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DIE FURCHE 11.01.2024

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DIE FURCHE · 2 6 Religion 11. Jänner 2024 Von Hans Förster Die Frage der Segnung homosexueller Paare durch kirchliche Amtsträger erregt die Gemüter und kann Kirchen an den Rand der Spaltung bringen, wie die Diskussionen der letzten Tage zeigen (vgl. auch den Leitartikel auf Seite 1). Das gilt natürlich auch, wenn der Papst hier Tendenzen zu einer Aufweichung kirchlicher Normen erkennen lässt. DIE FURCHE titelte vor Weihnachten hierzu „Eine schöne Bescherung“. Es ist richtig, dass man mit dogmatischer Beharrlichkeit die Menschen nicht mehr erreicht. Aber widerspricht die vom Papst autorisierte Glaubensbehörde denn nicht den Aussagen des Paulus im Römerbrief? Gleich im ersten Kapitel findet sich der entsetzte Ausruf (Röm 1,26; Lutherbibel): „Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn bei ihnen haben Frauen den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen.“ Für die, denen das zu ungenau ist, übersetzt die nicht zuletzt im freikirchlichen Bereich verbreitete „Hoffnung für Alle“- Bibel hier wortgewaltig: „Weil die Menschen Gottes Wahrheit mit Füßen traten, gab Gott sie ihren Leidenschaften preis, durch die sie sich selbst entehren: Die Frauen haben die natürliche Sexualität aufgegeben und gehen gleichgeschlechtliche Beziehungen ein.“ Dem „natürlichen“ Verkehr steht der „widernatürliche“ Verkehr entgegen, dieser ist schändlich. „Natürlich“ meint „ehelich“ So weit, so falsch. Hier wird moralinsauer der Stock über allen gebrochen, die sich nicht in die binären Geschlechtszuordnungen einordnen lassen. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht scheitert man hier am Text. Paulus verwendet den Begriff „Natur“ bei Fragen der menschlichen Sexua lität gleichbedeutend mit „ehelich“. Das ist guter antiker Sprachgebrauch. Der „natürliche“ Sohn ist – im Gegensatz zum Adoptivsohn – der in der Ehe geborene, leibliche Sohn. Während nun beispielsweise die Elberfelder Bibel im Galaterbrief (Gal 2,15) die wörtliche Übersetzung wählt („wir [sind] von Natur Juden“), optieren andere Übersetzungen deswegen für eine Umschreibung, die diesem Foto: Getty Images / Heritage Images / Ashmolean Museum Lesen Sie dazu auch das Interview mit dem Moraltheologen Stephan Goertz vom 4.12.2014, siehe „Eine längst überfällige Debatte“ auf furche.at. GLAUBENSFRAGE Himmlische Botschaften Auch in Bezug auf Homosexualität sind biblische Texte vielschichtig: Moralinsaure Übersetzungen und Lesarten verstellen den Blick. Ein Beitrag zur Debatte über die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Verkehr wider die „Natur“? Naturbegriff gerecht wird: „Wir sind von Geburt Juden.“ (Lutherbibel 2017) Wörtlich steht dort Natur, trotzdem wird mit Geburt übersetzt. Wenn nun dem „natürlichen Verkehr“ nicht der „widernatürliche“ entgegenstehen sollte, sondern der „außereheliche“ Verkehr, dann muss man auch nicht mehr darüber nachdenken, welche Form des „widernatürlichen“ Verkehrs hier gemeint sein könnte. Im einen oder anderen Kommentar zu dieser Stelle wird darüber nachgedacht, welche Sexualpraktiken hier gemeint sein könnten. Der Glaube an Vorhersagen ist im Orient stark verbreitet. Gerade zu Beginn eines neuen Jahres laufen im Fernsehen Sendungen, die sich eigens damit auseinandersetzen. Die wie Stars angesehenen Vorhersager verkünden dabei wichtige relevante Ereignisse. Eine viel individuellere Form der Vorhersagen sind Träume. Traumdeutung gilt im Islam als eigene Wissenschaft, die man studieren kann. Träume gelten dabei als göttlich vermittelte verschlüsselte Botschaften, auch über Ereignisse, die in der Zukunft liegen. Sie gelten als Quellen spiritueller Führung und helfen Menschen, sich besser auf die Zukunft vorzubereiten beziehungsweise sich selbst besser zu verstehen, um negative Eigenschaften und Handlungsmuster im eigenen Leben ins Positive zu lenken. Traumdeuter sind daher stark nachgefragte Personen, die einen Gelehrtenstatus im religiösen Sinne besitzen. Es gibt aber Stimmen, die Träume als Ergebnisse unseres Unterbewusstseins qualifizieren. Sie vertreten die Auffassung, unser Unterbewusstsein arbeite mit Bildern und Symbolen, die von Psychologen gedeutet werden können. Religion spiele hierbei keine Rolle und eine psychologische Traumanalyse ermögliche uns den Zugang zu den geheimen Botschaften unseres Unterbewusstseins. Aus Neugierde folge ich zwei bekannten religiösen Gelehrten, die Träume deuten, auf Instagram. Es ist immer wieder faszinierend zu erleben, wie oft sich Träume als Vorhersagen über die Zukunft erweisen. Die Wissenschaft kann ihre Zuverlässigkeit allerdings nicht bestätigen. Dennoch bleibt für mich die Frage offen, ob es sich bei unseren Träumen um göttliche Botschaften handelt oder um potenzielle Szenarien dafür, wie die Zukunft aussehen könnte, basierend auf dem, was unser Gehirn von der Vergangenheit weiß. Dies muss jeder für sich herausfinden. Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster. Von Mouhanad Khorchide „Schändliche Begierde“ Wogegen sich Paulus wehrte, war der zu seiner Zeit tolerierte Verkehr eines freien Mannes mit einem Unmündigen – was man heute als „sexuellen Missbrauch“ bezeichnen würde. (Bild: Darstellung auf einem antiken Becher, ca. 470 v.Chr.) Vielleicht wäre es besser, wenn die sprachwissenschaftliche Analyse hier stärker berücksichtigt würde, schließlich entspricht das hier vorgeschlagene Verständnis auch in gleich mehrfacher Hinsicht der antiken Realität. Zum einen wird weibliche Homosexualität nicht weiter als Thema in antiken Texte behandelt. Zum anderen konnten nur Frauen die eigene Ehe brechen. Aus der Sicht des römischen Rechts brach ein verheirateter römischer Mann, der mit einer ebenfalls verheirateten römischen Frau einvernehmlich eine sexuelle Handlung vornahm, nur die fremde Ehe. Auch wenn es das heutige Recht anders sieht: Die eigene Ehe konnte nur die verheiratete Frau, nicht jedoch der verheiratete Mann brechen. Hinsichtlich des Eherechtes sind wir also heute im Vergleich zur Zeit des Paulus einen großen Schritt weiter. Nun kann man einwenden, dass das alles an den Haaren herbeigezogen ist, schließlich hält Paulus direkt danach fest (Röm 1,27): „Desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Männer mit Männern Schande über sich gebracht und den Lohn für ihre Verirrung, wie es ja sein musste, an sich selbst empfangen.“ „ Es geht den biblischen Texten mehr darum, dass Sexualität, Selbstbestimmung, Treue, Verantwortung zusammengehören. “ Die „Gute Nachricht“-Bibel übersetzt noch deutlicher: „Ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit Frauen auf und entbrannten in Begierde zueinander. Männer treiben es schamlos mit Männern. So empfangen sie am eigenen Leib den gebührenden Lohn für die Verirrung ihres Denkens.“ Im moralischen Eifer hat man hier einmal mehr die Feinheiten des griechischen Textes glattgebügelt. Paulus spricht hier ein Problem an, um das es bei den modernen Segnungen überhaupt gar nicht geht. Er kritisiert, dass männliche Personen mit männlichen Personen verkehren. Was hier zutage tritt, ist eine Kritik daran, dass in der römischen Gesellschaft zur Zeit des Paulus sexueller Verkehr zwischen Männern dann erlaubt und gesellschaftlich toleriert war, wenn der Römer die Penetration durchführte. Sich penetrieren zu lassen, war unmännlich. Damit war die gängige Form des homosexuellen Verkehrs zwischen zwei Männern nicht der Verkehr zwischen zwei freien und gleichberechtigten Personen, sondern vielmehr die sexuelle Befriedigung eines Triebes eines freien Mannes durch den sexuellen Verkehr mit einer abhängigen Person, die sich nicht wehren konnte. Diese abhängigen Personen waren meist minderjährige Sklaven, die im Normalfall die Pubertät noch nicht erreicht hatten. Die zarte Haut und der haarlose Körper waren es, die „schändlicher Weise“ begehrt wurden. Die „schändliche Begierde“ erhält damit eine völlig andere Konnotation, als dies in den gängigen Übersetzungen dieser Stelle deutlich wird. Paulus wehrt sich hier erst einmal gegen etwas, worüber eigentlich Konsens bestehen sollte: Sexueller Missbrauch geht gar nicht. Gegen Ehebruch und Missbrauch Das Heiratsalter antiker Frauen mag niedriger gewesen sein, als dies heute üblich ist. Allerdings hatten Frauen im Normalfall die Pubertas bereits hinter sich, waren also – im Gegensatz zu den pene - trierten Buben – geschlechtsreif. Damit könnte man Paulus hier auch so verstehen: Er wehrt sich gegen Ehebruch und Kindesmissbrauch. Das Thema einer einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Beziehung zwischen zwei Erwachsenen ist jedenfalls nicht Gegenstand der paulinischen Ermahnung im Römerbrief. Das war ein Konzept der sexuellen Beziehung, das die römische Gesellschaft zur Zeit des Paulus noch nicht kannte. Damit zeigt sich einmal mehr, dass die Theologie dazu tendiert, die Lösung so mancher Probleme in den Text hineinzulesen. Dann kann nicht mehr deutlich werden, dass die biblischen Texte vielschichtiger sind als der sprichwörtliche „papierene Papst“. Eine saubere sprachwissenschaftliche Arbeit lässt hier scheinbar eindeutige Aussagen in einem neuen und ganz anderen Licht erscheinen. Es geht den biblischen Texten wohl weniger um das, was genau unter der Bettdecke vor sich geht, und mehr darum, dass Sexualität, Selbstbestimmung, Treue und Verantwortung zusammengehören. Bei dem vorgeschlagenen Textverständnis wäre für Paulus die kirchliche Vertuschung von Kindesmissbrauch, die in der jüngeren Geschichte häufiger vorgekommen ist, das eigentliche Problem – und nicht die Segnung erwachsener Menschen. Der Autor lehrt als Privatdozent an der Universität Wien und leitet ein Projekt des FWF an der Kirchl.-Päd. Hochschule (KPH) Wien/Krems.

DIE FURCHE · 2 11. Jänner 2024 Religion 7 Vor 60 Jahren brach Paul VI. zur Pilgerfahrt ins Heilige Land auf. Die Aussöhnung der katholischen Kirche mit dem Judentum, die Annäherung zwischen Ost- und Westkirche wären niemals so weit gekommen, wenn der Papst 1964 mit dieser Reise nicht große Zeichen gesetzt hätte. Friedensbote, auch damals ungehört Von Felix Deinhofer Gerade einmal ein halbes Jahr war der neue Papst Paul VI. im Amt, als er den Konzilsvätern in der Abschlusssitzung der zweiten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils am 4. Dezember 1963 am Ende seiner Schlussansprache eine unerwartete Ankündigung machte, die nicht im gedruckten Redetext enthalten war: „Wir sind so überzeugt, dass für einen guten Ausgang des Konzils fromme Bitten erhoben und Werke vermehrt werden müssen, dass wir nach reiflicher Überlegung und vielen an Gott gerichteten Gebeten beschlossen haben, als Pilger in jenes Land zu gehen, das die Heimat unseres Herrn Jesus Christus ist. Es ist daher unsere Absicht, im kommenden Monat Januar mit Gottes Hilfe nach Palästina zu gehen, wo Christus geboren wurde, lebte, starb und von den Toten zum Himmel aufstieg, mit der Absicht, die Hauptgeheimnisse unserer Erlösung, nämlich die Menschwerdung und die Erlösung, persönlich in Erinnerung zu rufen.“ Die völlig überraschten Konzilsväter antworteten mit schallendem Beifall. Auch die Medien feierten die Entscheidung des Papstes. Die Reise war zwar bereits seit längerem geheim in Planung, jedoch war offenbar zuvor nichts nach außen gedrungen. Der Entschluss des Papstes dürfte auf das Erlebnis des Konzils zurückzuführen sein, auf dem die Kirche in ihrer Größe und Vielfalt sichtbar wurde. „Es soll eine Rückkehr zur Wiege des Christentums sein, wo das Senfkorn des evangelischen Gleichnisses zum ersten Mal Wurzeln schlug und sich wie ein Laubbaum ausbreitete, der nun die ganze Welt mit seinem Schatten bedeckt; ein betender Besuch an den Orten, die durch das Leben, Leiden und die Auferstehung unseres Herrn geheiligt wurden“, erklärte Paul VI. am Tag seiner Abreise am 4. Jänner 1964 vom Flughafen Fiumincino, wohin sogar der italienische Präsident angereist war. Foto: IMAGO / United Archives International Seit 150 Jahren: Erster Papst ins Ausland Die Überraschung über die Reise war groß, war sie doch gleich mehrfach ein Novum: Zuletzt hatte mit Papst Pius VII. (1742–1823) 150 Jahre zuvor ein Papst italienischen Boden verlassen – und dies nicht einmal freiwillig, zumal er für zwei Jahre von Napoleon in Frankreich interniert gewesen war. Die politischen Wirren des 19. Jahrhunderts bestärkten die Päpste daraufhin zusätzlich in ihrer örtlichen Zurückgezogenheit. Seither vermieden es die Oberhäupter der katholischen Kirche, die sich selbst als „Gefangene im Vatikan“ betrachteten, durch Reisen die Stabilität des Apostolischen Stuhles zu gefährden. Dass die erste Auslandsreise eines Papstes nach so langer Zeit ausgerechnet in den Nahen Osten ging, verblüffte zusätzlich, immerhin galt die Region Palästina damals – wie auch heute – als Pulverfass. Von der Symbolik her gesehen war die Reise an den Ursprung der christlichen Region jedenfalls bahnbrechend. Seit Petrus fast zwei Jahrtausende zuvor von Jerusalem aus seinen Gang nach Rom angetreten hatte, war kein Nachfolger des Apostels je an die Orte des biblischen Geschehens gereist. Bei der Landung am 4. Jänner 1964 in Amman wurde er vom jordanischen König Hussein I., unter dessen Regierung damals auch noch die Stadt Jerusalem stand, mit Salutschüssen willkommen geheißen. Der Papst betonte gegenüber dem Herrscher, seine Reise sei ein „demütiger Pilgerweg zu den heiligen Orten, die durch die Geburt, das Leben, das Leiden und Sterben Jesu Christi und durch seine glorreiche Auferstehung und Himmelfahrt geheiligt wurden“ und fand anerkennende Worte für die Friedensbemühungen des Königs. Dass die Motive des Papstes völlig unpolitischer Natur waren, bezweifelten viele der in der Region lebenden Araber. Ihre Sorge war, dass eine – schon vom Konzil in Aussicht gestellte – jüdisch-christliche Aussöhnung einen politischen Vorteil für den Staat Israel bedeuten könnte. Der jordanische Rundfunk nutzte daher die Berichterstattung über den Papstbesuch immer wieder für antijüdische Seitenhiebe wie: „Vor 2000 Jahren haben die Juden Christus gekreuzigt und vor 15 Jahren haben sie die Bevölkerung Palästinas angegriffen […] Wahrlich, von allen Religionen der Welt sind es die Juden, die die Feinde Gottes sind. Ihre Verbrechen sollen den Juden nie vergeben werden.“ Damals noch Jordanien ... Gleich nach der Begrüßungszeremonie in Amman setzte sich die Kolonne rund um das Papstauto in Bewegung Richtung Jerusalem. Nach einem kurzen Zwischenstopp am Jordan – an der Stelle, an der Jesus der Überlieferung nach von Johannes dem Täufer getauft wurde – erreichte Paul VI. Jerusalem, wo er von den örtlichen Behörden sowie den Bewohnern der Stadt am Damaskustor empfangen wurde. Auf dem Tor thronte ein Maschinengewehr, die ganze Altstadt glich einer Hochsicherheitszone. Dennoch brach die Menschenmasse durch die Absperrungen und verhinderte den geordneten Pilgerzug durch Jerusalem. Die Sicherheitskräfte konnten den Papst, der schon bald von seinen Begleitern getrennt war, nur mühselig durch die Menge schleusen. Dieser versuchte trotzdem, seine Gebete an den Kreuzwegstationen der Via Dolorosa zu verrichten. Als Paul VI. die Grabeskirche erreicht hatte, begann er mit der Zelebration der Messe in dem maßlos überfüllten Gotteshaus. Dabei fiel aufgrund eines Kurzschlusses der Strom aus, eine Massenpanik drohte auszubrechen. Der Papst ließ sich allerdings nicht davon beirren und feierte bei Kerzenschein die Messe weiter. Am nächsten Tag brach der Papst ins israelische Staatsgebiet auf. Aufgrund des Chaos des Vortages standen dort noch strengere Sicherheitsvorkehrungen an der Tagesordnung. Schon im Vorfeld wurden hunderte potenzielle Unruhestifter festgenommen. Der Pontifex besuchte die Stadt Nazaret und betete am See Genezareth. An das „Volk des Bundes“ richtete der Papst zum Abschied am Ende seines nur zwölfstündigen Besuchs in Israel einen flammenden Friedensappell: „Möge er dieses unvergleichliche Geschenk über die geplagte Welt von heute ausgießen, dessen Echo durch alle Seiten der Bibel hallt und in dem wir unseren Gruß, unser Gebet und unseren Wunsch zusammenfassen möchten: Schalom! Schalom!“ Als der Papst am Abend desselben Tages nach Jerusalem zurückgekehrt war, kam es zu einer Begegnung von historischem Ausmaß: Über 900 Jahre, nachdem sich 1054 der damalige Patriarch von Konstantinopel und der päpstliche Gesandte gegenseitig exkommuniziert und damit das große morgenländische Schisma eingeläutet hatten, trafen Papst Paul VI. und der Ökumenische Patriarch Athenagoras aufeinander. Dies war das erste derartige Treffen seit 1439. Ein gemeinsames Gebet und der Friedenskuss waren der erste Schritt Lesen Sie auch, wie Friedrich Heer am 9.1.1964 die Reise Pauls VI. bewertete, siehe „Friede aus Jerusalem“ auf furche.at. „ In Galiläa richtete der Papst an das ‚Volk des Bundes‘ zum Abschied am Ende seines nur zwölfstündigen Besuchs in Israel einen flammenden Friedensappell. “ 4. bis 6. Jänner 1964 Papst Paul VI. unter den Menschenmassen in Jerusalem, dessen Altstadt bis zum Sechstagekrieg 1967 von Jordanien verwaltet wurde. einer Annäherung zwischen katholischer und orthodoxer Kirche, die sich im Jahr darauf durch die gegenseitige Aufhebung des Bannes von 1054 fortsetzte. Erste Begegnungen mit Athenagoras Die denkwürdige Reise beendete Paul VI. am Morgen des 6. Jänner 1964 mit einer Messe in der Geburtskirche in Betlehem. In einer Radioansprache erneuerte er dort seine Friedensbotschaft noch nachdrücklicher: „In dem Augenblick, in dem wir Bethlehem verlassen, jenen Ort der Reinheit und der Ruhe, an dem er vor zwanzig Jahrhunderten geboren wurde und zu dem ich als Friedensfürst bete, fühlen wir die dringende Pflicht, an die Staatsoberhäupter und an alle, die Verantwortung für die Völker tragen, unseren dringenden Appell für den Frieden der Welt zu erneuern. Mögen die Herrscher diesen Schrei aus unserem Herzen hören und großherzig ihre Bemühungen fortsetzen, der Menschheit den Frieden zu sichern, den sie so leidenschaftlich anstrebt.“ Der Ruf des Papstes nach Frieden im Nahen Osten blieb – wie die aktuellen Ereignisse schmerzlich in Erinnerung rufen – ungehört. Dennoch war die Reise zumindest in einigen Punkten ein voller Erfolg: Die Aussöhnung der katholischen Kirche mit dem Judentum, die Annäherung zwischen Ost- und Westkirche wären niemals so weit gekommen, wenn Paul VI. 1964 nicht diese großen Zeichen gesetzt hätte. Die Konzilserklärung Nostra aetate vom 26. Oktober 1965 über die nichtchristlichen Religionen sowie die Aufhebung des Kirchenbannes von 1054 am 7. Dezember 1965 sind die sichtbaren Früchte des mutigen Schrittes des Kirchenoberhauptes. Der Autor ist Theologe im Dienst der Diözese St. Pölten und Redakteur der Kirchenzeitung Kirche bunt.

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