DIE FURCHE · 2 12 Diskurs 11. Jänner 2024 ZEITBILD Botschafterin der Gletscher Foto: APA / EXPA / Johann Groder Klimawandel sieht man an den Gletschern am drastischsten, am besten und am intuitivsten“, sagt „Den Andrea Fischer. Bilder vom Rückgang der Eis- und Firnmassen sprechen quasi für sich selbst: „Man versteht sofort, dass hier Dinge im Gang sind, denen wir Aufmerksamkeit schenken sollten“, sagt die stellvertretende Leiterin des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck. Diese Woche wurde die 50-jährige Glaziologin und Geophysikerin zur „Wissenschaftlerin des Jahres 2023“ gewählt. Damit zeichnet der Klub der Bildungsund Wissenschaftsjournalisten jene Forschenden aus, die sich erfolgreich darum bemühen, ihre Arbeit einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen. Fischers großes Thema ist die massive Gletscherschmelze in den Alpen, deren Folgen für Österreich von weitreichender Bedeutung sind – nicht zuletzt aufgrund der gefährdeten Sicherheit im alpinen Gelände. Die Hochgebirgsforscherin geht davon aus, dass die Gletscher in den Ostalpen bereits 2050 vollständig verschwunden sein werden. Grund dafür sei die „stark geänderte Dynamik der Klimaerwärmung“. Die „Botschaften der schwindenden Gletscher“ seien wichtig, weil „wir in den sehr entwickelten Ländern natürlich zu den Hauptverursachern des Klimawandels zählen – und auch die nötigen Ressourcen haben, um eine Vorreiterrolle bei dessen Begrenzung einzunehmen“, so die begeisterte Bergsportlerin und ehemalige Staatsmeisterin im Eisklettern. Mit der Schmelze geht auch ein jahrtausendealtes „Klimaarchiv“ verloren. Mit intensiven Einsätzen am Berg trägt Fischer dazu bei, Eiskerne zu bergen und so diese gefrorenen Daten zur Klimageschichte zu retten. (M. Tauss) Insgesamt 9 Hauptgewinne bei Briefund Rubbellos im Jahr 2023 Einmal eine halbe und zweimal eine Viertelmillion Million Mit der Aushändigung unzähliger Sofortgewinne haben die Annahmestellen der Österreichischen Lotterien im Vorjahr vielen Spielteilnehmer:innen eine kleinere oder größere Freude bereitet. Neunmal mussten Gewinner:innen an die Österreichischen Lotterien verwiesen werden, dafür war der Jubel umso größer: Sie hatten jeweils den Hauptgewinn und damit einen sechsstelligen Betrag erzielt. IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Krone der Schöpfung Von Michael Rosenberger Nr. 1, Seiten 10–11 Bei allem Verständnis für Rosenbergers Bemühen, die Stellung von Pflanzen und Tieren in der Schöpfung zu würdigen und aufzuwerten, kann ich seiner Behauptung nicht folgen, dass die Bibel „kaum anthropozentristisches Gedankengut aufweist“. Er zitiert den ersten Schöpfungsbericht nur bis Gen 1, 25. Er führt nicht an, dass Gott (nur) den Menschen als sein „Bild“ schafft, ihm „Walten“ und „Herrschen“ über die Tiere aufträgt (Gen 1, 26. 28), dass der Mensch „jedes lebendige Wesen benannte“ (Gen. 2, 19f.). Mit Abraham lehnt Gott Menschenopfer ab, aber Tieropfer sind in großer Zahl und unterschiedlicher Form gang und gäbe und sogar vorgeschrieben. Die Aussage, dass „der griechische Anthropozentrismus in die christliche Theologie [...] einsickert“, „mag“ nicht nur „vereinfachend wirken“ (wie Rosenberger selbst schreibt). Sie ist in dieser ausschließlichen Antithese meiner Meinung nach falsch. Mag. Wolfgang Rank 2880 Kirchberg am Wechsel Immer Neuland betreten Nachruf auf Trautl Brandstaller Von Anton Pelinka, Nr. 1, Seite 13 Sogar ein Großer des österreichischen Journalismus, nämlich Anton Pelinka, kann sich einmal irren: Der einstige unsägliche Krone-Schreiberling „Staberl“ (Nimmerrichter) hieß mit Vornamen nicht Josef, sondern Richard. Dieser Name hat sich mir offenbar sehr tief eingeprägt! Johann Obwaller, Bad Vöslau 70 Jahre guter Stern Zeitbild von Doris Helmberger Nr. 1, Seite 16 Das Foto vom Besuch der „Heiligen Drei Könige“ beim Bundespräsidenten hat mich bestürzt! Für Reformator Martin Luther war die Legende von den Heiligen Drei Königen abzulehnen, ihm fehlte – zu Recht – die biblische Basis für die Legende. Für die Katholiken aber war zum Beispiel das Tafelgemälde „Die Anbetung der Könige“, das Pieter Breughel 1564 fertigstellte, dagegen Ausdruck der Freude für alle Völker: die Heiligen Drei Könige stehen für Vielfalt und Harmonie an der Krippe – als Vertreter der drei Kontinente Europa, Asien, Afrika. Sie sind also quasi die Umsetzung dessen, worum es theologisch geht, nämlich augenscheinlich zu machen, dass da ein Kind geboren ist, das eine Verkündigung für die ganze Welt hat. Jetzt hinzugehen, in allen Krippen den schwarzen König rauszunehmen und die schwarze Bemalung der „Sternsinger“ abzuschaffen, ist für mich rassistisch. Aber der „nickende Mohr“, der sich immer noch in manchen Kirchen für den gespendeten Obolus bedankt, hat wohl viel dazu beigetragen, dieses negative, rassistische Bild zu verfestigen – und die gegenwärtige Lust an überschießender Ablehnung tut ihr Übriges. Johannes-Maria Lex, 1110 Wien wie oben Sie schreiben, dass 1954/55 erstmals die „Verkündigung der Weihnachtsbotschaft mit sozialem Engagement“ verbunden wurde. Dazu ist aber zu ergänzen (oder zu korrigieren?), dass dies bereits seit der Jahreswende 1946/1947 den Sternsingern in der Wiener Josefstadt ein Anliegen war. Franz und Käthe Pollheimer organisierten ab 1946/1947, im Besonderen und im größeren Umfang ab 1949/50, das Sternsingen in Zusammenarbeit mit der Piaristenpfarre Maria Treu. „Könige“ waren in diesen frühen Jahren ihre Söhne Winfried und Franz, später auch Klaus, gemeinsam mit den Kindern befreundeter Familien. Gesammelt wurde dabei etwa für die sozialen Aufgaben der Pfarre Maria Treu, für den Wiederaufbau des Stephansdomes und für das Missionshaus St. Gabriel. Ein Bild von 1953 zeigt die Sternsinger vor dem Stephansdom mit Kardinal Theodor Innitzer. Und auch in der FURCHE vom 2. Jänner1965 findet sich ein Beitrag von meinem Vater Franz Pollheimer mit dem Titel „Wie das Sternsingen begann“. Durch meinen Vater war mir übrigens schon in den 1950er Jahren DIE FURCHE vertraut. Danke für Ihre redaktionelle Arbeit! Klaus M. Pollheimer, Mödling Anm. d. Red.: Den erwähnten Artikel samt Foto finden Sie auf furche.at – oder indem Sie „Wie das Sternsingen begann“ und FURCHE einfach googeln. In dieser Ausgabe der FURCHE finden Sie eine bezahlte Beilage von Plan International. Diese neun Haupttreffer verteilen sich auf fünf Bundesländer. Top-Gewinner war ein Niederösterreicher bzw. eine Niederösterreicherin mit dem Gewinn einer halben Million Euro beim Mega-Brieflos. Jeweils 100.000 Euro haben je ein:e Spielteilnehmer:in nochmals aus Niederösterreich sowie aus Kärnten und der Steiermark aufgerissen. Beim Rubbellos gingen zwei Gewinne in Höhe von 250.000 Euro nach Niederösterreich und Oberösterreich. Jeweils 100.000 Euro wurden zweimal in Salzburg und einmal in Oberösterreich aufgerubbelt. Ein Mega-Brieflos-Hauptgewinn in Höhe von 500.000 Euro ging im Vorjahr nach Niederösterreich Foto: Österr. Lotterien IN KÜRZE RELIGION ■ Franz-Xaver Kaufmann (1932–2024) RELIGION ■ 17. Jänner: Tag des Judentums BILDUNG ■ Erwachsenenbildung sinkt Der Religionssoziologe verstarb am vergangenen Sonntag 91-jährig in Bonn. Der gebürtige Schweizer, der 1969–97 Lehrstuhlinhaber für Sozial politik und Soziologie an der Universität Bielefeld war, gilt als einer der Begründer der Religionssoziologie. Franz-Xaver Kaufmann befasste sich in seinen Forschungen vor allem mit der katholischen Kirche, der er als streitbarer Zeitgenosse in kritischer Loyalität zeitlebens verbunden war. Er forschte zu Bildungsfragen, der Bestimmung von Kirchlichkeit und immer wieder zu Fragen der Reform der Kirche und zum Verhältnis der Kirche zur Moderne, zur Rolle der Frau und in den letzten Jahrzehnten auch zum Umgang mit Missbrauch. Bereits bei der Würzburger Synode 1971–75, die in Deutschland die Ergebnisse des II. Vatikanums implementierte, hatte Kaufmann zu den Beratern gehört. Foto: Privat Lesen Sie mehr dazu bei „Franz-Xaver Kaufmanns luzide Analyse der Kirche“ von Rudolf Walter am 9.11.2022, siehe furche.at. Österreichs Kirchen begehen am 17. Jänner den 25. „Tag des Judentums“. Das Christentum ist von seinem Selbstverständnis her wesentlich mit dem Judentum verbunden. An diesem Tag wollen sich Christen in besonderer Weise ihrer Wurzeln im Judentum und ihrer Weggemeinschaft mit dem Judentum bewusst werden. Zugleich wird auch das Unrecht an Jüdinnen und Juden in der Geschichte thematisiert. Zentraler Gottesdienst zum „Tag des Judentums“ findet am 17.1, um 18 Uhr, in der katholischen Kirche St. Josef-Weinhaus, 1180 Wien, Gentzgasse 142, statt. Infos zu weiteren Veranstaltungen: www.christenundjuden.org Die Aus- und Weiterbildungsaktivität der 25- bis 64-Jährigen in Österreich ist zuletzt leicht gesunken, so die Statistik Austria. Etwa 58 Prozent gaben an, sich im vergangenen Jahr weitergebildet zu haben. Das ist ein Minus von 1,9 Prozent gegenüber der letzten Erhebung im Jahr 2016. Männer nehmen Bildungsangebote seltener wahr als Frauen. Und Personen mit Hochschulabschluss bilden sich deutlich häufiger weiter als Menschen mit Pflichtschulabschluss. Die Teilnahmequote der 18- bis 24-Jährigen an Weiterbildungsangeboten ist im längerfristigen Schnitt deutlich gestiegen, so die Ergebnisse der Erhebung.
DIE FURCHE · 2 11. Jänner 2024 Literatur 13 Gelände der Von Ingeborg Waldinger Der Rhein war der Fluss ihrer Kindheit: Esther Kinsky wuchs bei Bonn auf. Unvergessbar blieben die Streifzüge durch die Uferwildnis, das Übersetzen mit der Fähre, der Anblick vorüberziehender Lastkähne oder der Klang der Nebelhörner. Klein Esther spürte auch der „Schrift“ des Flusses nach, notierte systematisch Stromkilometer, Schiffsnamen oder die Zulassungsnummern von Kähnen. Aus alledem sollte sich später ein Leitmotiv im Werk dieser vielfach prämierten Schriftstellerin und Übersetzerin herausbilden. Kinskys Interesse gilt der Bewegung und Unberechenbarkeit, dem Grenzcharakter und den Uferlandschaften von Flüssen. Wer bewohnt oder passiert ihre Saumzonen, welche Flora und Fauna sind da heimisch? Welche Geschichten und wie viel Geschichte tragen Flüsse mit sich, was verwässern oder verschleifen sie? Erinnerungen, Mythen und Rituale ergänzen diesen mit allen Sinnen geführten Erkundungsprozess. Faszination Fluss Als Schlüsselwerk dazu darf der stark autobiografisch grundierte Prosaband „Am Fluß“ (Matthes & Seitz, 2014) gelten. „Wenn ich ,Fluss‘ dachte, kamen mir Panoramen, Ausblicke, Ansichten der Kindheit in den Sinn – Postkarten, die mir die Erinnerung schrieb“, heißt es darin. Die Erzählerin hat, wie die Autorin selbst, viele Jahre in London gelebt. Nun kehrt sie nochmals zurück, um Rückschau zu halten, „stets dessen eingedenk, dass nichts so sehr ins Ungewisse führt wie die Erinnerung“. Von ihrem Quartier im Chassidenviertel Stamford Hill wandert sie den River Lea entlang bis zu dessen Mündung in die Themse. Die Lea bildet eine Grenzlinie im brüchigen, „ramponierten“ Osten der Metropole. Am einen Ufer Marschland und Industriebrachen, am anderen von Bauwut zerfressene Wildnisstreifen, „allem Schönen fremd“. Alte Infrastruktur bröckelt vor sich hin, verwildert, ehe sie der Gentrifizierung anheimfällt: eine Hunderennbahn, ein Jahrmarkt, eine palastähnliche Zündholzfabrik. Auch Randexistenzen dieser Randzone rücken ins Blickfeld: der „König“ vom Springfield Park, die „Frommen“ in den koscheren Läden, Schausteller, eine Wahrsagerin, ein kroatischer Tandler. Große Heimatlose allesamt. Die Autorin schweift wiederholt ab zu anderen, an Flüssen verorteten Stationen ihres Lebens. Zur Oder in Frankfurt, zur ungarischen Tisza, dem Yarkon River in Tel Aviv oder zur Neretva in Mostar. Ein großer Exkurs ist dem Ganges- Arm Hooghly River in Kalkutta gewidmet. Das „Flußliche“ zeigt sich das eine Mal in seiner „Mittelmeerischkeit“, das andere Mal als Ausdruck des ewigen Kreislaufs von Leben und Tod. So dient der Lehm des Hooghly River als Baustoff für die Ziegelindustrie und als Werkstoff für Töpfer. Viele aus seinem Lehm geformte Tonwaren (Teetassen, Götterstatuetten) und Ziegel gelangen irgendwann als Scherben zurück in den Fluss, der sie wieder zu Ton zermahlt. Das ist nur eine der vielen Facetten des Ganges-Arms, jenes heiligen und schmutzigen Lebensquells, der auch die Toten verschlingt. Spuren des Todes Gegen Ende des Romans „Am Fluß“ sucht die Erzählerin einen Gebrauchtwarenladen auf, dessen Inhaber aus Comacchio stammt. „On the river mouth“, präzisiert der Händler seine Herkunft, und stößt damit „ein Tor zu abgelegenen Erinnerungen auf“. Denn sogleich fallen seiner Kundin „die weißen Himmel des Po- Deltas wieder ein, die flimmernde helle Ebene, die sich an den Rän- Versehrtheit Sie sind schön, sie sind gefährlich: Flüsse faszinieren Esther Kinsky, sie sind ein wiederkehrendes Motiv in ihren Büchern. In „Tagliamento“ lädt die Autorin zu einem faszinierenden Streifzug durch die Flusslandschaft ein. dern auflöste und meinem Kinderauge so leer schien. (. . .) In der Ferne zitterten die Umrisse großer Fabriken über der Ebene, Luftspiegelungen“. In ihrem hochpoetischen Geländeroman „Hain“ (Suhrkamp, 2018) begibt sich Esther Kinsky auf eine Erinnerungstour durch Italien. Auch das Po-Delta ist Teil der Route. Zahllose (Sinn-)Bilder der Trauer durchziehen diese Winterreise, die sie nach dem Tod ihres Mannes unternimmt. Die in den Salinen von Comacchio reglos nach Beute spähenden Reiher etwa scheinen gleichsam als „Wächter zum Hüten der Leere bestellt“. Und sie lassen die Reisende an die Gestalt des altägyptischen Totengottes denken. Wie der Po, mündet auch der Tagliamento in die Adria. „Ein Wildfluss, wie es heißt, doch das Wilde ist außerhalb der wenigen Wochen reißenden Wassers nach Schneeschmelze und Sturzregen eher die Leere, die Riesigkeit des ungeregelten Steinbetts, die Willkür der spärlichen Rinn- sale (…).“ In ihrem Roman „Rombo“ (Suhrkamp, 2022), dem Erinnerungsbuch an die Erdbeben des Jahres 1976 in Friaul, beschreibt Kinsky den Fluss als uralte Transitroute von Händlern, Soldaten oder Suchenden nach dem rechten Ort. Und auch der Tagliamento trägt Spuren des Todes: „Das Bett verdaut seine eigene Geschichte der Kriege und tönenden Namen, mit allen Ertrunkenen, Gefallenen (. . .), mit Knochen und Kugeln und Splittern und Schädeln.“ Und es verdaut auch den „Erdbebenbruch, Reste von Haus und Hof und Obhut“. Zum Teil in Form von Betonbrocken, „die dem Wasser anders die Stirn bieten als das übrige Feste und Steinerne, das sich nach und nach dem Strömen fügt und lernt, zum Meer zu wollen.“ In einem weiteren Werk, dem mit Birnholzschnitten von Christian Tannhäuser illustrierten Band „FlussLand Tagliamento“ (Neuauflage Friedenauer Presse, 2023; Erstausgabe Edition Tannhäuser, 2021), lotet Kinsky den Charakter und die Geschichte dieses Wildflusses nochmals aus ‒ in Lyrik und Prosa. Das Gedicht „Lucertola“ sucht das changierende Wesen einer Eidechse zu erfassen. Das eine Mal sieht die Autorin: „Zersetzung im regen/ im heiseren trommeln/ eidechse verwirft alles grün/ schwindet zu farbe von luft.“ Dann wiederum: „Alles liegt offen und brach/ und das große/ eidechsenherz pumpt wundes/ ans licht blitzt die zunge.“ Viel Raum wird in diesem Band den Steinen des Tagliamento zuteil, ihrer Haptik, ihren Farben und Eigenschaften. Da wäre etwa der – für Eine Besprechung zu „Rombo von Esther Kinsky: Wenn die Erde seufzt“ vom 14.6.2022 finden Sie unter furche.at. „ Kinskys Interesse gilt der Bewegung und Unberechenbarkeit, dem Grenzcharakter und den Uferlandschaften von Flüssen. “ manchen Menschen auratische - Malachit: „Der grüne Stein, mitten im Flussbett. (. . .) Ein Kupferstein, wie die Etrusker wussten. Ein Taschenstein, ein touchstone, mit Aberglauben behaftbar, als könne er Lesen lehren“. Auch die Sedimente des Flusses fordern Aufmerksamkeit ein: „Wir/ sagen die kiesel/ wären auch gern wort.“ Um Kiesel ganz anderer Art geht es dann in einem Prosatext: „Clapat heißt: grober Stein, Steinklotz. Der Name einer Insel im Tagliamento“, wo im Ersten Weltkrieg Soldaten positioniert waren. Viele von ihnen, mutmaßt die Autorin, werden da auch gestorben sein, und ihre Knochen alsdann von den Wassern fortgeschwemmt, „zwischen Kalkstein, Dolomit, Granit und Konglomeraten gebrochen, gerieben und geschliffen [worden sein], bis sie glatt und klein und steinern waren, leichte, seltsame Kiesel mit einem hohlen Klang.“ Flusslandschaften erschließen sich Esther Kinsky im Zwielicht eines „mehrfach überprägten Geländes“. In ihrer Wahrnehmung sind sie niemals pittoreske Gefilde, sondern vielmehr Fluren, die Spuren von Versehrtheit tragen. Die Autorin macht ihre Geschichte und Geschichten lesbar: in feierlichen, melancholischen, mitunter auch beklemmenden Bildern. Der mächtige Vater Rhein aber bleibt die stete, wenngleich relativierbare Referenzgröße. Denn Distanz und Vergleiche können Größenordnungen erheblich verschieben. Das erkennt, während eines Intermezzos in Kanada, auch die Erzählerin von „Am Fluß“. Gemessen am gigantischen St.-Lorenz-Strom wirkt der Rhein plötzlich so klein und schmächtig, „dass meine Kindheit an seinem Ufer mit einem Mal gewichtslos und flüchtig erschien“. FlussLand Tagliamento Von Esther Kinsky Friedenauer Presse 2023 90 S., geb., € 18,50
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