung des Medienprivilegs ist dringlicher denn je. (Otto Friedrich)

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023