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DIE FURCHE 11.01.2024

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DIE FURCHE · 2 18 Wissen 11. Jänner 2024 Heizen und Kühlen Eine Wärmepumpe funktioniert nach demselben Prinzip wie ein Kühlschrank: Sie entzieht einem Bereich Wärme und überträgt sie. Im Winter kann sie damit heizen, im Sommer kühlen. Von Michaela Ortis Der Weg vom Stadtzentrum zur Wärmepumpe des Kraftwerks Simmering führt an den runden Gasometern vorbei. Einst dienten sie zur Speicherung des Stadtgases, heute bieten sie hinter ihren Ziegelsteinfassaden Platz für Wohnungen und Unterhaltung. Dann ziehen die hohen Schornsteine des Gaswerks die Blicke an. Daneben, in einer äußerlich unauffälligen Halle, geht es um die grüne Zukunft der Energieerzeugung. Die größte Wärmepumpe Mitteleuropas nutzt die Abwärme von Kraftwerksanlagen – und kann bis zu 25.000 Wiener Haushalte mit CO₂-freier Fernwärme versorgen. Bereits am 27.2. 1992 hat Irmgard Inführ unter „Wärmepumpe als Zukunftsschlager“ aus der Schweiz berichtet – siehe furche.at. Die Stadt Wien will durch eine Großwärmepumpe dem Ziel der Klimaneutralität 2040 näherkommen. Zugleich forscht man an praktikablen Lösungen für Haushalte, um Gasthermen zu ersetzen. Ein Überblick. 23 Grad – mit gutem Gewissen „ Die Wärmepumpe ist die Zukunft der Raumwärme. Dann muss ich nichts mehr mit tausend Grad verbrennen, damit ich es zu Hause warm habe. “ Christian Köfinger, AIT Abwärme aus der Kläranlage Alte und neue Technologien für die Erzeugung von Strom, Wärme und Kälte geben sich in Simmering gleichsam die Hand. Im Mai 1900 beschloss der Wiener Gemeinderat den Bau eines Kraftwerks, dazu schreibt die Wien Energie: „Aufgrund des sich laufend weiterentwickelnden Energiesektors und des wachsenden Strombedarfs glichen die Kraftwerke einer ständigen Baustelle.“ Das ist bis heute so; jetzt heißt das Ziel Klimaneutralität bis 2040. Bei der Dekarbonisierung ist die Wärmepumpe ein wichtiger Player: „Die Abhängigkeit der Fernwärme vom Erdgas und das Bewusstsein für die Einseitigkeit des Portfolios ist bei uns seit mehr als zehn Jahren ein großes Thema“, sagt Rusbeh Rezania, Abteilungsleiter bei Wien Energie. Den Umstieg soll u.a. die Wärmepumpe des Kraftwerks Simmering ermöglichen; ebenso wie eine neue Großwärmepumpe, die künftig Abwärme aus der Kläranlage nutzen wird. Der Weg zur Klimaneutralität führt auch unter die Erde: Thermalwasser soll aus über 3000 Metern Tiefe gepumpt und mittels Wärmetauscher in das Fernwärmenetz gespeist werden. Später wird das abgekühlte Wasser zurückgeleitet, um den Kreislauf der Tiefengeothermie zu schließen. „Pro hundert Metern Tiefe gibt es drei Grad Temperaturanstieg. Wenn ich höhere Temperaturen brauche, muss ich tiefer graben“, erklärt Rezania. „Aber das klingt einfacher, als es ist.“ Seit 2012 versuchte man mit Bohrungen, seismischen Messungen und riesigen Datenanalysen bis zu hundert Grad heißes Wasser zu finden. 2021 wurde man endlich im Aderklaaer Konglomerat fündig. Die erste Geothermieanlage soll 2027 in Aspern in Betrieb gehen. Wärmepumpen ziehen Energie aus der Umgebungsluft, dem Erdreich oder dem Wasser und machen die gewonnene Wärme für Heizung und Warmwasser nutzbar. Weil sie die kostenlose Umgebungswärme als Energiequelle nutzen, brauchen sie nur wenig Strom. Damit erzeugen Wärmepumpen drei bis vier Mal mehr Energie, als sie verbrauchen. Die Funktionsweise folgt dem Prinzip eines wohlbekannten Küchengeräts, des Kühlschranks: Während dieser dem Innenraum Wärme entzieht und sie nach außen leitet, wird hier Wärme von außen ins Innere transferiert. Europa muss weg vom Gas Etwa 50 Prozent des gesamten Energieverbrauchs der EU werden laut Eurostat zum Heizen und Kühlen verwendet. Mehr als 70 Prozent stammen noch aus fossilen Brennstoffen, hauptsächlich Erdgas. Um die Energiewende im Sinn des „Green Deal“ voranzutreiben, setzt man auf Wärmepumpen. Unterstützend gibt es den „Heat Pump Action Plan“ der EU: Dieser Aktionsplan umfasst Maßnahmen wie Kommunikation, damit die Bevölkerung weiß, warum Wärmepumpen sinnvoll sind. Es geht um Partnerschaften und Ausbildung für Fachkräfte in der Industrie, damit Wärmepumpen produziert und installiert werden können. Auch gesetzliche Grundlagen müssen geschaffen werden – und es soll Finanzierungs- programme für einen leistbaren Umstieg geben. Auf dem Forum der Interessenvertretung EHPA („European Heat Pump Association“) nannte EU-Energiekommissarin Kadri Simson den Aktionsplan „einen ersten Schritt“. Für ein umweltfreundlicheres Energiesystem müsse die Einführung von Wärmepumpen beschleunigt werden. „Wenn Europa weg vom Gas und hin zu Wärmepumpen wechseln möchte, braucht es viele Maßnahmen, die der Aktionsplan unterstützen soll“, bestätigt Business Manager Christian Köfinger vom Austrian Institute of Technology (AIT). Das Team des AIT forscht am Ersatz von Gasthermen, gefördert als FFG-Projekt vom Klimaschutzministerium. Das Potenzial ist groß, denn viele Haushalte nutzen hierzulande Gas für Heizen oder Warmwasser. „Mit unserem Projektpartner Ochsner Wärmepumpen arbeiten wir daran, dass unser System bald auf den Markt kommt. Dabei wird die Wärmepumpe einfach an den Platz der Gastherme gehängt und an die bereits vorhandenen Leitungen angeschlossen“, erklärt Köfinger. Im stillgelegten Rauchfang werden Leitungen in den Keller gelegt, um die Erdwärme zu nutzen; oder auf das Dach als Foto: iStock/caifas Luftwärmepumpe. Unabhängig von den Eigentumsverhältnissen können sich einzelne Parteien, Gruppen oder das ganze Haus für eine Wärmepumpe entscheiden, denn ein zentraler gemeinsamer Heizkeller ist in diesem Konzept nicht mehr nötig. Und es gibt noch einen großen Vorteil, betont Köfinger: „Wir haben die wärmsten Jahre seit es Messaufzeichnungen gibt: Der Bedarf an Kühlung wird steigen und Wärmepumpen sind das einzige Heizsystem, das auch kühlen kann.“ So haben Haushalte im Sommer mehr Komfort und müssen nicht zusätzlich Geld für eine Klimaanlage ausgeben. Das AIT ist hierzulande die größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung. Bereits viele Jahre forschen Köfinger und seine Kolleginnen und Kollegen an der akustischen Optimierung von Wärmepumpen: „Kein technisches Gerät ist absolut leise, man hört ja auch das Gasverbrennungsgeräusch einer Therme“, so Köfinger. „Private Wärmepumpen sollten jedoch nicht lauter als ein Kühlschrank sein, diesen Schall ist man gewohnt.“ Bei der Auswahl müsse man zwischen Premiumprodukten, wo mehr in Akustikoptimierung investiert wird, und günstigeren Geräten unterscheiden. Spitzenforschung in Wien Im Forschungsbereich industrieller Großwärmepumpen hat das AIT als Vorreiter die ersten Geräte gebaut, die 160 Grad für Industrieprozesse zur Verfügung stellen können. Denn hier werden höhere Temperaturen benötigt als zum Heizen von Wohnungen – dort genügen rund 50 Grad. Bereits 2015 hat man sich im Projekt „Green Heat Pump“ mit natürlichen Kältemitteln befasst – die ein wichtiger Bestandteil für das Funktionieren von Wärmepumpen sind. Dabei wird die Bedeutung des Forschungsstandortes Österreich für Wärmepumpen auch weltweit gesehen. Nicht durch Zufall entschied die Internationale Energieagentur, dass die nächste große Fachkonferenz zu Wärmepumpen 2026 in Wien stattfinden wird. Im großen Bereich Heizen und Kühlen von Räumen können Wärmepumpen jedenfalls ihre Stärken ausspielen, weil sie hier am effizientesten sind. Studien von AIT und TU Graz zeigen, dass die meisten Ein- und Mehrfamilienhäuser in Österreich schnell auf Wärmepumpen umrüsten könnten. „Aus unserer Sicht ist die Wärmepumpe das System der Zukunft für die Raumwärme“, resümiert Christian Köfinger. „Denn dann muss ich nichts mehr mit tausend Grad verbrennen, damit ich es zu Hause 23 Grad warm habe.“

DIE FURCHE · 2 11. Jänner 2024 Wissen 19 Elon Musk will die Welt durch sein Satellitennetzwerk „Starlink“ mit schnellem Internet verbinden. Doch mittlerweile nutzen auch Kriminelle seine Internet-Infrastruktur. Geschenk des Himmels? Von Martin Tauss HUMAN SPIRITS Musk, der Manische 42.000 Satelliten will Musk in den Orbit jagen (im Bild der Start einer SpaceX Falcon 9 Rakete von Cape Canaveral, Florida). Die Lügen vom Glück Von Adrian Lobe Gaza offline: Fast drei Tage lang funktionierte Ende Oktober 2023 das Internet nicht mehr. Kein Whatsapp, kein Tiktok, nichts. Die Geiseln, die von der Hamas verschleppt worden waren, konnten keinen Kontakt mehr zu ihren Verwandten aufnehmen, die Zivilbevölkerung nicht mehr mit der Außenwelt kommunizieren. Das israelische Militär hatte bei seinen Luftangriffen im Gazastreifen Kabelnetze, Mobilfunkmasten und andere Infrastruktur zerstört. Just in diesem Blackout-Moment schal- tete sich Elon Musk ein: Er wolle seinen Internetdienst Starlink für „international anerkannte“ Hilfsorganisationen in Gaza zur Verfügung stellen. Das sorgte in Israel zunächst für heftige Kritik: Die Hamas, so die Befürchtung, könnte den Dienst für Terroraktionen nutzen. Nach einem Treffen zwischen Musk und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einigte man sich schließlich auf eine Freischaltung im Gaza-Streifen. Elon Musk hat mit seinem Raumfahrtunternehmen SpaceX rund 4500 Satelliten in den Orbit geschossen. Die Satelliten, die in einer Höhe von rund 550 Kilometern um den Globus kreisen, funken das World Wide Web aus dem Vakuum des Weltalls per Radiosignal an die Erde. In Gegenden, in denen es kein (flächendeckendes) Internet gibt oder das Regime das Netz gesperrt hat, können sich Nutzer und Nutzerinnen durch den Kauf entsprechender Hardware-Komponenten für den Dienst anmelden. Vor wenigen Tagen hat SpaceX für die Telekom-Tochter T-Mobile die ersten Mobilfunksatelliten ins All befördert, mit denen unter anderem auch SMS versendet werden können. „ Über die Hälfte der aktiven Satelliten im Weltall gehören schon heute Starlink. Greift da jemand in die Weltpolitik ein, ohne dazu legitimiert zu sein? “ HINTERGRUND Wettrennen ums Weltall Elon Musk ist nicht der Einzige, der den Weltraum erobern will. Auch Amazon-Gründer Jeff Bezos hat mit seinem Projekt „Kuiper“ Großes im Sinn: Bis 2029 sollen über 3000 Satelliten im Weltall kreisen, damit Kunden auch in den entlegensten Winkeln der Welt bei Amazon bestellen können. Nach UN-Angaben sind noch immer 2,9 Milliarden Menschen ohne Internetschluss. Die Offline-Community ist eine riesige Marktlücke. Auch Google erkannte das und wollte mit Heißluftballons das Internet in entlegene Regionen bringen – nach einer Pannenserie wurde das Projekt „Loon“ allerdings eingestellt. Auch Starlink hat immer wieder zu kämpfen. Zahlreiche Satelliten sind bereits vom Himmel gefallen – zuletzt im September 2023 über Puerto Rico. (al) Foto: Getty Images / LightRocket / SOPA Images / Paul Hennessy Retter der Meinungsfreiheit Musk gefällt sich in der Rolle des Nothelfers – und geriert sich dabei auch gern als Retter der Meinungsfreiheit. Als im Januar 2022 bei einem Vulkanausbruch vor der Küste Tongas im Südpazifik eine Sedimentlawine ein Seekabel beschädigte und das Atoll vom Internet trennte, aktivierte der Tesla-Chef prompt sein Satellitennetzwerk. So konnten die Bewohner ins Internet, bis das Unterseekabel gut einen Monat später wieder repariert war. Im Iran, wo das Regime das Netz zensiert und sich durch den Aufbau eines nationalen Intranets vom World Wide Web abkoppeln will, hat Starlink seine Präsenz erhöht und hundert Internetzugänge freigeschaltet – sehr zum Ärger der Mullahs. Auch im Ukraine-Krieg spielt Musk eine entscheidende Rolle, indem er der Ukraine kostenlos sein Satelliteninternet zur Verfügung stellt. 15.000 Hardware-Pakete, bestehend aus Antenne, Router und Kabel, hat er in das kriegsversehrte Land geschickt. Das Militär nutzt das mobile Internet zur Kommunikation an der Front und Navigation von Drohnen. Starlink hat die militärische Logik des Konflikts verändert. Ohne schnelles Internet hätte die Ukraine wohl keine so effektive Gegenoffensive starten können. Allerdings hängt die Unterstützung von den Launen des Multimilliardärs ab. So kappte Musk kurzerhand den Zugang zu dem Netzwerk – und unterband damit nach eigenen Aussagen einen ukrainischen Drohnenangriff auf ein russisches Kriegsschiff. Greift da jemand in die Weltpolitik ein, ohne legitimiert zu sein? Auf welcher Seite steht Musk? Über die Hälfte der aktiven Satelliten im Weltall gehören schon heute Starlink. Perspektivisch soll die Flotte auf 42.000 Satelliten erweitert werden. Zusammen mit der Plattform X (vormals Twitter), die Musk 2022 für 44 Milliarden Dollar gekauft hat, ist der Unternehmer im Besitz einer mächtigen Kommunikationsinfrastruktur. Die Regierungen sehen den Einfluss von Musks Firmenimperium mit Sorge. Die Gefahr ist nicht nur, dass Staaten in technologische Abhängigkeit zu einem privaten Unternehmen geraten könnten, sondern auch, dass Starlink sensible, geheimdienstlich relevante Informationen sammeln und sie anderen Mächten zuspielen könnte. Offen sprechen will darüber kaum jemand. Zu groß ist der Respekt vor einem mächtigen Unternehmer, der Staatenlenkern auf seiner Plattform theoretisch das Mikrofon abdrehen könnte. Jedoch: Musk ist kein unabhängiger Akteur. In China zum Beispiel, wo Tesla die Nummer 2 bei E-Auto-Verkäufen ist, verfolgt Musk knallharte wirtschaftliche Interessen. Das Regime in Peking betrachtet Starlink als Gefahr für seine innere Sicherheit – und hat dem Verkauf von Hardware-Komponenten auf seinem Territorium einen Riegel vorgeschoben. China will ein eigenes Satellitennetz aufbauen – und die Abhängigkeit seiner Vasallen vergrößern. Im Juli 2021 wäre es im Weltall beinahe zum großen Knall gekommen: Da kollidierte der Starlink-Satellit 1095 fast mit der chinesischen Raumstation. Der Weltraum ist so voll, dass es immer wieder zu Beinahe-Kollisionen kommt. Daher sah es Peking nicht gern, dass der Tesla-Chef in ihrem Hinterhof in der Mongolei 2023 sein Satelliteninternet freischaltete. Service für illegale Goldminen? Der manische Unternehmer treibt seinen Expansionskurs freilich mit einer solchen Geschwindigkeit voran, dass er zuweilen übersieht, wer sich alles unter seinen Rettungsschirm flüchtet. Musk hatte mit großer Geste versprochen, 19.000 Schulen im Amazonas-Gebiet in Brasilien ans Netz zu nehmen. Doch mittlerweile nutzen auch Kriminelle seine Internet-Infrastruktur. Spezialeinheiten der brasilianischen Umweltbehörde entdeckten in einer illegalen Goldmine im Indigenen-Schutzgebiet der Yanomami neben Munition und Quecksilber unter anderem ein Verbindungsterminal von Starlink. Musk als Helfer der organisierten Kriminalität? Gewiss, einen solchen Vorwurf würde man Telekommunikationskonzernen auch nicht machen. Doch Musk könnte dieses Treiben mit einem Knopfdruck beenden. Unter „Neue Hoffnung im All“ hat Manuela Tomic am 13.10.2022 ein FURCHE-Feature gestaltet. Zu hören hier und auf furche.at. Aus dem Posteingang eines Wissenschaftsredakteurs: „Erfolg auf Knopfdruck? Für David JP Phillips ist das möglich. In ‚High on Life‘ zeigt der Bestseller- Autor, wie man die körpereigenen Hormone Dopamin, Oxytocin, Serotonin, Kortisol, Endorphine (…), die das emotionale Wohlbefinden beeinflussen, gezielt steuern kann, um glücklicher und erfolgreicher zu werden. Anders gesagt: Es gibt eine Methode, die Ihnen erlaubt, gewisse Stimmungen gezielt herzustellen. Drehen Sie auf dem Mischpult der Neurotransmitter an den richtigen Reglern!“ Wie um Himmels Willen soll das funktionieren? „Wenn Sie beispielsweise vor einer schwierigen Aufgabe stehen, erledigen Sie sie morgens, denn da haben Sie ein natürliches Sterotonin-Hoch. Außerdem ist man danach erleichtert, und der Rest des Tages wird sich ganz wunderbar anfühlen (…).“ So einfach kann es sein! Aber es wird noch besser: „Und schließlich können Sie noch eine Prise Endorphin dazutun, indem Sie einfach lächeln.“ Klingt nach einem Rezept, das sich zu Gold machen lässt – kann man das irgendwie zusammenfassen? „Nicht externe Faktoren, sondern allein Sie bestimmen, wie Sie sich fühlen.“ Na also! Sagen Sie das ihren psychisch angekränkelten Mitmenschen am besten direkt ins Gesicht. Sie können damit auch gleich jede Form von psychosozialer Hilfestellung in Frage stellen. So leisten Sie sicherlich einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft. „ Sie wollen sich gut fühlen und dabei auch erfolgreich sein? Dann misstrauen Sie hohlen Werbebotschaften, die Ihnen das Blaue vom Himmel versprechen! “ Jetzt im Ernst: Sie ahnen vielleicht schon, dass es dieses Buch nicht in meine lange Leseliste schaffen wird. Und hier nur als Beispiel erwähnt wird, wie die neoliberale Erfolgskultur nach wie vor Herz und Hirn vernebelt. Einen besseren Ansatz vertritt Anders Hansen. Der schwedische Arzt und Psychologe zeigt mit seinem Buch „Brain Blues“, dass psychische Tiefs wie Ängste und Depressionen zur menschlichen Natur gehören. Evolutionär gesehen stammen sie aus Schutzmechanismen, die für unsere Vorfahren überlebenswichtig waren: „Unser Gehirn ist auf Überleben und Fortpflanzung ausgelegt, nicht auf Wohlbefinden.“ Das ist der Grund, warum es ein vergebliches Unterfangen ist, laufend nach guten Gefühlen zu streben. Die Reise des Autors zu den Wurzeln der menschlichen Psyche endet bei einem großen Thema – Glück: „Je mehr wir ihm nachjagen, umso mehr droht es uns aus den Händen zu gleiten. Der beste Ratschlag für alle, die glücklich sein wollen, ist daher, vor all den hohlen Werbebotschaften die Augen zu verschließen.“ Brain Blues Warum unser Kopf uns mit Ängsten und Depressionen schützen will – und wie es gelingt, sie zu überwinden Von Anders Hansen Goldmann 2023 288 S., kart., € 13,40

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