15 · 11. April 2024 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 80. Jg. · € 6,– Dämonie im Unterholz: Stechen und speicheln Zecken sind in Österreich weitverbreitet. Die Klimakrise erhöht die Gefahren der dadurch bedingten Krankheiten. · Seite 22 Olaf Scholz im Wespennest Montessori ohne Maria Woody Allens letztes Geschenk Die außenpolitischen Fehltritte des deutschen Bundeskanzlers sind vor allem auf interne Zwickmühlen zurückzuführen. · Seiten 6–7 Ein Buch wirft Schatten auf die Ikone der Reformpädagogik. Wo verläuft die Grenze zwischen Wissen - schafterin und Werk? · Seiten 11–12 Er – Adoptivnachfahre von Sigmund Freud und Franz Kafka – ist 88. Mit „Ein Glücksfall“ kommt Woody Allens 50. Film ins Kino. · Seite 20 Das Thema der Woche Seiten 2–5 Sapere aude – wage es, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen: Dazu ermutigte der vor 300 Jahren geborene Immanuel Kant. Was bedeutet das heute? Aufklärung riskieren Illustration: Rainer Messerklinger (unter Verwendung eines Bildes von Wikipedia) Foto: iStock/olrat Buch aus Stein Vor fünf Jahren, am 15. April 2019, brannte mit der Pariser Kathedrale ein Pfeiler der französischen Identität. Jahrhundertelang war Notre-Dame de Paris auch ein Thema der Literatur: ehrfurchtsgebietend und symbolträchtig, als Politbühne und als Kletterspot. Seite 17 Die „unendliche Würde“ des Menschen will Dignitas infinita beleuchten. Das scheitert, weil das jüngste Vatikan-Dokument blind gegenüber dem Versagen der katholischen Kirche bleibt. Kirchenspitze ohne Mut AUS DEM INHALT Inmitten des Wahl-Kuddelmuddels 13 Listen und eine Vier-Prozent-Hürde machen die Innsbrucker Wahl am kommenden Sonntag zum österreichweiten Sonderfall. Den Spaltpilz kultiviert hat die ÖVP. Seite 8 Von Otto Friedrich Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben.“ Mit diesem Schiller-Zitat ist ein legendärer Dialog „Der von Helmut Qualtinger und Johann Sklenka überschrieben, in dem zwei alternde Provinzschauspieler über Kunst und ihre Karriere rührend hilflos philosophieren und sich als rettungslos aus der Zeit gefallen gerieren. Es mag ungewöhnlich scheinen, dass bei der Lektüre des jüngsten Vatikan-Dokuments Dignitas infinita die Reminiszenz ans Kabarett hochkommt. Aber „rührend hilflos“ passt als Attribut auch für diesen Versuch, die katholische Moraldoktrin an den Zeichen der Zeit auszurichten, ohne etwas an der Lehre zu ändern. Fünf Jahre haben sich Theologen im Auftrag der Kirchenleitung um diesen Text gemüht, wiederholt wurde er vom Papst zurückgeschickt, bis er nun mit Franziskus’ Billigung erschien, um die „unendliche Würde“ des Menschen in katholischer Façon zu beleuchten. Und tatsächlich wird da wortreich die Menschenwürde meditiert und deren vielfache Verletzung angeprangert – die Reihenfolge dabei ist wohl bemerkenswert: Armut, Krieg, Flüchtlinge, Men- „ ‚Rührend hilflos‘ passt als Attribut für diesen Versuch, die Moraldoktrin an den Zeichen der Zeit auszurichten. “ schenhandel, Missbrauch, Gewalt gegen Frauen. Dass ein lehramtliches Moraldokument zunächst von diesen Themen ausgeht, ist gewiss ein Fortschritt. Aber gleichzeitig vermisst man jegliche kritische Selbstreflexion des kirchlichen Lehrens und Handelns in diesem Kontext: schön und gut, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte da als „eine der höchsten Ausdrucksformen des menschlichen Gewissens“ firmiert. Wie passt damit aber zusammen, dass der Vatikan einer der wenigen Staaten ist, der dieser Erklärung bis zum heutigen Tag nicht beigetreten ist? Ganz abgesehen davon, dass eine „Reinigung des Gedächtnisses“ (© Johannes Paul II.) in Bezug auf die bis vor wenigen Jahrzehnten flagrante Ablehnung der Menschenrechte durch die Kirche in so einem Dokument angesprochen werden müsste. Ein Halbsatz zu kirchlichem Missbrauch Noch prekärer ist es beim Thema Missbrauch, das in erschütternd wenigen Zeilen abgehandelt wird; die Rolle der Kirche wird nur im Halbsatz erwähnt, dass sie sich „unermüdlich dafür ein[setzt], allen Arten von Missbrauch ein Ende zu setzen, und zwar beginnend im Innern der Kirche“. Das ist Euphemismus pur und leugnet glatt, dass es sich hier um die größte Anfechtung der Kirche seit Jahrhunderten handelt. Natürlich wiederholt Dignitas infinita bei den Lebensschutzthemen – Abtreibung (vgl. Seite 9 dieser FURCHE) und Sterbehilfe – die bekannten Positionen. Dazu kommt ein apodiktisches Nein zu Leihmutterschaft und Geschlechtsumwandlung. Gerade bei letzterem Thema wird wieder so getan, als ob dies eindeutig und mit einem Federstrich zu bewerten wäre. Ähnliches gilt einmal mehr für Auseinandersetzung mit der „Gender- Theorie“, auch wenn die Kritik in Ansätzen differenzierter ausfällt als früher. Schließlich wird immerhin die Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung als Verstoß gegen die Menschenwürde anerkannt. Das alles ist aber deswegen „hilflos bemüht“, weil es keinerlei Anzeichen gibt, dass die katholische Kirche bereit ist, ihre Lehre – etwa in Bezug auf sexuelle Selbstbestimmung und Orientierung – zu hinterfragen. Man erinnert sich ans letzte Dokument des II. Vatikanums, Dignitatis humanae, über die Religionsfreiheit (das ja die Menschenwürde im Titel trägt!), welches eine solche Änderung der Lehre bedeutete. Seither hat die Kirchenspitze aber der Mut verlassen, die Zeichen der Zeit (auch das ein Leitwort des Konzils) in ihrer (Moral-)Lehre wirklich zur Geltung zu bringen. Solange das nicht geschieht, ist das Bild der alternden Schauspieler, die aus der Zeit gefallen sind und sich an die Reminiszenzen über gute alte Zeiten klammern, auch für die katholische Kirche nicht falsch. Leider. otto.friedrich@furche.at Der Scheich aus Österreich Er war Priester und Orientalist, kaisertreuer Österreicher – und fühlte sich nach dem 1. Weltkrieg in Wien verfemt, sodass er in Prag lehrte. Zum 80. Todestag Alois Musils.Seite 10 Aufmunterung für Klimapessimisten Wer Trost sucht, wird bei der Wissenschafterin Hannah Ritchie fündig. Wer Lösungen sucht, auch. In ihrem Buch weist sie den Weg in eine positive Klimazukunft. Seite 13 Empört euch – aber richtig! ORF-Gehälter sollen diskutiert werden. Größere Aufregung müsste aber anderen Medienthemen gelten, meint Irene Neverla im „Diesseits von Gut und Böse“. Seite 15 Außergewöhnliches im Alltäglichen Vor zehn Jahren starb Gabriel García Márquez. Ein bisher unveröffentlichter Roman zeigt einmal mehr die Erzählkunst des Literaturnobelpreisträgers. Seite 19 @diefurche @diefurche furche.at @diefurche Die Furche Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0
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